Matthäus 20,1-16

Matthäus 20,1-16

Septuagesimä, 4. Februar 2007
Predigt zu Matthäus 20,1-16, verfaßt von Inger Hjuler Bergeon (Dänemark)


Wenn wir so ein Gleichnis hören, dann wissen wir – denn so haben wir es artig gelernt – dass es doch wahr ist: ein Tagelohn ist das Richtige, ohne Rücksicht darauf, wieviele Stunden man gearbeitet hat, denn der gute Besitzer gibt, und da sollen wir nichts Böses denken und nicht nachrechnen, ob der Tagelohn denn auch im Vergleich zu denen angemessen ist, die seit dem frühen Morgen gearbeitet haben. Und zugleich liegt es wohl auch in uns, der Gedanke so ganz nebenbei, dass man sehr wohl diejenigen verstehen kann, die unzufrieden sind, dass sie nicht nach ihrem Arbeitseinsatz entlohnt werden.

Einerseits wissen wir also sehr wohl, dass das Wahre und Gute die Gnade ist, die für Recht ergeht, in diesem Weinberg, wo der Besitzer kein kleinlicher Buchhalter ist. Und zugleich meinen wir auch, es liege etwas Angemessenes in dem Gedanken, dass Gleiches mit Gleichem zu vergelten sei, und in der Mentalität des quid pro quo, der angemessenen Gegenleistung. Und jetzt sitzen wir da und versuchen, das Problem zu lösen, dass wir uns von zwei einander entgegengesetzten Wahrheiten angezogen fühlen. Dieses Paradox versuchen wir zu lösen, indem wir uns daran erinnern, dass es sich ja um ein Gleichnis vom Himmelreich handelt. Und wenn es darum geht, ja, dann ist alles anders, denn das Himmelreich ist doch in seinem Wesen ganz und gar verschieden von unserer Welt. Und auf diese Art und Weise können wir, wenn auch nicht ganz leicht, die beiden unvereinbaren Dinge zusammenhalten. ABER, auf die Dauer lässt sich das nicht machen, – und wir wissen das auch. Das Wort wurde also Fleisch, und Gott wollte sein, wo wir sind, und deshalb muss es etwas mit unserem Leben zu tun haben. Es ist nicht bloß ein Gleichnis vom Himmelreich, das wir am Sonntag hören und das nur in der Kirche Gültigkeit hätte, und dann im Rest der Woche lassen wir völlig andere Regeln gelten. Es muss einen Anknüpfungspunkt geben zwischen Jesu Verkündigung von Gottes Güte und Gnade und uns, zu denen und von denen er spricht. Es muss einen Anknüpfungspunkt geben, auch heute.

Denn es gab ihn damals. Damals, als Jesus das Gleichnis erzählte, war es nicht leichter zu verinnerlichen, aber etwas davon war leichter zu verstehen, weil Jesus von Alltag der Menschen ausging. Und deshalb mache ich jetzt eine geschichtliche Tauchfahrt. Die wesentlich ist. Denn, das Material, das man zum Vergleich benutzt, wenn man etwas mehr und anderes sagen will, in der Form des Gleichnisses und der Bildersprache, dieses Material ist nicht gleichgültig.

Hier sind es der Besitzer, die Tagelöhner, der Weinberg und der Tagelohn: ein Denar. Diese konkreten Sachverhalte geben dem Bedeutung, was verglichen und wofür Bilder gegeben werden sollen. Der Ausgangspunkt und die Grundsubstanz der Bilder, d.h. der Metapher, verleihen dem, was die übertragene Bedeutung ist, seinen Sinn. Und deshalb müssen wir betrachten, was ein Denar ist. Denn hier liegt ein großer Teil des Sinnes und der Bedeutung des Gleichnisses. Ja, hier finde ich die Pointe des ganzen Gleichnisses.

Ein Denar – was ist das? Wir können ihn nicht in Kronen (oder Euro) umrechnen, aber man weiß, dass ein Denar dasjenige war, was ein Mann pro Tag nötig hatte, um für seine Frau und Kinder den Hunger abzuwehren. Ein Denar entsprach dem Tagelohn eines Tagelöhners. Für einen Denar konnte man Mehl, Öl, Gemüse kaufen, also das, was für eine Familie zum Überleben eines Tages nötig war.

Eigentlich können wir es mit dem Ausdruck im Vaterunser vergleichen: unser täglich Brot gib uns heute; dort bedeuten die Worte ”täglich Brot” ganz buchstäblich: eine Tagesration Brot. Also das, was an Brot notwendig ist für eine Person, um zu überleben. Eine Tagesration. Der griechische Ausdruck für ”tägliches Brot” ist dasselbe Wort, das man von der Feldration eines Soldaten an Brot pro Tag benutzte.

Wenn wir also hier in dem Gleichnis vom Weinberg von einem Tagelohn hören, ja, dann ist es nicht so, dass die einen im Weinberg hohen Tagelohn und die anderen niedrigen Tagelohn hätten, und dass die mit 2 oder 3 Denaren auch Butter fürs Brot und die mit 1 Denar nur Brot bekommen könnten, und dass schließlich diejenigen, die wirklich geklotzt haben, dann auch noch etwas Zucker für den Kaffee bekämen.

Nein, hier sprechen wir davon, dass ein Tagelohn genau das war, was man verdienen musste, um seine Familie für einen Tag zu ernähren.

Und deshalb ist es doch so naheliegend, wenn man wirklich mit diesen Tarifen vertraut ist, zu allererst die Frage zu stellen, die sich ganz natürlich meldet: was bilden diese ermüdeten Arbeiter sich ein, die vom frühen Morgen an gearbeitet haben, für den Tagelohn, einen Denar, der Tarif war und den sie jetzt mit nachhause nehmen können, so dass ihre Familie etwas zu essen bekommen kann… was bilden sie sich ein, wenn sie schimpfen, wenn diejenigen, die erst später am selben Tag eingestellt wurden, denselben Lohn erhalten? Haben sie sich vorgestellt, dass die betreffende Familie an jenem Tag nur die Hälfte oder nur ein Drittel von dem bekommen sollte, was an Essen für einen Tag des Überlebens notwendig ist?

Hier sind wir beim Kern der Sache bei diesen selbstgerechten Arbeitern, die die Hitze des Tages und die langen Stunden des Nachmittags ertragen haben. Sie haben gearbeitet, ja. Sie bekommen, was sie vereinbart haben, ja. Sie haben, was sie brauchen, ja. Ihnen fehlt nichts, nein.

Und da schimpfen sie, weil einige andere, die mit dabeiwaren, aber später kamen, bei Sonnenuntergang den gleichen lebensnotwendigen Lohn mit nachhause nehmen können.

Wenn man auf diese Weise an die Substanz geht und genau nachsieht, was ein Denar, ein Tagelohn ist, ja, dann ist da nicht so viel zu verstehen bei den zornigen, ermüdeten Arbeitern. Denn welche Bedingungen haben sie sich für die anderen vorgestellt? Sollten die etwa hungrig zu Bett gehen und ihre Kinder hungern sehen? Geht es darum? Oder wollten sie mehr haben, als vereinbart worden war? Und wozu wollen sie das gebrauchen? Zu welchem Zweck sollen sie mehr gebrauchen als eíne Tagesration pro Tag?

Wir können sehen, hier bestehen Parallelen zum Manna in der Wüste, wo Mose und sein Volk erhielten, was sie nötig hatten, und zwar jeden Tag jeweils für einen Tag. Aber einige waren besorgt, ob es so weitergehen würde, dass Gott sie alle täglich ernähren würde, und deshalb sammelten sie und bewahrten es für den folgenden Tag auf. Aber am folgenden Tag war es verschimmelt.

Dieselbe Parallele liegt her. Sich zufriedengeben mit dem, was man für einen Tag nötig hat, und dann zulassen können, dass die Anderen es selbstverständlich auch bekommen. Denn wie sonst sollten sie von weniger leben, oder überleben, können? Das ist doch die Frage.

Lasst uns also nicht allzu tiefes Verständnis und Mitleid entwickeln für die müden Arbeiter, die sich den ganzen Tag abgerackert haben. Denn wenn wir unser Verständnis für sie verwenden – und das hieße letzten Endes für uns selbst, weil wir meinen, ihre Forderung sei irgendwie berechtigt – ja, dann vergessen wir die anderen und wovon sie leben sollten: Eine halbe Tagesration vielleicht? Oder ein Drittel?

Brot für nur 2 in einer Familie von 6? Man hat es schon früher erlebt, und es geschieht noch immer…

All dies war ein Anknüpfungspunkt für das Gleichnis mit Hilfe des Konkreten. Also mit Hilfe des ganz fundamentalen Verständnisses, was ein Denar, ein Tagelohn, eine Tagesration ist. Aber hier wird es ja in einem Gleichnis vom Himmelreich benutzt, als ein Bild Gottes, und was können wir dann daraus lernen, um es zu verstehen? Der Denar, der Tagelohn, der Lohn, den man bei Sonnenuntergang erhält, als dasjenige, wovon man leben soll, nach einem Tag, an dem man entweder 12 oder 9 oder nur 3 Stunden gearbeitet hat, ja, der Tagelohn, der Denar, ist das Ewige. Und die vielen oder die wenigen Stunden; der Arbeitstag im Weinberg: ob es wenige oder viele Stunden sind, ja, das ist ein Bild des Lebens hier, ein Bild des Zeitlichen. Wo es viele oder wenige Strapazen geben kann, und verschiedene Arten, für den Besitzer zu arbeiten oder nicht zu arbeiten. Aber es gibt nur einen Tagelohn: das Ewige. Derselbe Tarif, dieselbe Entlohnung, dasselbe Versprechen, dieselbe Verheißung, dieselbe Gnade, ob man nun seit dem frühen Morgen dabeiwar oder erst in der elften Stunde eingestellt wurde. Ob man sauer und übermüdet auf die anderen Arbeiter auswar, in seinem Bemühen, fleißig und plichttreu zu sein, oder ob man halbfaul war und die Stunden verstreichen ließ, wie sie mochten. Der Tagelohn ist derselbe. Ein Denar, das, was nötig ist, das Ewige. Das Reich Gottes. Das Leben Gottes. Teilhabe am Sein Gottes. Hier und im Jenseits.

Dies ist also eine Erzählung von der Gnade. Von Gnade über Gnade und darüber, dass Gott nicht mit der Tabelle rechnet, die da heißt: Gleiches für Gleiches.

Einmal saß ich bei einer Dame, die über 90 Jahre alt war; sie erzählte von einer langen Radtur, die sie einmal unternommen hatte, nachhause, um nach etwas sehr Schwierigem zu fragen. Und sie erzählte von dieser Tur mit all den unglaublichen Dingen, die sich unterwegs ereigneten. Und das war spaßig, und es war auch rührend. Und plötzlich unterbrach sie sich selbst, versetzte mir einen ordentlichen Schlag auf den Schenkel und sagte: ”Ja, ich glaube an die Gnade. Glaubst du nicht, dass das ausreicht?” Und aus Freude und Überrumpelung sagte ich bloß: ”Doch, das glaube ich!” Ich finde, das war so gut: glaubst du nicht, das reicht aus? Ja, was sonst?

Und zwar sagte sie, dass sie an die Gnade glaubte, aber allein zu sagen: glaubst du nicht, dass das ausreicht?, zeigt ja die Spur des Zweifels, den sie auch kannte. Dass wir gern an die Gnade glauben wollen, gern Mitarbeiter im Weinberg sein wollen und eigentlich auch gern wollen, dass diejenigen, die nur die letzte Stunde dabeisind, auch Lohn bekommen. ABER: ist das auch genug? Ist das nicht allzu billig? Kann man einfach nur annehmen, ohne Gegenleistung? Ist die Gnade wirklich gratis? Also: ich glaube ja an die Gnade, glaubst du nicht, dass das genug ist?

Ja, es genügt. Das liegt im Begriff der Gnade selbst.

Aber annehmen, unverdient, das kostet uns offenbar. Und sollten wir unser Scherflein beigetragen haben, dann zu sehen, dass andere völlig unverdient ihren Denar erhalten, jaa, das ist nicht so einfach zu schlucken. Aber das ist die Pointe des Gleichnisses.

Und genau hierzu will ich ein Wort hervorheben, das im Gleichnis von heute wiederholt wird. Es ist das Wort WEIL, das in der ansonsten umfangreichen Argumentation nur zweimal vorkommt.

Das eine Mal ist die Stelle, an der der Besitzer fragt, warum sie ledig seien, und sie antworten: WEIL niemand uns eingestellt hat. Also liegt die Verantwortung nicht nur bei ihnen. Und das zweite Mal ist die Stelle, wo der Besitzer sagt: Siehst du scheel drein, WEIL ich gütig bin? Er sagt nicht: Siehst du scheel drein, obwohl ich gütig bin? Nein, siehst du scheel drein, bist du neidisch, weil ich gütig bin, – aus dem Grund, weil ich gütig bin? Hier übernimmt der Besitzer die gesamte Verantwortung dafür, wie der Lohn berechnet worden ist und berechnet wird, denn das ist seine Angelegenheit. Und er beruht auf Gutheit. Gutheit. Und dann können wir dastehen, ”take it or leave it” mit bösen Augen, neidisch, den anderen nicht gut gesinnt sein. Nur mit uns selbst und unserer Arbeit und unseren Pflichten im Weinberg vor Augen, indem wir uns vielleicht selbst einbilden, wie wären unter denen, die vom frühen Morgen an dabei waren, während wir stocksauer und grün vor Neid sind, wenn der Besitzer handelt, wie es ihm beliebt, aus Gutheit. Wir stehen, ja, wie der älteste Sohn, der mit zum Fest geladen ist, – und ob wir mit hineingehen, ist unsere Sache. Die Einladung ist ergangen – zum Fest und zum Tagelohn. Bei gleichem Lohn. Nämlich dem, von dem man leben kann.

Amen.


Pastor Inger Hjuler Bergeon
Finsens Allé 25
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tel..: ++ 45 – 66 12 57 05
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Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier

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