Markus 2,1-12

Markus 2,1-12

Predigt zu Markus 2,1-12, verfasst von Pfarrerin Hanne Sander


Kann man für andere glauben? Kann das Vertrauen
anderer einen Menschen tragen? Offenbar ja, wenn man der Erzählung
von Markus von der Heilung des Gichtbrüchigen Glauben schenken soll.
In dem Bericht hören wir von einem Gelähmten, der im buchstäblichen
Sinne von vier Freunden getragen wird. Wenn wir uns die Geschichte ein
wenig mehr ausmalen, können wir uns gut vorstellen, daß der
Lahme längst den Glauben daran verloren hatte, daß er einmal
wieder gesund werden würde und gehen könnte. Vielleicht hatte
er sich mit seinem Schicksal abgefunden und der Tatsache ins Auge gesehen,
daß seine Behinderung seinen Lebensraum begrenzt. Aber er hatte
dennoch Sinn für das entwickelt, was immer noch möglich war.
Vielleicht war er auch ganz in Bitterkeit und Zorn darüber versunken,
daß er nicht so leben konnte wie die meisten, und hatte in seiner
Verbitterung resigniert.

In dem Bericht ist jedenfalls deutlich, daß die vier Freunde
daran glauben, daß eine Veränderung möglich ist – und
deshalb geben sie sich alle Mühe, den Lahmen zu Jesus hinzuführen.
Sie haben gehört, daß Jesus vielen geholfen hat, und das Vertrauen,
das sie haben, gebrauchen sie nun zusammen mit ihrem erfinderischen Geist
– und es gelingt ihnen in der Tat, den Lahmen ganz nahe an Jesus heranzubringen,

Wo der Mann selbst aufgegeben hatte, sind die Freude in ihrer Zuversicht
aufdringlich, entschlossen und erfinderisch, und wir können sehen,
daß Hilfe möglich ist und den Weg in ein neues anderes Leben öffnet.
Die Freunde tragen mit ihrem Vertrauen dazu bei, eine Brücke zu
schlagen über den Abgrund von Aufgabe und Resignation, der sich
zwischen dem Mann und dem Leben bzw. Gott auftut. Und Jesus schlägt
eine Brücke von der anderen Seite, indem er sagt: Sohn, deine Sünden
sind dir vergeben. Sünde hat sprachlich etwas zu tun mit dem Wort
Sund im Sinne von Abgrund, Graben. Es ist ja deutlich, daß sich
ein Graben aufgetan hat, eine Trennung zwischen dem Mann und dem göttlichen
Leben, dem er nun in Jesus begegnet. Und so, wie wir in den letzten Jahren
(vergessenes) Wissen wieder hervorgeholt haben von der engen Natur und
Psyche, zwischen Körper und Seele, ist die Geschichte mit dem gelähmten
Mann hier ein ganz handgreifliches Beispiel.

Viele werden eigene Erfahrungen haben, wie wir anderen Menschen gegenüber
blockiert sind, die sich steif und hölzern machen, wenn wir mit
ihnen zusammen sind. Alles, was zwischen Menschen kommen kann an Mißverständnissen,
Schuld und Anklagen und Vorwürfen versperrt den Weg zum anderen
und setzt sich im Körper fest als Unbeweglichkeit und Steifheit.

Und so niederdrückend das Verhältnis zwischen Menschen sein
kann – so glückhaft kann es sein, Erfahrungen zu machen mit einem
Leben, das frei und in lebendiger Wechselwirkung strömt.

Und was zwischen Menschen gilt, gilt in einem tieferen Sinne auch zwischen
Gott und Mensch. Da kann es auch eine unübersteigbare Kluft geben,
die uns lähmt, so daß wir uns nicht mehr vom Göttlichen
bewegen lassen, von der Möglichkeit der Veränderung.

Aber hat es denn nicht einen guten Grund, daß es einem schwer
fällt, Vertrauen zum Leben zu haben? So werden einige von Euch vielleicht
fragen. Nicht zuletzt in diesen Jahren, wo wie so erschütternd willkürliches
Leiden und Sterben erlebt haben, wo es so aussieht, daß Friede
und Gerechtigkeit (wieder einmal) zu kurz kommen gegen Ungerechtigkeit
und Krieg. Wo Furcht sowohl einzelne Menschen als auch ganze Gesellschaftssysteme
lähmen kann. Wie kann man da Vertrauen haben? Was soll man glauben?
Nein, das ist ja richtig. Aber die Abgründe von Mißtrauen
und Unglauben, die gegraben werden, sind wirkliche Abgründe, an
denen Menschen zugrunde gehen. Wir schließen uns selbst ein und
andere aus – das bedeutet mehr Krieg, mehr Tod.

Um des Lebens willen und für das Leben brauchen wir mehr Vertrauen.
Dazu gibt es tatsächlich keine Alternative, die nicht zum Tode führt.
Da sagen wir vielleicht: Ja, ist das nicht unmöglich? Das hat der
Gelähmte vermutlich auch gesagt. Aber die Freunde nahmen ihn in
den Arm, und sie wurden in ihrem Zutrauen zum Dasein bestätigt.
Und der Mann, der geheilt worden war – ja durch ihn strömt nicht
nur das Leben, so daß er wieder tragen kann – sein Bett und die
Verantwortung für sein eigenes Leben – und dort, wo er hinkam, brachte
er auch erneute Freude und Mut mit sich.

Denn ob er nun wollte oder nicht – so trug er Hoffnung und Zutrauen
zu den Menschen, die ihn als Gelähmten gekannt hatten, so daß sie
nicht anders konnten als Gott für ihn zu danken, und der Mut und
das Vertrauen sollte nun wachsen bei all denen, die ihn sahen – und bei
all denen, die seit dem diese Geschichte gehört haben. Amen


Pfarrerin Hanne Sander
Prins Valdemarsvej 62
DK-2820 Gentofte
Tel.: 39 65 52 72
e-mail: sa@km.dk

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