Matthäus 11, 25-30

Matthäus 11, 25-30

„Mein Joch ist sanft, und meine Last ist leicht“, sagt Jesus.
Wie ist das eigentlich möglich? Wie kann eine Last leicht sein und
ein Joch sanft? Für die, die es nicht wissen, z.B. für Konfirmanden,
sei gesagt, daß ein Joch ein Querbalken ist, den man über
die Schultern legt. Dann ist es z.B. möglich, zwei schwere Eimer
zu tragen, die an den beiden Seiten des Jochs hängen. Aber wie kann
das sanft sein, und wie kann eine Last, die doch gerade durch ihre Schwere
gekennzeichnet ist, leicht sein?

Im Innersten wissen wir das sehr wohl. Wir wissen aus Erfahrung: Das
Leben, das wirklich etwas von uns will und das uns mit Aufgaben und Herausforderungen
begegnet, die wir nur schwer erfüllen können, so daß wir
alle unsere Kräfte mobilisieren, ein solches Leben ist oft lebendiger,
intensiver und sinnvoller als das leichte und sorglose Leben, wo es eigentlich
keine Rolle spielt, ob wir da sind oder nicht. Das Dasein kann unerträglich
leicht sein.

Einige werden sicher das Buch des tschechischen Schriftstellers Milan
Kundera kennen, das eben den Titel trägt: „Die unerträgliche
Leichtigkeit des Seins“. Hier sagt er: „Die schwerste Last
ist oft ein Bild für die intensivste Lebensfülle. Je schwerer
die Last ist, desto erdnäher ist unser Leben, desto wirklicher und
wahrer ist es. Im Gegensatz dazu bewirkt die absolute Abwesenheit von
Last, daß der Mensch leichter wird als Luft, aufsteigt, sich von
der Erde und dem irdischen Dasein entfernt, das nur halb wirklich wird,
und seine Bewegungen werden so frei wie bedeutungslos.“

Das Buch schildert u.a. einen Menschen, Thomas, der durch das Leben
segelt wie ein Abenteurer. Er begegnet einer Frau nach der anderen, aber
er wagt es nicht, eine Verpflichtung einzugehen. Er wagt es nicht, seinem
Leben Gewicht zu verleihen. Sobald eine Beziehung beginnt, Bedeutung
zu gewinnen, zieht er sich zurück, um genauso oberflächlich
und spielend und leicht einer neuen Frau zu begegnen. Aber die Leichtigkeit
wird schließlich unerträglich, und aus dem Buch spricht eine
Sehnsucht nach Schwere, Ernst, nach der Freude, die sich einstellt, wenn
das Leben schwer von Bedeutung ist.

Auch wenn wir uns oft ein sorgloses Leben ohne Lasten wünschen,
wissen wir wohl, daß die tiefste Freude, die eine wunderbare Leichtigkeit
gibt, nur dort ist, wo wir auch den Schmerz und den Ernst und die Lasten
mitnehmen.

Einer trage des andern Last, heißt es im dänischen Trauungsritual.
Das ist nicht nur eine saure Pflicht, daß man das soll. Das schenkt
Leben. Die gute Last, wo wir für einander tragen, gibt uns neue
Kräfte und läßt uns wachsen. Aber wenn wir nichts zu
tragen haben, dann verdorren wir, dann versinken wir, und das Leben wird
furchtbar schwer.

Aber natürlich, es gibt Lasten, die sind so schwer und so massiv,
daß sie den Boden unter uns wegreißen und wir den Mut verlieren.
Natürlich gibt es Lasten, die wir niemandem wünschen.

Oft aber geht es also darum, sich in eine rechte Beziehung zu der Last
zu bringen.

Wenn ich z.B. den Nachbarn sehe oder all die anderen, die vielleicht
nicht mit denselben Problemen zu kämpfen haben wie ich, und wenn
ich dann denke: Warum mußte dieses Schicksal mir zuteil werden,
wenn es die anderen so leicht haben? Wenn ich also immer mein Leben mit
dem der anderen vergleiche – ja dann wird die Last nicht leicht, sondern
so schwer, daß sie fast nicht zu ertragen ist.

Und wenn ich alle meine Kräfte darauf verwende, mich von der Last
zu befreien oder die Schuld abzulegen oder den Schwierigkeiten mit all
denen in der Familie zu entgehen, die sich nicht allein versorgen können,
ja dann zeigt sich in der Regel, daß die Last, die Trauer, die
Schuld mich dennoch einholen und noch schwerer zu tragen sind als zuvor.

Nur wenn wir die Last auf uns nehmen, kann sie sich mit der Zeit verändern,
Frucht tragen, uns stärken und sich als Leichtigkeit und Freude
in uns erweisen.

Es gibt eine schöne kleine Erzählung von einem, der aus der
Wüste kommt, aus der Sahara. Ich möchte etwas daraus erzählen.

Ein Mann kam aus der Wüste. Er war Tage lang umhergeirrt. Er hatte
sich verirrt und alles verloren, was er mit sich hatte. Der Mann war
nahe daran, an Durst und Hitze umzukommen. Und jetzt stand er vor dem
Meer, vor dem endlosen Salzwasser.

Der Mann warf seinen ausgetrockneten Körper in das Wasser, aber
in seinem Mund mit den zerrissenen Lippen und der dicken ausgetrockneten
Zunge brannte der Durst, den das Salzwasser nicht löschen konnte.
Da ergriff ihn ein unbändiger Zorn. „Ich will Wasser“,
schrie er, „ich will leben, darauf habe ich ein Recht“. Er
griff nach einem großen Stein. Seine Wut verlieh ihm Kräfte,
aber nicht genug, um den Stein gegen die Sonne oder die Palmenkronen
zu werfen. Er stand nur da und drohte und schrie, während ihn die
Kräfte verließen.

Da erblickte er neben den großen Palmen, zwischen losen Steinen
und Sand, eine kleine junge Palme, die dort stand, hellgrün und
voll von Hoffnung.

„Wo lebst du?“, schrie der Mann, „warum findest du Nahrung
und Wasser, während ich vor Durst umkomme? Warum bist du jung und
schön? Warum hast du alles und ich nichts? Du sollst nicht leben!“

So ergeht es uns wohl, wenn wir damit beginnen, uns mit anderen zu
vergleichen. dann wenden wir unsere Kräfte haßerfüllt
gegen die, die kleiner sind als wir, statt daß wir sie auf unser
eigenes Leben anwenden.

Mit allen ihm noch zur Verfügung stehenden Kräften drückte
er nun den großen roten Stein in die Krone des Baumes, um ihn zu
zerdrücken. Der Mann hörte ein Knirschen und Zerbrechen der
Zweige. Und dann wurde es still. Der Mann brach zusammen neben der kleinen
Palme. Einige Kameltreiber fanden ihn, und man erzählt, daß er überlebte.

Aber der kleine Palamenbaum war fast erdrückt und begraben unter
der Last des Steins, der Tod schien unausweichlich. Die hellgrünen
Palmenblätter waren abgebrochen, und die Gluthitze der Sonne ließ sie
rasch verwelken. Sein kleiner, zierlicher Stamm drohte bei dem kleinsten
Windstoß zusammenzubrechen.

Aber der Mann hatte die kleine Palme nicht töten können.
Er konnte sie verwunden und verletzen, aber nicht erschlagen. Denn als
der Schmerz sich zusammengezogen hatte und es in der Stille in der kleinen
Palme schrie, da durchfuhr sie zugleich eine erste Welle der Kraft. Und
so wechselten sich Schmerz und Kraft ab, bis die Kraft größer
wurde als der Schmerz. Der Baum versuchte, den Stein von sich abzuschütteln.
Er bat den Wind, ihm zu helfen, aber da war keine Hilfe zu finden. Der
Stein blieb in der Krone, im Herzen der kleinen Palme, und rührte
sich nicht.

„Gib’s auf“, sagte die Palme zu sich selbst, „es ist
zu schwer. Es ist dein Schicksal, so jung zu sterben“.

Aber da war eine andere Stimme, die sagte: „Nein, nichts ist zu
schwer. Du mußt es doch versuchen. Du mußt etwas tun!“

„Wie kann ich das tun?“ fragte die Palme. „Der Wind
kann mir nicht helfen, ich stehe allein in meiner Schwachheit. Ich kann
den Stein nicht abwerfen“.

„Aber du sollst ja nicht den Stein von dir abwerfen oder wegwerfen“,
sagte die andere Stimme wieder. „Du sollst die Last des Steins auf
dich nehmen. Da wirst du erleben, wie deine Kräfte wachsen“.

Und der junge Baum nahm in seiner Not seine Last auf sich und vergeudete
seine Kräfte nicht mehr damit, weiterhin zu versuchen, den Stein
abzuwerfen. Er nahm ihn auf in die Mitte seiner Krone. Zugleich streckte
er seine langen Wurzeln, so daß sie nun kräftiger und stärker
wurden, hinunter in die Erde, um festzuhalten.

Da geschah es eines Tages, daß die Wurzeln so tief eingedrungen
waren, daß sie auf eine Wasserader stießen. Befreit schoß eine
Quelle nach oben und machte die Stelle zu einem fruchtbaren Ort.

Und da der Baum nun Wurzeln hatte, die weit in den Boden hineinreichten
und dort dauerhafte Nahrung fanden, begann er nach oben zu wachsen. Er
setzte breite kräftige Palmenblätter um den Stein herum an.
Man konnte auf den Gedanken kommen, der Baum beschütze gleichsam
den Stein.

Der Stamm des Baumes wurde immer dicker. Und auch wenn die anderen
Palmen am Strand höher und schöner sein mochten, so war dieser
Palmenbaum doch unbestritten der mächtigste und bemerkenswerteste.

Seine Last hatte ihn verändert, und er hatte den Kampf aufgenommen
gegen seine eigene Mutlosigkeit. Der Baum hatte diesen Kampf gewonnen.
Er hatte eine Quelle freigelegt, die seitdem den vielen den Durst stillen
und Leben spenden konnte. Und was sicher das Wichtigste war, der Baum
hatte seine Last auf sich genommen und sie hoch heraufgehoben. Die Last
lag noch immer im Herzen der Palme, aber in ihrer Existenz, in ihrem
Dasein, war sie an eine Stelle gekommen, die es ermöglichte, sie
zu tragen.

Nur die Last, die wir von uns weghalten, können wir nicht tragen.
Wenn wir sie auf uns nehmen, wird sie ein Teil von uns, und wir erhalten
vielleicht eine Stärke, die wir sonst niemals hätten.

Und der Mann, der im Zorn und Neid den Stein in das Herz der Palme
gelegt hatte – man erzählt, daß er, als er die Geschichte
hörte, verstand, daß er seine Schuld auf sich nehmen und sie
tragen mußte wie die Palme den Stein. Das war ein Leben gewesen
mit Haß und Wut und schwerer Schuld, aber als er das alles auf
sich nahm, wurden Kräfte in ihm wach, der er vorher nicht gespürt
und gekannt hatte. Er erlebte, welche Stärke die Liebe hat.

 

Aber zurück zum Evangelium: „Kommt her zu mir alle, die ihr
mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken. Nehmt auf euch
mein Joch … denn mein Joch ist sanft und meine Last ist leicht“.
Es geht bestimmt nicht darum, daß wir im Christentum eine Lebensmöglichkeit
angewiesen bekämen, die das schwierige und mühselige Leben
vermeidet. Was Jesus aber sagen will, ist dies: Wir stehen nie allein
stehen mit den Lasten. Wir brauchen das alles nicht allein zu tragen.
Aber wir sollen weiter kämpfen, heben, tragen – in der Gewißheit,
daß Gott mit trägt, wenn uns die Kräfte ausgehen.

Gott hat uns dieses Leben gegeben mit all den Aufgaben und Herausforderungen,
die uns jeden einzelnen Tag begegnen. Das ist oft ganz unüberschaubar,
und wir wissen ja gar nicht, wie es gehen soll, wenn wir weiter in die
Zukunft blicken. Aber das Evangelium ist also eine große Aufforderung,
daß wir uns dennoch unverdrossen an das unüberschaubere Leben
machen. Wir sollen uns nicht nur mit kleinen Pfützen der Freude
begnügen, die wir unterwegs sicher finden. Wir sollen das Leben
in seiner ganzen Schwere annehmen, mit seinem Schmerz und seiner Mühe
und seinem Ernst und der Freude, die aus der Tiefe kommt. Wir sollen
wie die kleine Palme Wurzeln schlagen und tragen, dann treffen wir vielleicht
eines Tages auf eine Quelle, die in uns aufbricht mit Leben und Kraft
uns und anderen zur Freude.

Ja, wir sollen mit diesem wunderbar bewegenden und schwierigen Leben
ringen. Nicht in einem heroischen Kampf, mit dem wir auf Gedeih und Verderb
allein stehen. Sondern wir sollen aneinander annehmen und bei einander
mittragen. Und dann wissen, daß dort, wo wir uns selbst aufs Spiel
setzen und uns selbst hingeben, da ist eine liebende Macht, größer
als wir, die uns mit trägt und auffängt. Ja dort, wo wir es
wagen, daran zu glauben, dort haben wir einen inneren Frieden, eine Ruhe
für unsere Seele, mitten im tätigen, mühsamen Leben, in
dem wir uns voll ausgeben.

 

„Nehmt auf euch mein Joch“, sagt Jesus, „so werdet ihr
Ruhe finden für eure Seelen. Denn mein Joch ist sanft, und meine
Last ist leicht“.

Das Joch der Liebe ist zugleich schwer und sanft. Wenn wir uns selbst
voll geben, dann erfahren wir den Schmerz und die tiefe Freude. Die gute
Ruhe ist nicht ein Freiplatz außerhalb dieses Lebens, sondern sie
ist dort, wo wir das Leben mit einander und mit Gott teilen. Die gute
Ruhe ist dort, wo wir uns hingeben im Vertrauen auf die Liebe, die uns
trägt. Amen.

 

Pfarrer Erik Høegh-Andersen
Prins Valdemarsvej 40
DK-2820 Gentofte
Tel. ++ 45 – 39 65 43 87
e.mail: erha@km.dk

 

 

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