Predigt zu Johannes 1, 15-18

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Predigt zu Johannes 1, 15-18

Gnade und Wahrheit| Epiphanias | 06.01.2022| Predigt zu Joh 1, 15-18 und den Bildern Emil Nolde „Die heiligen drei Könige“ 1911 und „Anbetung der Könige“ 1933| verfasst von Rainer Kopisch |

Predigtbild: Emil Nolde, Die heiligen drei Könige, 1911 © Nolde Stiftung Seebüll

Liebe Gemeinde,

um es gleich zu sagen: Emil Nolde hat dieses Bild, als er es im Sommer 1911 fertig gemalt hatte, nicht gefallen. Er schreibt in seiner Biographie: „Die im Sommer gemalten „Heiligen Drei Könige“ stellte ich damals sogleich unwillig mit der Bildseite zur Wand, wo sie bis zum Herbst stehen blieben, ohne dass ich sie wieder ansah.“ Dann heißt es später: „Als ich das Bild der Heiligen Drei Könige ansah in seiner ungewollten Art, gefiel es mir gut.“
Es gefiel ihm so gut, dass er auf die Idee kam, es mit den beiden anderen 1911 gemalten gleichformatigen Bildern aus dem Leben Jesu und mit einem größeren Mittel-Bild der Kreuzigungsdarstellung zu seinem Bilderzyklus „Das Leben Christi“ aus neun Bildern werden zu lassen.
Dieser schon 1912 fertig gestellte Bilderzyklus wurde zum Hauptwerk seiner religiösen Bilder. Er war 1938 unübersehbarer Mittelpunkt der Wander-Ausstellung „Entartete Kunst“.

Liebe Gemeinde,

was haben die drei Sterndeuter im Morgenland so Bedeutendes gesehen, dass sie sich auf den weiten und beschwerlichen Weg nach Judäa gemacht haben? Sie haben einen Stern gesehen, heißt es im Matthäusevangelium, der ihnen gezeigt hat, dass in Judäa ein bedeutender neuer Herrscher geboren wird. Matthäus berichtet uns nicht, ob sie gesehen haben, welch eine große Bedeutung dieser neue Herrscher für die Geschichte der Welt bekommen wird. Was aber sollte sie sonst zu dieser Reise veranlasst haben?
Als sie in Jerusalem ankommen, suchen sie den amtierenden Herrscher Herodes auf.  Sie finden ihn ahnungslos. Er gerät in Angst und Schrecken und lässt eilig seine Schriftgelehrten befragen, um den Ort der Geburt des angeblich bedeutenden Herrschers zu erfahren. Die Schriftgelehrten finden in den Weissagungen der Propheten den Ort Bethlehem.
Herodes gibt diese Nachricht weiter und bittet die Könige, ihn auf ihrem Rückweg Genaueres zu sagen, damit auch er das Kind in Bethlehem anbeten könne.
In Bethlehem befahl ihnen Gott im Traum, dass sie nicht zu Herodes zurückkehren sollten. Sie befolgten den Traumbefehl und zogen auf einem anderen Weg wieder in ihr Land zurück. So hörten wir es im Text des heutigen Evangeliums.
Wie sind sie aber nach dem Besuch zu diesem Entschluss gekommen, Gottes Weisung zu folgen?
Sie müssen erkannt haben, dass sie es nicht mit einem Kind zu tun haben, das der neue Herrscher in Judäa werden könnte, sondern dass sie es mit einem göttlichen Kind zu tun haben, das in eine Welt des Schreckens und der Angst hinein geboren ist und das einen göttlichen Auftrag hat.
Das gewaltig Neue haben sie schon beim Betrachten der Sterne in ihrer fernen Heimat gesehen.
Im Nolde-Bild kommt der rote König angesichts des noch kleinen Kindes, das er im Schoss hält, ins Grübeln.

Emil Nolde nimmt in seinem Bild „Die heiligen drei Könige“ von 1911 etwas auf, was beim Betrachten des Bildes Schrecken auslöst. Er sieht das Jesuskind mit Schrecken dessen irdischen Lebens konfrontiert. Uns Betrachter springt das Erschrecken in der Gestalt des zweiten Königs, der sich über das Jesuskind beugt, sofort an.
Der König, der das Jesuskind auf dem Schoss hält, versucht offenbar sich vorzustellen, was es mit dem Schicksal dieses Kindes auf sich hat. Seine Augen sind von ihm aus gesehen nach rechts-oben gerichtet.
Wir brauchen nicht die Ergebnisse empirischer Forschung zu bemühen. Wir können unserem Eindruck folgen, dass der Mann etwas vor seinem inneren Auge nachdenkend entwickelt.
Denkt er an das Sternbild, das er gesehen hat, und seine offenbar unzureichende Interpretation? Jedenfalls hält er auch gleichzeitig das kleine Jesuskind liebevoll im Schoss. Der König mit seinem erschreckenden schwarzen Bart, der sein Gesicht fast ganz bedeckt,  sucht den Augenkontakt mit dem kleinen Jesus. Der aber sieht ihn nicht an und scheint seine Augen nach oben zu richten, als sähe er seinen himmlischen Vater vor seinem inneren Auge.

In der anderen Bildhälfte kniet Maria und blickt nach oben. Sie stemmt die Hand in die Hüfte, als wollte sie sagen: „Gott ich habe alles gemacht, was ich konnte. Jetzt hilf Du mir in dieser Situation. Der dritte König an der Stelle, die Josef sonst einnimmt, scheint sie aufmerksam anzusehen.

Ich werde Ihnen den heutigen Predigttext aus dem Evangelium des Johannes, Kapitel 1, Vers 15 bis 18 vorlesen. Am Beginn ist von Johannes, dem Täufer, und Jesus die Rede:
15 Johannes gibt Zeugnis von ihm und ruft: dieser war es, von dem ich gesagt habe: Nach mir wird kommen, der vor mir gewesen ist; denn er war eher als ich.
16 Und von seiner Fülle haben wir alle genommen Gnade um Gnade.
17 Denn das Gesetz ist durch Mose gegeben; die Gnade und Wahrheit ist durch Jesus Christus geworden.
18 Niemand hat Gott je gesehen; der Eingeborene, der Gott ist und in des Vaters Schoß ist, der hat ihn uns verkündigt.

Wenn Sie das Gefühl haben, es fehlt dem Text etwas, damit der erste Vers noch verständlicher wird, so trügt sie ihr Gefühl nicht.
Was Sie vermissen, steht im Vers davor, der ihnen bekannt sein wird:
14 Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit.

Im Bild „Heilige Nacht“, das wir im Zusammenhang der letzten Weihnachtspredigt sahen, hat Emil Nolde dieses Fleisch gewordene Wort deutlich und würdigend gemalt.

Diesen Gottessohn bezeugt der Täufer Johannes als den, der nach ihm kommt und vor ihm gewesen ist. Auf diesen Gottessohn beziehen sich die Glaubensaussagen des Evangelisten Johannes.
Er schildert das Leben der an Jesus Christus Glaubenden als ein Leben aus der unermesslichen Gnade, die er durch seinen Sohn den Glaubenden schenkt.

Der Weg Gottes mit den Menschen ist weiter gegangen. Das Volk Israel hatte auf dem Weg über Mose mit Gott Kontakt, denn Mose konnte mit Gott sprechen und hat dem Volk Gottes Gebote gebracht. Einen unmittelbaren Zugang zu Gott hatten die Menschen des Volkes Israel nicht.
Seit Jesus Christus in die Welt kam, ist Gott in seinem Sohn sichtbar und erlebbar geworden.
Die Jünger Jesu konnten, zum Glauben an den Gottessohn gekommen, die Offenbarung Gottes in ihrem Leben mit Jesus erleben.

Damit ist Gottes Gnade und Wahrheit all denen geschenkt worden, die an Jesus Christus glauben. Um deutlich zu machen, dass es um mehr geht, als an überlieferte Geschichten als historische Tatsachen zu glauben, schildert der Evangelist Johannes die Geschichte Jesu so lebendig, dass sie zum glaubenden Miterleben einlädt.
Die Schilderung des Lebens Jesu Christi ist im Johannesevangelium also die Schilderung der Gegenwart Gottes im menschlichen Leben.
Das Johannesevangelium lädt uns ein, die Offenbarung Jesu Christi mit den Menschen damals mitzuerleben.
Durch sein Bekenntnis zu Jesus Christus, dem Offenbarer von Gnade und Wahrheit, macht Johannes seinen Lesern Mut, ein Leben mit Gott zu leben.
Wie wir Menschen diese Gegenwart Gottes in unserem Leben leben, hängt von uns selbst ab.
Unser Glaube an Jesus Christus hilft uns, Gott auf Grund der Offenbarung Jesu Christi durch sein Leben, Sterben und Auferstehen direkt zu sehen.
Emil Nolde stellt uns diesen Weg in seinen Bildern im Bilderzyklus von 1911/12 „Das Leben Christi“ vor Augen, so wie er ihn sieht.
1933 malt er die Glaubensfreude und -hoffnung in seinem Bild „Anbetung der Könige“ als Fülle der Gnade.

 Predigtbild: Emil Nolde, Die Anbetung der Könige © Nolde Stiftung Seebüll

Die hell-blond-gelben Haare malt Emil Nolde nach seinem Motto „Farben sind meine Noten“ mit Absicht. Sie sehen die Farbe abgewandelt bei den Engeln im Himmel, sie sehen sie auch abgewandelt bei dem vorderen König, der wie gebannt auf das Jesuskind schaut.
Es ist sehr bunt gemalt wie auch die Engel. Sie kennen den Ausdruck „bunt wie das Leben“.
Wir sehen bei aller gespannten Aufmerksamkeit der Könige die Fülle des Lebens, das Gott schenkt.
Die Liebe als das größte Geschenk Gottes ist in der Haltung Marias, ihrer Zuwendung zu ihrem Sohn wie ansteckend zu sehen.

Die Begeisterung zur Liebe hat Emil Nolde hier ansteckend gemalt. Lassen Sie sich anstecken, liebe Gemeinde, zu einem Leben in und mit der Liebe Gottes.
Fällt Ihnen auf, das Emil Nolde fünf Engel im Himmel und fünf Menschen auf der Erde gemalt hat?
Damit sagt Emil Nolde viel über die Verbindung von Himmel und Erde und die Gegenwart Gottes in dieser Welt.

Der Glaube macht es möglich.
Gott können wir erleben, wenn wir uns der Liebe Gottes öffnen, die Jesus Christus uns vorgelebt hat.
Als Christinnen und Christen können wir unser Herz empfangend öffnen für die Gnade Gottes im Überfluss. Wir erleben sie als barmherzige Liebe.
Wir können unser Herz öffnen, um mit Freuden von dieser Gnade Gottes zu nehmen.
Wenn unser Herz davon überfließt, werden wir von allein zur Freude für andere Menschen.
Was kann es Schöneres geben, als Gottes Liebe als Freude vom Himmel zu teilen.

Ein Lächeln, das aus der Tiefe des Herzens kommt, steckt an.

Lassen Sie uns andere Menschen mit der Liebe Gottes anstecken.
Das bringt schließlich das unvergängliche Leben in diese Welt des vielfältigen Elends.

Amen

Pfarrer i. R. Rainer Kopisch

Braunschweig

E-Mail: rainer.kopisch@gmx.de
Bitte nutzen Sie diese Adresse zur gern gesehenen Kontaktaufnahme

Zur Erstellung der Exegese des Textes habe ich benutzt:

das Theologische Wörterbuch zum NeuenTestament von Kittel in der ersten Auflage,

die Interlinearübersetzung von Ernst Dietzfelbinger in der dritten Auflage

den Kommentar Bultmann, Das Evangelium des Johannes, 13. Aufl. 1953

Literatur zu den  Predigtbildern:

Emil Nolde, Die religiösen Bilder (Nolde Stiftung Seebüll und DUMONT)

Rainer Kopisch,
Pfarrer in Ruhe der Evangelisch-lutherische Landeskirche in Braunschweig,
Seelsorger mit logotherapeutischer Kompetenz,
letztes selbstständiges Pfarramt: Martin Luther in Braunschweig,

Seit Beginn meines Ruhestandes vor 15 Jahren schreibe ich Predigten im Portal der Göttinger Predigten. Diese Arbeit ist mein Dank für die Liebe Gottes, die mich in meinem Leben begleitet hat.

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