Markus 8, 29

Markus 8, 29

Die Apostel haben alles verlassen, um Jesus
zu folgen. Sie hatten ihn begleitet in Städten und auf allen Wegen.
Sie waren weit herumgekommen. Sie hatten sein Wort gehört. Sie hatten
gesehen, wie er Menschen begegnete: Frauen und Männer und Kinder.
Arme und Ausgestoßene. Kranke und Besessene. Sie hatten seine Barmherzigkeit
gesehen. Aber sie waren auch mit ihm an einsamen Orten gewesen. Sie waren
mit ihm auf dem See gewesen und in den Bergen. Sie hatten ihn allein gesehen.
Allein mit seinen Kindern. Allein mit seinem Vater im Himmel.

Und das ist eben das Entscheidende. Dieser Mensch lebt nicht für
sich selbst. Er lebt in innerlichem Gebet an seinen himmlischen Vater.
Sein Herz ist rein. Sein Denken ist nur Wahrheit. Sein Wille ist nicht
sein eigener.

Er ist der Mensch Gottes auf Erden. Er ist die Offenbarung Gottes. Gottes
Wirklichkeit kommt in ihm zum Vorschein. Er ist die Herrlichkeit in Menschengestalt.

Und es geschieht eines Tages, als sie in Cäsarea Philippi sind
– etwas nördlich von ihrer Heimat Galiläa – daß Jesus
die Apostel fragt, was die Leute meinen, daß er sei. Und sie antworten,
daß die Leute von ihm reden, als sei er Johannes der Täufer
oder einer der großen Propheten Israels, der wiedergekommen ist.

Und dann stellt Jesus ihnen die Frage: „Aber Ihr, was sagt ihr,
daß ich bin?“ … Die Leute können viel sagen und viel
denken, aber was meint ihr? Und Petrus antwortet für alle: „Du
bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes“.

Ja, er ist der Sohn. Denn sein Leben ist ein Zusammenleben mit dem Vater,
ohne Vorbehalte und ohne Ende. Er lebt in allem von Gott und zu Gott.
Petrus und die anderen sehen das. Es ist unfaßlich für sie,
aber sie sehen es. Deshalb müssen sie so reden, wie sie reden: Er
ist der Sohn des lebendigen Gottes.

Aber Jesus verlangt von den Aposteln nicht nur ein Bekenntnis. Er spricht
zu ihnen auch von seinem Leiden und seinem Tod und seiner Auferstehung.
Denn in und mit dem Leben, das er mit seinem Vater im Himmel hat, soll
der Tod überwunden werden. Darum ist er in die Welt gekommen. Er
soll die Macht auslöschen, die uns von einander trennt. Er soll all
das zerstören, was uns von Gott und seiner Herrlichkeit trennt. Er
soll uns in Wahrheit aus der Finsternis ins Licht führen.

Was Jesus von seinem Leiden und Tod sagt, ist unverständlich und
anstößig für die Apostel. Aber Jesus geht seinen Weg.
Und drei Tage später nimmt er drei von ihnen, Petrus, Johannes und
Jakobus mit auf einen hohen Berg. Und sie sehen, wie er vor ihren Augen
verwandelt wird. Sie sehen ihn in heller Klarheit. Und sie hören
die Stimme Gottes über ihm.

Das ist ein wichtiger Bericht – der Bericht von der Verklärung
auf dem Berge. Alle drei ersten Evangelisten erzählen davon. Und
auch in einer etwas späteren Überlieferung, dem zweiten Brief
des Petrus, wird die Verklärung erwähnt: „Er empfing ja
von Gott, dem Vater, Ehre und himmlische Herrlichkeit durch seine Stimme,
die zu ihm kam von der erhabenen Majestät: Dies ist mein lieber Sohn,
an dem ich Wohlgefallen habe. Und diese Stimme haben wir vom Himmel kommen
hören, als wir mit ihm auf dem heiligen Berge waren“.

Und als sich Jesus vor den Augen von Petrus und Jakobus und Johannes
verwandelte, geht es wieder um sein Gebet und sein Leben mit dem Vater.

Das wird vielleicht nicht ganz so deutlich in dem Bericht, den Matthäus
von dem Ereignis gibt. Aber bei Lukas wird direkt betont. Dort heißt
es: „Und als er betete, bekam sein Antlitz ein anderes Aussehen,
und sein Gewand wurde weiß und glänzte“.

„Während er betete …“: Als Jesus vor den drei Aposteln
in verklärter Gestalt stand, wird sein Gebet sichtbar. Er ist seinem
himmlischen Vater so nahe, er ist so tief mit ihm verbunden – daß
man es plötzlich sehen kann! Petrus und Jakobus und Johannes sind
ganz durchsichtig für die Herrlichkeit Gottes. Sie sehen, daß
er ohne Schatten und ohne Finsternis ist. Sie sehen, daß er das
Licht der Welt ist.

Das war einmal. Das ist erzählt worden. Viel Zeit ist vergangen.
Und nun kommen wir in die Kirche als die unsicheren heutigen Menschen,
die wir sind. Wir kommen in die Kirche. Und wir hören von Jesus.
Wir hören das Bekenntnis des Apostels: „Du bist Christus, der
Sohn des lebendigen Gottes“. Wir hören von der Verklärung
auf dem Berge. Wir können es vor uns sehen. Wir spüren die tiefe
Verwunderung der Apostel. Wir können die Stimme Gottes hören,
die zu ihnen spricht.

Aber ist das Wahrheit? Ist das Wahrheit auch für uns? Ist das Wahrheit
für dich?

Die stärkste Kraft in unserer Zeit und in unserer Gesellschaft
ist die Kraft, die alles in den Strom der Zeit reißt. Das ist die
Kraft, die alle Wahrheit zu etwas historischem macht, etwas, was einmal
war, etwas, was sozusagen kommt und geht, etwas, was nur zu einer bestimmten
Zeit und an einem bestimmten Ort gilt. Unsere Zeit sagt uns: Ja, es hat
Menschen gegeben, die so und so geglaubt haben. Aber das war einmal. Jetzt
haben wir eine andere Zeit. Und wir haben nur die Überlieferung,
und die ist genauso unsicher wie alle anderen Überlieferungen. Und
sie ist auch nicht die einzige. Wir sind von Lebensanschauungen und vielen
derartigen Überlieferungen umgeben. Sie sind alle im Laufe der Geschichte
entstanden. Es sind Erfahrungen, Gedanken und Ideen von Menschen. Vieles
kann etwas auf sich haben. Aber es hat alles seine Begrenzung.

Gott offenbart sich in Jesus. Er ist Christus. Die Apostel und die Jünger
erfahren es, und sie nennen ihn den Sohn. Den lebendigen Sohn Gottes.
Ihre Erfahrung und ihr Glaube verdichtet sich in diesem Bekenntnis.

Wir aber sind von Unsicherheit geprägt. Wie sollen wir so reden
können wie die Apostel? Wie sollen wir ihr Bekenntnis zu dem unseren
machen? So können wir fragen. Dabei vergessen wir aber etwas. Wir
vergessen, daß das ganze auf das Leben Jesu mit dem Vater zurückgeht.
Wir vergessen sein Gebet.

Und das ist wohl der Kern der Sache! Auch für uns! Wir können
uns nicht zur Wahrheit des Evangeliums hören! Auch wenn Paulus sagt,
daß der Glaube aus dem Hören kommt. Wir können uns nicht
zur Wahrheit hören. Wir können überhaupt nicht zur Wahrheit
hin schlußfolgern. Wir können die Wahrheit nicht finden, wenn
wir auf sicherem Boden stehen bleiben, aus sicherer Distanz hören
und urteilen. Wir können die Wahrheit nur finden, indem wir ihr entgegengehen.
Und Jesus – der Wahrheit über Jesus, daß er Christus ist –
gehen wir entgehen, indem wir an seinem Gebet teilhaben.

Wir können uns nur zur Wahrheit beten!

Wir können die Wahrheit im Gebet finden! Im Gebet Jesu an den Vater.
Er hat es uns selbst gelehrt! Im Gebet in seinem Namen. Im Gebet zusammen
mit ihm. Im Gebet zu ihm!

„Vater unser im Himmel …“. Das ist sein Wort. Das ist sein
Vater. „Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe;
auf den sollt ihr hören!“ So lautet die Stimme Gottes auf dem
Berg.

Er ist der Sohn Gottes. Gott ist sein Vater. Aber er lehrt uns, zu sagen:
„Unser Vater“. Wir sind nicht allein mit Gott. Wir haben Gott
als unseren Vater zusammen mit Jesus. Zusammen mit den anderen. Zusammen
mit allen Menschen.

Wir sind das neue Volk Gottes. Wie sind die Brüder und Schwestern
Jesu. Wir sind Gottes Kindes zusammen mit ihm. Im Gebet. Und im Leben.
Aber zuerst im Gebet. Das Christenleben entspringt dem Gebet – so wie
das Leben Jesu dem Gebet entspringt. Dort ist die Wahrheit. Im Gebet ist
die wahre Erkenntnis. Von ihm. Und vom Vater, Und vom Geist, der Kraft,
der Inspiration, der Klarheit, der Liebe.

Das ist eine andere Erkenntnis als die Erkenntnis der Welt und unserer
Zeit. Das ist eine andere Art zu sehen und zu hören und wahrzunehmen
und zu begreifen. Das ist – wenn man so will – die Erkenntnistheorie des
Evangeliums.

Da ist kein Abstand. Das ist nur Mitleben, Teilnahme, Gemeinschaft,
Dialog. Daß heißt nahe sein am Wunderbaren selbst, an seinem
Geheimnis. Mit Jesus beim Vater. Das ist persönlich. Wir werden in
Anspruch genommen. So wie Jesus die Apostel und Jünger ganz in Anspruch
nahm.

Seht nur, was später Paulus widerfuhr! Auf dem Weg nach Damaskus
wird er von himmlischem Licht umstrahlt, auf die Erde geworfen, und der
Auferstandene spricht zu ihm. Er verliert sein Augenlicht und muß
nach Damaskus geführt werden. Und in Damaskus ist ein Jünger
namens Hananias. Und Jesus erscheint dem Hananias und sagt zu ihm: „Steh
auf und geh in die „Gerade Straße“ und frage in dem Hause
des Judas nach einem Mann mit Namen Saulus von Tarsus. Denn siehe, er
betet und hat in einer Erscheinung gesehen, wie ein Mann mit Namen Hananias
zu ihm hereinkam und ihm die Hand auflegte, damit er wieder sehen könnte“.

„Er betet …“. Während Paulus blind ist, betet er. Und
schon sein Gebet ist der Weg zum Sehen. Er ist geblendet gewesen durch
das Licht vom auferstandenen Christus, damit er die Wahrheit sehen sollte.
Und in der Verwandlung, in diesem Prozeß, wird er in das Gebet hineingezogen.

„Er betet…“. Ja, im Gebet vollzieht sich die Bekehrung des
Paulus. Im Gebet beginnt das neue Leben. Im Gebet lernt er, mit Christus
zu leben. Im Gebet wird er ganz und gar in Beschlag genommen. Er muß
alles geben, und er bekommt alles.

Wir haben den Hinweis auf die Verklärung auf dem Berg im zweiten
Petrusbrief gehört. In der Einleitung zu dem selben Brief lesen wir
die verwunderlichen Worte, daß uns die Möglichkeit geschenkt
ist, an der göttlichen Natur teilzuhaben: Gott hat „uns die
kostbarsten und allergrößten Verheißungen geschenkt,
damit ihr dadurch an der göttlichen Natur Anteil bekommt, da ihr
ja dem Verderben entronnen seid, das durch die Begierde in der Welt herrscht!“

Das bedeutet nicht, daß wir zu Göttern werden, oder daß
wir wie Gott werden. Aber das bedeutet, daß wir in dem Leben sein
dürfen, das der Sohn mit dem Vater hat. Wir werden in das Gebet hineingezogen.
Es ist sein und unser Gebet. Dort ist alle Furcht vertrieben. Da ist alles
Licht und Herrlichkeit und Freude. Amen

Jan Ulrik Dyrkjøb
Knud Hjortsøvej
DK-3500 Værløse
Tel.: ++ 45 – 44 48 06 04
e-mail: jukd@vaerloesesogn.dk

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