Markus 16,1-8

Markus 16,1-8

1 Als der Sabbat vorüber war, kauften Maria aus Magdala und Maria,
die Mutter des Jakobus, und Salome wohlriechende Öle, um hinzugehen
und ihn zu salben.
2 Und sehr früh am ersten Tag der Woche kommen sie zum Grab, eben
als die Sonne aufging.
3 Und sie sagten zueinander: Wer wird uns den Stein vom Eingang des Grabes
wegwälzen?
4 Doch als sie hinschauen, sehen sie, dass der Stein weggewälzt
ist. Er war sehr gross.
5 Und sie gingen in das Grab hinein und sahen auf der rechten Seite einen
jungen Mann sitzen, der mit einem langen, weissen Gewand bekleidet war;
da erschraken sie sehr.
6 Er aber spricht zu ihnen: Erschreckt nicht! Jesus sucht ihr, den Nazarener,
den Gekreuzigten. Er ist auferweckt worden, er ist nicht hier. Siehe,
der Ort, wo sie ihn hingelegt haben.
7 Doch geht, sagt seinen Jüngern und dem Petrus, dass er euch vorausgeht
nach Galiläa. Dort werdet ihr ihn sehen, wie er euch gesagt hat.
8 Da gingen sie hinaus und flohen weg vom Grab; denn Zittern und Entsetzen
hatte sie gepackt. Und sie sagten niemandem etwas; denn sie fürchteten
sich.

Zürcher Bibel 1996

Liebe Gemeinde
Ostern – das Fest der Freude!
Wie freut sich heute gross und klein am Eiersuchen, an Schokoladeeiern
und süssen Osterhasen. Alles in jeder Form, traditionell und modern
und in beinahe grenzenloser Grösse. Das Schöne dabei ist, dass
wir uns von Herzen mitfreuen.
Freude allermeist auch über „das verlängerte Wochenende“.
Dank freiem Karfreitag und vielerorts Ostermontag lässt sich der
Frühling so recht geniessen. Freude weitum, bei vielen höchstens
getrübt durch den „Frust im Stau“. Aber etwas muss man
ja auf sich nehmen.

Ja, weshalb eigentlich ist Ostern das Fest der Freude?
Vier Antworten könnten im Millionenspiel zur Auswahl stehen: a)
Legefreudigkeit der Hühner, b) Himmelfahrt, c) Aktion „Mehr
Freude“ der Schokoladeproduzenten, d) Auferstehung.
In unseren Breitengraden würden leider nicht mehr alle die Hürde
dieser Frage nehmen. Nicht einmal alle Gymnasiasten entschieden sich
für d) Auferstehung Christi! Nicht wahr, wir alle wären da
besser dran! Wirklich? Wären wir nicht etwas verlegen, wenn wir
erklären müssten, wie es denn wirklich um die Auferstehung
Christi steht? Würden wir dann nicht ob uns selbst erschrecken?
Erschrecken, weil uns die Worte fehlen, das, was uns bewegt, so auszudrücken,
dass es andere verstehen. Erschrecken, weil wir in grosser evangelischer
Nüchternheit weit entfernt sind vom Jubel, der in orthodoxen Kirchen
mehrhundertfach aus der österlichen Gemeinde ausbricht: Christus
ist auferstanden – er ist wahrhaftig auferstanden!

Ostern – das ist auch das Fest des Friedens.
Wer sich am „verlängerten Wochenende“ freut, weiss bestimmt,
dass Karfreitag und Ostern zusammengehören. Wer die Frage im Millionenspiel
richtig beantwortet, weiss noch mehr: Kreuzigung und Auferstehung gehören
zusammen. Denn durch die Auferstehung zeigt sich, dass Gottes Liebe Jesus
in dunkelster Stunde am Kreuz durchgetragen hat. Und durch die Auferstehung
wendet sie sich auch an alle Menschen. Die Angst vor dem alles in Dunkelheit
und leere stürzenden Tod wird überwunden. Versöhnung und
der Friede mit Gott wird Tatsache. In der Begegnung mit dem Auferstandenen
wird neues Leben möglich.

Doch – ob wir wollen oder nicht – die bedrückende Frage unserer
Tage treibt viele um: Können wir Ostern in kriegserfüllter
Zeit unbeschwert als Fest der Freude und des Friedens feiern? Zurecht
freuen wir uns in diesen Tagen mit den Kleinen und Grossen, die mit kindlichem
Eifer nach versteckten Eiern suchen. Dennoch will sich die ungeteilte
Freude nicht so recht einstellen. Zu stark lastet vielen die menschliche
und politische Tragödie im Irak und im Nahen Osten auf Herz und
Seele. In letzter Zeit haben klagen viele Menschen: „Ich erwache
morgens so mit einem Druck auf dem Herzen“.

Osterfreude reduziert.
Osterfreude unter dem Druck des Entsetzens. Osterfreude bei Sprachlosigkeit
ob aller Grausamkeiten der jüngsten Tage und Wochen. Sprachlosigkeit
auch, weil wir dem Missbrauch des Namens Christi für Gewaltanwendung
und Würgengelmethoden ohnmächtig ausgeliefert sind, selbst
wenn sie noch so gut gemeint sind. Sprachlosigkeit auch, weil wir Nichtchristen
die Osterbotschaft heute kaum anschaulich als gutes, befreiendes Wort
der Freude vermitteln können.

Nur gut, dass wir uns selbst nichts vormachen müssen. Wir müssen
die eigene Sprachlosigkeit und das Entsetzen über den gegenwärtigen
Lauf der Welt nicht überspielen. Wir brauchen uns nicht zu schämen.
Wir können dazu stehen und auf den eben verlesenen ältesten
Osterbericht der Evangelien hören. Spüren wir, wie er einen
Weg aus der Sprachlosigkeit und dem Entsetzen zeigt? Kann es sein, dass
wir gar die grosse Nähe zu den drei beherzten Frauen entdecken,
zu Maria aus Magdala, zu Maria der Mutter des Jakobus, und zu Salome?

Wir lesen, wie sie noch spätabends nach dem Ende des Sabbats wohlriechende Öle
gekauft haben, um dann gleich frühmorgens aufbrechen zu können.
Eine Flut von Gedanken und Eindrücken mögen die drei umgetrieben
haben:
Sie hatten die Kreuzigung als Augenzeuginnen erlebt. Die Schmerzen Jesu,
seine Verzweiflung und seine Hingabe sind ihnen als unauslöschliche
Eindrücke gefolgt. Das Entsetzen über die Schandtat der Römer
und den Spott der Umstehenden lastete als ein Wust trüber Gedanken
auf ihnen. Trotzdem entschieden sie sich, hinzugehen, um Jesus sozusagen
die letzte Ehre zu erweisen. Es mag sie auch befremdet haben, dass die
Jünger bei seiner Gefangennahme entsetzt geflohen sind. Sie aber
fühlten sich nicht nur verpflichtet, sondern haben die Verpflichtung
ernst genommen, Jesus die gebührende Achtung zu erweisen. Hatten
sie etwa das Zeugnis des römischen Hauptmanns: „Wahrhaftig,
dieser Mensch war Gottes Sohn!“ im Ohr, dass sie diesen Schritt
bei Tagesanbruch wagten?

Umgetrieben von all den widersprüchlichen Gedanken nahmen sie „am
ersten Tag der Woche“ den Weg unter die Füsse. Angetrieben
von der zuvor erlebten Liebe gaben sie wenigstens ein Zeichen der Zuneigung,
so wie es ihnen eben möglich war. Damit haben sie das getan, was
zu geben die weggelaufenen Männer verpassten. Doch, obwohl so zielstrebig
unterwegs, gerieten sie erneut ins Grübeln. Einen Gedanken „wälzten“ sie,
für den sie zuvor keinen Platz hatten: Die Frage nach dem verstellten
Zugang zum Grab: „Wer wird uns den Stein wegwälzen – wie kommen
wir zu Jesus?“

Manchmal geraten wir ob einer Vielzahl belastender Erfahrungen selbst
ins Grübeln. Manchmal hängen wir trüben Gedanken nach
und es scheint, als ob uns ein Stein zentnerschwer auf dem Herzen liege.
Da kann es geschehen, dass wir unvermittelt einen Ausweg aus aller Beschwernis
sehen. Zunächst nimmt uns Sprachlosigkeit in Beschlag. Nach und
nach nehmen wir wahr, was wirklich geschehen ist und wir wieder frei
atmen können, dem Schweren ent-setzt, der Betrübnis enthoben.
So etwa muss es den drei furchtlosen Frauen ergangen sein. Sie kamen
zum Grab und alles war anders, als erwartet. Ein junger Mann sitzt da,
bekleidet mit einem weissen Gewand. Der himmlische Bote blendet sie.
Ihre Erfahrungen erscheinen unvermittelt in einem neuen Licht. Sie erschraken
und die Angst war wieder da. So wie die Hirten auf dem Feld vor Bethlehem,
wie die Jünger auf dem Berg der Verklärung Jesu fürchteten
sie sich. Angesichts der Herrlichkeit Gottes fanden sie einfach keine
Worte mehr; entsetzt schauten sie in die Welt.

Sie finden sich plötzlich in einer neuen Lage, die ihre bisherigen
Erfahrungen nicht einsichtig, nicht fassbar machen. Zudem erfüllen
sich langgehegte Erwartungen nicht. Doch Augen und Ohren werden in einer
Weise für den Blick der neuen Wirklichkeit geöffnet. Dabei
erfahren sie, dass Gott einen Ausweg zeigt, wo ihre Weisheit am Ende
ist. Er ent-setzt sie aus ihrer Verlegenheit und allem Schweren und setzt
sie gleichsam auf den richtigen Weg, der zu einer neuen entscheidenden
Erfahrung führt. Eine neue Verbindung mit ihrem Herrn wird möglich,
da ihm der Weg zum Leben nicht mehr versperrt und ihr Zugang zu ihm nicht
länger verstellt ist. Denn Gott hatte sich längst zu ihm bekannt,
als die Feinde Jesu noch ihren Triumph feierten.

Ihre Begegnung im offenen Grab endet mit Entsetzen und mit Sprachlosigkeit.
Doch ihre Ostergeschichte hat eine Fortsetzung, denn mit Ostern ist allem
Entsetzen und Schweigen ein Ende gesetzt. Der Bote Gottes richtet ihren
Blick nach vorn. Für sie beginnt die Zeit nach Ostern mit der Erfüllung
dessen, was ihnen aufgetragen ist: Sie erzählen ihre „entsetzliche“ Geschichte
den Jüngern. Und mit ihnen brechen sie auf nach Galiläa. Dort
wo ihr Weg mit ihm begonnen hat, werden sie ihm erneut begegnen. Am Ort
seines Rufes in die Nachfolge werden sie sich erneut zur Nachfolge entschliessen.

Spüren wir die grosse Nähe zu den drei beherzten Frauen, wenn’s
uns ums Fortlaufen ist vor all den Problemen und dem vielen, das uns
das Herz schwer macht? Obwohl sie guten Willens waren, liefen die Frauen
fort vor Entsetzen über das, was sie in den drei tragischen Tagen
erlebten hatten. Dennoch erfüllten sie ihre Pflicht und ermahnten
sie die Jünger, wie aufgetragen. Mit ihnen machten sie sich erneut
auf den Weg nach Galiläa. Dabei konnten die Jünger nicht wissen,
dass ihre Flucht eine Flucht in die Arme des Herrn war – wahrlich eine
grossartige nachösterliche Erfahrung. Doch ihr Weg dahin war lang.
Wir kennen wohl die Richtung, nicht aber den Weg vor uns. Eines wissen
wir nun: Die bedrückenden Fragen unserer Tage können wir nicht
ablegen. Ebenso wenig können wir die eigenen grossen und kleinen
persönlichen Probleme überspielen. Wir sollen das auch nicht,
nicht einmal versuchen. Erschrecken, Zweifel, Sorgen können wir
getrost als Gepäck mitnehmen, wenn wir uns entschliessen, ähnlich
wie die drei Frauen nach Ostern den Weg einzuschlagen, der zur Begegnung
mit dem Auferstandenen führt.

Ergreifen wir diese Möglichkeit, gleich wie die Jünger, dem
lebendigen Herrn zu begegnen. Sie wurden frei von ihrer Angst, befreit
dazu, durch Wort und Tat seine gute Botschaft zu bekennen. Uns bietet
sich ebenso die Möglichkeit, frei zu werden und in einer solchen
Begegnung das abzulegen, was uns bisher den Weg zu freudigem Bekennen
und zu Frieden schaffendem Tun verstellt hat.
Um der Liebe willen hatten sich die Jünger, gemeinsam mit den drei
Frauen, in grosser Freiheit zu diesem Weg entschlossen. Ostern wurde
so zum Wendepunkt in ihrer Biographie, zu einem Leben in Freude und Frieden.
Dieser Weg steht uns offen und wir geniessen die Freiheit, das Angebot
anzunehmen und uns zu diesem Schritt zu entschliessen.
Tun wir das, dann können wir leichten Herzens bekennen: “ Der
Herr ist auferstanden!“ und einander wünschen: „Frohe
Ostern!“ Amen

Präsident i.R. Pastor Heinrich Rusterholz
Spitalstr. 220
CH – 8623 Wetzikon
E-Mail: u-h.rusterholz@bluewin.ch

 

 

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