Markus 4,26-29

Markus 4,26-29

Wie ich es hasse, zu warten. | Sexagesimae | 04.02.2024 | Mk 4,26-29 | Udo Schmitt |

Heute Morgen – zum ersten Mal in diesem Jahr – war die Wiese wieder weiß. Nicht vom Schnee. Nicht vom Reif. Sondern tausendunddrei Schneeglöckchen blühten da. Die Ungeduldigen unter den Blumen. Ein ganzes Jahr haben sie geschlafen. Anderen das Feld überlassen. Die größer sind und stärker. Mehr Blätter, mehr Blüten, mehr Duft und mehr Frucht tragen und verbreiten.

Man sieht sie nicht – ein ganzes Jahr – und plötzlich sind sie wieder da. Dankbar begrüßt von allen, die hoffen. Hoffen, dass es bald Frühling wird. Hoffen, dass alles gut ausgeht, auch wenn es lange Zeit nicht gut aussieht. Eigentlich gar nichts zu sehen ist. Und über lange Winternächte hinweg sich der Gedanke festigt: Da ist auch nichts. Die Zweifler haben Recht. Wo man nichts sieht, da ist auch nichts. Kein Gott und kein Glaube. Keine Liebe. Keine Hoffnung.

Doch dann – mit einem Mal – gerade als wir dachten, dass das Elend und der Winter wohl nie enden würden, sind sie wieder da. Die ungeduldigen Schneeglöckchen. Naseweis und Frühlingsboten. Die kleinen Zeichen der Hoffnung auf dunkler, toter Erde. Die mir, dem Menschen, dem ungeduldigsten Geschöpf in Gottes Garten, wieder Mut machen. Nur Mut, Mensch! Kopf hoch! Auch die dunkelste Nacht endet einmal. Die Durst-strecken der Seele und Wintertage des Glaubens sind nicht das letzte, was du sehen wirst. Nur die Ruhe. Nur Geduld.

Wie das Kind in mir das hasst! Das Warten-müssen. Geduldig sein. „Wie lange noch“, möchte ich nach vorne rufen, und „Ist es noch weit?“ zum Himmel schreien. So viel Leid auf dieser Welt, so viel Ungerechtigkeit und Schmerz und Unverstand und bodenlose Gemeinheit. Und Dalia Lavi singt dazu: „O, wann kommst du?“

Geduld, sagt Jesus seinen Jüngern, als sie ihn bedrängen. Das Himmelreich ist nah, ja es ist schon da, mitten unter euch. Wo Menschen beginnen zu glauben, zu hoffen und zu lieben. Sich ansprechen lassen von Gott, sich begeistern lassen vom Geist, und Hand in Hand mit Jesus die Zukunft der Menschen gestalten.

Und doch. Bei allem Tun und Wollen und schon jetzt, – es bleibt ein noch nicht. Und es braucht daher auch das Lassen, das Nicht-Tun, das Warten-Können und die Gelassenheit. Die heitere Gelassenheit, bei allem was noch unfertig scheint und zum Himmel schreit.

Was nützt die Hektik und das ganze Getue, wenn die Zeit noch nicht reif ist? Was übers Knie gebrochen wird, geht meist kaputt. Und Ungeduld ist nicht nur ein schlechter Ratgeber, sie ist auch ein schlechter Gärtner, wie ein Sprichwort aus China weiß. Und hierzu eine Geschichte:

Ein Bauer pflanzt den ganzen Tag Reis, kopfüber gebeugt von morgens früh bis abends spät. Erschöpft von seiner Arbeit kommt er nach Hause und sagt zu seiner Familie: „Ich habe mich sehr geplagt den ganzen Tag!“ Seine Frau geht hin und sieht, das ganze Feld steht voll mit kleinen grünen Setzlingen. Am nächsten Tag sieht der Bauer nach, doch das Wachstum seiner Setzlinge geht ihm nicht schnell genug. Er zieht sie alle Stückchen für Stückchen in die Höhe. Erschöpft von seiner Arbeit kommt er nach Hause. „Ich habe mich sehr geplagt“, erklärt er seiner Familie. „Den ganzen Tag habe ich dem Reis beim Wachsen geholfen!“ Da staunt sein Sohn, läuft hin aufs Feld und findet alle Setzlinge schlaff und verwelkt.

Die Moral von der Geschicht? Man soll sein Bestes geben, aber nicht mehr. Zuviel ist auch nicht gut. Man muss den Dingen ihre Zeit lassen. Die Zeit, die sie zum Wachsen und Reifen brauchen. Sonst machen wir nur alles kaputt. Mit unserer Ungeduld. Wegen der Ungeduld verloren die Menschen das Paradies, schreibt Franz Kafka, und wegen der Ungeduld finden sie nicht wieder zurück.

Manchmal können wir eben nichts tun, außer abzuwarten und zu warten bis der Wind sich wieder dreht. Und uns der wieder voran trägt. Wie wenig man manchmal tun kann, das wusste auch der alte Bismarck und gab sich, was seine politischen Erfolge anging, immer bescheiden und hielt sich dabei an das Motto: Fert unda, nec regitur. Der Politiker wird von der Welle getragen, aber er kann sie nicht machen. Natürlich reklamiert jeder die Erfolge für sich und schiebt die Misserfolge anderen zu. So spottete einmal der SPD-Kanzler Schröder über die Opposition, als die die sinkenden Arbeitslosenzahlen als ihr Verdienst darstellen wollte: „Wenn in Deutschland die Sonne lacht, hat´s die CDU gemacht. Gibt es winters Eis und Schnee, war´s die böse SPD.“

Doch wir Menschen sind so. Sonnen uns in Erfolgen, seufzen in Sorgen und suchen Schuldige für das eine wie das andere. Tatsächlich passiert so vieles, das wir nicht steuern können. Wer Kinder hat, weiß das und erfährt es immer wieder. Bei dem ersten Kind hat man noch pädagogische Konzepte und den Ehrgeiz, alles besonders gut zu machen. Schon bei dem zweiten Kind merkt man, dass jedes Kind schon seinen eigenen Charakter und Wachstumsplan mitbringt. Und spätestens ab dem dritten Kind ist man dann so überfordert, dass man sich darauf beschränkt, den Rahmen zu schaffen, mehr nicht. Und siehe da, sie wachsen von ganz alleine. Werden auch so groß, ich muss nicht daran zerren und ziehen, wie der Reisbauer an den Setzlingen. Erziehung wird meist überschätzt. Was es braucht, das ist Zeit. Die ich meine Kindern schenke. Liebevolle Aufmerksamkeit. Einfach da sein. Doch dazu brauche ich Geduld, auch mit mir selbst, eine Prise Humor als Würze und einen ganzen Schwung heiterer Gelassenheit.

Das brauchen wir alle. Gerade jetzt, wo die Welt so bekloppt ist, und ständig Wachstum. Wachstum. Wachstum schreit. Und sich doch nie Zeit lässt dafür. Auch nicht die Zeit zu reifen und zu verstehen. Alles muss schnell, schnell gehen. Und mehr sein, von Jahr zu Jahr von Quartal zu Quartal. Mehr und noch mehr. Dabei weiß doch jeder, dass es kein unbegrenztes Wachstum geben kann. Außer beim Krebs. Der wächst immer weiter, bis alles kaputt ist. Und doch ist Wachstum das Dogma der Ökonomie, das Goldene Kalb unserer Zeit, die Droge und Ersatzreligion unserer Gesellschaft. Wir müssen wachsen, wenn es sein muss, dann auch gegen den Trend. Wachse oder weiche! Friss oder stirb! Denn nur wer wächst, kann mitmachen bei dem Wahnsinn der Massenproduktion, beim Preisdumping und Selbstausbeutungszwang. Wir brauchen Wachstum. Sagen sie. Aber wohin geht die Reise? Und wer erreicht noch das Ziel? Bedenkt: Was auch wächst, ist die Zahl derer, die hintenüber vom Schlitten fallen, oder die fürchten müssen, dass sie bald die nächsten sind. Dass bald nur noch eine Handvoll Menschen alles Geld dieser Welt in Händen hält. Und dann?

Es geht nicht nur um Wachstum. Es geht auch um Reifen und Frucht bringen. Werden, Vergehen und wieder neu anfangen. Alles hat seine Zeit. Und alles braucht seine Zeit. Wer immer nur das eine will, ist unreif. Ein Dummkopf, der immer noch mehr will und doch nie genug hat. Einer der einatmet und nie ausatmet, bis er irgendwann platzt. Alles hat seine Zeit. Sagt Jesus seinen Jüngern. Nur Geduld. Gottes Mühlen mahlen langsam. Er hat sein ganz eigenes Tempo. Und er hat Zeit. Denn sein ist das Reich und die Ewigkeit.

Das gebe uns Gott. Einsicht, Einfachheit, Frieden. Geduld. Mit uns selbst und mit dieser Welt. Die Saat der Liebe ist ausgebracht. Möge sie wachsen, blühen und gedeihen auch in unserem Leben.

Liedvorschläge:

                        Mit der Erde kannst du spielen… Eine Handvoll Erde (Bäcker/Jöcker)

                        Wir pflügen und wir streuen (EG 508)

                        Herr, die Erde ist gesegnet (EG 512)

            Gottes Wort ist wie Licht in der Nacht (EG 591)

Udo Schmitt, geb. 1968, Pfarrer der Evangelischen Kirche im Rheinland, von 2005-2017 am Niederrhein, seit 2017 im Bergischen Land.

Dorfstr. 19 – 42489 Wülfrath (Düssel)

udo.schmitt@ekir.de

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