Predigt zu Lukas 17, 5-6

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Predigt zu Lukas 17, 5-6

Von der Kraft des Glaubens | 15. Sonntag nach Trinitatis | 12. September 2021 | Predigt zu Lukas 17, 5-6 | verfasst von Matthias Wolfes |

„Und die Apostel sprachen zum HERRN: Stärke uns den Glauben! Der HERR aber sprach: Wenn ihr Glauben habt wie ein Senfkorn und sagt zu diesem Maulbeerbaum: Reiß dich aus und versetze dich ins Meer! so wird er euch gehorsam sein.“ (Jubiläumsbibel, Stuttgart 1912)

Liebe Gemeinde,

 

der Predigttext für den heutigen 15. Sonntag nach Trinitatis stammt aus dem Lukasevangelium, dort im siebzehnten Kapitel. Er gibt uns die Gelegenheit, an diesem Tag erneut über eines der wichtigsten Themen unseres religiösen Nachdenkens überhaupt zu sprechen: den Glauben.

Gott und der Glaube – diese beiden sind die Bezugspunkte all unseres frommen Denkens. Wann immer wir über Gott nachsinnen, haben wir es mit dem Glauben zu tun; und ebenso lebt alle Klärung unserer Glaubensgedanken immer von der Erfahrung  mit Gott.

Und das meine ich ganz direkt. Kein wahrer Satz über Gott ist möglich, der nicht aus dem Glauben heraus gesprochen wäre. Aller Glaube aber wäre leer, dessen Kern und Stern nicht das Vertrauen auf Gott wäre.

Lassen Sie uns nun heute im besonderen dem Wort Jesu nachgehen, welches der Evangelist Lukas überliefert, wonach dem Glauben alles möglich, alles zugänglich, alles gegeben sei. Es heißt ja: „Wenn ihr Glauben habt wie ein Senfkorn und sagt zu diesem Maulbeerbaum: Reiß dich aus und versetze dich ins Meer! so wird er euch gehorsam sein.“

 

I.

Es geht um die Kraft des Glaubens. So, wie Jesus von ihr spricht, scheint sie unendlich zu sein. Wir sehen aber auch, dass „der Herr“ seine Worte als Erwartung, als Möglichkeit vorträgt. Er sagt: „wenn“ – „wenn ihr Glauben habt“. Und nicht ohne Grund greift er wieder auf das Bild vom Senfkorn zurück. Wir erinnern uns, dass dieses Bild ja die Gegenwart des Reiches Gottes beschreibt. Im dreizehnten Kapitel heißt es bei Lukas: „Das Reich Gottes gleicht einem Senfkorn, das ein Mensch nahm und warf’s in seinen Garten; und es wuchs und wurde ein Baum und die Vögel des Himmels wohnten in seinen Zweigen.“ Wir sehen den Gegensatz zwischen dem Samenkorn und dem Baum und wenden ihn nun, an unserer Stelle, auf den Glauben und seine Früchte an.

Und dennoch bleiben Jesu Worte doch auch wieder rätselhaft, und zwar die aus unserem jetzigen Text und jene aus dem vorangegangenen. Der historische Jesus in seiner Art und Weise und in seinem unbedingten, durch nichts und niemanden getrübten Gottesbewusstsein, spricht sowohl vom Glauben als auch von Gott mit einer Tiefe, die nachzuvollziehen uns kaum möglich ist. Wir wollen uns ganz klar darüber sein: Was in Jesu Augen not tut, ist weniger ein Mehr an Glauben als vielmehr ein Glaube, der das Dasein lebendig und aktiv gestaltet. Für Jesus bedeutet, den Glauben zu haben, in den Bereich der Gottesherrschaft einzutreten. Gott aber ist alles möglich.

Dazu kommt: Wem Gott die Kraft des Glaubens übertragen hat, dem hat er stets auch einen Auftrag übertragen. Das ist gemeint, wenn Jesus das Wort „wenn“ benutzt. Seine Worte bedeuten – und wir wollen sie uns selbst in aller Schärfe sagen lassen –: Ihr habt Glauben, aber euer Glaube entwurzelt keinen einzigen Baum; einem lebendigen Glauben müsste auch gehorcht werden, „und er wird euch gehorsam sein“.

 

II.

Wie immer, so auch heute, lesen wir in unseren Gottesdiensten nun aber die biblischen Texte nicht als historische Dokumente, sondern als Zeugnisse des lebendigen Glaubens.

In die Gemeinschaft derer, die sich selber als glaubende Menschen betrachten und vielleicht auch bekennen, schließen wir uns ein. Insofern beziehen wir Jesu Worte auf uns. Und wir tun das in der Überzeugung, dass sie über die Zeiten hinweg auch uns gelten. Der Herrschaftsbereich Gottes, sein Reich, ist auch für uns der Ort, an dem wir unser Leben leben wollen, und der Glaube ist dabei Richtschnur und Leuchtzeichen.

Lassen Sie uns, um etwas deutlicher zu machen, worum es hier geht, das Wort vom Senfkorn herausgreifen und näher betrachten. Auch wir empfinden nur allzu gut und auch allzu oft die Kleinheit unseres Gottvertrauens. Wie rasch lassen wir uns von Bedrängnissen aller Art unterkriegen und verunsichern. Wie viele von uns kämpfen mit dem Problem des Zweifels. Im Zweifel aber ist alles in sich zerfallen. Genau betrachtet, muss kein Glaubender eine solche Stimmung in sich bekämpfen oder sie auch nur klug wegerziehen. Sie gehört einfach nicht zum Gefühlsrepertoire des Glaubens.

Jesu Bild vom Senfkorn führt in eine ganz andere Richtung. Der Glaube kennt das Ungeklärte, und natürlich gibt es für ihn vieles in der Wahrnehmung der Dinge und seiner selbst, das sich nicht auflösen lässt, vielleicht auch unauflösbar bleibt. Das liegt in seiner Natur, denn der Glaube lebt ja. Aber den Zweifel kennt eine innige Beziehung zu Gott nicht. Vom Zwiespalt, also der Zerspaltenheit, der sich in sich bekämpfenden Zweiheit des Gemütes ist der Glaube frei.

Das Senfkorn entfaltet sich, es greift auf den Horizont aus, der ihm gesetzt ist. Das ist seine Natur, es wächst und wird im Wachsen zu dem, was es seinem Wesen nach – und nur eben seiner Erscheinung nach noch nicht – ist: zu einem Baum.

 

III.

Wir können es auch so sagen: Das Senfkorn sprengt seine Kleinheit, von der doch jedermann zu denken geneigt ist: da kann nichts draus werden. Und es wird doch etwas daraus, und zwar deshalb, weil schon im Kleinen, ja selbst im Kleinsten, eine unfassbare Fülle des Lebens geborgen ist.

Wir gehen nicht in die Irre, wenn wir selbstbewusst genug sind, dieses Bild auch für unseren eigenen Glauben in Anspruch zu nehmen. Und zwar gerade dann und erst recht dann, wenn wir doch ganz genau um die Kläglichkeit all dessen wissen, was von uns selbst ausgeht und was wir auf die Beine stellen wollen. Unser Glaube besteht in der Zuversicht, im Lebensmut und der Hoffnung. Er gibt uns die Kraft, weiter zu gehen, und zwar nicht einfach so, sondern mit Sinn und Verstand.

Der Glaube gibt, wie gesagt, unserem Leben die Richtung. Natürlich sind wir vielem einfach ausgesetzt. Das fängt schon mit den Umständen unseres Herkommens an. Die lassen sich nicht bestimmen. Aber man ist den Gegebenheiten auch nicht bloß ausgesetzt. Man kann entscheiden, gestalten, Gewichte verteilen. Immer kommt es darauf an, wie man mit dem, was geschieht, umgeht. Wer Gott wirklich vertraut, der lässt sich nicht entmutigen.

Liebe Zuhörer, wer Gott wirklich vertraut, der lässt sich nicht entmutigen. Lassen Sie uns heute diesen Satz mit nach Hause nehmen. Wem es gelingt, dem Widrigen gegenüber standhaft zu bleiben, dem ist wahrhaftig die Kraft des Glaubens geschenkt.

 

Amen.

 

 

Herangezogene Literatur:

François Bovon: Das Evangelium nach Lukas. Dritter Teilband: Lk 15,1 – 19,27 (Evangelisch–Katholischer Kommentar zum Neuen Testament. Band III/3), Düsseldorf und Zürich / Neukirchen-Vluyn 2001.

 

 

Dr. theol. Dr. phil. Matthias Wolfes ist Pfarrer der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO).

 

Pfarrer Dr. Dr. Matthias Wolfes

wolfes@zedat.fu-berlin.de

Herderstraße 6, 10625 Berlin

 

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