Numeri 11, 11-12.14-17. 24-25

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Numeri 11, 11-12.14-17. 24-25

 

Göttinger Predigten im Internet
hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


 

Pfingstsonntag, 3. Juni
2001
Predigt über 4. Mose 11, 11-12.14-17. 24-25, verfaßt von
Georg Kretschmar


Liebe Gemeinde!

l. Wir feiern heute das Pfingstfest, das Fest der Ausgießung
des Heiligen Geistes. In der Russischen Orthodoxen Kirche nennt man
es Troize, Dreieinigkeit, weil damit die Offenbarung der Trinität
zum Ziel kommt: Weihnachten offenbart Gott, der Vater, Seine Liebe zu
uns dadurch, daß Er Seinen Sohn als kleines Kind in unsere Welt
schickt. Ostern ist die Offenbarung der Herrlichkeit des Sohnes im Sieg
des Gekreuzigten über den Tod. Und Pfingsten feiern wir den Geburtstag
der Kirche: Gottes Heiliger Geist kommt über die Apostel und damit
über uns alle.

Von diesen drei christlichen Hochfesten ist sicher Pfingsten das für
unser Verstehen Schwierigste. Das zeigen schon die Bilder, die unsere
Vorstellung so stark bestimmen. Das kleine Kind in der Krippe oder im
Schöße Seiner Mutter, das ist uns allen vertraut. Wir sehen
auch den Mann am Kreuz und vielleicht die strahlende Auffahrt des Auferstandenen
zum Vater, wie sie etwa Matthias Grünewald gemalt hat. Aber bei
Pfingsten müssen wir die Phantasie stärker anstrengen. Auf
alten Bildern in der mittelalterlichen Buchmalerei sieht man manchmal
die 12 Apostel im Kreis sitzen und jeder hat auf seinem Haupt ein kleines
Flämmchen, das Zeichen des Heiligen Geistes.

Gerade dieses Bild kann eine Brücke zu unserem Bericht aus dem
4. Buch Mose schlagen. Denn hier erfahren wir ja, wie 70 (oder / 72)
Älteste von Gott Anteil am Geist des Mose erhalten und in Verzückung
geraten wie Propheten. Man könnte das gut so malen, daß eben
70 oder 72 Männer vor dem Zelt sitzen, in dem Gott Mose begegnet,
der „Stiftshütte“, alle mit einem kleinen Flämmchen
auf dem Haupt. Aber damit endet doch wohl schon die Vergleichsmöglichkeit.
Unser Text ist aus vielen Gründen schwierig. Schon deshalb, weil
er so, wie er verlesen worden ist, gar nicht in der hl. Schrift steht.
Dort ist er aufs Engste mit einer anderen Geschichte verschlungen, die
eigentlich auch zum Verstehen dazugehört.
Es geht um eine Geschichte, wie sie sich auf dem jahrelangen Weg des
Volkes Gottes durch die Wüste immer neu wiederholt. Das Volk murrt.
Sie hatten nicht zu essen gehabt und Gott hatte ihnen das Manna gezeigt,
kleine, weißliche, süße Kugeln, die man unter Tamarisken,
einer Baumart, auf der Sinai-Halbinsel noch heute finden kann. Lange
Zeit hatten sie davon gelebt, aber nun hatten sie es einfach über
und träumten von den vielen Fischarten und dem saftigen Gemüse
in Ägypten, im Nilland. Fische in der Wüste, das schien doch
utopisch, so forderten sie von Mose nun Fleisch. Das alles ist verständlich
und doch auch etwas undankbar. Jedenfalls ist es dieser Schrei nach
Fleisch, der nun Mose murren läßt. Er hadert mit Gott in
einer ganz ungewöhnlichen Sprache: Gott sei doch die Mutter des
Volkes, nicht er, Mose. Gott, die Mutter, habe ihn, Mose wie ein Kindermädchen
zu den ungebärdigen Israeliten geschickt. Er könne diese Last
nicht mehr allein tragen. Zumindest brauche er, Mose, Hilfe. Die Antwort
Gottes auf diesen Hilfeschrei, diese Bitte, ist die Geistes-Gabe an
die 70 (72) Ältesten. Aber auch das Volk erhält Antwort. Gott
schickt ihm große Vogelschwärme, Wachteln. Damit haben sie
nun Fleisch die Fülle. Aber manche Familien haben sich dann gleich
überessen, so daß viele starben. Das war Gottes Strafe für
das Murren.

2. Aber zurück zum Hilferuf Moses zu Gott. Als vor fast dreizehn
Jahren die Zustimmung der Sowjetunion endlich vorlag, daß mein
– nun schon lange in Gott ruhender – Vorgänger Harald Kalnins Bischof
werden konnte, war ihm allein die ganze Verantwortung für die lutherischen
Gemeinden von der Ostsee bis zum Pazifischen Ozean anvertraut. Er hätte
reden können wie Mose. Natürlich konnte nicht ein einzelner
diese Last tragen, Wir haben dann dies ganze riesige Gebiet Schritt
für Schritt in Regionen aufgeteilt, nicht gleich 70, bis heute
7, und es
ist gerade gut 10 Jahre her, daß der erste geistliche Leiter für
die evangelisch-lutherischen Gemeinden in der Ukraine von einer dazu
zusammengeladenen Synode gewählt und eingesegnet wurde. Dabei ist
auf ihn – wie auch heute bei jeder Einsegnung eines Predigers oder einer
Predigerin, bei jeder Ordination, bei jeder Bischofskonsekration – der
Heilige Geist Gottes für seinen Dienst erbeten worden in der festen
Gewißheit, daß Gott dies Gebet erhört. Das klingt wie
der Bericht aus dem 4. Buch Mose. Aber es gibt einen ganz wichtigen
Unterschied. Der neue Superintendent – so nannten wir damals den Geistlichen
Leiter einer Regionalen Kirche – erhielt nicht ein Stück von dem
Geist des Bischofs, sondern Gottes Geist, der Bischof Kalnins bei seiner
Einsegnung zugesprochen wurde, sollte nun auch den Leiter der Regionalen
Kirche bevollmächtigen, tragen und geleiten. Dieser Geist ist aber
der Geist Jesu Christi.

Damit stehen wir endlich an dem Punkt, an dem die Berichte aus dem
Alten Testament und die neutestamentliche Pfingstgeschichte miteinander
verglichen werden können. An der Stelle des Mose steht jetzt Jesus
Christus. Mose ist auf den Berg Gottes aufgestiegen und hat das Gesetz
zurückgebracht. Jesus Christus, der Auferstandene, ist zum Vater
aufgefahren und hat den Hl. Geist, den Geist Gottes und den Geist des
Sohnes den Seinen geschenkt. So klingt es in vielen Schriften des Neuen
Testamentes an. Der Epheserbrief beschreibt genau, daß dieser
Geist Dienste und Ämter in der Kirche setzt. Was der Dienst der
70 Ältesten war, die den Geist des Mose empfangen hatten, wissen
wir nicht. Sie tauchen nie wieder auf. Der Dienst der Apostel und aller
ihrer Nachfolger ist klar: die Weitergabe des Evangeliums, der Dienst
an und mit den heiligen Sakramenten. Davon lebt die Kirche.

Dieser Geist setzt verschiedene Gaben und Aufgaben. Er hat uns alle
erreicht, die getauft sind und diese hl. Taufe im Glauben angenommen
haben. Das hat er allerdings mit dem Geist des Mose gleich: er macht
sich bemerkbar. Damals durch „verzücktes“ Reden, an Pfingsten
in neuen Sprachen. Auch bei uns sollte es so sein, daß die Menschen
um uns etwas davon sehen, daß Gott uns den Heiligen Geist gegeben
hat.

3. Lassen Sie mich schließen mit noch einer eigenen Erinnerung,
auch wenn sie ein wenig absonderlich ist. Als Kind ging ich in die einklassige
Schule des Dorfes, in dem mein Vater Pastor war. Der Lehrer hatte zugleich
den kirchlichen Dienst die Orgel zu spielen, man nannte ihn Kantor.
Dieser Kantor nahm mit uns die Pfingstgeschichte durch und gab ihr eine
seltsame Wendung: Wie dumm waren doch die Leute, die Jesus ans Kreuz
gebracht hatten. Den einen waren sie los geworden – durch den Tod und
durch die Himmelfahrt. Dafür haben sie es nun mit 12 Männern
zu tun. So würden wir die Geschichte Jesu nicht erzählen.
Aber irgendwie hatte der Lehrer ja auch etwas Richtiges gesehen. Wie
die 70 Ältesten dem einsamen Mose Lasten abgenommen haben, wissen
wir nicht. Aber mit der Gabe des Heiligen Geistes beginnt der Schritt
in die Weite. Und das Wunder, daß Gott, durch Seinen Heiligen
Geist aus Wenigen Viele machen kann, das erleben wir auch heute. Vor
Kurzem war ich in Kirgisien zur Jahressynode unserer Kirche. Dabei berichtete
ein alter Mann vom Weg seiner Gemeinde. Vor zwei Jahren waren sie auf
fünf Leute zusammengeschmolzen. Und dann kam ein junger Mann mit
seiner Frau zurück, der vor Jahren nach Deutschland ausgewandert
war und nun dem Bischof unserer Kirche in Kirgisien zu Hilfe gekommen
ist. Und in dieser Gemeinde kommen nun jeden Sonntag 150 Menschen zum
Gottesdienst, die Jugendarbeit blüht. Überall wuseln Kinder
herum.

Gott will unseren Dienst auch heute, so wie Mose damals die Ältesten
zusammenrief, wie der Heilige Geist die Apostel befähigte das Evangelium
öffentlich zu predigen, so will Er, Gott der Vater, der Sohn und
der Heilige Geist, auch unseren Dienst in unserer Gemeinde, in unserer
Kirche, in Seiner ganzen Christenheit. Mose brauchte Hilfe, damit sein
Volk satt würde. Bitten wir Gott darum, daß wir innerlich
satt werden – und gewiß auch mit allem, was wir zum täglichen
Leben brauchen.
Amen

Erzbischof Prof. D. Georg Kretschmar
Erzbischof der ELKRAS, St. Petersburg
E-Mail: kanzlei@elkras.convey.ru

 

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