Matthäus 6, 24-34

Matthäus 6, 24-34

Dogmatische und homiletische Entscheidung

Liebe Gemeinde!

Gott und Mammon sind die tiefsten Gegensätze. Die Macht des Götzen
Mammon ist die Sorge. Was bedeutet Sorge?

”Als einst die »Sorge« über einen Fluss ging,
sah sie tonhaltiges Erdreich: sinnend nahm sie davon ein Stück und
begann es zu formen. Während sie bei sich darüber nachdenkt,
was sie geschaffen, tritt Jupiter hinzu. Ihn bittet die »Sorge«,
dass er dem geformten Stück Ton Geist verleihe. Das gewährt
ihr Jupiter gern.

Als sie ihrem Gebilde nun ihren Namen beilegen wollte, verbot das Jupiter
und verlangte, dass ihm sein Name gegeben werden müsse.

Während er den Namen die »Sorge« und Jupiter um den
Namen stritten, erhob sich die Erde (Tellus) und begehrte, dass dem Gebilde
ihr Name beigelegt werden, da sie ja doch ihm ein Stück ihres Leibes
dargeboten habe. Die Streitenden nahmen Saturn zum Richter. Und ihnen
erteilte Saturn folgende anscheinend gerechte Entscheidung:»Du,
Jupiter, weil du den Geist gegeben hast, sollst bei seinem Toden den
Geist, du, Erde, weil du den Körper geschenkt hast, sollst den Körper
empfangen. Weil aber die»Sorge« dieses Wesen zuerst gebildet,
so möge, solange es lebt, die »Sorge« es besitzen. Weil
aber über den Namen Streit besteh, so möge es »Homo« heißen,
da er aus Humus (Erde) gemacht ist.“

( Die Cura Fabel des Hyginus, in: Martin Heidegger, Sein und Zeit,
8. Aufl. 1957, S. 198).

»Sorge« (Cura) ist ängstliche Bemühung, Sorgfalt
und Hingabe. Sie gehört zum Wesen des Menschen. Der Mensch sorgt sich um die Zukunft
und um sein Leben. Er macht sich Sorgen. Das größte Sorgenkind
des modernen Menschen ist die Zukunftssicherung. Sorge fällt nicht
um und man sorgt sich eher alt als reich. Sorgen macht graue Haare und
altert ohne Jahre und frisst den Weisen wie Rost das Eisen. Wen Sorgen
grau machen, der ist wirklich arm, denn mit bloßen Sorgen kann
man keinen Strohhalm zerbrechen.

Jesus war ein Jude. Er sprach und dachte also hebräisch und aramäisch.
Das Wort, das wir in unserem Text finden – merimnao- hat eine vom
deutschen Wort »sorgen« abweichende Bedeutung. Aus der Wurzel
(s)mer wächst neben gedenken, sorgen auch marturea und martus, bezeugen
und Zeugnis. Wie im lateinischen Wort cura sollen ängstliches Bemühen,
Sorgfalt und Hingabe ihre Blüten treiben und Früchte bringen.

Die umfangreichste Zusammenfassung zum Thema Sorge finden wir in unserem
Text und in der so genannten Feldrede (Lukas 12,22-31). Beide wenden
sich gegen Irrtum, der Mensch könne durch kurzfristige Sicherung
der Lebensbedürfnisse seine Zukunft sichern. Sorgen ist deshalb
töricht, weil das Leben mehr als die Speise ist. Der Sorgende kann
sein Leben und seine Zukunft letztlich nicht sichern.

Den engen Zusammenhang von Gott und Mammon hat Franziskus von Assisi
im Gespräch mit dem Bischof von Assisi auf einen Nenner gebracht:

Der Bischof von Assisi sagte eines Tages zu Franziskus: ”Eure
Art, ohne Besitz zu leben, scheint mir sehr hart und schwer.“ ”Herr“,
antwortet er, ”wenn wir Güter besäßen, hätten
wir Waffen zu unserer Verteidigung nötig; denn da ist die Quelle
der Streitigkeiten und der Prozesse, und die Liebe Gottes und der Nächsten
pflegt daran viele Hindernisse zu finden. Das ist der Grund, warum wir
keine zeitlichen Güter haben wollen.“ (L. Ragaz, Die Bergpredigt
Jesu, GTB Siebenstern 451,S. 133).

Der säkularisierte Jude Karl Marx war der Meinung, alles Böse
komme vom Privateigentum und der korrumpierenden Macht des Geldes – daher
sei das Problem des Bösen mit der Abschaffung des Eigentums automatisch
gelöst. Dies hat sich als schwerer Irrtum erwiesen.

Heute fordern Neoliberale – wie Hans-Olaf Henkel eine „Ethik des
Erfolgs und sehen das Heil der Welt in der Umsetzung dieser Ethik. Gordon
A. Craig sieht Deutschland als „eine Gesellschaft, die mittels
Geld Werte in Ware umwandeln konnte“. (Über die Deutschen,
München 1985, 2, S.124) Dieses Verständnis von Führertum
und gnadenloser Ausbeutung besteht bis heute in der globalen Form des „Raubtierkapitalismus“ weiter.

Hier geht es letztlich um die Gegenüberstellung von „Religion
und Glaube.“ Dahinter versteckt sich die Frage nach dem wahren
oder falschen Gott. Glaube, Vertrauen“ (pistis) stehen im Zentrum
der Bibel. Die frühen Christen lehnten den römischen Begriff
religio (Religion) ab und benutzten dafür bewusst den Begriff pistis.
Muslime nennen ihren Glauben Islam und verstehen darunter die freiwillige
Unterwerfung unter den Willen Allahs. Deshalb nennen sie sich Muslime.
Die klassische Form von „Religion“ in der westlichen Gesellschaft
ist heute der Kapitalismus. Der Konsum als Wesensmerkmal des Kapitalismus
beansprucht alle Menschen und wird zum Gott, „an den der Mensch
sein Herz hängt“ (M. Luther).

Die Zukunft liege in der Hand dieses neuen Glaubens und nicht mehr in
Gottes Hand wie einst nach christlicher Tradition. Das dem Selbsterhaltungstrieb
des Menschen dienende Geld trägt quasi-religiöse Züge.
Diesen heute weithin verschütteten und fremd anmutenden Gott der
Bibel müssen wir Christen in Deutschland wieder entdecken.

Schon der englische Ökonom John Maynard Keynes (1883- 1946) hat
mit theologischer Präzision den Gegensatz des biblischen und koranischen
Gottesverständnisse zum kapitalistischen Gottesverständnis
der „Religion ohne Gott“ herausgearbeitet. Das System der
religiösen Macht der Kapitalismus- Religion ist nach Keynes die
Geldwirtschaft. Sie ist nicht neutral. Gott dieser neuen Religion ist
das Geld. Es ist allmächtig und allgegenwärtig. Alles ist für
Geld zu haben. Auch dieser Geld-Gott ist auf Glauben angewiesen. Geld
wird durch den Glauben an das Geld gedeckt. Auf ihn richten sich Vertrauen,
Treue, Sicherheit, Geborgenheit, Mut zur Zukunft, Liebe, Hoffnung, unersättliches
Begehren, Haltungen die religionsphänomenologisch gegenüber
Gott gelten. Geld ist zum „Sakrament der bürgerlichen Gesellschaft“ geworden,
zum sichtbaren Zeichen der unsichtbaren Gnade.“

Weltanschauung ist heute Geldanschauung (G. Fuchs, Geldanschauung. Aufgabenbeschreibung
für eine konkrete Theologie, in: Diakonia 19 (1988) , S. 256). Der
neue Geld-Gott bestimmt alle Maßstäbe, er entscheidet über
gelingendes oder gescheitertes Leben, er ist Vorsehung und er vermittelt,
wie einst die kirchlichen Sakramente, zwischen Immanenz und Transzendenz.
Geld wird zum absoluten Wert: Es kann nicht beherrscht werden, es herrscht
aber über allen Dingen. Als alles bestimmende metaphysische Wirklichkeit
ist es das Medium, das die Welt im Innersten zusammenhält. Geld
wird zum god-term, zum Gottesbegriff der Moderne und ersetzt als Bindungskraft
fortan die bisherige Religion, „denn die Bedeutung des Geldes rührt“ nach
J. M. Keynes (Allgemeine Theorie der Beschäftigung des Zinses und
des Geldes, VI , Berlin 5 1974, S. 248) „im wesentlichen daher,
dass es ein Verbindungsglied zwischen der Gegenwart und der Zukunft darstellt“.
Es verursacht die geringsten Unerhaltskosten und kann nicht verderben.
Gleichzeitig hat es die höchste Liquidität. Es dient vor allem
der Vorsorge für die Zukunft. Damit ist das zentrale Moment des
Kapitalismus beschrieben. Er ist darin religiös, dass er mittels
Geld Zukunftsvorsorge betreibt.

„Sorge“ nennt Walter Benjamin die Geisteskrankheit des Kapitalismus
im Zusammenhang mit Knappheit. Religionen waren immer mit dem Phänomen
des Todes und der Sorge um die Zeit nach dem Tod beschäftigt. Im
säkularen Zeitalter des Kapitalismus schrumpft die Vorsorge für
die Zukunft auf den überschaubaren Zeitraum von finanziellen Transaktionen
zusammen. Die Religion des Kapitalismus konzentriert sich mit Hilfe des
Geldes auf die Sorge vor der nicht beherrschbaren Zukunft. Vorsorge wird
hier zur Religion. Die zentrale Anweisung der Bergpredigt „Sorget
euch nicht!“ (Matthäus 6,25) steht bei Jesus im Zusammenhang
mit dem Reich Gottes und damit der Gerechtigkeit. Sorgen ist Kennzeichen
der „Heiden“. Die „Reich-Gottes“- Anhänger
bitten um das, was zum Leben notwendig ist (Matthäus 6, 11), sie
beschränken sich auf die ausreichende tägliche Ration. Das
ist das Kennzeichen der biblischen Ökonomie und hat das Manna (2.
Mose 16) zum Vorbild, von dem wir lernen, dass alles, was über den
Tag hinaus gehend gesammelt wird, verfault und für die Verbraucher
schädlich wird. Der Glaube an die Knappheit führt zu Ungerechtigkeit;
der Verzicht auf Vorsorge dagegen kommt aus dem Glauben an die Fülle
des göttlichen Segens, der die Lilien auf dem Feld prächtiger
kleidet als der weise und umsichtige Herrscher Salomo. Diese Form von
Vorsorge dient dem Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit.

Keynes sieht den Weg in die Zukunft darin, die alten Forderungen nach
der Abschaffung der Zinsen, wie sie im Judentum, im Islam und in der
Kirche bis zum ausgehenden Mittelalter vorhanden sind, nicht mehr„als
einen praktischen Ausweg aus einer törichten Theorie“ zu betrachten,
sondern „als eine ehrliche, intellektuelle Bemühung, auseinander
zu halten, was die klassische Theorie unauflöslich durcheinander
gebracht hat, nämlich den Zinsfuß und die Grenzleistungsfähigkeiten
des Kapitalismus. Das biblische Zinsverbot (2. Mose 22, 24; 3. Mose 25,
35-37; 5. Mose 23, 20-21) will die Bereicherung einiger weniger in der
Zukunft auf Kosten der Not der Armen in der Gegenwart verhindern. Grund
und Boden gehören Gott und nicht dem Menschen. Für alle ist
genug da, wenn nicht einige auf Kosten anderer ihre Zukunft sichern.

Hier wird der Gegensatz deutlich zwischen einem „verschuldenden
Kultus“, der das Schuldbewusstsein auf alles ausdehnt und sogar
Gott darin einbezieht (Benjamin), und einem Gott, der die Schuld vergibt,
auf dass auch wir vergeben unseren Schuldigern.

Thomas Ruster (Der verwechselbare Gott. Herder, Freiburg i.Br. 2001)sieht
den große Unterschied zwischen dem christlichen Glauben und der
herrschenden ”Religion des Geldes“. Vorsorge und Nicht-sorgen-
zu brauchen sind die Trennungslinie zwischen dem „Gott“ der
Bibel und „Mammon“, dem Gott der säkularen Kapitalismus-Religion.

Sorge und Vorsorge können wir treffen, aber oft kommt alles dann
ganz anders. Schön fasst das eine Chinesische Parabel zusammen,
die wir bei Hermann Hesse (Mit der Reife wird man immer jünger,
insel taschenbuch 2857,S. 133f) finden:

”Ein alter Mann mit Namen Chunglang, das heißt »Meister
Felsen«, besaß eine kleines Gut in den Bergen. Eines Tages
begab es sich, dass er eins von seinen Pferden verlor. Da kamen die Nachbarn,
um ihm zu diesem Unglück ihr Beileid zu bezeigen.

Der Alte aber fragte: »Woher wollt ihr wissen, dass das ein Unglück
ist?« Und siehe da: einige Tage darauf kam das Pferd wieder und
brachte ein ganzes Rudel Wildpferde mit. Wiederum erschienenen die Nachbarn
und wollten ihm zu diesem Glücksfall ihre Glückwünsche
bringen.

Der Alte vom Berge aber versetzte: »Woher wollt ihr wissen, dass
es ein Glücksfall ist?«

Seit nun so viele Pferde zur Verfügung standen, begann der Sohn
des Alten eine Neigung zum Reiten zu fassen, und eines Tages brach er
das Bein. Da kamen sie wieder, die Nachbarn, um ihr Beileid zum Ausdruck
zu bringen. Und abermals sprach der Alte zu ihnen:”Woher wollt
ihr wissen, dass dies ein Unglücksfall ist?«

Im Jahr darauf erschien die Kommission der »Langen Latten« in
den Bergen, um kräftige Männer für den Stiefeldienst des
Kaisers und als Sänftenträger zu holen. Den Sohn des Alten,
der noch immer seinen Beinschaden hatte, nahmen sie nicht. Chunglang
musste lächeln.“

Wahr ist: ”Suchet vielmehr zuerst das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit,
so wird euch das alles hinzugefügt werden.“

Amen.

Dogmatische und homiletische Entscheidung

Wir gehen davon aus, dass Matthäus 5-7 eine Einheit bilden. Diese
Einheit ist bekannt unter dem Namen Bergpredigt. Sie ist weder ein moralisches
Gesetz noch eine Utopie, sondern nach L. Ragaz (Die Bergpredigt Jesu,
Gütersloher Taschenbücher GTB 451, 1987, S. 8f) durchaus realistisch
und beschreibt den Weg Gottes im Gegensatz zum Weg der Welt und religiösen
Moral. In der Bergpredigt sind Ordnung und Gesetz des Reiches Gottes
zusammengefasst.
Die Bergpredigt ist wie W. D. Davies, (Die Berg Predigt, München 1970)
schön herausarbeitet, Teil des Matthäusevangeliums und eingebettet
in dieses Evangelium, das eine klare Struktur aufweist 1-2 (Prolog, Geburtsgeschichte:3,1-
425 Erzählendes Material; 5,1-7,27 die Bergpredigt. Dem folgen Buch 2
bis 5, eingeleitet durch bestimmte Formeln (7,28f; 11,1; 13,53; 19, 1; 26,1).
Der neue Mose, der neue Exodus und die Überbietung der mosaischen Kategorien
sind die wichtigsten Punkte, wenn man der Pentateuchtheorie folgt. Im Kontext
der jüdischen Messiaserwartung stehen der neue Bund und die Tora, der
Knecht Gottes und sein Gesetz, sowie Zion und die Tora im Vordergrund.
Jesus war ein Lehrer. Er rief Jünger zu sich. Seine Autorität war
autonom. Er drückte seine Lehre im Imperativ aus- nicht in der unter Rabbinen üblichen
Partizipform- und benützte die Heilige Schrift als Zeuge für sich
selbst. Das Wesen der Jüngerschaft Jesu erwuchs als Antwort auf den Ruf
Jesu in die Nachfolge.
Das Konzept der Liebe ist zweifellos die beste Zusammenfassung der ethischen
Lehre Jesu. Das Wesen der Liebe offenbart Jesus selbst. Beim genauen Hinsehen
wird deutlich, dass die Imperative der Bergpredigt in sich selbst Indikative
sind. So besteht das Evangelium zugleich aus Gabe und Forderung und zwar einer
Forderung, die verwirklicht werden muss: ”An ihren Früchten sollt
ihr sie erkennen.“
Wir konzentrieren uns hier auf die Sorge.

Prof. Dr. Karl W. Rennstich
Bei der Kirche 2
72574 Bad Urach-Seeburg
Tel: +49-(0)7381-3215 Fax: +49-(0)7381-501234
E-mail: kwrennstich@gmx.de

 

 

de_DEDeutsch