Philipper 2, 5-11

Philipper 2, 5-11

 

Christus, Gottes eingeborener Sohn, der
Herr

Martin Luther, WA 30 I, 90,16: „Herr sey hie so viel als erlöser etc.“

Reflexion zu Martin Luthers Predigt von 1528 über den 2. Artikel
des CREDO und zu einer Passionspredigt heute über Phil 2, 5-11
Hans Theodor Goebel

 

1.(Elementarisierung)

Luther elementarisiert. Indem er am 10. Dezember
1528 „den Glauben“ predigt

[1]

. Dazu konzentriert er die Fülle der einzelnen Bekenntnisaussagen
oder Artikel auf die uns geläufigen drei (einstmals
zwölf
), sc. den Glauben an den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist.
Er legt das CREDO aus in jeweils kurzer Beantwortung der drei Fragen, „inwiefern“ (quomodo)

[2]

wir geschaffen sind, erlöst sind, geheiligt sind und werden.
So sollen es die Kinder und Unkundigen „auffs aller einfeltigst lernen“.
Und verstehen, was sie sagen – wenn sie den Glauben aufzählen.

 

Das ist ein didaktisches Konzept. Lernen – verstehen – Auskunft
geben können über den Glauben, wenn du gefragt wirst. Herunter gebrochen
die Glaubensaussagen aufs Allerelementarste. Lernen sollen nicht
nur die Ungelehrten und Kinder. Sondern lernen auch die Lehrer – wie
Luther überzeugt ist – fürs Lehren und durchs Lehren.

 

Das Anliegen hat Aktualität in säkularer oder
postsäkularer Gesellschaft. Lernen, um was es elementar geht im christlichen
Glauben, es verstehen und Auskunft geben können. Im Diskurs nicht
nur zwischen Lehrern und Kindern, sondern auch zwischen erwachsenen
Christen, Glaubenden aus anderen Religionen und „religiös Unmusikalischen“ (Jürgen
Habermas) in der Gesellschaft. Das Genus ‚Elementare Lehrpredigt
für Unkundige’ könnte sich noch andere Orte und Zeiten suchen als
die christlichen Ortskirchen am Sonntagmorgen um

 

10 Uhr. Weltliche Plätze, Hallen am Kirchentag,
Stadtpredigt am Sonntagabend, Seminare…

 

Zielgruppe sind heute gerade auch junge Menschen.
Die im Gespräch mit sich selbst und ihresgleichen kundig sein müssen über
den „christlichen Glauben“.

 

 

2. (regimen
change)

 

 

 

Wie Luther den ersten Glaubensartikel konzentriert
auf die Schöpfung, so den zweiten auf die Erlösung. Er fokussiert
den Glauben an Jesus Christus darauf, dass er „unser Herr“ (dominus noster) sei. Und legt dies aus
durch den Gedanken: Er hat mich befreit. Eben darin soll begriffen sein und verstanden werden, dass Jesus Christus
sei mein Herr. Sein Herr sein als Befreiung für mich. Wenn du gefragt werden wirst: was meinstu
damit, dass du sagst: Ich glaube an Jesus Christus ect? antworte:
das meine ich damit, dass Jesus Christus, der wahre Sohn Gottes,
sei mein Herr geworden. Inwiefern? Darin, dass er mich befreit hat
vom Tod, den Sünden, den höllischen Mächten und allem Übel ect“ 

 

Jesus Christus ist mein Herr „geworden“. Zu
meinem Herrn gemacht worden (sit
meus dominus factus
). Ein Geschehen ist
hier in den Blick genommen. Dynamik, nicht Statik. Ein Geschehen
mit bestimmtem Ausgang. Nämlich der Herrschaft Jesu Christi, die
für mich Befreiung ist.

 

Regime
change:
Ein tyrannischer, Menschen verachtender und
Leben zerstörender Herrscher, der vorher (antea) über
mich Macht hatte: diabolus
erat noster dominus
, wird vertrieben und seiner Herrschaft
entsetzt. Und die vorher ihm und seinem Todessystem dienen mussten,
sind nun befreit.

 

Was sich in diesen Tagen liest wie eine wörtliche
Selbstdarstellung der geplanten US-Aktion gegen Saddam Hussein, ist
hier Luthers Zusammenfassung des Glaubens an Jesus Christus. Wie
nahe liegt die elementar fokussierte Sprache der Evangeliumsverkündigung
bei der Sprache dieser Kriegspropaganda. Da gilt es auf das je Besondere
zu achten.

 

Was von Jesus Christus zu glauben und zu bekennen
ist, legt Luther hier ganz in das Tun Jesu Christi. Und dieses Tun
beendet einen alten Zustand von Herrschaft und begründet einen neuen.
Befreiung ist Überführung aus dem Dienst Satans in den Dienst des
Herrn Jesus Christus. Befreiung zu seinem Dienst. Freiheit ist Freiheit
im Dienst Jesu Christi. Keine Freiheit gibt es für Luther zwischen Herrschaft
Satans und Herrschaft Jesu Christi, zwischen dem Dienst des Todes
und dem Dienst des Lebens.

 

Alles andere im 2. Artikel des CREDO wie Jungfrauengeburt,
Passion, Auferstehung Jesu Christi usw expliziert für Luther nur
den notwendigen Vollzugsmodus und die Kosten: Jesu Christi Leib und
Leben (suo proprio corpore et sanguine) dieses
regime change für mich. Ist nicht Gegenstand eigener Reflexion in
dieser Predigt. Die wahre Gottessohnschaft gehört
hingegen ins Subjekt

[3]

: Ich glaube,
dass Jesus Christus der wahre Sohn Gottes (verus dei filius) sei mein Herr
geworden
. Dieser Jesus Christus, der der wahre Sohn Gottes ist, – so kann ich jetzt genauer formulieren – legt
sein ganzes Sein in das Tun, mich zu befreien. Von seinem Tun spricht Luther
in der Zeitform des Perfekts: Er hat mich befreit. Wie von der Schöpfung (des Vaters) so kann Luther
auch von der Erlösung (des Sohnes) sagen, sie sei ausgeführt und vollendet: Christus
suum officium implevit.
Im Unterschied zu dem noch andauernden und allererst
am Tag der Totenauferweckung und im ewigen Leben vollendeten Werk des Heiligen
Geistes. Jedoch ragt das an sich selbst vollendete Werk der Erlösung Jesu
Christi in die Gegenwart hinein. Entfaltet hier – an uns – seine dynamische
Aktivität: Jesus Christus befreit uns
(liberat nos)
und gibt (dat) Gerechtigkeit,
Leben, Glauben, Macht, Heil, Weisheit usw.
Ich halte dieses Praesens
nicht nur für ein rhetorisches also für eine Form lebendigen Erzählens von
der Geschichte Jesu Christi, sondern für sachlich begründet: In unserer Gegenwart
verzahnt sich das vollendete Werk der Erlösung Jesu Christi mit unserer,
mit meiner Lebensgeschichte. Im Werk unserer Heiligung durch den Heiligen
Geist.

 

Mit dieser Zeitbestimmung
der Dynamik des Heilswerkes Jesu Christi in der Gegenwart ist für
mich und dich ein Ortswechsel
verbunden: Er hat mich in seine Herrschaft gebracht. Er habe
dich ynn seine schos genommen –
sagt Luther. Und schlägt damit
homiletisch seelsorgerlich den Ton der Verheißung an. Tröstliche
Gewissheit spricht sich aus. Da wird Geborgenheit zu-gesagt und Vertrauen
pro-voziert.

 

 

3. (Christushymnus)

 

 

 

Lese ich diese CREDO-Predigt Luthers über den
2. Artikel neben dem Christushymnus aus Philipper 2, habe ich im
Sinn zu halten, dass Luther hier nicht diesen Bibeltext auslegt und
predigt (wie er das an anderer Stelle getan hat

[4]

). Dessen bewusst stelle ich fest, dass die beiden verschiedenen
Texte – der Christushymnus und die Katechismuspredigt – zentral den Gedanken
des regime change traktieren. Beide meinen
damit das Heilsgeschehen in Jesus Christus.

[5]

 

Der Hymnus stellt in seiner ersten Strophe die
selbstbestimmte Erniedrigung dar: Der Gott gleich war erniedrigte
sich selbst(‘εαυτόν) in die menschliche
Knechtschaft, in den Tod am Kreuz. Das war die freie Tat seines Gehorsams.
Der Gehorsamstat des Gekreuzigten entspricht in der folgenden Strophe
seine Erhöhung durch Gott. Den, der gehorsam war bis zum Tod am Kreuz,
namentlich ihn hat Gott vor dem Kosmos proklamiert als Herrn des
Kosmos. Und hat damit kund gemacht, dass er ihm und keinem Anderen
seine eigene Weltherrschaft „übertragen“ hat. Indem die Mächte der
Welt diesem Herrn akklamieren, vollziehen sie gleichsam ihre eigene
Entmächtigung nach.

 

Die Welt wird damit erlöst von sich selbst.
Und der Mensch in der Welt, sofern er selbst Welt ist, von der Versklavung
unter sich selbst. Erlöst von der Macht, die ihn um seine Freiheit
bringt und so umbringt (vgl. Galater 4). Erlösung ist hier als „Herrschaftswechsel“ (Käsemann)
verstanden. Oder umgekehrt: Regime change als Befreiung. Befreiung
der Welt und des Menschen von ihrer eigenen Mächtigkeit und Machtversessenheit.
In diesem Sinn lässt sich auch Luthers Front gegen die religiöse
Selbstermächtigung des Menschen Gott gegenüber – die versuchte Selbstrechtfertigung
durch eigene Werke – verstehen (vgl. schon seine Auslegung des 1.
CREDO-Artikels).

 

 

Im Vergleich mit dem Christushymnus aus dem
Philipperbrief zeigt sich auch, dass Luthers elementarisierende Reduktion
und Konzentration des 2. CREDO-Artikels Engführungen oder Verkürzungen
mit sich bringt. Zwei fallen mir auf:

 

 

  1. Der Christushymnus im Philipperbrief betrachtet den Herrschaftswechsel
    durch Jesus Christus in seiner kosmischen Dimension. Die ist in Luthers Katechismuspredigt
    zwar angelegt, wenn er von Tod und Teufel und Gesetz als Leben
    bestimmenden Mächten spricht. Aber nicht ausgeführt. Weil Luther
    die Herrschaft Jesu Christi konzentriert auf meine persönliche Erlösung. Die seelsorgerliche Stärke dieser
    Zurückführung macht zugleich ihre Problematik aus: Das Eine, das
    Alles verändert, wird zu dem, was einzig mich angeht. Oder umgekehrt:
    Einzig, was mich angeht, wird zum Ein und Alles. Die  neutestamentliche Tradition hat mit Hilfe  des Mythos Sprache gefunden für die kosmische
    Weite der Erlösung (Käsemann). Antwort auf die Frage nach der Weltherrschaft
    heute und morgen. Das muss in Acht bleiben! Vielleicht müssen wir
    neu Sprache dafür finden
    [6]

     

    . 

     

  1. Den Christushymnus des Philipperbriefs kennzeichnet auch,
    dass er kritisch mit dem Mythos bricht, sofern der auf die Vergöttlichung
    des Menschen zielt. Der Christushymnus sieht es so gewendet, dass
    Gott gerade dem, der als Gott Mensch wurde, dem Gehorsamen, Erniedrigten,
    Gekreuzigten die Weltherrschaft zuerkannt hat (s. Käsemann). Wenn
    man so will, ist das die neue
    Weltordnung,
    die durch das, was in und an Jesus Christus geschah,
    von Gott de facto in Geltung und ins Recht gesetzt ist. Die Erlösung hat eine neue Weltordnung gesetzt – die, nach
    der sie sich selbst in Jesus Christus vollzogen hat. Das bedeutet:
    Die bisher geltende Weltordnung ist außer Kraft gesetzt und unter
    Kritik und Gericht Jesu Christi selber gestellt (s. Käsemann).
    Dementsprechend ermahnt Paulus die Christen in Philippi, mit ihrem
    Leben gestimmt und gesinnt zu sein auf das, was in
    Christus
    Geltung hat und Recht. In seiner Weltherrschaft. Die
    neue Weltordnung – das ist nicht die Selbstdurchsetzung als Durchsetzung
    der eigenen Macht, sondern Selbsthingabe, Entäußerung, Dienst an
    dem Anderen und für ihn. Mit dem Ziel der Befreiung des Anderen – aus
    der Unterdrückung zur selbständigen Kommunikation. Herrschaftswechsel
    besagt hier die positive Bestimmung der Freiheit, zu der uns Jesus
    Christus befreit hat. Freiheit zu, zur
    Wahrnehmung eigener Verantwortung, nicht nur Freiheit von (vgl. Käsemann). Luthers Katechismuspredigt berührt sich
    mit dem Christushymnus darin, dass er von der Befreiung zum Dienst
    unter der Herrschaft Jesu Christi spricht. Diese
    in Luthers Predigt formal bleibende Bestimmung füllt der Hymnus inhaltlich mit dem Verweis auf den
    eigenen Weg Jesu Christi in die Niedrigkeit und den Dienst, der
    zur neuen Weltordnung geworden ist. Luther deutet das gleichwohl
    an, indem er Jesu Christi Herr sein für mich auslegt als sein Befreien
    und Erlösen. Herr ist Jesus Christus jedoch eben und gerade als
    der geworden, der sich hingegeben hat. So besingt es der Hymnus.
    Zwischen der alten und der neuen Weltordnung gibt es kein Drittes – darin
    stimmt Luthers Predigt mit dem Hymnus überein.
     

     

4.(Synopse)

 

 

 

Kann die Passionspredigt gewinnen aus der Synopse
von Christushymnus im Philipperbrief und Luther-Predigt über den
zweiten Glaubensartikel?

 

 

1.     

Der
Predigt kann es gut bekommen, sich von Luther elementar konzentrieren
zu lassen. Auf die allerpersönlichste Zusage der Geschichte Jesu Christi:
Dein Herr ist er und ist es so, dass er dich erlöst hat, befreit von
allem, was Macht über dich hat, dich gefangen hält, dir Angst macht.
Befreit vom Tod und von der Macht des Bösen, die du selbst gegen dich
enfesselt hast. Die homiletische Zuspitzung ad personam wird durch
den Hymnus des Philipperbriefs eingebettet in die kosmische Weite des
regimen change Jesu Christi. Und gibt ihm so exklusive Gewissheit.
Zwischen deinen Erlöser und dich passt nichts, das Macht haben will über dich – auch
nicht die Macht der Sünde, die Macht deiner belastenden Vergangenheit
und die der dich bedrohenden Zukunft (vgl. Römer 8, 38f). Es ist aber,
was in Jesus Christus geschehen ist, kein Geschehen zwischen deinem
Erlöser und dir allein für sich genommen. Es ist Geschehen, das die
Welt inkludiert und verändert hat. Eben so tröste es dich! Und mache
dir Mut, über dich selbst hinaus zu denken.

 

2.     

Gott
hat den, der sich selbst erniedrigt hat bis zum Tod am Kreuz – gerade
darin und als solchen – zum Herrn der Welt erhöht und proklamiert.
Von diesem Ziel her gesehen ist Jesu Christi Weg in die Tiefe seines
Todes sein Weg zur Weltherrschaft geworden. Und die neue Weltordnung for
ever. So ist seine Herrschaft unsre Befreiung geworden. Die Befreiung
der Welt von der Macht über sich selbst und von der Versessenheit der
Macht auf die Macht. Die Befreiung von der Allmachtsfantasie versuchter
Selbsterlösung oder Selbstgenügsamkeit. Jesu Christi damit errichtete
neue Weltordnung ist zugleich unsere Befreiung von dem Weltschema der
eigenen Machtdurchsetzung auf Kosten der Anderen. Er hat auf die Durchsetzung
seiner göttlichen Macht verzichtet. Gerade darin ist er aber über die
alten Mächte aber auch mächtig – gemacht – geworden. Ihr Christen,
seid bedacht auf das, was im Bereich des Christus gilt, lebt also nach
seiner neuen Weltordnung – das kann heißen: Verzichtet darauf, (fremde)
Gewalt durch (eigene) Gewalt abschaffen und so (eigene) Macht durchsetzen
zu wollen. Das wäre noch immer das alte Weltschema. Vielleicht erfahrt
ihr dann „in der noch nicht erlösten Welt“ vorläufig nur die eigene
Ohnmacht. Aber die ist schon das Angeld eurer Befreiung vom alten Schema
eigener Machtdurchsetzung. Eure Befreiung zu einem anderen Umgang mit
Macht.
Die dritte Versuchung Jesu Christi durch den Satan (Matthäus 4,8ff) ist die
der Macht über die Reiche der Welt. Vom Satan verliehen. Sie kann abgründiger
sein als die Erfüllung des Machtverlangens um seiner selbst willen. Fjodor
M. Dostojewski zeigt im Großinquisitor die
Versuchung der Macht, deren Zweck
ist, die Masse der selbst schwachen Menschen glücklich zu machen, ihnen die
Freiheit, die sie überfordert, abzunehmen und die Freiheit für diese Leidenden
zu verwalten, sie vor sich selbst zu retten. Im Namen Gottes. Im Sinne dessen,
was Jesus selbst gewollt habe. In der biblischen Geschichte entsagt Jesus
dieser Macht. Im Sinne der Kirche des Großinquisitors wird
damit er selbst zum größten Ketzer und muss auf den Scheiterhaufen. Jesus
habe kein Recht noch einmal zu
kommen und diese Kirche zu stören. Da
spiegelt Dostojewski die Kritik der selbstmächtigen Kirche und ihrer Menschheitsmission
durch den wiederkommenden Jesus Christus, den Richter. Der aber geht schweigend
auf den Großinquisitor zu – und küsst ihn still. „Das ist seine ganze Antwort“.
Die neue Weltordnung. Von ihr her müssen die Kirchen heute neu Kritik der
Machtpolitik – auch als Religionskritik lernen. Die Kritik hegemonialer Weltpolitik
und präventiver kriegerischer Machtdurchsetzung, die sich religiös zu legitimieren
suchen als Mission der Befreiung und Demokratisierung aller Völker, die in
der alten Weltordnung leiden unter Terror und Diktatur. Warum sollte diese
Mission nicht wohl gemeint sein können? Nur geht es nicht in jedem Fall und
gar nicht vorrangig darum, die subjektive Wahrhaftigkeit der Überzeugung
bei Ideologen und Akteuren solcher Politik in Zweifel zu ziehen. Vielmehr
geht es um das kritische Prüfen und Bedenken, wieweit in bestimmter historischer
Situation politische und militärische „Antworten“ auf Terror und Unterdrückung
noch selbst dem Schema der alten Weltordnung verhaftet sind und sie fortsetzen. Muss das so sein? Ist das nicht immer noch selbst verantwortete Knechtschaft
unter einem tötenden Gesetz? Sind nicht andere Wege geöffnet – und zu finden
– vor dem letzten der unvermeidlichen Gewalt? Darf dann das Handeln im alten
Schema sich selbst religiös legitimieren? Die christlichen Kirchen haben
mit Recht zu hinterfragen begonnen, ob derlei politische oder Zivilreligion
dem entspricht, was in Jesus Christus für die Welt ins Recht und zur Geltung
gekommen ist. Oder ob nicht vielmehr sein Name hierfür zu Unrecht in Anspruch
genommen wird. Die „untergründige Korrespondenz“ (J.Habermas) der religiösen
Motivation und Sprache in terroristischen Verbrechen wie im Krieg gegen den
Terrorismus und seine vermeintlichen Helfershelfer schärft das kritische
Bewusstsein. Dem Gekreuzigten gehört
die Welt. Nicht den Gewalttätern und sich selbst Durchsetzern. Gott hat den
regimen change vollzogen. Seid darauf bedacht und verhaltet euch so, wie
es der neuen Weltordnung in Jesus Christus entspricht, der Gottes Sohn war
und war es nicht anders als dass er sich selbst niedrig machte, Mensch wurde,
seine Freiheit lebte, indem er den Geknechteten zum Knecht wurde, gehorsam
bis zum Tod am Kreuz. Gerade so hat ihn Gott zum Herrn der Welt  ausgerufen! Herr sein – das ist hier neu vollzogen
und definiert.
Sein Herr sein sei hier soviel wie Befreiung.

Das ist eine Botschaft zum Glauben und zum Hoffen, wo nichts zu hoffen ist.

 

 

 

 

 


[1]

WA 30 I, 86-94.

[2]

Schon Anselm von Canterbury (1033/4-1109) hat
es für nötig erachtet, danach zu fragen, quomodo
sit, quod catholica ecclesia corde credit et ore confitetur
(zit.
bei Karl Barth, Fides quaerens intellectum. Anselms Beweis der Existenz
Gottes im Zusammenhang seines theologischen Programms (1931), Karl
Barth Gesamtausgabe, Zürich 1981,26). Anselm hat so den 2. Artikel
des CREDO zu verstehen (intelligere) und auszulegen sich bemüht im
Dialog mit seinem Ordensbruder Boso, der die Fragen der Glaubenden
und Nichtglaubenden, der Gebildeten und Ungebildeten vorbringt (Anselm
von Canterbury, CUR DEUS HOMO. WARUM GOTT MENSCH GEWORDEN (Lateinisch
u. Deutsch), besorgt u. übersetzt von Franciscus Salesius Schmitt
O.S.B., Darmstadt 31960, s. I. Buch. 1. Cap.).

[3]

Die Gottessohnschaft Jesu Christi ist also kein
hinzutretendes Prädikat.

[4]

WA Br.I 283ff (Nr. 126), zit. bei: Emanuel Hirsch,
Hilfsbuch zum Studium der Dogmatik, Leipzig und Berlin 1937, 28ff.

[5]

Vgl. zum Folgenden: Ernst Käsemann, Kritische
Analyse von Phil. 2,5-11 (1950), in: Ernst Käsemann, Exegetische
Versuche und Besinnungen I, Göttingen 1960, 51-95.

[6]

In seinen Überlegungen zu dem eschatologischen
Kampf des Reiches Jesu Christi mit dem Reich Satans um die Welt expliziert
Luther gerade die kosmische Dimension. – Siehe dazu: Hans-Georg Geyer,
Luthers Auslegung der Bergpredigt, in: „Wenn nicht jetzt, wann dann?“,
Aufsätze für Hans-Joachim kraus zum 65. Geburtstag, hg.v. Hans-Georg
Geyer u.a., Neukirchen-Vluyn 1983, 283-293. – Geyer: „Darauf hat
M.Luther  allerdings unverwandt
insistiert: Das Gottesreich der Wahrheit und des Lebens fängt in
dieser Welt beim Individuum an, konkret zu werden; andernfalls bleibt
es ein dürrer dogmatischer Satz, der de facto das Geschäft  des
Gegenteils betreibt. Aber es wäre in der Perspektive derselben Erkenntnis
M.Luthers ein grober Irrtum und eine schlimme Irrlehre zu meinen,
daß Gottes Reich beim Individuum stehen- und in seiner Innerlichkeit
steckenbliebe. Der Enge seines Anfangs in einem neuen Herzen entspricht
seine Vollendung in der Weite eines neuen Himmels und einer neuen
Erde.“ (aaO 293).

Prof. Dr. Hans Theodor Goebel
HTheo_Goebel@web.de

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