Markus 16,1-8

Markus 16,1-8

Ostern, Gegensatz zum täglichen Erleben | Ostersonntag | 17.04.2022 | Mk 16,1-8 | Ulrich Nembach |

Liebe Gemeinde, 
„Das gibt es nicht. – Doch, das gibt es!“ So kann unser heutiger Predigttext überschrieben werden. Hören Sie selbst! Der Text steht im Markusevangelium im 16. Kapitel, die Verse 1ff: 

1.

1 Und als der Sabbat vergangen war, kauften Maria von Magdala und Maria, die Mutter des Jakobus, und Salome wohlriechende Öle, um hinzugehen und ihn zu salben. 
2 Und sie kamen zum Grab am ersten Tag der Woche, sehr früh, als die Sonne aufging. 
3 Und sie sprachen untereinander: Wer wälzt uns den Stein von des Grabes Tür? 
4 Und sie sahen hin und wurden gewahr, dass der Stein weggewälzt war; denn er war sehr groß. 

Eine Fraueninitiative, bestehend aus drei Frauen, wird aktiv nach Jesu Tod. Sobald sie können, starten sie frühmorgens. Nach unserer Zeitrechnung ist das der Sonntagmorgen. Am Sonnabend konnten sie nichts unternehmen, weil dieser Tag ein Sabbat, ein Tag absoluter Ruhe war. Sie kaufen wohlriechende Öle, um Jesu Leichnam zu salben. Sie wollen das tun, was man damals einem lieben Toten schuldig war. Der zeitliche und finanzielle Aufwand ist kein Hindernis für die Drei. 

Als sie unterwegs sind, merken sie, dass sie etwas übersehen haben, etwas Wichtiges. Jesus wurde begraben in einer aus dem Fels gehauenen Höhle, und vor der liegt ein großer und schwerer Stein. Ihn wegzurollen ist zu schwer für sie. Sie überlegen, wer ihnen helfen kann. Sie überlegen und gehen weiter. So kommen sie zum Grab. Da bemerken sie eine angenehme Überraschung. Der Stein ist weggerollt. 

Das gibt es doch nicht. Das ist eigentlich unmöglich. Am Sabbat konnte niemand hierher zum Grab gekommen sein und jetzt auch nicht. Sie waren frühmorgens gekommen. Das gibt es nicht. Und doch, das gab es. 

So geht es auch weiter. Die Frauen gehen ins Grab. Die Gräber waren damals groß. Was sehen sie dort? 

5 Und sie gingen hinein in das Grab und sahen einen Jüngling zur rechten Hand sitzen, der hatte ein langes weißes Gewand an, und sie entsetzten sich. 

Ein junger Mann sitzt im Grab. Die Frauen sind entsetzt. Gleich noch einmal: Das gibt es nicht, und doch gibt es das. 

Ehe sie reagieren können, werden sie angesprochen. Der junge Mann sagt zu ihnen: 

6 Entsetzt euch nicht! Ihr sucht Jesus von Nazareth, den Gekreuzigten. Er ist auferstanden, er ist nicht hier. Siehe da die Stätte, wo sie ihn hinlegten. 
7 Geht aber hin und sagt seinen Jüngern und Petrus, dass er vor euch hingehen wird nach Galiläa; dort werdet ihr ihn sehen, wie er euch gesagt hat. 

Der junge Mann erkennt ihr Entsetzen und spricht sie freundlich an. Sie brauchen keine Angst zu haben. Jesus ist nicht hier. Das sehen sie. Deshalb sagt der junge Mann gleich, was geschehen ist. Er, Jesus von Nazareth, ist auferstanden. Was? Er ist auferstanden, sagt er. Das gibt es doch nicht. Tot ist tot. 

Wir erleben das Tot-ist-tot zurzeit tagtäglich. Die Zeitungen und Fernsehnachrichten sind voll von Todesmeldungen infolge von Corona. Es werden nur noch die Zahlen genannt, weil seit der letzten Meldung wieder soundso viele Menschen verstorben sind. Die Toten der Ukraine werden nicht einmal gezählt; ihre Anzahl lässt sich konkret kaum oder gar nicht erfassen. Aber sie werden gehört. Das Blut eines Getöteten schreit zu Gott von der Erde. So heißt es einmal in der Bibel (Gen. 4, 10). 

Das Blut der Vielen, die seit Wochen in der Ukraine getötet werden, schreit laut. So laut, dass auch wir es hören, 1700 km entfernt. Die ganze Welt hört es und starrt entsetzt auf die Gräber, wo Äcker zu Friedhöfen werden. 

Unsere Friedhöfe sprechen eine deutliche Sprache, unmissverständlich, seit Menschengedenken. Und nun, am Ostermorgen, soll es damit nichts sein? Das gibt es doch nicht! „Seht hin“, sagt der junge Mann zu den Frauen, „doch, das gibt es“, und er gibt ihnen dazu einen Auftrag mit auf den Weg. Sie sollen Jesu Jüngern berichten und die Begegnung der Jünger mit ihm vorbereiten. Toll! Also, das ist Auferstehung?!

2.

Was heißt das heute? Wie begehen wir Ostern in Zeiten von Krieg und Corona? Die kirchlichen Oberen sagen wie immer: Ostern ist das höchste christliche Fest. Im Mittelalter sah man es ganz genauso. Darum kam etwa der deutsche Kaiser Otto der Große (912-973) immer wieder zu Ostern auf seine Burg in Quedlinburg, um dort das Fest gebührend feiern zu können. 

Was heißt Ostern in der Zeit von Corona und Krieg? Lassen Sie mich mit einem Bild antworten. Ein Friedhof kommt mir heute vor wie ein Bahnhof, an dem Endstation ist. Der Zug fährt ein, aus dem Lautsprecher ertönt der Ruf: Bitte alle aussteigen, der Zug endet hier! Ostern aber – und das ist entscheidend – bezeichnet den Umbau des Bahnhofs. Der Bahnhof Endstation ist zu einem Umsteigebahnhof geworden. Wir – Sie, ich –, wir verlassen den Zug ‚Irdisches Leben‘ und steigen ein in einen neuen Zug. Dieser Zug fährt ins ‚Ewige Leben‘.

In unserem Alltag erkennen wir dies nicht. Wir sehen nur den Bahnhof als Endstation. Wir stehen an der Bahnstrecke und sehen, dass viele Züge fahren, ja, dass Schnelltrassen gebaut werden. Nur so können all die Toten aus der Ukraine abtransportiert werden. 

Den Frauen am Ostermorgen ging es nicht anders. Sie kannten den Bahnhof nur als Endstation und haben sich eilig auf den Weg gemacht, um Jesus die letzte Ehre zu erweisen. Als dann alles anders war, als sie es erwartet hatten, und sich alles änderte, waren sie entsetzt. Sie meinten: Das gibt es doch gar nicht. Der junge Mann, den sie antrafen, musste ihnen die Situation erklären: Er ist auferstanden, er ist nicht hier. Im Bild: Jesus war umgestiegen. 

Das ist wahrhaftig Grund zur Freude. Das ist Ostern. „Erschienen ist der herrlich Tag“ (EG 106) singen wir mit den Worten und der Melodie (1560) von Nikolaus Herman. Er reihte sich ein in die Linie derer, die wie Otto der Große Ostern in besonderer Weise feiern und mit den kirchlichen Oberen heute sagen: Ostern ist das höchste christliche Fest. 

Wer trotzdem noch Zweifel hat und meint, das gibt es nicht, der höre: Doch, das gibt es. Es ist (vgl. Joh. 14, 6. 19) die Wahrheit und das Leben, bekräftigt durch Jesu Wort: Denn ich lebe, und ihr sollt auch leben

Amen 

(Eine Fortschreibung der Osterpredigt von 2021)

Ulrich Nembach

de_DEDeutsch