Matthäus 22, 15-22

Matthäus 22, 15-22

Göttinger Predigten im Internet,

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Predigt für den 2. November 1997

Verfasser: Prof. Dr. Dietz Lange, Göttingen

Predigttext: Matthäus 22, 15-22

 

Liebe Gemeinde!

„Ist es richtig, daß man dem Kaiser Steuern zahlt?“
wird Jesus gefragt. Das ist mal ein handfestes Thema! Steuern zahlen,
wer tut das schon gerne? Das war damals nicht anders als heute. Die
Frage der Pharisäer zeigt, daß man wohl auch in alten
Zeiten versucht hat, sich der Steuerpflicht zu entziehen. Zwar gab es
noch keine Steuerparadiese in Luxemburg oder Liechtenstein, wo man
sein Geld anlegen konnte, aber dafür gab es sicher andere Tricks.
Wozu Steuern zahlen, wenn der Staat dafür den Eurofighter kauft,
den wir für gänzlich überflüssig halten? Wozu
Steuern zahlen, wenn wir doch das Geld selbst so nötig brauchen?
Das Thema ist unerschöpflich. Wir könnten ohne weiteres bis
morgen früh darüber debattieren. Aber wenn wir einfach
unserer Phantasie die Zügel schießen lassen, werden wir
wahrscheinlich an der Pointe vorbeireden, auf die es in der
Auseinandersetzung Jesu mit den Pharisäern ankommt. Damit würden
wir auch das verpassen, was für uns heute an dem Thema wichtig
ist. Wir würden bloß wiederholen, was man jeden Tag im
Fernsehen hören und in der Zeitung lesen kann über die
Notwendigkeit einer Steuerreform, wie man sie gegenfinanzieren soll,
welche Ausgaben nötig über überflüssig sind, warum
die großen Parteien die Sache blockieren, usw. Das würde
nicht viel weiterführen. Hören wir also, was Jesus zu dem
Thema zu sagen hat.

Zunächst einmal geht er hier nicht um die Frage, ob man überhaupt
Steuern zahlen soll. Diese Frage wäre auch ziemlich töricht,
denn daß die Leistungen, die der Staat erbringen soll, wie Straßen,
Schulen, Polizeischutz, irgendwie vom Volk bezahlt werden müssen,
ist doch klar. Aber damals war es die verhaßte römische
Besatzungsmacht, die die Steuern kassierte. Das war etwas anderes. Auf
jeder von den Münzen, mit denen man bezahlte, war überdies
noch das Bild des Kaisers eingraviert. So wurden die Juden jedes Mal
ganz unmittelbar an ihre Abhängigkeit von der Weltmacht Rom
erinnert. Besonders ärgerlich war, daß das Bild des Kaisers
vielfach sogar religiös verehrt wurde. Soll man unter diesen Umständen
Steuern zahlen?

Das ist eine Fangfrage. Entweder Jesus sagt Nein. Dann wird das Volk
begeistert sein, aber die Besatzungsmacht wird hellhörig und wird
ihn mundtot machen. Oder Jesus sagt Ja. Dann hat er mit den Römern
keine Probleme, aber beim Volk hat er verspielt. Schlau eingefädelt.
Alles wartet gespannt, viele sicherlich auch schadenfroh, wie Jesus
sich aus der Schlinge ziehen wird. Jesus aber läßt sich
einfach eine Münze zeigen. „Wessen Bild ist darauf?“ „Des
Kaisers Bild natürlich.“ Auf jeder Münze ist das Bild.
Alle haben welche bei sich. Sie bezahlen auf dem Markt damit, und sie
lassen sich auch selbst für ihre Arbeit damit bezahlen. Ganz
selbstverständlich ist das. Niemand findet etwas dabei. Beim
Handeln stört das Bild des Kaisers überhaupt nicht, sondern
erst beim Steuernzahlen. Das macht Jesus ihnen klar. Dadurch entlarvt
er ihre Hinterlist. „Also dann gebt dem Kaiser, was ihm zusteht!“
Schließlich bekommt ihr ja auch staatliche Leistungen dafür.

Das ist aber erst die eine Hälfte der Antwort Jesu. Er fügt
hinzu: „Und gebt Gott, was Gottes ist!“ Klar: Religiöse
Verehrung steht dem Kaiser nicht zu, die gebührt allein Gott. Der
Staat bekommt dafür das, was er verlangt: die Steuern und dann
wohl auch den Gehorsam seiner Bürger ohne jede Einschränkung.
Für Gott ist die Religion zuständig, also damals die
Synagoge, und heute die Kirche. Das ist dann etwa für den inneren
Menschen. Die Kirche kann ja auch Geld bekommen; Gott bekommt
sozusagen seine Steuern sonntags im Klingelbeutel. Aber die sind nur für
streng religiöse Zwecke. Der Staat mischt sich nicht in die
Angelegenheiten der Kirche ein, aber die Kirche sagt auch nichts zur
Politik und zu den sozialen Mißständen im Staat. Eigentlich
ganz bequem. Das entspricht auch so ziemlich den Vorstellungen, die
viele Menschen in der Kirche heute von der Sache haben.

An dieser Stelle würde aber Jesus mit uns ebenso ungehalten
werden, wie er es damals mit den Pharisäern war. „So stellt
ihr euch das vor? Euer Leben hier in der Welt gehört dem Staat
und der Gesellschaft und der Wirtschaft, Gott bekommt gütigerweise
auch noch eine kleine Ecke reserviert? Habt ihr nicht gerade in
Deutschland schreckliche Erfahrungen gemacht mit eurem blinden
Staatsgehorsam?“ So würde er uns wohl fragen. Eigentlich hätten
wir uns das auch denken können. So eine schiedlich-friedliche
Aufteilung war Jesu Sache nicht. Daß wir im Alltag ohne Frage
und ohne Kritik das tun, was der Staat von uns verlangt, was „man“
tut, bloß nicht auffallen , und Gott kriegt das, was übrigbleibt,
eine kleine Stunde am Sonntagmorgen und vielleicht ein paar heimliche
Gedanken zwischendurch, wenn es niemand merkt, das kann Jesus nicht
gemeint haben.

„Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes
ist!“ Was ist denn Gottes, was gebührt Gott? Dem Kaiser, dem
Staat, gehört das Geld, auf dem das Kaiserbild, oder heute ein
Symbol der Bundesrepublik eingraviert ist. Das gilt für die
staatlichen Aufgaben in der Welt, solange die nötig sind. Aber
der Staatschef darf nicht zum Gott werden. Er darf nicht wie Hitler
oder Stalin kritiklos verehrt werden. Dem Staat gehört das Geld,
das er in Umlauf bringt, aber nicht die Menschen. Denn das Kaiserbild
steht nur auf dem Geld. Wir Menschen aber sind Ebenbilder Gottes, so
sagt es die Schöpfungsgeschichte. Wir Menschen gehören Gott.
Wir müssen Gott mehr gehorchen als den Menschen. Damit haben sich
die Gewichte völlig verschoben. Gottes Anspruch auf unser ganzes
Leben ist so umfassend und so eindringlich, daß die ganze
Steuerfrage, mit der das Streitgespräch damals und auch heute
unsere Predigt begonnen hatte, ganz in den Hintergrund zu treten
scheint. „Ihr fragt nach etwas so Nebensächlichem wie
Steuern, während es doch eigentlich darauf ankommt, daß der
Glaube, das heißt euer Verhältnis zu Gott, in Ordnung ist“,
darauf scheint jetzt alles hinauszulaufen.

Eigentlich enttäuschend. Es hatte so handfest angefangen, und
jetzt enden wir bei etwas so schwer Faßbarem wie dem Glauben.
Damit hätten wir allerdings den Glauben mißverstanden. Wenn
unser ganzes Leben Gott gehört, dann natürlich auch unsere
berufliche Existenz, unser Dasein als Staatsbürger, als Kunden
oder Leistungsanbieter in der modernen Wirtschaft, als
Fernsehzuschauer und als Teilnehmer am Internet. Das heißt
sicher nicht, daß jedes Mal, wenn wir etwas zu kritisieren
finden, unser Widerstand gegen den Staat im Namen Gottes gefordert wäre.
Es kann solche Momente durchaus auch heute geben, keine Frage. Aber
der Normalfall ist doch, daß die politischen und sozialen
Fragen, mit denen wir jeden Tag konfrontiert werden, in unsere
Verantwortung gelegt sind. Damit sind sie nicht gleichgültig,
ganz im Gegenteil. Wir haben mitzuentscheiden, was tatsächlich
rechtens dem Staat gehört, was für die Obdachlosen und die
Asylsuchenden in unserer eigenen Gesellschaft und darüber hinaus
für die Notleidenden weltweit getan werden muß. Das ist
insofern anders als zur Zeit Jesu, als wir nicht machtlos einer
Obrigkeit gegenüberstehen, die praktisch tun kann, was sie will.
Vielmehr sind wir in der modernen Gesellschaft für sehr viele
Dinge selbst verantwortlich, sei es persönlich, sei es durch gewählte
politische Vertretungen.

Was wird nun aber neu und anders, wenn wir diese
Verantwortlichkeiten im Licht von Jesu Aufforderung betrachten „Gebt
Gott, was Gottes ist“? Wenn wir Gott unser ganzes Leben überantworten,
seiner Liebe alles anheimstellen, was er mit uns vorhat, dann gibt uns
das eine gewisse Gelassenheit. Wohlgemerkt: Gelassenheit, nicht
Gleichgültigkeit. Gelassenheit bedeutet: Wir können ruhig
und vernünftig abwägen, was Recht ist und was Unrecht,
Augenmaß und Taktgefühl walten lassen.

Aber sind das nicht ganz natürliche Dinge, braucht man dafür
Gott? Es sind ganz natürliche Dinge, doch die Erfahrung zeigt, daß
Augenmaß und Takt und vernünftiges Abwägen gerade in
der Politik allzu leicht verloren gehen. Da hängt sehr schnell
alles daran, daß meine Partei die Wahl gewinnt, daß ich
als Inhaber der Macht am Ruder bleibe, daß ich am Stammtisch
oder in der Familienrunde Recht behalte. Dann habe ich aber schon der
Politik gegeben, was nur Gott zusteht! So konkret ist das, was Jesus
meint. Die innere Freiheit und der offene Blick für die
Wirklichkeit, wie sie ist, das verlangt tatsächlich den Glauben,
der uns frei macht von den Verlockungen der Macht und von dem inneren
Zwang, unbedingt Recht behalten zu müssen.

Es kommt noch etwas Zweites hinzu. Für das vernünftige Abwägen
dessen, „was des Kaisers ist“, was also in die Zuständigkeit
politischer Entscheidungen fällt, brauchen wir einen Maßstab.
Die Vernunft oder auch das Taktgefühl sind gute Hilfsmittel, aber
für sich allein sind sie blind. Der Maßstab ist nichts
anderes als Gottes Liebe zu uns Menschen. Gott geben, was Gottes ist,
das heißt: Wir sollen uns von Gottes Liebe leiten lassen, die
uns in Jesus begegnet. Damit haben wir zwar kein Rezept in der Hand,
mit der jede Personalentscheidung im Beruf oder jedes Kreuz auf dem
Wahlzettel bereit vorgegeben wäre. Wir müssen uns schon in
die Sachfragen, die wir öffentlich beurteilen wollen, richtig
einarbeiten, damit wir nicht wie die Blinden von der Farbe reden. Aber
die Richtung, in die unsere Entscheidung zielt, wird dadurch
vorgegeben, daß Gott uns annimmt, ohne daß wir das
verdient haben. Das öffnet uns die Augen für das, was in
unserer gegenwärtigen Asylpraxis unmenschlich ist, und läßt
uns erkennen, warum im Jugendstrafrecht die Resozialisierung viel
wichtiger genommen werden müßte, als das bei uns der Fall
ist. Und um zum Anfang zurückzukommen: Gott geben, was Gottes
ist, das hilft auch dazu, mit kühlem Verstand und zugleich aus
Liebe zu den Menschen besser zu beurteilen, wie die Steuereinnahmen
verwendet werden sollten. Denn der Maßstab ist dann jedenfalls
nicht mehr das Image einer Partei oder der erhoffte Wahlsieg, sondern
das Wohl der Menschen.

Gebt Gott, was Gottes ist, nämlich euch selbst mit allem, was
ihr seid und habt. Das kommt sowieso alles von Gott. Vertraut euch
seiner Liebe an. Er wird es wohlmachen. Eure Sorgen um Ansehen, Macht
und Erfolg verlieren dann an Gewicht. Damit fällt die Binde von
euren Augen, und ihr bekommt das Augenmaß, das ihr für eure
praktischen Entscheidungen braucht. So ist der Glaube zwar eine
Bindung an Gott, den wir nicht sehen können, aber es kommt etwas
heraus beim Glauben, und das ist durchaus spürbar und setzt etwas
in Bewegung – in uns selbst und auch zwischen uns und anderen
Menschen.

Amen.

Copyright: Prof. Dr. Dietz Lange, Platz der Göttinger Sieben 2,
37073 Göttingen

 

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