Markus 14, 17-26

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Markus 14, 17-26

 

Göttinger
Predigten im Internet,
hg. von Ulrich
Nembach und Johannes Neukirch


Gründonnerstag
1. April 1999
Predigttext: Mk 14, 17-26
Verfasser: Hans Theodor Goebel

1.
Einer unter euch, der mit mir isst, wird mich verraten. –
Bin ich’s?

Jesus hat sich mit den Zwölfen zu Tisch gesetzt – so wird
erzählt. Er sagt, dass ihrer Einer sein Verräter sein werde.
Das lässt sie traurig werden, nachfragen Einen nach dem Anderen: Bin
ich’s? Doch nicht ich?
Als ob es so sein könnte. Als ob jeder von ihnen seinen Herrn verraten
könnte.

Die Erzählung scheint porös zu uns hin. Bin ich’s?
Das kann nicht ausgeschlossen werden.
Die Grenze zwischen damals und heute scheint durchlässig. Der historische
Abstand nicht entscheidend.
Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass ich heute meinen Herrn verrate.

Für dreißig Silberlinge soll es damals Judas getan haben.
Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon.
Christliches Kompromisslertum will beides: Gott dienen und einem anderen
Herrn.
Niemand kann zwei Herren dienen: entweder wird er den einen hassen und den
andern lieben, oder er wird an dem einen hängen und den andern verachten.


War der Fall des Judas damals nicht doch ein besonderer? Ein einmaliger
Fall? Ein extremer?
Judas war Einer aus dem engen Jüngerkreis der Zwölf. Er verrät
in der Nacht, die jetzt anbricht, seinen eigenen Rabbi. Mit einem Kuss liefert
er ihn aus an die Soldaten, Ankläger, Blutrichter, Folterer, Henker – und
die bringen Jesus gegen das Recht grausam zu Tode. Auch wenn Judas sein Tun so
weit nicht hatte aus-denken wollen.

Es stimmt: Wir alle sind nicht Judas, der den Jesus von Nazareth verriet.
Über-lieferte oder aus-lieferte – wie man es wörtlich
übersetzen kann.

Dasselbe wie er taten die anderen elf Jünger nicht. Nur dieser Eine.
Wir – Christen in späterer Zeit – tun auch nicht dasselbe.
Und doch fragen die anderen Jünger: Bin ich’s?
Einer nach dem Anderen fragen sie so. Sind sich ihrer nicht sicher.
Die Geschichte wird porös. Die Jünger damals, wir heute können
uns in diesem besonderen Verräter und Überlieferer entdecken.
Jedenfalls nicht ausschließen: Auch wir hätten es gewesen sein
können. Wir sind uns unsrer unsicher.

Noch mehr. Wir erkennen hier: Dieser Judas steckt in uns und kann aus jedem von
uns, die wir auch anderen Herren dienen wollen, hervorbrechen.
Wie ja auch der Brudermörder Kain aus der Urgeschichte im Herzen eines
jeden von uns steckt.

Unsre evangelischen Passionslieder haben das ausgedrückt. Im Wittenberger
Gesangbuch von 1544 heisst es nicht mehr – wie früher: O du armer
Judas, was hast du getan?

Sondern:
Unsre große Sünde und schwere Misstetat
Jesus, den wahren Gott(e)ssohn
ans Kreuz geschlagen hat.
Drum wir dich , armer Judas,
dazu der Juden Schar,
nicht feindlich dürfen schelten,
die Schuld ist unser fürwahr.

2.
Zwar des Menschen Sohn gehet hin , wie von ihm geschrieben stehet.
Wehe aber dem Menschen, durch welchen des Menschen Sohn verraten wird.

Wir stehen hier vor dem abgründigen Geheimnis.
Jesus geht in den Tod. Nach Gottes Willen muss es so sein – wie geschrieben
steht.

Erinnerung taucht auf an die prophetische Weissagung von dem Gottesknecht:
Der Herr warf unser aller Sünde auf ihn.
Und trotzdem wird da die Schuld dieses Judas festgestellt, die Schuld
jenes Menschen, durch den der Menschensohn überliefert wird.
Gott will es so. Darum muss es so geschehen. Und schuldig wird der Mensch,
durch den es geschieht.
Beides geht hier zusammen.
Und wir können es uns doch nicht zusammen reimen.
Es bleibt uns abgründig.

Es wäre jenem Menschen besser, er wäre nie geboren worden.
Auch geboren zu werden steht in keines Menschen Macht. Und doch bleibt
jedem Geborenen die Verantwortung, was er mit seinem Leben macht, wenn ihm
dieser Jesus begegnet. Wie er dem Judas begegnet ist. Vielleicht auch uns.
Judas ist ihm zuerst gefolgt und hat ihn dann ausgeliefert an seine Hinrichter.
Judas hat, als er Jesus verriet, sein Leben verfehlt. Besser er hätte es
gar nicht begonnen. Aber das lag nicht in seiner Verantwortung.
Bleibt, dass Einer sein Leben verfehlt hat, das Letzte, was über ihn zu
sagen ist?

3.
Es folgt in der Erzählung nicht von ungefähr Jesu Abendmahl mit
seinen Jüngern.
Spätere haben diese Erzählung aufgeschrieben. Als Erzählung vom
letzten Abendmahl vor Jesu Tod. Spätere in den ersten Gemeinden, die
wahrscheinlich selber das Abendmahl feierten und zurück dachten an den Tod
ihres Herrn. Sie haben davon uns noch Späteren erzählt.
Und wollen uns wohl sagen: So wie wir das Abendmahl heute feiern, war es
damals, und wie damals so heute: Jesus mit den Seinen an einem Tisch beim
selben Mahl. Er lebendig bei uns – wie vor seinem Tod so auch heute.

Seine Geschichte von damals ist porös geworden für uns heute. Sie
übergreift die Zeit und bezieht uns mit ein. Jesu Tod ist übergriffen
von seinem Leben. Jetzt sitzen wir am Tisch von damals und Jesus heute an
unserem Tisch, bei unserem Abendmahl.
Das Brot, das wir essen vertritt ihn.
Und der Becher, aus dem wir den Wein trinken, steht für den Bund, den er
in Gottes Namen mit uns geschlossen hat. Gott mit uns in einem ewigen Bund –
dafür hat er sein Blut vergossen.

Aber am Brot und am Becher mit Wein hängt es nicht. Die bewirken von sich
aus nichts.
Es ist sein Wunder, dass er uns heute seine Gemeinschaft schenkt. Dass
er seinen Tod damals auf Golgatha gestorben ist für uns, die wir
hier leben. Dass er uns heute zusagt: Gott ist mit euch im Bund. Es ist sein
Wunder.

Wem das Essen des Brotes und das Trinken aus dem Becher hilft, es zu glauben,
der lasse sich so helfen.
Und wer Schwierigkeiten hat, hier zu verstehen, der lasse sich dadurch nicht
stören in seinem Zutrauen.

Wir sollen ja nicht glauben, dass mit Brot und Wein etwas geschieht. Sondern
mit uns. Glauben sollen wir, dass zwischen unserem lebendigen Herrn und uns
etwas geschieht. Dass er, der sich für uns hat dem Tod
überliefern lassen, uns heute seine Gemeinschaft schenkt. Dass er
sich heute neu an uns überliefert. Sich an uns ausliefert
Und sich von uns nehmen lässt.
Das ist das Wunder – mit oder ohne das Essen und Trinken von Brot und Wein.

Gemeinschaft hielt er ja schon zu seinen Lebzeiten. Aß und trank mit den
Zöllner und Sünderinnen. Musste sich als Vorwurf vorhalten lassen,
dass er die annahm. Und sich von denen nehmen liess als Einen ihresgleichen.
Er, der von Gott kam, der Zöllner und Sünder Geselle.

4.
Zwölf
waren es, die in der Geschichte von jenem letzten Mahl mit Jesus
am Tisch saßen. Seine zwölf Jünger. Judas eingeschlossen. Der
tunkte mit ihm die Hand in die Schüssel und lieferte ihn dann aus.
Aber nun war dieser Judas beim Abendmahl dabei. Jesus aß und trank auch
mit ihm.
Was bedeutet das?

Es zeigt sich: Die Geschichte Jesu ist offen auch für Judas. Auch
für ihn, der ihn in den Tod stieß, ging Jesus in den Tod.
Auch ihm schenkt er seine Gemeinschaft.

Mag ja sein, dieser Mensch wäre besser nicht geboren worden. Aber nun ist
er geboren worden. Hat Jesus und sein Leben verfehlt. Und Jesus ist doch auch
für ihn gestorben. Auch er ist einbezogen in den Bund Gottes.

So wird Judas, der Jesus in den Tod überliefert hat, für uns zum
Überlieferer des Evangeliums: Jesus nimmt die Sünder an, mich hat
er auch angenommen.

Das Evangelium bleibt Jesu letztes Wort. Über jeden Judas.

5.
Zuletzt öffnet Jesus am Abendmahlstisch den Blick in die Zukunft des
Reiches Gottes.
Amen, ich sage euch, dass ich hinfort nicht trinken werde vom Gewächs
des Weinstocks bis auf den Tag, da ichs neu trinke in dem Reich Gottes.

Erinnerung kommt auf an die Zukunft, die der Prophet Jesaja angesagt
vom Freudenmahl Gottes:
Und der HERR… wird auf diesem Berge allen Völkern ein…Mahl machen,
ein Mahl von reinem Wein…darin keine Hefe ist. Und er wird auf diesem Berge
die Hülle wegnehmen, mit der alle Völker verhüllt sind …Er
wird den Tod verschlingen auf ewig. Und Gott, der HERR wird die Tränen von
allen allen Angesichtern abwischen…

Mit Abraham, Isaak und Jakob werden im Himmelreich Viele zu Tisch sitzen
aus dem Westen und aus dem Osten, aus dem Süden und aus dem Norden.
Und Jesus wird seinen Wein als Einer unter ihnen trinken.

So wird es sein in Gottes Reich, in dem Reich des Friedenskönigs, der
ohne Gewalt in unsere Welt gekommen ist und ist mit Gewalt aus
ihr hinaus gedrängt worden.
Noch immer herrscht diese Gewalt in unsrer Welt, wie wir gerade dieser Tage in
Jugoslawien erfahren. Die Politiker haben zuletzt keinen anderen Weg gefunden,
als die unmenschliche Gewalt durch die kriegerische Gewalt zu bekämpfen.
Nun ist ein beklemmendes Töten und Getötetwerden in Gang. Und keine
Aussicht, einen Weg heraus zu finden. Das bleibt zum Äußersten
bedrängend.

Jesus öffnet den Blick in eine andere Zukunft: In Gottes Reich wird er mit
Menschen aus allen Völkern seinen Wein trinken. Lasst uns gerade jetzt die
Erinnerung an diese Zukunft, an die andere Zukunft wach halten!

6.
Nach dem Mahl singen Jesus und seine Jünger den Lobgesang und gehen hinaus
in die Nacht. Es ist die Nacht, in der er ausgeliefert wird – in die Finsternis
seines
Todes. Gerade aus dieser Nacht ist für uns alle das Licht aufgebrochen.
Amen.

Literatur:
Joachim Gnilka, Das Evangelium nach Markus II/2, EKK, Neukirchen-Vluyn,
1989 (3.Aufl.).
Volker Weymann, Gründonnerstag – 1.4.1999. Markus 14, 17-26, in: GPM 53,
1999 (Heft 2), 185-191.
Zur Lehre vom Heiligen Abendmahl. Bericht über das Abendmahlsgespräch
der Evangelischen Kirche in Deutschland 1947-1962 und Erläuterungen seines
Ergebnisses, erstattet von G. Niemeier u.a., München (1958) 1964
(6.Aufl.).
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Hans Theodor Goebel
Im Wasserblech 1c, 51107 Köln
Tel.: 0221/861135


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