Pfingstpredigt

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Pfingstpredigt

Von einem schwedischen Gutsbesitzer wird erzählt, daß er
in den Besitz eines Gemäldes kam, das ihn stark beeindruckte. Es
war besonders die Lichtkraft, die aus dem Bilde strahlte, die ihn nicht
losließ.

Das Motiv war ein Sonnenaufgang. Hinter einer Bergkette mit schönen
und feinen Formen stieg die Morgensonne wie eine leuchtende Feuerkugel
in das Blau des Himmels. Sie vergoldete die schneebedeckten Gipfel, während
die grünen Abhänge der Berge lange Schatten in dunkelblauen
und violetten Farben geworfen hatten. Auch das Dorf unten im Tal lag
in einem Schatten. Ganz im Vordergrund des Bildes stand eine Frau mit
zwei Kindern an der Hand. Sie waren dem Sonnenaufgang zugewandt, so daß ihre
Gestalten in einem hellen Gegenlicht erschienen. Alles in dem Bild schien
in einem strahlenden Lichtmeer, und die tiefen Schatten unterstrichen
nur die Kraft des Lichtes.

Aber eines Tages mußte der Gutsherr auf eine Auslandsreise, und
es stach ihm ins Herz, daß er den Anblick des geliebten Bildes
so lange entbehren sollte. Er erwog, es mitzunehmen, aber dazu war das
Bild zu groß und zu schwer. Plötzlich hatte er eine Idee.
Er nahm ein scharfes Messer und schnitt die runde Sonne aus der Leinwand.
Es war ja gerade diese runde Sonne, die er so sehr liebte, und dann konnte
man auf den Rest des Bildes verzichten. Aber zu seiner großen Enttäuschung
entdeckte der Gutsherr schnell, daß die güldne Sonne, aus
ihrem Zusammenhang gerissen, zu einer toten gelben Fläche wurde.
Sie strahlte nicht mehr, sie gab kein Leben mehr von sich ohne die Welt,
auf die sie ihre Strahlen geworfen hatte.

Mit dem Heiligen Geist ist es so wie mit dieser Sonne. Es ist genauso
unmöglich, den Geist zu isolieren und zu erklären, wie es unmöglich
ist, die Sonne aus ihrem Zusammenhang zu nehmen. Das bedeutet: Man kann
selbstverständlich über den Heiligen Geist an sich reden, und
das haben sicher auch viele gelehrte Leute versucht, aber das, was in
der Regel daraus geworden ist, sind tote und abstrakte Begriffe, die
gar nicht das einfangen, was der heilige Geist ist.

Was Geist ist, das verstehen wir erst in dem Zusammenhang, in dem der
Geist wirkt. So wie wir erst verstehen, was die Sonne für uns bedeutet,
wenn wir über die Landschaft sehen, sehen, wie alles vor uns steht
– so wie nun im hellen und milden Licht der Pfingstsonne. Man kann nicht
sagen, daß die Sonne etwas Neues hervorbringt. Aber sie öffnet
und offenbart all die Herrlichkeit, die um uns ist, so daß es das
Herz erfreut. Sie macht, daß wir die Natur sehen in ihren Farben
und Nuancen, in einem Spiel zwischen Licht und Dunkel.

Man kann durch einen Wald am Morgen gehen, wie es vielleicht einige
heute vor dem Gottesdienst getan haben, und man kann sehen, wie das Sonnenlicht
im neuentsprungenen Laub glitzert. Das fängt den Blick, das weckt
uns. Man kann dann denselben Weg wieder am Abend gehen, und dann sind
es andere Blätter und andere Aussichten, die unseren Blick fangen,
weil die Strahlen der Sonne aus einem anderen Winkel fangen. Es ist dieselbe
Natur, es sind dieselben Bäume, aber in dem wechselnden Licht erscheinen
sie ganz verschieden, und wie sehen immer wieder Nuancen, die wir vorher
nicht bemerkt hatten.

Und wieder: So ist es auch mit dem Heiligen Geist. Der Heilige Geist
verändert nicht die Wirklichkeit um uns. Aber er zeigt sie uns in
einem neuen Winkel. Er bewegt uns, so daß wir neu empfangen. Er
schenkt Einsicht in die Tiefen und Nuancen, die wir vorher nicht wahrgenommen
haben.

Das kann ein Mensch sein, den wir jahrelang gekannt haben, wir meinen
nur allzu gut zu wissen, wie dieser Mensch ist. Und dann eines Tages
zerbricht das feste Bild, das wir von diesem Menschen hatten, dennoch.
Wir sehen etwas, was wir vorher nicht gesehen hatten. Wir empfinden eine
Tiefe, die wir zuvor nicht gesehen haben, und es kann dann sein, als
trete dieser Mensch sozusagen aus diesem Rahmen und werde lebendig für
uns, ohne daß es zu erklären wäre mit einem veränderten
Verhalten oder einem bestimmten Ereignis. Dieselbe Person, und dennoch
etwas Neues.

Oder es können einige Worte sein, die wir gehört oder gesungen
haben, vielleicht hunderte Male. Wir haben sie verstanden, meinen wir.
Wir haben vielleicht auch oft über sie hinweggesungen. Wir wußten
ja, was sie bedeuteten. Und dann hören wir sie plötzlich eines
Tages aus einem anderen Winkel, und sie öffnen für eine Bedeutung,
an die wir vorher nicht gedacht hatten. Sie formulieren vielleicht etwas,
um das es in unserem Leben geht. Sie gehen uns an, setzen sich in uns,
Leben in uns, wie sie es vorher nicht getan hatten.

So ist es mit dem Geist Gottes. Er nimmt uns sozusagen an die Hand
und führt uns herum, so daß die Wirklichkeit weiter für
uns öffnet, und wir bleiben nicht in dem hängen, was wir einmal
gehört oder gesehen haben. Der Geist macht, daß wir nicht
mit einander und mit den Tagen, zu denen wir aufstehen, fertig werden.

Und wenn wir uns tief in der Hängematte der Mutlosigkeit und uns
nicht frei machen können, dann ist es der Geist Gottes, der unbewußt
wie wir selbst mit uns insistiert, seufzt, uns festhält, bis sich
eine Öffnung zeigt und der Aufstieg beginnen kann, so daß wir
wieder uns wundern können und neue Dinge sehen.

Ja, ohne den Heiligen geist Gottes würden wir an derselben Stelle
bleiben, wir würden festwachsen, wir würden die Welt immer
nur in einem Bilde sehen, und jeden Tag würde uns das Dasein mehr
vorhersehbar und banal erscheinen. Und wenn wir uns nicht mit einer allgemeinen
und zufriedenen Gleichgültigkeit zufrieden geben würden, würden
wir schließlich nicht meinen, daß es sich überhaupt
noch lohnt.

Von dem Unterschied, den der Geist macht, erzählt Kierkegaard
an einer Stelle sehr schön: Stell dir zwei Portraitmaler vor. Der
eine sagt: Ich bin viel gereist, habe mich in der Welt umgesehen, aber
ich habe keinen einzigen Menschen gefunden, der es wert war gemalt zu
werden – in allen Gesichtern, denen ich begegnet bin, habe ich Fehler
gefunden – deshalb bin ich vergeblich gereist. Und der andere Portraitmaler
antwortete: Ich bin nirgendwo hingereist, aber ich habe nie ein Gesicht
gesehen, das nicht etwas hatte, was mich ansprach. Egal, wen ich gesehen
habe, ich fand etwas in den Gesichtszügen, das mir das Malen zur
Freude machte. – Was ist der Unterschied zwischen diesen beiden? Søren
Kierkegaard antwortet: Der Unterschied ist die Liebe, oder der Unterschied
zwischen ihnen ist der Geist.

Und das Beispiel zeigt ja, wie wir durch das Leben wandern können,
ohne bewegt zu werden, ohne wirklich zu sehen. Wir meinen, wir sähen
nur Banales, nichts ist es in Wirklichkeit wert, daß man sich dafür
interessiert. Ein Leben ohne Geist. Aber umgekehrt: Wo der Geist in uns
wirkt, der Geist der Liebe und der Wahrheit, dort verharren wir nicht
in der Oberfläche der Selbstverständlichkeiten und der Banalitäten,
sondern kommen dazu, in einander die Tiefe zu sehen. Wir spüren
die Tiefe in unseren Worten. Wir leben in einer Welt, die uns berührt,
die Bedeutung hat und Wert.

Noch einmal: Die Welt ist dieselbe, der Heilige Geist fügt nichts
hinzu und nimmt nichts weg. Dennoch macht es einen großen Unterschied,
ob der Geist uns bewegt oder nicht.

Uns so ist es auch mit dem Wort des Evangeliums. Wenn Jesus in dem
Anschnitt aus dem Johannesevangelium, den wir heute gelesen haben, sagt,
daß der Tröster, der Heilige Geist, euch alles lehren wird
und euch an alles erinnern wird, was ich euch gesagt habe, dann geht
es ja nicht darum, daß der Geist uns nur auf die Worte Jesu aufmerksam
machen soll, damit wir wissen, was er gesagt hat. Der Tröster soll
sie uns vergegenwärtigen, so daß wir die Wahrheit und die
Liebe durch sie spüren. Ja, der Heilige Geist soll uns zeigen, daß das,
wovon das Evangelium spricht, mit uns zu tun hat. Gott will uns etwas
und wirkt in uns, ganz gleich wo wir sind.

Und das geschah in einem großen Augenblick auch den Jüngern
an dem Pfingstmorgen, von dem Lukas in der Apostelgeschichte erzählt.
Das wurde gegenwärtig wie nie zuvor. Es war für sie ja in einer
Weise Vergangenheit geworden. Jesus hatte sie mit in das Reich Gottes
genommen, aber jetzt war er nicht mehr da, jetzt war es aus. Was sollten
sie jetzt eigentlich noch? Sie saßen da mit dem Gefühl der
Unwirklichkeit, Leere, und vielleicht mit einer unbestimmten Erwartung,
das etwas geschehen würde.

Es war früh am Morgen vor dem Gottesdienst im Tempel. Da geschah
es, gewaltig und plötzlich. Es war, wird erzählt, als wenn
ein gewaltiger Sturm vom Himmel das haus füllte, wo sie saßen,
und sie durchwehte, jeden einzelnen. So als ob der allmächtige Gott
nun seine Luft durch sie holte. Es war wie ein Brand, der vom einen zum,
anderen übersprang. All das, was sie zusammen mit Jesus gesehen
und gehört hatten, brannte nun in ihnen. Das war ein Geschehen so überraschend
und unglaublich, daß sie wohl nur annähernd Worte hatten,
es zu beschreiben.

Aber man muß auf eines achten – etwas, was bei einem so aufsehenerregendem
Ereignis eigentlich auffällt: Es ist nicht so, daß auf dieses
Ereignis an anderen Stellen, später, hingewiesen wird. Es ist nicht
so, daß es darum geht, solche Erlebnisse oder Auftritte zu inszenieren.
Das wäre an sich spannend. Die Gemeinde in Korinth hat es vielleicht
versucht, aber sie wird von Paulus gründlich zurechtgewiesen.

Warum? Weil wir uns nicht für den geist an sich interessieren
sollen. Nicht die besonderen geistigen Erlebnisse sind interessant. Sondern
nur das, was der Geist uns zeigt. Also wieder ganz wie das Beispiel mit
dem Bild des Gutsherren: Isoliert, in sich selbst ist die Sonne ein gelber
toter Klecks, aber die Bedeutung liegt in dem, was sie uns zeigt.

Und deshalb tritt Peter auch auf nach dem Pfingstwunder, nüchtern
und klar erzählt er dem Volk, was dies bedeutet. Sie sind nicht
betrunken, die Jünger, erklärt er, auch nicht im geistigen
Sinne. Es ist ja früh am Tage. Der Geist Gottes hat ihnen vielmehr
eine Klarsicht verliehen. Er erzählt dann erst über die alten
Prophetien, dann die ganze Geschichte von Jesus von Nazareth, den Gottes
gesandt und zum Herren über alle gemacht hat, und er erzählt
von der Taufe und dem neuen Leben, das den erwartet, der sich bekehrt.
Er verweist auf das, was Bedeutung erhalten hat, auf den Sinn, die Aufgabe,
die uns in unserem Leben erwartet.

Das ist das Werk des Heiligen Geistes, nicht die besonderen, hinreißenden
oder berauschenden Erlebnisse, sondern daß wir erneut den Sinn
dessen verstehen, das wir leben. Ja der Heilige Geist stellt uns eine
Aufgabe, verweist uns auf einander, auf die Wirklichkeit, die sich aufdrängt.

Der Heilige Geist wirkt also in dieser sinnlichen, konkreten Welt,
in der wir mit einander zu tun haben. Und so entscheidend wie der Geist
für uns ist, so unmöglich ist es, ihn zu isolieren und in sich
selbst zu greifen. Ja, das führte schließlich zu einer Pervertierung
des Lebens, wenn wir das versuchen würden.

Und ich kann nichts anderes sehen, als daß eben dies geschieht
in manchen geistigen religiösen Suchen, an dem unsere Zeit so reich
ist. Ich habe einmal einige religiös gesonnen, von „New Age“ angeregte
leute davon sprechen hören, wie viel wichtiger es sei, sich hinzusetzen
und gute Gedanken zu denken, als den Nachbarn zu besuchen, der an seiner
Einsamkeit leidet. Es geht darum hieß es, eins zu werden mit einem
allumfassenden liebenden Bewußtsein, aber also auf Kosten des konkreten
Menschen, mit dem wir es sonst eigentlich zu tun haben.

Das ist eine ganz andere Form von Geistigkeit als die, mit der wir
es in der Bibel zu tun haben, wenn dort von Geist die Rede ist. Der Geist
ist gerade nicht etwas in dem wir schwelgen sollen und das wir an sich
pflegen sollen. Das wird zu Selbstgefälligkeit. Das führt uns
in einen Raum, in dem wir schließlich nichts anderes hören
als ein Echo von uns selbst. Und der Geist – der ist natürlich gar
nicht mein Diener in einem Projekt, wo es darum geht, mir selbst gut
zu sein.

Ganz im Gegenteil: Der Geist Gottes bläst durch uns hindurch,
so daß sich die Türen öffnen zu der Wirklichkeit, die
außerhalb von uns ist. Der Geist zeigt uns eine Welt, herrlich,
tief, anspruchsvoll, nicht daß wir mit ihr fertig würden.
Eine Welt, in der es genug gibt, an dem man sich freuen kann und genug,
das man in Angriff nehmen kann. Eine Welt, wo in dem, was uns begegnet,
in dem, womit wir zu tun haben, genug Sinn ist, zu leben.

Und das spüren wir ja auch, wenn wir die herrlichen Pfingstlieder
singen, die besser als alles andere uns ein Gefühl dafür vermitteln,
was Pfingsten ist.

Es ist ja nicht so, daß wir, wenn wir das Lied „In vollem
Glanz nun strahlt die Sonne“ gesungen haben, denken: Nun müssen
wir endlich auch au den Geist denken, das ist auch wichtig. Sondern das
Lied, die Worte, die Töne zusammen. bewirken, daß wir uns
dieser Welt, die wir kennen, erneut ergeben. Sie ist himmlisch und Heimat
zugleich. Sie ist unsere Welt, so bekannt, wie der Bach, der zu unseren
Füßen läuft. Und sie ist zugleich auch Gottes Paradies,
das sich uns hier, wo wir sind, öffnet.

Es atmet himmlisch überm Staube,
es flüstert heimisch in dem
Laube,
es wehet lieblich hier uns an
vom Paradies, neu aufgetan,
und munter rinnt an unserm Fuß
ein Bächlein von des Lebens Fluß.

(Grundtvig, aus dem Pfingstlied „In vollem Glanz strahlt nun die
Sonne“, dän. Gesangbuch 247)

Das macht der Geist, daß wir das spüren und sehen.

Und es ist ja nur ein Glück, daß der Geist uns aus uns selbst
herausbläst, damit wir wieder bei einander ankommen, bei dieser
Wirklichkeit, der Herrlichkeit Gottes. Frohe Pfingsten! Amen

Pfarrer Erik Høegh-Andersen
Prins Valdemarsvej 40
DK-2820 Gentofte
Tel. ++ 45 – 39 65 43 87
e.mail: erha@km.dk

 

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