Markus 16, 9-14 (15-20)

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Markus 16, 9-14 (15-20)

 


Göttinger Predigten im Internet
hg.
von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


Quasimodogeniti, 22.4.2001
Predigt über Markus 16, 9-14 (15-20)
, verfaßt von Klaus Raschzok


I.

In den Ausgaben der revidierten Lutherbibel findet sich am Ende
unseres eben verlesenen Predigttextes ein kleingedruckter Zusatz: „Nach
den ältesten Textzeugen endet das Markusevangelium mit Vers 8. Die Verse
9-20 sind im 2.Jahrhundert hinzugefügt worden, vermutlich um dem
Markusevangelium einen den anderen Evangelien entsprechenden Abschluß zu
geben.“ Ein Evangelium kann eben nicht mit Zittern, Entsetzen und Furcht
über die Auferstehung Jesu aufhören, und wir erhalten so Einblick in
einen Prozeß des Gestaltens und Entstehens des Neuen Testamentes. Aber
auch diese Verse sind Bestandteil der Bibel, und der kluge Hinweis in der
revidierten Lutherübersetzung darf nicht mißverstanden werden, als
könnten wir beim Lesen des Markusevangeliums den sogenannten
„unechten“ Schluß einfach übergehen. Denn auch hier wird
eine wichtige Erfahrung des Glaubens aufbewahrt und an uns weitergegeben.

II.

Zweimal, so hören wir, sind Persönlichkeiten aus dem
engsten Kreis um Jesus davon überzeugt, dem auferstandenen Herrn begegnet
zu sein. Aber ihre Begegnungserfahrung verbleibt in der Subjektivität. Als
sie davon weitererzählen, glauben es ihnen die anderen nicht. Erwähnt
werden Maria von Magdala und die beiden Emmausjünger, deren Erlebnisse mit
dem Auferstandenen wir aus dem Johannes- und dem Lukasevangelium kennen, so
daß hier am Ende des Markusevangeliums eine kurze Zusammenfassung
genügt, um sie in Erinnerung zu rufen. Der sogenannte unechte
Markusschluß, der in der altkirchlichen Tradition einem Presbyter namens
Ariston zugeschrieben wird, hat ein großes Interesse daran, zu betonen,
daß es des Glaubens der anderen zur Bestätigung dieser Erfahrung gar
nicht bedarf, so verständlich und nachvollziehbar dieser Wunsch ist. Mit
dem zweimaligen lapidaren Zusatz „glaubten sie es nicht“ wird dies
deutlich gemacht. Maria von Magdala und die beiden Emmausjünger haben die
Nähe des auferstandenen Herrn ganz persönlich erfahren. Daß es
die anderen nicht glauben, ändert an ihrer Gewißheit nichts.
Glaubenserfahrungen, so ahnen wir, sind nicht darauf angewiesen, durch die
Zustimmung der anderen bestätigt und bekräftigt zu werden. Sie sind
zunächst einmal ein kostbarer und ganz persönlicher Besitz.

III.

Nur der auferstandene Herr selbst führt zum Glauben. Nur, wo
er das Zeugnis bekräftigt, wird es zum annehmbaren Glaubenszeugnis. Als er
unter die Jünger tritt, die sich zu seinem Gedächtnis zum Mahl
versammelt haben, können auch sie die zuerst unverstandene Erfahrung der
Maria von Magdala und der beiden Emmausjünger persönlich
nachvollziehen und sich aneignen. Christus selbst führt in ihnen diesen
Wandel herbei.

Die bisher sprachlosen, die aus Furcht niemandem etwas davon
sagten, was im Grab ihres Herrn geschehen war, erhalten nun von ihm den
Auftrag, zu sprechen. Sie sollen aus dem schützenden Raum der
Tischgemeinschaft hinausgehen und das Evangelium predigen „aller
Kreatur“, also der ganzen Schöpfung. Kein Stück von ihr soll
davon ausgeschlossen sein.

Auch hier kommt es auf die persönliche Begegnung an, die den
Glauben schafft. Es geht nicht darum, etwas einfach für wahr zu halten.
„Wer da glaubt und getauft wird, der wird selig werden; wer aber nicht
glaubt, der wird verdammt werden.“ Diese Worte des Auferstandenen an seine
Jünger aus unserem Abschnitt haben viele Jahre lang im lutherischen
Hauptgottesdienst das Rüstgebet beschlossen und sind so Besitz der
gottesdienstlichen Gemeinde geworden.

IV.

Denen, die glauben, werden Zeichen folgen. Mit der Aufzählung
der Zeichen werden wir in die Welt der frühchristlichen Legenden
geführt, die in der Kunst des Mittelalters auf Altären, an
Kirchenwänden und in Bibelillustrationen bis heute bewahrt ist. Apostel
vermögen böse Geister auszutreiben, in neuen Zungen zu reden,
Schlangen mit den Händen hochzuheben und aus einem Becher einen
tödlichen Trank zu trinken, der ihnen nichts schaden kann. Sie legen
Kranken die Hände auf, und diese werden gesund. Es ist die Bild- und
Legendenwelt, die die Ausbreitung des Evangeliums und das Wachsen der
frühen Kirche begleitet, und deren erste Anfänge sich bereits in der
Apostelgeschichte finden. Wie alle Legenden bewahren sie eine grundlegende
Erfahrung auf, von der auch Paulus spricht: Nichts kann von der Liebe Gottes
trennen. Gottes Liebe ist mächtiger als alles, was Menschen bedrohen und
gefährden kann. Die Taufe vermittelt Zugang zu dieser Sicherheit. Wer zum
auferstandenen Christus gehört, bleibt selbst im Tod bewahrt und in seiner
Hand geborgen.

V.

Nach dem kurzen Gespräch des auferstandenen Herrn mit seinen
Jüngern wird er in den Himmel aufgenommen und sitzt, wie wir es im
apostolischen Glaubensbekenntnis bekennen, zur Rechten Gottes.

Jesu Jüngerinnen und Jünger aber ziehen nun aus und
predigen an allen Orten. Sie verlassen die Geborgenheit und Enge des
schützenden Hauses. „Und der Herr wirkte mit ihnen und
bekräftigte das Wort durch die mitfolgenden Zeichen“, heißt es
zum Abschluß.

So wird ein Evangelium weitergeschrieben und ist genau genommen
auch mit dem sogenannten unechten Markus-Schluß noch nicht zu ende. Es
vollendet sich erst in den unendlichen Fortsetzungen, die in jeder Generation
hinzugefügt werden, verwoben mit der eigenen Lebensgeschichte der
Hörerinnen und Hörer.

Am schlesischen Theologen und Volksschriftsteller Joseph Wittig
wird dieses Weiterschreiben des Evangelium beispielhaft sichtbar. Sein
populärstes, 1926 erschienenes Werk trägt den bezeichnenden Titel
„Leben Jesu in Palästina, Schlesien und anderswo“. Joseph Wittig
verknüpft darin die einzelnen Begebenheiten aus den Evangelien mit dem
Leben der einfachen Leute seiner Heimat und zeichnet die biblischen
Erzählungen immer wieder neu in die schlesische Landschaft ein. Biblischer
Text, Landschaft, Bevölkerung und volkstümliche Frömmigkeit
gehen ineinander über und bilden eine neue Einheit.

Auch wir sind eingeladen, ein Stück mit am Evangelium
weiterzuschreiben und unseren Beitrag dazu zu leisten, daß es solange
unabgeschlossen bleibt, bis Christus wiederkommt am Ende der Zeit.

„Durch dieses letzte Wort war den Lesern des Evangeliums mit
einer kurzen Übersicht gezeigt, wie ihr eigener Christenstand mit Jesu
Arbeit auf Erden zusammenhing“, schreibt Adolf Schlatter in einer
Auslegung zum Markus-Schluss. So sei Kirche entstanden. Ob die letzten Worte
des Markus-Evangeliums, die in unserer Bibel stehen, nun echt oder unecht sein
sollen, spielt dafür keine Rolle. Wir werden als gottesdienstliche
Gemeinde mit hineingenommen in die Entstehung der Kirche und sind selbst daran
beteiligt, mit unserer eigenen Lebens- und Glaubensgeschichte, die nichts
anderes als eine Fortsetzung des Evangeliums darstellt.

Eine der Erfahrungen des schlesischen Schriftstellers Joseph
Wittig aus seinem „Leben Jesu in Palästina, Schlesien und
anderswo“ wird damit auch zu unserer: Wo in der eigenen Lebensgeschichte
die Geschichte des Evangeliums weitergeschrieben wird, bleibt zugleich etwas
vom Glanz des Evangeliums haften und durchdringt sie von innen her. Daß
dieser Glanz häufig erst im Rückblick richtig wahrgenommen werden
kann, gehört mit zu dieser Erfahrung, die uns mit den ersten
Auferstehungszeugen und allen, die am Evangelium weiterschreiben, verbindet.

Professor Dr. Klaus Raschzok
Theologische Fakultät der
Friedrich-Schiller-Universität Jena
Fürstengraben 1, 07743 Jena


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