Predigt zu Luthers Invokavit-Predigt

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Predigt zu Luthers Invokavit-Predigt

Die folgende Predigt ist für das Lesen mit verteilten Rollen vorgesehen.
Es sind mindestens zwei Sprecher erforderlich.
Die Predigt zitiert Teile aus der Originalpredigt „Am Montag nach Invocavit“ von
Martin Luther wortgetreu – inklusive der widerspenstigen und zum Teil uneinheitlichen
Schreibweise – nach der Weimarer Ausgabe von 1905 (unv.Neuabdr.1966), Band 10,
Abt.III, Seiten 13-20. Man kann die Zitate in der ursprünglichen Sprache
vortragen. Man kann sie in modernes Hochdeutsch bringen. Man kann sie gar nur
sinngemäß und vereinfacht wiedergeben. Die Predigerin, der Prediger
wird selbst entscheiden, ob und welche homiletischen Vorarbeiten die Situation,
in der die Predigt zu Gehör gebracht werden soll, noch erfordert.

Sprecher 1:
Reminiscere, so lautet der Name des heutigen Sonntags: „Gedenke!“
Dieser Ruf stammt aus dem 25.Psam: Gedenke, Herr an deine Barmherzigkeit und
an deine Güte.
Auch wir wollen heute morgen gedenken. Uns ein Ereignis vergegenwärtigen,
das grob gerechnet 500 Jahre zurückliegt.
Ein kleiner Mönch namens Martin Luther hatte es gewagt, sich gegen die
Ideologien und religiösen Betriebslügen einer Maschinerie zu stellen,
die halb Europa im Griff hielt: Des heiligen römischen Reiches und seiner
Kirche.
Die Folge waren nichtöffentliche und öffentliche Verhöre vor
kirchlichen Stellen, am Ende gar ein Verhör vor der höchsten Instanz
des Reiches, dem Reichtsag in Worms.
Der Mann aus Wittenberg ließ sich nicht einschüchtern. So wurde
er schließlich mit der Reichsacht belegt, was einem Todesurteil gleichkam.
Um ihn und vielleicht auch die eigene Herrschaft zu schützen, zog ihn
sein Landesherr, der Kurfürst Friedrich für einige Monate aus dem
Verkehr. Doch während Luther auf der Wartburg das neue Testament übersetzte,
verbreiteten sich seine Ideen wie ein Lauffeuer. Überall in Deutschland
schossen Reformbewegungen aus dem Boden, die zunächst auf religiöse,
dann aber auch auf soziale Neuerungen zielten, auf eine gerechte Verteilung
von Macht und Reichtum.

Sprecher 2:
Auch die Stimmung in Wittenberg, der kleinen Stadt im Fürstentum Sachsen
war, wenn man so sagen will, vorrevolutionär. Aufgeregte Diskussionen,
geharnischte Reden, heiße Köpfe, Forderungen und Resolutionen, –
die Unruhe mag sich auf gleiche Weise geäußert haben, wie sie es
heute tut. Man mußte doch endlich ernstmachen mit den Erkenntnissen Martin
Luthers. Man mußte doch endlich umsetzen, was der eigene Glaube als richtig
erkannt hatte! Allen voran die heilige Messe abschaffen, die der Reformator
selbst als sündig und sonderbar gebrandmarkt hatte. Der neue Glaube wollte
sich Ausdruck verleihen, und dazu brauchte er eine gottesdienstliche Feier,
die seinen Überzeugungen nicht widersprach. Also weg mit der Messe, abgeschafft,
die alten Zöpfe abgeschnitten ohne Wenn und Aber! Irgendwann mußte
sich doch etwas bewegen!
Wie nahe sie uns sind, die Wittenberger Luther-Freunde. Und wie ungern sie
die Worte ihres Vordenkers gehört haben werden. Der nämlich hatte
am Sonntag Invokavit des Jahres 1522 die Wartburg verlassen, um die Stimmung
zu dämpfen. An sieben aufeinanderfolgenden Tagen hielt er in der Stadtkirche
zu Wittenberg seine später berühmt gewordenen Invokavit-Predigten.
Wir wollen heute den Reformatoren mit der zweiten, der Montagspredigt, zu Wort
kommen lassen. Ihn ins Gespräch bringen mit den Fragen, die seine Weggefährten
damals gehabt haben mögen – und wir heute noch haben.

Sprecher 1:
„Lieben Freunde, Ir habt gestern gehört, … wie das gantze Christliche leben
und Wesen sey gleuben und lieben.“ (S.13)
Die Liebe aber handelt so, „dass sie nicht zwinget noch allzu strenge feret“.
(S.14)
Daß die Messe auf die bisherige Weise gehalten „sündlich ist“, und „sollten
abgethan sein“ (S.14), das soll man „predigen, … schreiben und verkündigen…“,
doch „niemand sol man mit den Haren davon reissen, sondern man soll es Gott
heim geben und sein wort allen wircken lassen one unser zuthun oder wercke.“ (S.14)

Sprecher 2:
Ob es bei der Predigt in der Wittenberger Stadtkirche Zwischenrufe gegeben
hat? Kaum anzunehmen, dass Luthers Weggefährten –scharfe und kritische
Geister waren darunter – den Worten des Reformators ergeben gelauscht haben.

Gott walten lassen, schön und gut, lieber Martinus, doch hat er
uns Hände gegeben, und was er hier auf Erden vollbringen will tut
er nicht anders als durch Menschenhand. Auch hat er uns die Vernunft
gegeben, die unsere Hände lenkt. Und das, was die Vernunft als die
Wahrheit erkennt, muß der Mensch doch durch sein Handeln Gestalt
werden lassen. Wie von Anfang an Adam und Eva, die den Auftrag erhalten
haben, den Garten Gottes zu bebauen und zu bewahren, so sollen wir die
Kirche und alles was zum Glauben gehört nach bestem Wissen pflegen,
instand halten und wenn nötig umbauen.

Sprecher 1:
Es sind nicht in erster Linie Vernunft und Erkenntnis, die das menschliche
Handeln leiten. Nach dem Willen Gottes und nach den Worten des Evangeliums
ist es vielmehr die Liebe.
„Der Glaub ist gericht gegen Gott, die Liebe aber gegen dem Menschen un Nehsten.“ (S.13)
Und die Liebe soll niemanden zwingen und in äußerlichen Dingen „nicht
gestrenge faren und dieselbigen Messen mit gewalt abreissen.“ Denn wenn wir in
den Fehler verfallen und den „missbrauch der Messen mit gewalt ablegen, so sind
ir viel, die … wissen … nicht wie sie dran sind, obs recht oder unrecht sei. … und
haben davon ein unruhiges Gewissen.“ (S.15)
„Die Liebe erfodderts, das du Mitleiden habst mit den Schwachen, bis sie auch
im Glauben zunehmen und stercker werden.“ (S.17) Ich möge „auch für
sie gebeten haben“ (S.18)

Sprecher 2:
Mit den Schwachen mitleiden, schön und gut.
Für sie beten auch.
Aber warum sollen die, die noch nicht so weit sind, über das Leben derer
bestimmen, die sich schon längst von den falschen Überlieferungen
der Vergangenheit gelöst haben?
Wenn man bei jeder Veränderung, bei jedem Schritt in die Zukunft auf die
Fußkranken warten wollte, die Bedenkenträger und Zauderer, was würde
sich dann überhaupt bewegen? Genügt es nicht, wenn eine Mehrheit
den Entschluss fasst, neues zu wagen? Genügt manchmal nicht sogar eine
qualifizierte, will sagen gebildete und interessierte Minderheit?

Sprecher 1:
„Was kann dirs schaden, wenn du mit … solch eussserlichen dingen gedult tregest,
hastu doch deinen Glauben rein und starck zu Gott.“ (S.17)
Und: „Solange noch nicht aller Menschen „gemüt und hertz dabey sind, da
las es Gott walten, da bitt ich dich umb, denn du richtest nichts guts an.“ (S.17) „Wenn
nu aber darnach aller mut und sinn zusamen stimmet und … eins werden, so das
keine Schwachheit mehr vorhanden ist, da thue man denn abe, was nicht recht
ist.“ (S.17)
Dazu muß man aber zuerst „der Leute hertz“ fangen, „welches denn geschiet,
wenn ich Gottes wort treibe, predige das Euangelion, verkünige …“ (S.16) „… denn
mit dem wort nimet Gott das Hertz ein, wenn das Hertz eingenomen ist, so hastu
den Menschen schon gewonnen“, und am Ende werden die Dinge fallen, die fallen
sollen (S.16).
„Also wirckete Gott mit seinem wort mehr denn wenn du und ich und die gantze
Welt alle gewalt auff einen hauffen schmeltzeten…“ (S.16)

Sprecher 2:
Gewalt lehnen wir auch ab, Martinus. Und doch ist es nötig, daß wir
Verantwortung übernehmen und uns nicht scheuen, die Macht in beide Hände
zu nehmen. Wer das tut, kann natürlich seinen Glauben nicht so rein bewahren,
wie du es dir wünschst. Wer Verantwortung übernimmt, wird sich zwangsläufig
die Hände schmutzig machen.

Sprecher 1:
„Mit … stürmen und gewalt werdet irs nicht hinausfüren, das werdet
ir sehen.“ (S.17)
„Nemet ein Exempel an mir. Ich bin dem Bapst, dem Ablas und allen Papisten entgegen
gestanden, Aber mit keiner gewalt, …, sondern Gottes wort allein habe ich getrieben,
…, sonst hab ich nichts dazu getan.“ (S.18)
„Ich hab nichts gethan, das Wort hat es alles gehandelt und außgericht.“ … „Das
hat, …, wenn ich wittenbergisch bier mit meynem Philipo und Amßdorff
getruncken hab, also vil gethan, das das Bapstum also schwach worden ist, das
im noch nye keyn Fürst noch Keyser so vil abgebrochen hat.“ (S.18f)

Sprecher 2:
Vor dir, Martin, haben andere Reformatoren ebenso klar und deutlich das Wort
geführt. Und die sind auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden. Es ist
eine Ausnahmesituation der Geschichte, eine Fügung, daß das Wort
ausgerechnet zu unserer Zeit so schnell durch alle Lande läuft. Vielleicht
weil mans auf einfache Weise vervielfältigen kann indem mans mit Bleilettern
druckt. Aber nicht lange, da werden sich Papst und Kaiser dieses Mediums bemächtigen
und verbieten zu schreiben und zu drucken, was nicht ihrer Lehre entspricht.
Dann kommt es wieder so, daß man ein freies Wort nirgends mehr wird wagen
dürfen.
Nein: Wir müssen Verantwortung übernehmen. Wir müssen die Macht,
die wir haben, nutzen und Fakten schaffen. Wenn wir es nicht tun, tun es andere
und wir werden von der Geschichte überrollt.

„…Wo ir also verharret und euch nicht wollet lencken lassen, so wisset,
das ich nicht will bei euch stehen.“ (S.17)
Sondern ich werde „alles, was ich geschrieben und gepredigt hab, widerruffen.
(S.17)
Summa summarum … zwingen und dringen mit gewalt will ich niemand, denn der
Glaub wil willig und ungenötiget sein und one zwang angenomen werden.

Sprecher 1:
Von da an gingen sie getrennte Wege, Martin Luther und die radikaleren Reformatoren,
die später so genannten „Schwarmgeister“, Widertäufer, „Propheten“.
Die meisten von ihnen hatten vor Augen, aus Kirche mit ihren Ideen und Fähigkeiten
ein Reich Gottes zu bauen.

Auch für uns ist die Anfechtung groß, nicht allein auf Gottes
Wort zu bauen.
Wie schwer fällt es uns, den Dingen ihren Lauf zu lassen.
Wie groß ist die Versuchung, Entscheidungen herbei zu führen, auf
den Gang der Dinge einzuwirken, das Geschehen selbst in die Hand zu nehmen
und in unserem Sinne zu beeinflussen.
Wenn die Diagnose auf Krebs lautet.
Wenn die Tochter mit zwölf in die Disco will.
Wenn zwei Menschen akzeptieren müssen, sie passen nicht zu einander.
Wenn im Betrieb einer den Hut nehmen muss, damit der andere bleiben kann:
Immer möchte ich das Gesetz des Handelns in Händen behalten.

Sprecher 2:
Denn ich möchte am Ende nicht von der Entwicklung überrollt werden.
Keiner möchte ins Abseits geraten, auf der Seite der Verlierer stehen.
Natürlich muß etwas geschehen. Aber wir möchten nicht, daß etwas
an uns, mit uns geschieht. Was an uns und mit uns geschieht, möchten wir
selbst entscheiden. Wir fürchten uns davor, daß andere Menschen
oder Ereignisse „etwas mit uns machen“. Gar etwas, worunter wir zu leiden hätten.
Es ist die Angst vor dem Leiden. Die Angst davor, etwas hinnehmen zu müssen
und zur Passivität, gar zur Passion verurteilt zu sein, die uns zur Aktion,
zur Aktivität drängt.
Es ist die Bereitschaft zum Leiden, notfalls zum Martyrium, die Martin Luthers
Glauben so fest, die seine Worte so furchtlos und wirkungsvoll macht.

Sprecher 1:
So fragt sich, wer damals eigentliche die Starken waren – und wer die Schwachen.
Die Zupackenden? Die mit durchaus guten Argumenten dem Lauf der Geschichte
nachhelfen wolten?
Martin Luther jedenfalls hat in seinem Glauben, durch die Fähigkeit, die
entscheidenden Dinge auf Gott hin loszulassen, ein spannendes, reiches, geradezu
rasantes Leben führen können. Voller Aufgaben, übertragener
Verantwortung und Erfüllung.
Ich sehe das mit Staunen.
Und wünsche mir und uns und bitte Gott, daß er uns dort, wo es darauf
ankommt, auch etwas von diesem großen Vertrauen schenkt.
Amen.

Ulrich Haag, Aachen
haag@ekir.de

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