Predigt zur Christmette

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Predigt zur Christmette

 


Göttinger Predigten im Internet
hg.
von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


Heiliger Abend
– Christvesper, 24. Dezember 2000

Predigt zur Christmette, verfaßt von Dietz Lange


Liebe Gemeinde!

Wie jedes Jahr, so haben wir auch heute abend
wieder die Weihnachtsgeschichte gehört. Es ist eine schöne alte
Geschichte, uns allen seit langem vertraut, auch denen, die sich nicht so gut
in der Bibel auskennen. Da liegt das kleine Kind, das eben geboren ist, des
Nachts in einem Stall in der Futterkrippe. Die Eltern daneben, glücklich,
wie es Eltern eben sind, wenn eine Geburt mit ihren Sorgen und Schmerzen
überstanden ist und der langersehnte größte Schatz, den das
Leben einem geben kann, nun da ist. Dann die Hirten auf dem Feld, die auf
wunderhafte Weise davon erfahren und die drei besuchen. Und die Engel, die bis
heute unsere Phantasie beflügeln, so nüchtern und weltlich wir auch
sein mögen. Wir denken dabei wohl an den Tannenbaum, in dem Engel als
kunstvolle Figuren aufgehängt sind, und an die Krippe, die wir darunter
aufgebaut haben, mit Maria und Joseph und dem Jesuskind, dazu Hirten und Tiere
und oft auch noch die drei Weisen aus dem Orient, meist als Könige
dargestellt – alles beschienen von mildem Kerzenlicht, Wärme und
Geborgenheit ausstrahlend. Wer es nicht so hat zu Hause, dem fällt
wahrscheinlich jedenfalls das Weihnachtszimmer aus der Kindheit ein, und von
dieser Erinnerung geht dann die geheimnisvolle, friedliche und freundliche
Stimmung aus, die dieses Fest ausmacht.

Das alles ist der lange Nachhall, der von der
alten Erzählung bis heute ausgeht und nun schon 2000 Jahre überdauert
hat. Eine wunderbare Insel der Ruhe und des Friedens in einem Jahresablauf, der
oft eher von Kampf und Sorgen gekennzeichnet ist. Dafür nehmen wir gern
den Trubel und die Hetze der Vorweihnachtszeit auf uns. Nachhall jener alten
Geschichte – und doch nimmt sie sich in unseren Weihnachtsfeiern auch wieder
seltsam fremd aus. Was da berichtet wird, ist ja keine Geschichte von einem
gemütlichen Wohnzimmer, gut geheizt und freundlich beleuchtet. „Sie
hatten keinen Raum in der Herberge“, heißt es da. Das ist
bezeichnend für das ganze Leben dieses Jesus, der später von sich
gesagt hat: „Des Menschen Sohn hat keinen Ort, wo er sein Haupt hinlegen
kann“. Nicht auf einer freundlichen Weihnachtsinsel hat er gelebt, sondern
in dem schon damals unruhigen Palästina, das unter der römischen
Besatzungsmacht ächzte. Als Wanderprediger ist er umhergezogen und hat die
Menschen mit steilen Forderungen provoziert: „Liebet eure Feinde!“
Ein Leben kompromissloser Hingabe für diese Sache hat er geführt. Die
Weihnachtsgeschichte spiegelt das wider, wenn sie die Engel singen lässt:
„Ehre sei Gott in der Höhe“. Allein Gott zu ehren, dazu ist das
menschliche Leben da, nicht um sich lobhudelnde Reden zum 60. Geburtstag oder
das Blech prachtvoller Orden zu verdienen.

Hin und wieder begegnen uns heute Menschen, die in
dieser Hinsicht Jesus ein wenig ähnlich sind. Bis heute inspiriert er
Menschen zu ähnlicher Hingabe für das Wohl anderer Leute, bis hin zur
Selbstaufopferung: Ärzte und Schwestern, Lehrerinnen und Lehrer,
Mütter und Väter aus allen Gesellschaftschichten. Wir bewundern sie
dafür, vielleicht wären wir auch gerne so. Aber vielen von uns
erscheint so etwas wohl eher eine Nummer zu groß. Im Übrigen, so
scheint es, kann man zwar seine Nächsten lieben, aber seine Feinde – das
kann doch auf Dauer gar nicht funktionieren. War dieser Jesus nicht doch ein
bisschen weltfremd? Am Ende lag es ja vielleicht daran, dass er auf so viel
Widerstand stieß. Mit der Feindesliebe lässt sich schon kaum das
private Leben gestalten, und schon gar nicht die Politik.

So wird heute viel von Jesus geredet, durchaus
mitfühlend, sogar ehrfurchtsvoll, aber auch ein wenig mitleidig, vom
Standpunkt einer 2000 Jahre älter gewordenen, scheinbar überlegenen
Lebenserfahrung. Und so könnten wir dann jetzt aufbrechen und uns ins
Weihnachtszimmer zurückbegeben. Dabei würden uns vielleicht die
schönen Ideale dieses Jesus noch eine Weile erfreuen, aber doch aus
sicherer Entfernung. Freilich wären wir dann an dem eigentlichen Geheimnis
dieses Menschen vorbeigegangen, denn wir hätten nur die Hälfte von
dem zur Kenntnis genommen, was sein Leben uns zu sagen hat. „Ehre sei Gott
in der Höhe“, hieß es, und dann geht es weiter: „… und
Friede auf Erden den Menschen seines Wohlgefallens“. In diesem Jesus ist
Gott selbst gegenwärtig, er lässt sich ganz von Gott bestimmen. Und
wie er selbst sich von Gott tragen lässt, so wirkt er auch auf uns. Er
fordert nicht nur etwas, sondern er gibt uns auch etwas: Er verspricht uns
Frieden.

Damit spricht die Weihnachtsgeschichte eine uralte
Menschheitssehnsucht an. Und diese Friedensbotschaft kommt ausgerechnet aus
Palästina, wo heute wieder einmal alles andere als Frieden herrscht. Auch
aus Bethlehem werden immer wieder Schießereien gemeldet. Wir merken es
immerhin daran, dass die Reiseveranstalter zur Zeit Reisen nach Israel absagen.
Natürlich sehnen sich auch dort die Menschen nach Frieden. Aber ist das
nicht eine schöne Illusion? Das ist im Übrigen ja auch nicht nur im
Nahen Osten so. Schon so lange wird dieses Versprechen Gottes in allen
christlichen Kirchen gepredigt, jedes Jahr zu Weihnachten wieder. Wann wird es
eingelöst? Wo ist der Gott, der dieses Versprechen gegeben hat? Aber es
wäre billig, die Schuld auf Gott abzuschieben. Sie liegt bei uns Menschen.
Sogar die christlichen Kirchen haben in der Vergangenheit leider gar nicht
immer den Frieden gepredigt, sondern auch Waffen gesegnet und Kriege
gutgeheißen. Auch wir selbst haben auch unsere Schwierigkeiten mit dem
Frieden. Wenn die Festtage vergangen sind, erwarten uns die alten
Dauerkonflikte mit dem griesgrämigen Chef, dem man nichts recht machen
kann, mit dem Nachbarn, der bei jedem Kindergeschrei anruft und
Schimpfkanonaden loslässt, mit den Abgeordneten der gegnerischen Partei im
Stadtrat, die aus Prinzip alles in Grund und Boden kritisieren, was man sagt.
Vielleicht gehören wir sogar selbst zu denen, die für andere Leute
unleidlich sind. Frieden? Im Himmel vielleicht, aber auf Erden?

Wenn die Weihnachtsgeschichte vom Frieden auf
Erden spricht, meint sie nicht, dass auf einmal die Menschen alle besser
werden. Der Frieden ist zuerst einmal der Friede, den Gott mit uns Menschen
schließt. Das ist durchaus ein wirklicher Friede und keine Kopfgeburt,
und er findet auch hier auf der Erde statt, nur fällt er nicht immer ins
Auge. Gott schließt Frieden mit uns, die seinen Namen für Unfrieden
und Krieg missbrauchen. Gott schließt Frieden mit uns, die mit ihm
hadern, wenn nicht alles nach Wunsch verläuft. Er schließt Frieden
mit uns, die ihn in ihrem Alltag wie Luft behandeln. Wir brauchen nur in seine
dargebotene Hand einzuschlagen. Das ist das, was die christliche Sprache
Glauben nennt. Dadurch verändert sich das Leben grundlegend. Das Gewissen
wird frei und dankbar für diesen unverdienten Frieden. Wer sich verrannt
hat und keinen Ausweg mehr sieht, entdeckt neue und unerwartete Perspektiven.
Und Gottes Frieden wird aus einem Weihnachtsinselfrieden zu einem
Alltagsfrieden, der uns gelassen und zuversichtlich macht und uns hilft, auch
mit Stress und Angst fertig zu werden.

Der Friede Gottes mit uns schafft auch Frieden mit
anderen Menschen. Der mag manchmal mühsam oder sogar aussichtslos
erscheinen. Aber wenn jemand sich ganz von Gottes Frieden erfüllen
lässt, dann strahlt er oder sie ihn aus und wirkt damit auf andere. Das
kann sogar im großen Rahmen geschehen. So hat der Gedanke der
Menschenrechte starke Wurzeln in der christlichen Tradition, und die
Versöhnung zwischen Deutschland und seinen ehemaligen Kriegsgegnern ist in
großem Maß von Antrieben des christlichenGlaubens bestimmt worden.

Natürlich gibt es kein Rezept und schon gar
keine Garantie dafür, dass so etwas gelingt und sich allgemein durchsetzt.
Jesus, der sein ganzes Leben in den Dienst dieses Gottesfriedens gestellt
hatte, musste schließlich für ihn ans Kreuz gehen. Denn seine
Botschaft stieß bei vielen Menschen damals schon auf genau so viel
Unverständnis, wie das auch heute der Fall ist. Und doch ist es einfach
die Erfahrung des christlichen Glaubens, dass dieser Frieden Leben
verändert. Es braucht dafür keine besondere religiöse Begabung.
Die symbolischen Gestalten der Engel in der Weihnachtsgeschichte stehen
dafür, dass Gottes Friedensversprechen allen Menschen gilt. „Siehe, ich
verkündige euch große Freude, die
allem Volk widerfahren wird“, spricht der erste
Engel.

So ist die Geschichte von der Geburt Jesu nicht
bloß eine Sage aus ferner Zeit, sondern sie handelt von dem
tatsächlich weltbewegenden Ereignis, dass Gott selbst durch diesen Jesus
Menschen seinen Frieden zusagt. Das galt den Menschen damals im 1. Jahrhundert,
und es gilt genauso uns heute abend hier in der Kirche. Es ist ein
weltbewegendes Ereignis; das heißt auch: Die schönen
Weihnachtslieder, die Gebete, eine kurze Ansprache können immer nur einen
Aspekt seiner Bedeutung wiedergeben. Aber nutzen Sie doch einmal einen Teil der
ruhigen Weihnachtstage, um neugierig ein größeres Stück aus dem
Neuen Testament im Zusammenhang zu lesen, neugierig und ohne an die eine oder
andere schlechte Erfahrung zu denken, die Sie vielleicht einmal früher im
Unterricht damit gemacht haben. Dann werden Sie vieles entdecken, was sonst
noch mit dem Gottesfrieden zu tun hat, über den wir heute abend
nachgedacht haben. Sie werden merken, dass das trotz der längst
vergangenen Zeit, in der es geschrieben wurde, und trotz mancher Dinge, die
Ihnen fremd vorkommen mögen, nichts von seiner Aktualität verloren
hat. Ich wünsche Ihnen, dass dabei diese Sätze für Ihr eigenes
Leben Bedeutung gewinnen: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede den
Menschen seines Wohlgefallens“.

Amen.

Prof. Dr. Dietz Lange
Platz der
Göttinger Sieben 2
37073 Göttingen
Tel. 0551 / 75455


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