Predigt zu Luthers 2. Invokavit-Predigt

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Predigt zu Luthers 2. Invokavit-Predigt

Richtige und falsche Liebe

1.  Im Vorjahr 1522 war Luther im Wartburger Schloss. In Wittenberg
setzten die Anhänger der Reformation die Erneuerungen fort.
Luther hörte, dass man mit Zwang die Reformen durchgeführt
hatte. Es waren vielerlei Unruhen entstanden. Obwohl man Luther
zu töten
drohte, kehrte er im Mai nach Wittenberg zurück. Er hielt
acht Predigten, mit denen er die Richtung der Veränderungen
beeinflussen konnte. Viele Erneuerungen wurden zurückgenommen.
Mit der Zeit wurden viele von den abgesagten Erneuerungen realisiert,
aber mit friedlichen Mitteln. Was hat Luther gesagt?

Die Botschaft von Luther war einfach. Er machte einen Unterschied
zwischen Glauben und Liebe. Es war eine Sache zu wissen, was der
richtige Glauben bedeutet und eine andere Sache, diesen Glauben zu
erreichen. Das bloße
Wissen reicht nicht aus. Die Erreichung des wahren Glaubens setzt Liebe
voraus. Als Fürsprecher der Liebe veränderte Luther auch
in dieser Sache die Richtung der Geschichte.

Ein Beispiel davon sind die Predigten von Luther gegen die privaten
Messen (Winkelmesse und Sonderliche Messe). Diese Messen
hatten sich dahingehend verändert, dass dort die Gunst Gottes zu
erwerben versucht wurde. Der Mensch versuchte durch seine eigenen Taten
Gott tauglich zu sein. Er versuchte selbst und allein in die Richtung
Gottes zu steigen.

Nach Luther war dieses nicht richtig. Wenn der Mensch selbst Gott
zu lieben versuchte, hatte er falsche, egoistische Liebe. Wenn
der Mensch selbst Gott tauglich zu sein versuchte, war sein Herz in
sich geschlossen. Der Mensch suchte seinen eigenen Vorteil.

Die richtige Weise, sich Gott zu nähern, war das Zuhören seines
Wortes. Gott wirkt im Menschen durch sein Wort. Dabei verändert
sich das menschliche Herz und darin kommt andersartige Liebe. Der Mensch
kann nicht selbst die göttliche Liebe hervorbringen. Diese Liebe
kommt allein von Gott, die uneigennützige Liebe, Gott nur
wegen Seiner selbst zu lieben, nicht wegen des menschlichen Vorteils.
Dann ist das Herz des Menschen bei Gott, Gott hat den ganzen Menschen
gewonnen.

2. Die Gedanken Luthers vom wahren Inhalt des Glaubens haben
großen Einfluss auf das gesamte Luthertum gehabt. Das Luthertum
ist die christliche Religion von Wort und Lehre. Die neue Luther-Forschung
hat bewiesen, dass im Luthertum das Wort und die Lehre in verschiedenen
Phasen der Geschichte oft einseitig verstanden wurden. Das, was
für
Luther eine fröhliche Sache war, veränderte sich zuweilen
zu Befehlen. Man ist gezwungen und verpflichtet seinen Nächsten
zu lieben.

In seiner Predigt stellte Luther fest, dass das Gesetz als Diener
des Teufels tätig sein konnte. Der Gedanke ist gut, aber ein Gesetz
hat sich jedoch nicht realisiert. „Ein Gesetz macht je bald zwei, zwei
machen drei und so fort an, das zuletzt der Gesetze kein Ende werden
würde“, betont Luther. So wird das Gesetz zum Herrscher und
die Liebe bleibt irgendwo im Hintergrund.

Liebestaten entstehen nicht so aus der Lehre, dass der Mensch entscheidet,
nur Gutes zu tun. Man braucht etwas anderes. Luther spricht von
der Lehre, die das Herz erobert hat. Wenn das Herz erobert wurde, kommt
der ganze Mensch nach.

3.  Dieses beleuchtet ein Beispiel aus unserer jüngsten
Geschichte. Im Jahr 1961 wurde die Berliner Mauer errichtet. Damit
wurde verhindert, dass die Menschen nicht aus dem östlichen Sektor
zum westlichen gehen konnten. Machte die Mauer die Menschen im Ost-Berlin
zufrieden? War die Mauer eine Lösung zum Glück? Wir bekamen
die deutliche Antwort am 9.1.1.1989: die Mauer wurde mit Eifer
abgebaut. 30 Jahre reichten nicht aus, die Stadtteile von einander
zu trennen.

Es ginge natürlich um viele Sachen, aber eins ist klar: „Wenn du
das Herze hast, so hastu ihn nun gewonnen“, wie M. Luther am 10.3.1522 äußerte.
Mit Zwang erreicht man das Herz nicht.

4.  Wenn das Herz voller Liebe ist, gibt es dem ganzen Leben
sein Gepräge. Ich sah einmal, als ein Kind verschwunden war.
Man hatte es zuletzt in Richtung des Teiches gehen sehen. Nun konnte
man das Kind nirgendwo finden. Die Mutter rief und suchte sie.
Sie lief umher. Sie bat alle Leute, die sie sah, mit ihr das Kind
zu suchen. Sie hatte Angst. All zu viele Kinder sind im Wasser
ertrunken. Sie war voller Angst. Sie bemerkte ihre Müdigkeit
nicht. Das Kind wurde gesucht und gesucht. Endlich erschien das
Kind, es war leise nach Hause gegangen und sich unter dem Tisch
versteckt. Das Spiel hatte ihr gefallen, aber der Mutter überhaupt
nicht. Trotzdem war die Mutter glücklich, als ihr Kind gesund
aufgefunden wurde.

Die Liebe sucht. Ein Kind kann man nicht einsperren. Es hat das Recht,
seine eigene Welt zu suchen. Der Zwang hilft hier nicht. Aber man
muss die Grenzen setzen. Oft sucht das Kind seine eigenen Grenzen.
Aber sogar dann trägt die Liebe der Mutter ihm weiter. Das Kind ist immer ein
eigenes. Für sein eigenes Kind hofft man das Beste.

So handelte auch Gott. Er zwingt nicht, er befehlt nicht. Er lässt
den Menschen in aller Ruhe suchen. Er wirkt auf das Herz des Menschen.
Wenn der Mensch das Wort Gottes hört, bewirkt Gott den Glauben in
seinem Herzen. „Wann und wo er wil nach seinem Göttlichen Erkentnis
und Wolgefallen“, wie Luther predigte. Wenn das Herz des Menschen
an Gott wendet, wendet sich der ganze Mensch. Die Liebe zieht den
Menschen zu Gott, nicht der Zwang.

5.  Diese Liebe des Herzens äußert sich in Taten.
Denken wir nur an ein Kind, das ein Puppenhaus errichtet. Er oder
sie ordnet sorgfältig die Möbel darin. In Wohnzimmer kommt
das Sofa, in Küche der Tisch und die Stühle, in Schlafzimmer
das Bett. Die Mutter arbeitet in der Küche. Die Kinder schlafen
im Schlafzimmer. Alles hat seine Ordnung. Vom allen kann man sehen, dass
die Sachen mit großer Liebe geordnet wurden. Die Gedanken des Kindes
kann man daran ablesen, was es tut.

Man kann das Kind zwingen, mit einem Puppenhaus zu spielen, und das
Kind spielt ja auch. Aber dann sind die Möbel nicht in so schöner
Ordnung und die Puppen hübsch auf ihren Plätzen. Ab und zu
sieht man solche Puppenhäuser, wo man sehen kann, dass das Kind
sich nicht wohl fühlt. Man kann es aus dem Inneren des Hauses
sehen. So wie man die Taten, die aus Liebe gemacht werden, nicht
verstecken kann, so sieht man auch die fehlende Liebe in den Taten.

Die Liebe und Taten gehören zusammen. Aber die Taten entstehen
nicht aus dem Zwang. Die Taten entstehen aus dem Herzen. In seiner Predigt
vom 10.3.1522 sprach Luther gegen Taten, die Streit und Schlägereien
verursachten. Er wollte nur das Wort anwenden und es wirken lassen. Er
war davon überzeugt, dass Gottes Wort wirkt. Deswegen hat er nicht
anderes getan als gepredigt. Und er hat selbst bemerkt, dass das Wort
wirkte: „Das [Wort] hat, wenn ich geschlafen hab, wenn ich wittenbergisch
Bier mit meinem Philipo und Amsdorff getrunken hab, also vi[e]l gethan,
dass das Papstum also schwach worden ist, das ich noch nie kein Fürst
noch Keyser so vi[e]l abgebrochen hat.“

6.  Was kann der Mensch nun tun? Nur darauf warten, dass
im Inneren etwas knackt und er gute Taten zu verrichten beginnt?
Nicht so, sondern ganz anders. Ich gebe ein Beispiel.

Matthias war sechs Jahre alt. Er hatte in seinem Zahn ein großes
Loch. Er hatte große Angst den Zahnarzt zu besuchen. Man konnte
ihn kaum anziehen. Die Mutter berichtete ihm immer wieder, was beim Zahnarzt
passiert. Sie erzählte auch, dass Matthias Betäubungsmittel
bekommt und dass das Füllen gar nicht weh tut. Matthias hatte immer
noch Angst, aber ließ sich anziehen. So kam man ins Sprechzimmer.

Als Matthias den hohen Stuhl des Arztes und seine weiße Kleidung
sah, bekam er wieder große Angst. So musste die Mutter nochmals
erklären, dass der Arzt zuerst eine Untersuchung macht und wenn
nötig, macht er eine Füllung, und dass es gar nicht weh
tut. So setzte Matthias sich in den Stuhl. Der Stuhl summte, stieg
hoch und die Lehne wendete sich. Es war lustig.

Der Arzt untersuchte die Zähne und sagte, dass ein Milchzahn gezogen
werden musste. Nun war Matthias wirklich voller Angst. Das Füllen
klang böse, aber Ziehen noch böser. Matthias biss sofort seine
Zähne zusammen. Er wollte weinen und seine Mutter umarmen. Die Mutter
nahm seine Hand in ihre und erzählte, dass auch das Ziehen nicht
weh tut, weil die Betäubung auch darin hilft. Die Mutter musste
das mehrmals wiederholen. Auch der Arzt wurde gefragt und er bestätigte,
was die Mutter gesagt hatte. Es tut nicht weh, wenn Matthias das Betäubungsmittel
bekommt. Aber wenn er sich wehrt, muss der Arzt den Zahn mit Zwang
ziehen und es tut dann weh.

Nach einem langen Gespräch fasste Matthias Mut und saß ordentlich
im Stuhl und öffnete seinen Mund. Der Arzt betäubte den
Zahn und auf einmal war der Milchzahn weg. Matthias bekam noch
die Anweisung, erst in vier Stunden wieder zu essen, und dann war
alles vorbei.

Die Mutter fragte Matthias: „Tat es weh, als der Zahn weggezogen wurde?“ Und
Matthias antwortete: „Nein, nicht nach der Betäubung, danach fühlte
ich nichts, da blieb nur noch ein Loch.“

Matthias hatte Angst gehabt. Er hätte sein Leben von Angst leiten
lassen. Wenn der Arzt den Zahn mit Zwang gezogen hätte, hätte
er sich noch mehr gefürchtet. Es hätte auch sicherlich weh
getan. Matthias hatte aber zugehört, was ihm gesagt wurde.
Er vertraute in seinem Herzen, dass die Mutter und der Arzt wussten,
was sie sagten. So entschloss er sich, mutig zu sein. Er widersetzte
sich nicht mehr. Er hatte Mut zu vertrauen, was ihm gesagt wurde.

Das Warten auf gute Taten ist kein untätiger Zustand, an sich ist
es gar kein Warten. Gute Taten beginnen mit dem Vertrauen auf Gott, mit
dem Vertrauen, dass Er seinen Sohn in die Welt geschickt hat, dass Er
mit den Menschen sein will, dass Er sie leiten will. Wenn man darauf
vertraut, kann man ruhig machen, was man für den Nächsten für
wichtig hält.

7.  Luther ermutigte am 10.3.1522 zu predigen und zu warten,
dass Gott durch sein Wort wirkt. Darin haben auch wir einen
guten Schutz. Wenn Gott wirkt, kann es kein Mensch, kein Staat, keine
Ordnung verhindern. Gott wirkt in den Herzen, und wer ein Herz hat,
der hat den ganzen Menschen. Und wenn das Herz vertraut, wagt man
andere Menschen zu lieben.

Dr. Esko Ryökäs
Universität zu Joensuu, Finnland
ryokas@joyx.joensuu.fi

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