Offenbarung 3,14-22

Offenbarung 3,14-22

 


Göttinger Predigten im Internet
hg.
von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


Buß- und
Bettag, 22. November 2000

Predigt für einen
Schulgottesdienst 
über
Offenbarung 3,14-22,
verfaßt von Peter Kusenberg


Liebe Gemeinde!

Das letzte Buch der Bibel, die Offenbarung des Johannes, hat eine
besondere Anziehungskraft. Es schildert in einer Vision das Ende dieser Welt,
die letzte, dramatische Schlacht zwischen Gut und Böse und den Anbruch
einer neuen, von Gott geschenkten Welt. In geheimnisvollen Bildern und Symbolen
werden Katastrophen globalen Ausmaßes heraufbeschworen – die Öffnung
der sieben Siegel, das Ausgießen der „Schalen des Zorns“. Man
meint, das Drehbuch für einen Fantasy-Film zu lesen, wenn Drachen und
andere Fabelwesen sich aus dem Innersten der Erde erheben, um Verderben und Tod
zu bringen.

Eingeleitet wird diese den ganzen Kosmos erschütternde
Umwälzung mit einer Reihe von Briefen, die an sieben christliche Gemeinden
in Kleinasien adressiert sind. Fast wie in einem Zeugnis werden die Gemeinden
beurteilt, es gibt Lob für treues Festhalten am Auftrag Jesu und Tadel
für träges, laues Christentum.

Die Gemeinde in Laodicea erwischt es am schlimmsten. „Ich
werde dich ausspeien aus meinem Mund“, spricht eine Gestalt, die niemand
anders ist als der auferstandene Christus selbst. Ich werde dich ausspeien aus
meinem Mund – mit anderen Worten: mir wird übel von dir.

Was war los in Laodicea? Was haben die Leute in der Gemeinde dort
angestellt, dass ein so hartes Urteil über sie ergeht?

Laodicea war eine bedeutende Handelsstadt, an einem
Verkehrsknotenpunkt günstig gelegen. Industrie – vor allem Kleidung und
Mode – und das Bankwesen blühten. Aus eigener finanzieller Kraft hatten
die Bürger nach einem schrecklichen Erdbeben im Jahr 60/61 nach Christus
die Stadt wieder aufgebaut. Berühmt war Laodicea auch für die
medizinische Akademie und ihre Pharmaprodukte – an erster Stelle Augensalbe.

Auf all diese Kennzeichen der Stadt spielt der Text des Briefes
deutlich an. In solcher reichen, satten Umwelt befand sich die
Christengemeinde, zur Zeit des Paulus gegründet und inzwischen in der
zweiten Generation. Auch die Christen werden an dem allgemeinen Wohlstand
Anteil gehabt haben, wenn es heißt: „Du sprichst: Ich bin reich und
satt und brauche nichts“.

Aber das ist es eben. Es macht einen Unterschied, ob eine
politische Gemeinde sich auf ihre gut funktionierende Marktwirtschaft und ihre
Kultur beruft oder ob eine Gemeinde von Christen von sich selbst behauptet: Ich
bin reich und satt und brauche nichts! Da geht es um mehr als Grundbesitz und
gut gefüllte Bankkonten, nämlich um das, was das Leben einer Gemeinde
ausmacht.

Offenbar hat der in Laodicea vorhandene Reichtum die Gemeinde satt
und träge gemacht. Es läuft alles perfekt und glatt, durchorganisiert
bis ins Detail. Gott ist in das System integriert und beunruhigt die
Gemüter nicht weiter.

Und das ist der Vorwurf, der die Gemeinde trifft. Ihr seid reich,
spendet großzügig in harter Währung – aber wisst ihr noch,
warum ihr spendet? Ihr tragt die neueste Mode – und beruhigt damit euer
Nervenkostüm. Ihr seid stolz auf die Augenheilkunde – und seid dabei auf
einem Auge blind geworden.

Ich kenne eine Geschichte aus unseren Tagen, in der es
ähnlich zugeht wie seinerzeit in Laodicea.

An einer gefährlichen Küste, die schon vielen Schiffen
zum Verhängnis geworden war, befand sich vor Zeiten eine kleine, armselige
Rettungsstation. Das Gebäude war nicht mehr als eine Hütte, und dazu
gehörte nur ein einziges Boot; aber die Handvoll Freiwilliger versah
unentwegt ihren Wachtdienst und wagte sich tags wie nachts unermüdlich und
ohne Rücksicht auf ihr eigenes Leben hinaus, um Schiffbrüchige zu
bergen. Dank diesem bewundernswerten kleinen Stützpunkt wurden so viele
Menschen gerettet, dass er bald überall bekannt wurde. Viele der
Erretteten und andere Leute aus der Umgebung waren nun auch gern bereit, Zeit,
Geld und Energie zu opfern, um die Station zu unterstützen. Man kaufte
neue Boote und schulte neue Mannschaften. Die kleine Station wuchs und gedieh.

Vielen Gönnern dieser Rettungsstation gefiel das
ärmliche und schlecht ausgerüstete Gebäude nicht mehr. Die
Geretteten benötigten doch einen etwas komfortableren Ort als erste
Zuflucht. Deshalb wurden die provisorischen Lagerstätten durch richtige
Betten ersetzt und das erweiterte Gebäude mit besserem Mobiliar
ausgestattet. Doch damit erfreute sich die Seerettungsstation bei den
Männern zunehmender Beliebtheit als Aufenthaltsort; sie richteten sie sich
noch gemütlicher ein, da sie ihnen als eine Art Clubhaus diente. Immer
weniger Freiwillige waren bereit, mit auf Bergungsfahrt zu gehen. Also heuerte
man für die Rettungsboote eine eigene Besatzung an. Immerhin
schmückte das Wappen des Seenotdienstes noch überall die Räume,
und von der Decke des Zimmers, in dem gewöhnlich der Einstand eines neuen
Clubmitglieds gefeiert wurde, hing das Modell eines großen
Rettungsbootes.

Etwa zu dieser Zeit scheiterte vor der Küste ein großes
Schiff, und die angeheuerten Seeleute kehrten mit ganzen Bootsladungen
frierender, durchnässter und halbertrunkener Menschen zurück. Unter
den schmutzigen und erschöpften Schiffbrüchigen befanden sich
Schwarze und Orientalen. In dem schönen Clubhaus herrschte das Chaos. Das
Verwaltungskomitee ließ deshalb gleich danach Duschkabinen im Freien
errichten, damit man die Schiffbrüchigen vor Betreten des Clubhauses
gründlich säubern könne.

Bei der nächsten Versammlung gab es eine Auseinandersetzung
unter den Mitgliedern. Die meisten wollten den Rettungsdienst einstellen, da er
unangenehm und dem normalen Clubbetrieb hinderlich sei. Einige jedoch vertraten
den Standpunkt, dass Lebensrettung die vorrangige Aufgabe sei und dass man sich
ja schließlich auch noch als „Lebensrettungsstation“
bezeichnete. Sie wurden schnell überstimmt. Man ließ sie wissen,
dass sie, wenn ihnen das Leben all dieser angetriebenen schiffbrüchigen
Typen so wichtig sei, ja woanders ihre eigene Rettungsstation aufmachen
könnten. Das taten sie dann auch.

Die Jahre gingen dahin, und die neue Station wandelte sich genauso
wie die erste. Sie wurde zu einem Clubhaus, und so kam es zur Gründung gar
einer dritten Rettungsstation. Doch auch hier wiederholte sich die alte
Geschichte. Wenn man heute diese Küste besucht, findet man längs der
Uferstraße eine beträchtliche Reihe exklusiver Clubs. Immer noch
wird sie vielen Schiffen zum Verhängnis; nur – die meisten der
Schiffbrüchigen ertrinken.

[Theodore O. Wedel, Das Gleichnis von der
unnütz gewordenen Rettungsstation, aus: Howard J. Clinebell, Modelle
beratender Seelsorge, Chr. Kaiser Verlag München / Matthias Grünewald
Verlag Mainz 1977³, 9 f]

Aus Nachfolgern Christi werden Nachlassverwalter. Das ist es, was
der Brief aus der Offenbarung so hart kritisiert. Was der Gemeinde vorgeworfen
wird, ist das Weder-Noch: weder kalt noch warm, weder richtig Ja noch richtig
Nein, ob gegenüber Gott oder gegenüber der Welt. So entzieht man sich
elegant der misslichen Aufgabe, Farbe zu bekennen. Deswegen die drastischen
Worte: „Weil du lau bist, will ich dich ausspeien aus meinem Mund“.

Ist es auch das letzte Wort? Nein. Denn eines fällt auf: der
hier redet, spricht nicht als gewalttätiger Tyrann, auch nicht als
unbarmherziger Richter – er kommt mir viel eher vor wie ein verschmähter
Liebhaber, der seiner Enttäuschung Luft macht, weil seine Liebe nicht
angenommen wird.

Wie reagiere ich, wenn ich einem Menschen meine Liebe schenken
will, und zur Antwort bekomme: „Ich bin reich und satt und brauche
nichts“? – Ich bin gekränkt, verletzt, enttäuscht. Du kannst mir
gestohlen bleiben, denke ich im stillen. Oder sage es auch laut.

Christus sagt es laut: „Ausspeien“ wird er die, die ihm
in lauer Halbherzigkeit kommen. Aber es ist nicht sein letztes Wort. Er zeigt
seine Enttäuschung, doch er wendet sich noch nicht ab. Noch bleibt er vor
der Tür und klopft an. „Wenn einer meine Stimme hört und die
Tür öffnet, zu dem werde ich hineingehen“.

Wenn ich der Meinung bin: Ich genüge mir selbst. Ich brauche
Gott im Grunde nicht. Ich habe alle Hände voll zu tun – dann komme ich gar
nicht dazu, Gott meine leeren Hände hinzuhalten, damit er sie füllt.
Und so gehe ich an dem entscheidenden Grund, der entscheidenden Aufgabe des
Christseins vorbei.

Heute ist Buß- und Bettag. Buße ist ein aus der Mode
gekommenes Wort und hat heute durch Begriffe wie „Bußgeld“ auch
den Beigeschmack von „Strafe“ bekommen. Dabei meint Buße
eigentlich Einkehr und Umkehr. Einkehr und Rückbesinnung auf das, was mir
wirklich wichtig ist und nicht nur äußerer Schein. Und
Möglichkeit zur Umkehr, zur Veränderung. Zur Entscheidung. –
Heiß oder Kalt.

Noch steht dieser mir zugewandte, menschensuchende Gott vor der
Tür und klopft an. Noch kann ich richtig Ja zu ihm sagen, statt des
häufigen Ja und Nein, das eigentlich ein Nein ist. Keine andere der sieben
Gemeinden wird im Text der Offenbarung so scharf getadelt wie Laodicea. Aber
keine empfängt auch ein so freundliches Angebot der Zuwendung. Christus
klopft an, als liebender Freund, nicht als Richter Gnadenlos. Die er anredet,
können ihn aufnehmen oder ablehnen. Heute ist eine Gelegenheit,
darüber nachzudenken. – Heiß oder kalt. Ja oder Nein.

Amen.

Peter Kusenberg Pastor und freier Journalist
e-mail: peter.kusenberg@kirche-erbsen.de


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