Offenbarung 15, 2-4

Offenbarung 15, 2-4

 

Göttinger

Predigten im Internet

hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


Kantate (4. Sonntag
nach Ostern), 28. April 2002
Predigt über Offenbarung 15, 2-4, verfaßt von Bernd Eberhardt


Und ich sah, und es war wie ein gläsernes Meer, mit Feuer vermengt;
und die den Sieg behalten hatten über das Tier und sein Bild und
über die Zahl seines Namens, die standen an dem gläsernen Meer
und hatten Gottes Harfen und sangen das Lied des Mose, des Knechtes Gottes,
und das Lied des Lammes: Groß und wunderbar sind deine Werke, Herr,
allmächtiger Gott! Gerecht und wahrhaftig sind deine Wege, du König
der Völker.
Wer sollte dich Herr nicht fürchten und deinen Namen nicht preisen?
Denn du allein bist heilig! Ja, alle Völker werden kommen und anbeten
vor dir, denn deine gerechten Gerichte sind offenbar geworden.

„Singet dem Herrn ein neues Lied …“ so beginnt der Psalm
98, nach dessen erstem Wort dieser Sonntag benannt ist: Sonntag „Kantate“.
Die Herausgeber der Göttinger Predigten im Internet waren deshalb
nicht davon abzubringen, für die Erstellung einer Predigt fürs
Internet über den Predigttext zu diesem Sonntag einen Kirchenmusiker
zu beauftragen. So sitze ich nun – als Hobbytheologe allenfalls – über
dieser Offenbarung des Johannes, die hier in unserem 15. Kapitel dem Kirchenmusiker
natürlich aus dem Herzen spricht, ja sogar seinem Berufsstand eine
gute Zukunft voraussagt: Gotteslob im Lied, bzw. der Musik im weitesten
Sinne (Gottes Harfen) als Dank und Ausdruck der Freude über den Sieg
über das Böse.

Was ist das eigentlich, die „Offenbarung des Johannes“? Es
handelt sich um Bilder, man könnte vielleicht auch sagen Visionen
von der bevorstehenden Vollendung des Weltlaufs. Bilder mit enormer Symbolkraft,
deren Deutung selbst Profitheologen bis heute intensiv beschäftigt,
und immer wieder Anlass zu heftigsten Diskussionen gibt. Nicht umsonst
wird die Offenbarung des Johannes auch als „Geheime Offenbarung“
bezeichnet.

Eine wissenschaftliche Deutungen der Bilder kann ich nicht bieten; Assoziationen
drängen sich allerdings auf. Deshalb möchte ich einzelnen Bilder
kurz einwirken lassen.

Das gläserne Meer mit Feuer vermengt (Kap.15, 2) weist sicherlich
auf den Kampf des Bösen mit dem Guten hin, von dem in den vorherigen
Kapiteln die Rede ist. Das Bild vom gläsernen Meer erinnert mich
allerdings stark an Franz Grillparzers Dichtung über den Durchzug
der Israeliten durch das Schilfmeer (hier das Rote Meer), wunderbar vertont
in „Miriams Siegesgesang“ von Franz Schubert: „…und
das Meer hört deine Stimme, thut dem Zug sich auf, wird Land. Scheu
des Meeres Ungethüme schau’n durch die krystall’ne Wand. Wir vertrauten
deiner Stimme, traten froh das neue Land.
Das gläserne (krystall’ne)
Meer also auch hier Zeichen für Rettung, aber auch Sieg über
die Verfolger. Selbstverständlich wird der grausame Untergang der
Ägypter in den Wogen des Meeres bei Grillparzer entsprechend dramatisch
beschrieben. Doch was unmittelbar nachher in Grillparzers Gedicht analog
zur Vorlage aus dem zweiten Buch Moses (Kap. 15, 20+21) beschrieben wird,
ist gewissermaßen auch der entscheidende Inhalt unseres Predigttextes
aus der Offenbarung: Miriam singt: „Drum mit Cymbeln und mit Saiten
lasst den Schall es tragen weit, gross der Herr zu allen Zeiten heute
gross vor aller Zeit“
(Zit. Grillparzer). Zum Vergleich: …und
hatten Gottes Harfen und sangen das Lied des Mose… Groß und wunderbar
sind deine Werke, Herr, allmächtiger Gott!
(Offb. 15, 2+3)

Die Offenbarung der Gerechtigkeit des Herrn kommt uns in dieser Formulierung
bekannt vor. Gerecht und wahrhaftig sind deine Wege, du König
der Völker … deine gerechten Gerichte sind offenbar geworden.

So finden sich in verschiedenen Psalmen ähnliche Formulierungen;
das bekannteste Beispiel: Man singt mit Freuden vom Sieg in den Hütten
der Gerechten. Die Rechte des Herrn behält den Sieg
(Ps. 118,
15). Die Gerechtigkeit wird in den vorherigen Kapiteln der Offenbarung
relativ kompliziert dargestellt, unter anderem auch über das Bild
des Lammes (Sinnbild des unschuldigen Opfertieres) und derer die ihm nachfolgen.
Darauf möchte ich hier jetzt nicht näher eingehen. Entscheidend
und gleichsam in allen Texten übereinstimmend ist die Tatsache, dass
das Singen eine entscheidende Rolle spielt. Der Sieg der Gerechtigkeit
wird gleichsam gefeiert. Man könnte fast sagen (man sehe es dem Kirchenmusiker
nach), dass sich hier ein Auftrag verbirgt, der Auftrag, der im eingangs
erwähnten Psalm 98 als solcher ausgesprochen wird: „Singet
dem Herrn ein neues Lied, denn er tut Wunder. Er schafft Heil mit seiner
Rechten. Der Herr lässt sein Heil kundwerden; vor den Völkern
macht er seine Gerechtigkeit offenbar“
(Ps.98, 1+2).

Zunächst muss man einmal unterscheiden aus welchem Grund, zu welchen
Anlässen, welche Art Musik gemacht wird. Ob einfach zur „Gemüths
Ergetzung“ (Zit. J.S.Bach: Vorwort zum Dritten Teil der Clavierübung),
Motivation (auch der Supermarktbesucher zum großzügigen Einkauf),
zur Huldigung von Einzelpersonen oder Systemen, zur Werbung des auserwählten
Partners, um nur einige Beispiele zu nennen.

In der Religion kommt vieles davon vor. Musik in den Kirchen diente in
ihrer Geschichte konkreten Zielen. Die prachtvollen, großen Orgeln
sollten die Größe und Macht des Herrn darstellen; das gesungene
Wort sollte vermitteln, was der Verstand nicht begreifen wollte oder konnte,
quasi auf einer anderen, heute würde man sagen, emotionellen Ebene.

Dass dies heute, in Zeiten der existenzgefährdeten Institution Kirche
wieder an Aktualität gewinnt, zeigt ein Zeitungsartikel des vergangenen
Monats von Jürgen Kanold, Redakteur bei der Südwestpresse in
Baden Württemberg. Mit einem mutigen, vielleicht auch etwas provozierenden
Artikel unter der Überschrift „Der Evangelist Bach“ schreibt
er „Nicht jeder glaubt an Gott, aber alle scheinen an Bach zu
glauben. In diesen vorösterlichen Tagen sind die Kirchen voll, weniger
bei Gottesdiensten, aber immer dann, wenn die Johannes- oder Matthäuspassion
erklingt. Zahllos sind die Aufführungen, ob mit Profi- oder Laienensembles,
und die überkonfessionelle Gemeinde vertraut auf die Botschaft des
„fünften Evangelisten“, wie Albert Schweitzer den Leipziger
Thomaskantor bezeichnete … Kluge Pfarrer werden Bach ihren Sängern
und Instrumentalisten nicht neiden. Schon Martin Luther hat bekanntlich
das Evangelium durch das Lied gepredigt. Die Evangelischen Landeskirche(n)
müssen sich vielmehr überlegen, ob sie nicht darauf verzichten
sollten, an den Planstellen und den Etats der Kantoren zu sparen. Denn
die Kirchenmusik ist, salopp gesagt, gewiss ihre publikumswirksamste Abteilung
… Aber wenn sich die Welt auch säkularisiert, bei Johann Sebastian
Bachs geistlichen Werken können wir uns finden. Mit Musik nachdenken
über die Frage: Wozu ist Jesus am Kreuz gestorben? Den Choral „O
Mensch bewein dein Sünde groß“ hören und sich mal
besinnen; Was das heißt in unserer Zeit?
(Zit. Neue Württembergische
Zeitung, 28.03.02).

In unserem Text aus der Offenbarung hat die Musik offensichtlich zwei
Funktionen: Ausdruck des Dankes für den Sieg über das Böse,
aber auch Rechtfertigung des Besungenen. Ferner gibt es eine Funktion
der Musik, die ihre leider in unrühmlichen Fällen zukommt. Was
gerechtfertigt sein will, lässt sich besingen. Die NS-Propaganda
hat wie die meisten totalitären Systeme die Musik, ganz besonders
das Lied immer mit großer Sorgfalt zur Festigung ihrer Ideologie
gepflegt und zu Nutze gemacht.

Deshalb stellt sich immer die Frage, wem gelten die gesungenen Lieder.
Nicht umsonst gibt es den Ausspruch: „Sing mir deine Lieder, und
ich sage dir wer du bist!“
. In der Offenbarung wird daran deshalb
kein Zweifel gelassen. Die den Sieg behalten hatten, sangen nicht
einfach irgendwas, sondern sie sangen das Lied des Mose …und …
des Lammes
. Somit ist ganz klar, wer besungen wird, wem der Dank gilt.
Wie bereits festgestellt: Mose = Gott Israels, Lamm = Bild Jesu Christi.

Wie steht es eigentlich mit dem Umkehrschluss? Kann das Singen den ersehnten
Zustand in Zeiten der Not herbeiführen? Das heißt: Auf der
Goldnen Harfe zu spielen, um die Gerechtigkeit des Herrn spürbar
werden zu lassen. Dazu zwei Beispiele:

Meine Mutter erzählte mir früher einmal, dass sie gemeinsam
mit ihrer Schwester immer laut gesungen hätte, wenn sie in ihrer
Kindheit wieder einmal in den gefürchteten dunklen Keller gehen mussten,
um Kartoffeln heraufzuholen. Das gemeinsame Singen schützte offensichtlich
vor den Ängsten, die das dunkle Gewölbe auf die zwei kleinen
Mädchen ausübte. Dieses Beispiel zeigt zwar zunächst nur,
dass das Singen an sich einen angstfreien Zustand schafft, aber es ist
mehr als Ablenkung, es ist Stärkung, Stärkung zur Bewältigung
einer schwierigen Situation.

Reiner Kunze schreibt in seinem Buch „Die wunderbaren Jahre“
über das Leben in der DDR unter der Überschrift „Orgelkonzert“:
Hier müssen sie nicht sagen, was sie nicht denken. Hier umfängt
sie das Nichtalltägliche, und sie müssen mit keinem Kompromiss
dafür zahlen; nicht einmal mit dem Ablegen ihrer Jeans. Hier ist
der Ruhepunkt der Woche. Sie sind sich einig im Hiersein. Hier herrscht
die Orgel. … alle Orgeln, die im Osten, Süden, Norden, Westen,
die sechstausendeinhundertundelf klingenden Pfeifen in der Kreuzkirche
zu Dresden, das Betstubenpositiv der Grube Himmelsfürst zu Freiberg,
die von Bach geprüfte Orgel zu Hohnstein, die zu Kirchdorf, die einfach
„unsere Orgel“ heißt – sie alle müßten plötzlich
zu tönen beginnen und die Lügen, von denen die Luft schon so
gesättigt ist, dass der um Ehrlichkeit Bemühte kaum noch atmen
kann, hinwegfegen – unter wessen Dach hervor auch immer, hinwegdröhnen
all den Terror im Geiste … Wenigstens ein einziges Mal, wenigstens für
einen Mittwochabend
(a.a.O. S.75-79).

Selbst wenn man den gut besuchten Orgelkonzerten in der DDR nachsagen
würde, sie wären als subtile Form des Ausdrucks von Protest
genutzt worden, sozusagen als heimlicher Treffpunkt Gleichgesinnter, so
fällt doch auf, dass die geistliche, aber bewusst wortlose Musik
hier den ersehnten, gerechten Zustand beibringen soll, die Lügen,
von denen die Luft schon so gesättigt ist, dass der um Ehrlichkeit
Bemühte kaum noch atmen kann, hinwegfegen
.
War es die Zusage Singet dem Herrn ein neues Lied, denn er tut Wunder.
Er schafft Heil mit seiner Rechten, die die Menschen in der DDR
ausgerechnet an diesen Ort der Versammlung gebracht hat?

Die Bürgerinnen und Bürger der ehemaligen DDR müssen sich
heute kritisch fragen lassen: Wem habt ihr eure Lieder gesungen, bzw.
wem galten die Klänge eurer Orgeln? Denn die umgekehrte Einlösung
des Gesanges, wie er bei Miriam oder unserem Text aus der Offenbarung
ertönt, nämlich der des Dankes über den Sieg, ist nur kläglich
erfolgt. Denn nach dem ersehnten Sturz des DDR-Regimes waren die Orgelkonzerte
so schlecht besucht wie nie und die Kirchenaustrittsrate so hoch, dass
sie die Existenz zahlreicher Kirchengemeinden komplett in Frage stellte.
Schade!

Offensichtlich sind die gerechten Gerichte unseres Herrn noch
nicht genug offenbar geworden. Lasst uns daran arbeiten! Singet
dem Herrn ein neues Lied!

Amen.

Bernd Eberhardt
Kantor und Organist an St. Johannis in Göttingen
Johanniskirchhof 3, 37073 Göttingen
Tel. 0551 – 461 38

 

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