Matthäus 9:9-13

Matthäus 9:9-13

Septuagesimä | 04.02.2007 | Matthäus 9:9-13 | Mirko Peisert |

Liebe Gemeinde!

Es nun schon 20 Jahre her, diese Fahrt aus der Lüneburger Heide zur Partnergemeinde nach Riesa in Sachsen, aber ich kann mich noch sehr gut erinnern:

Kurz hinter Helmstedt die deutsch-deutsche Grenze aus Stacheldraht, Grenztürmen und Todesstreifen. Und die endlose und nervenaufreibende Grenzkontrolle.

Ewiges Warten… Dann kamen zuerst die Papiere. Eine lange Liste mit Fragen sollten wir beantworten. Was wir eingepackt haben, wo wir hinfahren wollten….
Und dann ging es erst richtig los. Koffer, Taschen, Fächer, alles, was wir hatten, wurde von den Grenzbeamten auseinander genommen.

Ob eine Packung Kaffee oder eine Schachteln Zigaretten die Prozedur verkürzen würden? – Wie würde der Zollbeamten reagieren?

Ein Kollege erzählte mir später einmal wie er immer die theologische Literatur über die Grenze brachte: Ich packe einfach einen Koffer mit schmutziger Wäsche und ganz unten kommen die Bibeln drunter. Das kramen die Zöllner nie durch.

Nach einer Ewigkeit an der Grenze durften wir dann endlich einreisen und weiterfahren. Nichts wie weg hier! Nie wieder!
Und als Jesus von dort wegging, sah er einen Menschen am Zoll sitzen, der hieß Matthäus; und er sprach zu ihm: Folge mir! Und er stand auf und folgte ihm.
Und es begab sich, als er zu Tisch saß im Hause, siehe, da kamen viele Zöllner und Sünder und saßen zu Tisch mit Jesus und seinen Jüngern.
Als das die Pharisäer sahen, sprachen sie zu seinen Jüngern: Warum isst euer Meister mit den Zöllnern und Sündern?
Als das Jesus hörte, sprach er: Die Starken bedürfen des Arztes nicht, sondern die Kranken.
Geht aber hin und lernt, was das heißt (Hosea 6,6): »Ich habe Wohlgefallen an Barmherzigkeit und nicht am Opfer.« Ich bin gekommen, die Sünder zu rufen und nicht die Gerechten.

So berichtet uns Matthäus in seinem Evangelium.

Ich weiß nicht, ob sich die DDR Zollbeamten mit den Zöllnern zur Zeit Jesu vergleichen lassen.
Fest steht, dass mit den Zöllnern damals niemand so recht etwas zu tun haben wollte. Sie hatten einen schlechten Ruf. Vor Gericht waren sie als Zeugen schon gar nicht mehr zugelassen. Zu viele Menschen sollten sie schon um ihr Geld betrogen haben.

Warum also setzt sich Jesus mit diesen Leuten zusammen? Ganz klare Frage: Warum isst euer Meister mit den Zöllnern und Sündern? So fragen ihn denn auch gleich die Pharisäer die Jünger Jesu: Warum macht Jesus das?

Nun ein Bestechungsversuch wird es jedenfalls nicht gewesen sein! Um Geld geht es Jesus sicher nicht.
Er sagt: Die Starken bedürfen des Arztes nicht, sondern die Kranken.
Die Starken bedürfen des Arztes nicht, sondern die Kranken. Seine Antwort erläutert er dann noch mit dem Satz: Ich bin gekommen, die Sünder zu rufen und nicht die Gerechten.

Klingt logisch und einleuchtend. Natürlich, wenn ich gesund bin, dann brauche ich auch nicht zum Arzt.

Aber wenn ich diese Antwort so auf mich wirken lassen, dann denke ich: Eigentlich verstehe ich gar nicht so recht, was Jesus damit meint! Ja, es ist fast eine Unverschämtheit, was Jesus da sagt.

Denn es scheint mir, dass Jesus hier erst einmal die Zöllner für krank und sündig erklärt, um dann als Helfer zu erscheinen. Erst einmal werden die Zöllner hier klein und bedürftig gemacht, worauf hin ihnen dann von Jesus Rettung angeboten werden kann. Obwohl die Zöllner, sicher keine kranken Schwächlinge waren, das waren vielmehr erfolgreiche Geschäftsleute, wohlhabend und intelligent.

Die Starken bedürfen des Arztes nicht, sondern die Kranken.

Das kann doch nicht heißen, dass Jesus nur für mich da ist, wenn es mir schlecht geht, wenn ich krank und schwach bin. Aber wenn es mir gut geht, ich Erfolg habe und mich wohl fühle, dass ich dann nicht auch auf seine Nähe zählen kann.

Und überhaupt klingt das ja auch viel zu einfach. Hier die Kranken und dort die Gesunden? Auf der einen Seite die Starken und auf der anderen die Schwachen? Wer will das einteilen?
Jeder hat doch seine Stärken und auch seine Schwächen. Es gibt niemanden, der nur stark ist.
Stärke und Schwäche das geht durch uns alle hindurch! Ja oft ist es ja sogar so, dass eine vermeintliche Schwäche gerade auch eine Stärke sein kann.
Im letzten Jahr habe ich einen Jungen mit geistiger Behinderung konfirmiert. Und es war im Konfirmandenunterricht auch nicht immer ganz einfach, aber kein Konfirmanden konnte so direkt seine Fragen stellen, kein anderer konnte auch so einfach sein Missfallen über den Unterricht oder die Gottesdienste ausdrücken oder eben auch seine Freude und Begeisterung ausdrücken. Er war stärker als wir alle unsere Gefühle und unsere Begeisterung zu zeigen. Ich glaube, wir alle konnten von ihm lernen.

Was könnte Jesus also mit den Kranken gemeint haben, mit den Schwachen, die seine Hilfe brauchen?

Warum isst Jesus mit den Zöllnern und Sündern?

Selig sind die sanftmütigen, so sagt Jesus einmal, selig sind die, die hungern nach Gerechtigkeit, selig sind die Barmherzigen, die Friedfertigen…

Sanftmut, Barmherzigkeit, Gerechtigkeitssinn, das ist in den Augen Jesu wahre Stärke.

Ein lebendiges und liebendes Herz, das ist die Stärke, um die es Jesus geht.
Das lebendige Herz, das ist für mich das Bild für die Kraft die Jesus wecken will.
Stark ist, wer ein lebendiges Herz hat.
Der, der sich anrühren lässt.
Und sich nicht einpanzert.
Der Anteil nimmt und sich nicht verhärten lässt.

Und ich will ihnen ein anderes Herz geben und einen neuen Geist in sie geben und will das steinerne Herz wegnehmen aus ihrem Leibe und ihnen ein fleischernes Herz geben, damit sie in meinen Geboten wandeln und meine Ordnungen halten und danach tun, so spricht Gott, der Herr. (Ez 11,19-20)

Nichts anderes tut Jesus. Das steinerne Herz verwandeln. Das versteinerte Herz in ein lebendiges, liebendes Herz verwandeln.

Darum geht es Jesus, darum spricht der den Zöllner Matthäus an, darum setzt er sich mit den Geschäftemachern an den Tisch. Mit Zöllnern und Sündern. Um das versteinerte Herz zu verwandeln.

Auf einander zugehen, miteinander Essen, das sind ganz vorsichtige und behutsame Schritte Jesu.
Manchmal sind aber auch harte und schmerzhafte Einschnitte notwendig, um ein versteinertes Herz zu verwandeln.

Und die Verwandlung der letzten und tiefsten Versteinerung ist vielleicht nur im Tod und durch den Tod hindurch möglich.

In ihrem Buch Mio, mein Mio beschreibt Astrid Lindgren einen solchen Kampf auf Leben und Tod um ein versteinertes Herz.

Ein kleiner Junge, Mio, tritt den Kampf gegen den Ritter Kato, der allem Anschein nach die Bosheit der Welt in sich versammelt und dessen Herz scheinbar bis ins Innerste versteinert ist:

„Ich stand vor der Tür zu Ritter Katos Kammer. Ich öffnete die Tür. Ritter Kato saß an seinem Steintisch. Er hatte mir den Rücken zugekehrt. Um ihn glühte seine Bosheit.
Dreh dich um, Ritter Kato!“ rief ich. “Nun kommt dien letzter Kampf.“ Er wandte sich um. Ich riss meinen Mantel von den Schultern, und da stand ich vor ihm mit dem Schwert in meiner Hand. Sein abscheuliches Gesicht schrumpfte zusammen und wurde grau, und in seinem abscheulichen Augen waren Hass und Angst. Hastig ergriff er sein Schwert, das neben ihm auf dem Tisch lag.
Und dann begann Ritter Katos letzter Kampf.

Eine Stunde dauerte der Kampf, auf den man seit tausend und aber tausend Jahren gewartet hatte. Der stumme, grausame Kampf, in dem mein Schwert wie eine Feuerflamme durch die Luft fuhr und Ritter Katos Schwert traf und es ihm endlich aus der Hand schlug.
Ritter Kato stand vor mir. Ohne Waffe! Und er wusste, dass der Kampf zu Ende war.
Da riss er sein Schwarzes Wams über der Brust auf.
„Sieh zu, dass du das Herz triffst!“ schrie er: „Sieh zu, dass du mein Herz aus Stein durchbohrst! Es hat lange genug in meiner Brust gescheuert und wehgetan.“
Ich sah in seine Augen. Und in seinen Augen sah ich, dass Ritter Kato sich danach sehnte, sein Herz aus Stein loszuwerden. Vielleicht hasste niemand Ritter Kato mehr als er sich selbst.
Ich wartete nicht länger. Ich hob mein flammendes Schwert, ich hob es ganz hoch und stieß es tief in Ritter Katos Herz aus Stein.
Im selben Augenblick war Ritter Kato verschwunden. Er war fort. Auf dem Boden aber lag ein Haufen Steine. Nur ein Haufen Steine lag dort. Und eine Klaue aus Eisen.
Auf dem Fensterbrett in Ritter Katos Kammer saß ein kleiner grauer Vogel und pickte an die Fensterscheiben. Sicher wollte er hinaus. Ich hatte den Vogel vorher nicht gesehen. Ich wusste nicht, wo er sich versteckt gehalten hatte. Ich ging zum Fenster und öffnete es, damit der Vogel fortfliegen konnte. Und er warf sich hinaus in die Luft und begann zu trillern. Sicher hatte er lange in Gefangenschaft gesessen.
Ich blieb am Fenster stehen und sah den Vogel fliegen. Und ich sah: Die Nacht war vorbei, und der Morgen war gekommen.
(A. Lindgren: Mio, mein Mio, Hamburg 1956, 153-6)

Amen.


Pastor Mirko Peisert
Ev.-luth. Neustädter Kirchengemeinde St. Marien
Sülbecksweg 31
37574 Einbeck
Mirko.Peisert@evlka.de

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