Lukas 22, 31-34

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Lukas 22, 31-34

 


Göttinger Predigten im Internet
hg.
von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


Invokavit, 4.
März 2001

Predigt
über Lukas 22, 31-34, verfaßt von Walter
Meyer-Roscher


Der Predigttext:
Jesus sprach zu Petrus: Simon, Simon,
siehe, der Satan hat begehrt euch zu sieben wie den Weizen. Ich aber habe
für dich gebeten, dass dein Glaube nicht aufhöre. Und wenn du
dereinst dich bekehrst, so stärke deine Brüder. Er aber sprach zu
ihm: Herr, ich bin bereit, mit dir ins Gefängnis und in den Tod zu gehen.
Er aber sprach: Petrus, ich sage dir: Der Hahn wird heute nicht krähen,
ehe du dreimal geleugnet hast, dass du mich kennst.

Liebe Gemeinde!

Die Spreu vom Weizen trennen – von Zeit zu Zeit ist das
notwendig. Jeder weiß es. Es gibt Situationen, in denen klar sein muss,
mit welchen Freunden wir rechnen können und auf welche Zusagen wir uns in
Notfällen verlassen dürfen. Es gibt Prüfungen, die wir bestehen
müssen. Wenn wir dabei „durchfallen“, müssen wir die bitteren
Konsequenzen tragen. Das alte Bild vom Getreidesieb, das so lange
geschüttelt wird, bis die Spreu ausgesiebt ist und der Weizen
zurückbleibt, ist nach wie vor aussagekräftig. Sieben und ausgesiebt
werden – es gehört zu unserem Leben. Darauf kann auch keine
Gemeinschaft von Menschen, keine Gesellschaft verzichten.

Aber das wird ja immer schlimmer. Lebenslanges Lernen erfordert
auch lebenslange Prüfungen mit der ständigen Angst, durchs Sieb zu
fallen und vielleicht einmal endgültig ausgesiebt zu werden. In einer
immer mehr von Konkurrenzkämpfen durchgeschüttelten Gesellschaft wird
auch immer mehr gesichtet und gesiebt. Leistung, Durchsetzungsvermögen,
Härte gegen sich selbst und andere, Erfolge oder Niederlagen – das
sind die Kriterien, nach denen ein Leben beurteilt und dann eben die Spreu vom
Weizen getrennt wird. Das ist nun einmal die Ordnung, nach der unsere Welt
funktioniert. Die Starken und Anpassungsfähigen setzen sich durch, die
nicht mithalten können, bleiben auf der Strecke. Versager haben keine
Chance. Und das werden immer mehr, die durchs Sieb fallen, die gnadenlos und
endgültig ausgesiebt werden. Dann kräht kein Hahn mehr nach ihnen.

Das muss doch mit dem Teufel zugehen! Wir sagen das so. Der
Evangelist Lukas behauptet es auch. Jedenfalls kann man das Wort Jesu an Petrus
und die übrigen Jünger so verstehen: „Siehe, der Satan hat begehrt,
euch zu sieben wie den Weizen“. Wenn die Macht des Bösen im Spiel ist,
haben wir dann überhaupt noch eine Chance?

Der Schriftsteller Harry Mulisch beschreibt in seinem
großartigen Roman „Die Entdeckung des Himmels“ eine Situation, in der es
keine Hoffnung mehr für uns gibt, weil Gott uns und die Welt zum Teufel
gehen lässt. Mit Gott können wir nicht mehr rechnen. Er hat genug von
den Menschen. Seinen ewigen Bund mit ihnen kündigt er auf und wendet sich
von ihnen ab.

„Ich kann es nicht glauben“, sagt daraufhin ein Engel im Himmel.
„Du wirst schon lernen, es zu glauben“ entgegnet ein anderer. „Du wirst schon
sehen: Die Hölle wird auf der Erde losbrechen. Ach, es ist hoffnungslos.
Vergiss es!“

Ja, so denken wir wohl auch manchmal: Es ist hoffnungslos, vergiss
es! Und wir entschuldigen uns selbst dabei mit dem Hinweis auf anonyme,
böse Mächte; auf Faktoren in der allgemeinen Entwicklung, die wir
doch nicht beeinflussen können; auf die Eigendynamik in einer Ordnung von
Sieben und Gesiebt werden. Das geht wirklich mit dem Teufel zu.

An diesen Teufel glaube ich nicht. Er ist doch nur ein Alibi
für unseren Egoismus, unsere Anpassung an die Ordnung, die wir beklagen,
aber doch selbst weiter in Gang halten. Die Macht des Bösen – wir
selbst sind es, die diese Macht in Gang setzen und in unserem Denken und Tun in
Bewegung halten. Die Hölle, die der Engel in Harry Mulischs Roman auf der
Erde losbrechen sieht, bereiten wir selbst uns und anderen. Die Hölle
bereitet sich eine Gesellschaft selbst, in der immer mehr Menschen nicht mehr
mithalten können, durchs Sieb fallen, für wertlos erklärt
werden. Ach, es ist hoffnungslos, vergiss es!

Die bloße Beteuerung, wir ließen uns von dieser
Hölle nicht vereinnahmen, bei uns hätte die Macht des Bösen
keine Chance, hilft da noch nicht. Selbst Petrus muss diese Erfahrung machen.
Und er meint es gewiss ehrlich, wenn er verspricht, für Jesus und damit
doch für Gottes Herrschaft in unserer Welt einzutreten: „Herr, ich bin
bereit, mit dir ins Gefängnis und in den Tod zu gehen.“ Aber als er nach
dem gemeinsamen letzten Abendmahl und nach der Gefangennahme Jesu in Gethsemane
in der Morgendämmerung den ersten Hahn krähen hört, hat er schon
dreimal behauptet, diesen Jesus nicht zu kennen. Ausgerechnet Petrus, dessen
Name ein Gütezeichen sein soll! „Der Fels“, heißt er, und felsenfest
wollte er zu seiner Überzeugung stehen. Auch er ein Versager! Auch er
durchs Sieb gefallen – für unsere geheime Sehnsucht nach Vorbildern
wertlos. Wer kann dann überhaupt noch hoffen? Ach, es ist hoffnungslos,
vergiss es“, sagt der Engel in der „Entdeckung des Himmels“. Ja, auf den Himmel
müssen wir dann wohl verzichten und uns statt dessen mit der Hölle
auf Erden abfinden.

Nein, das müssen wir nicht. Die Geschichte vom Versagen des
Petrus ist eigentlich eine Hoffnungsgeschichte. Das macht Jesus selbst schon in
der Ankündigung dieses Versagens deutlich. Auch wenn Petrus durch das Sieb
seiner eigenen Selbsteinschätzung fällt – Jesus verspricht, den
Versager nicht fallen zu lassen, für ihn auch künftig da zu sein,
seiner verratenen, ins Wanken geratenen Lebensüberzeugung wieder einen
festen Grund zu geben. „Ich habe für dich gebeten, dass dein Glaube nicht
aufhöre“.

Wenn Jesus diesen Petrus nicht aufgibt, ihn sogar eines
weitreichenden Auftrags würdigt, dann darf niemand mehr sagen: „Ach, es
ist hoffnungslos, vergiss es!“ Kein Versagen rechtfertigt ein endgültiges
Negativurteil über einen Menschen. Auch ein Verrat an der eigenen
Lebensüberzeugung, an den eigenen Idealen und Werten trägt niemals
den Stempel der Endgültigkeit. Wenn Jesus den Petrus nicht abschreibt, hat
niemand mehr ein vermeintliches Recht, andere abzuschreiben – auch nicht
das Recht, am Wert des eigenen fragmentarischen Lebensentwurfs zu zweifeln. Da
ist immer noch Hoffnung. Da ist die Möglichkeit der Selbstbesinnung, und
da gibt es noch einmal die Chance des Neuanfangs.

Die Geschichte vom Verrat des Petrus und von der neuen Chance, die
er bekommt, verrückt angeblich unveränderliche Maßstäbe.
Sie zeigt, dass unser Leben vor einer letzten Instanz nach anderen Kriterien
beurteilt wird als in der Ordnung von Sieben und Gesiebtwerden. Wer an seine
Grenzen kommt, bekommt auch eine neue Chance, sich gerade da zu bewähren.

Wir brauchen uns nicht mehr mit demonstrativ zur Schau getragenen
Erwartungen an die eigene Standfestigkeit, die eigenen Kräfte und
Fähigkeiten oder mit der uneingestandenen Angst vor kommenden Niederlagen
selbst das Leben zur Hölle zu machen. Wir brauchen uns nicht zu
beteiligen, wenn Menschen abgewertet und abgeschrieben werden. Vielmehr
können wir andere in den Niederlagen ihres Lebens stützen und
stärken.

Das schließt zu einer Gemeinschaft zusammen, in der
Selbstgerechtigkeit, Überheblichkeit und Ausgrenzung der Versager keinen
Platz haben. Davon geht ein neuer Geist aus und der kann auch eine neue Ordnung
des Zusammenlebens im Keim sichtbar machen. Petrus hat es in der Begegnung mit
Jesus als einer der ersten erfahren: aus der neuen Chance für das eigene
Leben erwächst eine bleibende Verantwortung für andere, gerade
für die Schwächeren, die gestärkt und gestützt werden
müssen. Da mögen viele sagen, es sei hoffnungslos, sich dem Sog des
Bösen entziehen zu wollen. Das brauchen wir nicht zu glauben. Wir
können uns an die Hoffnung halten, die Petrus begleitet hat, und dann
können wir auch mithelfen, die Macht des Bösen einzudämmen, der
Hölle auf Erden Grenzen zu setzen.

Amen

Walter Meyer-Roscher, Landessuperintendent i.R., Hildesheim

E-Mail:
meyro-hi@t-online.de


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