Predigt zu Genesis 4,1-16

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Predigt zu Genesis 4,1-16

„Es kommt doch an die Sonnen“ | 13. So. n. Trinitatis | 29. August 2021 | Predigt zu Genesis 4,1-16 | verfasst von Eberhard Busch | 

„Was hast du getan!!“ so ruft Gott aus in der Mitte dieser Geschichte. „Was – hast – du – getan!“ Der gellende Aufschrei Gottes – angesichts der soeben geschehenen Ermordung eines Menschen. „Was hast du getan!“ – Gott ist entsetzt. Gott ist erschüttert. Es schmerzt ihn zutiefst. Gott kann sich einfach nicht damit abfinden. Dergleichen ist nicht vorgesehen in seiner Schöpfung. Dieser Eingriff ist in ihr ein völliger Fremdkörper. Eben hieß es noch: „Und Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe es war sehr gut.“ (Gen 1,31) Nehmen wir es genau: „sehr gut“!, nicht auch nur teilweise mit dem Makel des Unvollkommenen ausgestattet. Und wohlgemerkt: „Gott hat uns dazu erschaffen, dass wir friedlich miteinander leben.“ (Calvin) Und jetzt dies: „Da erhob sich Kain gegen seinen Bruder und schlug ihn tot“ – raubt ihm das Leben, das wunderbar köstliche Geschenk seines einmaligen Lebens. Das Leben, das er gern noch ausgelebt hätte, das ist ihm gestohlen worden, abgebrochen, ausgelöscht. Zum ersten Mal ist das geschehen. Nicht zum letzten Mal. Das Töten ist wie eine Pandemie, die um den Erdball kreist und sucht, wen sie verschlinge, und wird nicht satt.

Gott hat dem Menschen das Leben verliehen mit einer edlen Auszeichnung: Er liebt ihn. Er will mit ihm leben. Es wäre der schiere Unfug, wenn sein Leben durch arglistige Bosheit verkürzt wird. „Einen Menschen zu töten, heißt, einen Menschen zu töten“, und geschehe dies um höherer Zwecke willen, hat der gelehrte Sebastian Castellio in der Reformationszeit ermahnt. Sicher, es gehört zur guten Schöpfung Gottes, dass alles irdische Leben begrenzt ist. Wie es eines Tages anfängt, so hört es eines Tages auf. Irdisches Leben hat seine Zeit, Lebens-Zeit. In diesen Grenzen ist es gut, wertvoll, unersetzlich. In unsrer Lebenszeit haben wir pfleglich miteinander umzugehen. Wir sind ja nicht allein auf der Welt. Ordentlicherweise darf es keineswegs so sein, dass Menschen Anderen das Leben mit Gewalt wegnehmen. Karl Barth hat gesagt: „Der Mensch, der nicht Mitmensch ist, ist Unmensch.“ Will er denn im Ernst Unmensch sein?

Der Andere ist doch dein Bruder, wie die Andere deine Schwester ist. Friede sei mit euch! Kain ist Landwirt und bearbeitet den Acker, Abel ist Schäfer und hütet eine Herde. Es gibt unter den Menschen Verschiedenheiten – unterschiedliche Begabungen, je eigene Aufgaben, Interessen, Prägungen, die nicht unter einen Hut zu bringen sind. Das ist noch lange kein Grund,  sie wegzuwünschen, sie auszuradieren. Diese verschiedenen Menschen sind dabei doch Verwandte, Gefährten, Geschwister.

Aber haben sie nicht verschiedene Religionen? Jedenfalls ehren sie Gott nicht auf dieselbe Weise. Der Eine verehrt ihn so, der Andere anders. Der eine opfert Gott von den Erträgen seines Ackerbaus. Der andere schlachtet dafür Tiere aus seiner Herde. Wie es aussieht, sind dabei nicht die gleichen Religionsansichten und frommen Gebräuche im Spiel. Ist das ein Anlass, einander abzuwürgen? Die Menschen könnten immerhin darüber, wie man heute sagt, einen Dialog veranstalten, könnten eine ruhige und, sei es, eine feurige Unterhaltung darüber führen. Etwa über die dornige Frage mit Gründen und Gegengründen, warum Gott anscheinend das blutige Opfer des Einen eher akzeptiert als die Hingabe des Anderen von Früchten. Die Frage mag dornig sein, ein Grund zum Hass ist dies offengestanden nicht. Die Beiden sind doch Brüder und bleiben Brüder, was sie auch unterscheiden mag.

Aber nun der göttliche Schrei des Entsetzens: „Was hast du getan“! Ausrufezeichen. Gott hat ihn eben noch gewarnt: „Wenn du recht handelst, so kannst du frei den Blick erheben. Bist du aber nicht recht, so lauert die Sünde vor der Tür, und nach dir hat sie Verlangen; du aber herrsche über sie.“ Wie ein mörderisches Untier steht sie angriffslustig vor deiner Tür. Um Gottes willen, lass die Türe zu! Sie darf offen stehen für Freunde und Fremde. Aber wenn die Sünde den kleinsten Finger von dir haben will, dann greift sie gleich nach der ganzen Hand. Dann ist es um dich geschehen. Dann bist du ihre sichere Beute. Bitte, lass die Türe zu! Schüttle die Versuchung ab, dich gegen deinen Nächsten zu erheben, statt Hand in Hand mit ihm zu leben. „Du sollst nicht töten.“ Sagen wir es mit einem heutigen Song: „Wirf die Waffe weg, wirf die Waffe weg.“

Aber nein! Was hast du getan! Der Mensch ist verantwortlich, für seine Taten und für seine Untaten. Gott zieht ihn zur Verantwortung. Gott sagt nicht: alle Menschen sind sündig. Diese Aussage hat noch niemanden um den Schlaf gebracht. Über diese Aussage kann man allerlei Sprüche klopfen und sie dann beiseite legen. Ende 1945 hat ein pfiffiger Theologe hierzulande eine allzu gern gelesene Schrift verfasst „Die Schuld der Anderen„, nicht die Schuld der Deutschen. Allerdings, was Andere alles verkehrt machen, das kann uns brennend interessieren. Manche Illustrierte füllt damit ihre Seiten. Das lenkt prima ab von dem, was ich verkehrt anstelle. Jedoch, Gott redet anders: „Was hast du getan“. Erst wenn sein Finger direkt auf mich zeigt, weiß ich richtig, was Übertretung der heiligen Gebote bedeutet. Da kann ich nicht mehr ausweichen. Da bin ich erwischt von der hochaktuellen Frage: „Wo ist dein Bruder Abel?“

Erwischt? – Fragezeichen. Der Mensch ist verantwortlich? – Fragezeichen. Ist es nicht typisch, wie sich der Kain jetzt aus der Affäre stiehlt?! Er weicht aus vor der Frage, die Gott an ihn richtet. Er entzieht sich seiner Verantwortung. Und tut es mit einem plumpen Witz. Ist Abel ein Hirte, der Schafe hütet, dann kann er wohl auch sich selbst hüten und muss nicht mich damit stören. Obwohl ich doch schuld bin an dessen Tod, verschanze ich mich hinter dem Vorwurf an seine Adresse: der soll halt besser auf sich aufpassen. Der ist selber schuld, wenn er sich in Gefahr begibt, worin er umkommt. So wie man sagen hört: Der Flüchtling, der im Mittelmeer ertrinkt, ist selber daran schuld – warum bleibt er nicht in Afrika, mag das Leben dort noch so unbequem sein. Was geht mich mein Nächster an! Der Kain wirft über seiner Untat eine Nebelkerze hoch, die sie unsichtbar machen soll.

Halt, was rede ich da! Als ob ich in meiner Verantwortlichkeit etwa nicht mitveranwortlich wäre für das Leben meines Mitmenschen! Der Brudermörder täuscht sich. „Es ist nichts so fein gesponnen, es kommt doch an die Sonnen.“ Gott kann er nichts vorgaukeln. Kain will Gott ausweichen, aber er kann nicht Gott ausweichen. Ist der von ihm beseitigte Bruder nun für immer aus dem Weg geräumt? O nein, keinesfalls. Er kann seine böse Tat nicht ungeschehen machen. Wie immer das zugehen mag, Gott erklärt in all seiner Weisheit: „Das Blut deines Bruders schreit zu mir von der Erde.“ Dieser Schrei ist nicht verstummt und darf nicht verstummen. Der Ermordete ist nicht beseitigt. Er redet noch, obgleich er gestorben ist. Vor Gott ist er gegenwärtig und unvergessen. Gott sei Dank!

Aber der Tote ist auch dem üblen Sünder namens Kain nicht aus dem Weg geräumt. Was wird jetzt aus ihm? Gott erklärt ihm unmissverstänlich: „unstet und flüchtig sollst du sein auf Erden“. Deine Untat verfolgt dich. Ihr kannst du nicht entrinnen, weil du dir selbst nicht entrinnen kannst. Unsere Taten gehören zu uns. Von Christian Morgenstern stammt der Satz: „Über den Wassern deiner Seele schwebt unaufhörlich ein dunkler Vogel: Unruhe.“ Ob Kain es merkt oder unterdrückt, es setzt ihm fortan die göttliche Frage zu: „Wo ist dein Bruder?“ Dein dir Nahestehender, der, der dir wie aus dem Gesicht geschnitten ist, wo ist er? Du bist mitverantwortlich für ihn. Übersehen ist von dir und doch unübersehbar die Gottesfrage nach deinem Nächsten. Ist dies nicht zutiefst die Ursache dafür, dass du so ruhelos, so unstet und flüchtig bist, von Termin zu Termin jagst? Immer schneller, immer unzufriedener! Jawohl, sie lässt dich nicht mehr los, wohin du auch rennst und hastest, und sei es nach Mallorca. Wo ist dein Mitmensch, der dir aus den Augen und aus dem Sinn gerückt ist? wo? Hat der Kain nicht eine Schleuse geöffnet, die sich nicht mehr schließen lässt?

Aber beachten wir: Wie Kain seinen Bruder nicht los wird, so lässt doch auch Gott ihn nicht los. Ihn so wenig wie seinen verdrängten Mitmenschen, den der Kainsmensch auf dem Gewissen hat. Sagt Gott zu dem Schuldigen: Nein, so sagt er trotzdem zu ihm Ja. Gott kann seine Übeltat von ihm entfernen. Er lässt ihn leben. Er sorgt dafür, dass er nicht unter die Räder kommt. Was der auch angestellt hat, „es kommt doch an die Sonnen“, nämlich jetzt an das Licht von Gottes hell leuchtender Barmherzigkeit. Er steht dafür ein, dass dem Sünder nicht dasselbe widerfährt, wessen er sich schuldig gemacht hat. Gott vergilt nicht Gleiches mit Gleichem. Er sichert ihm Lebensschutz zu, auch wenn der sich nun aus dem Staub macht. Gott gelobt ihm gleichwohl: Du sollst, du darfst, du wirst leben.

Keine Todesstrafe! Nicht weil mildernde Umstände für den Missetäter sprechen. Vielmehr wie es beim Propheten Ezechiel (33,11) steht: „Gott will den Tod des Sünders nicht, sondern dass er umkehre und lebe.“ Und wie es im Liede heißt: „Aus Gottes Gnad, / ein jeder Mensch sein Leben hat.“ Nun seht zu, was ihr mit der euch gelassenen Gnadenfrist anfangt. Vergesst dabei nicht den steilen und goldrichtigen Satz des Reformators Calvin: „Wir sind Mörder, wenn wir unsren Nächsten nicht geholfen haben in ihrer Not.“ Gott, erhöre unsre Bitte: Gib uns Frieden.

Eberhard Busch

37133 Friedland

ebusch@gwdg.de

 

 

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