Predigt zur Kantate ‚Der Friede sei mit Dir’ von J. S. Bach und zum Text: Johannes 20, 19 – 23

Home / Bibel / Neues Testament / 04) Johannes / John / Predigt zur Kantate ‚Der Friede sei mit Dir’ von J. S. Bach und zum Text: Johannes 20, 19 – 23
Predigt zur Kantate ‚Der Friede sei mit Dir’ von J. S. Bach und zum  Text: Johannes 20, 19 – 23

Predigtreihe in der Evangelischen Schlosskirche der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn zum Thema „Weltmeisterschaft“, 2006
Predigt zur Kantate ‚Der Friede sei mit Dir’ von J. S. Bach und zum
Text: Johannes 20, 19 – 23, verfasst von Michael Meyer-Blanck


(Gottesdienst am 7. Mai 2006)

Liebe Gemeinde!

In der Geschichte vom Passah und vom Auszug aus Ägypten gibt es einen archaischen Zug: Als das Verderben naht, der Würger, der Tod, da geht er an den Häusern vorbei, die mit Blut gekennzeichnet sind. Das Blut des Passahlammes wehrt das Übel ab. Das Neue Testament, Paulus und Johannes, haben das auf Jesus bezogen: Er ist das Passahlamm, das das Verderben abwehrt. Diese Vorstellung steht hinter der Choralstrophe, die wir eben als Schluss der Kantate gehört haben: Christus, das rechte Osterlamm, davon sollen wir leben. Martin Luther hat Ostern von daher interpretiert: Tod und Leben rangen – ein „wunderlich Krieg“, in dem ein Tod den anderen „fraß“ und so das Leben den Sieg behielt. Der Tod des Lammes frisst den Tod des Menschen und wir leben – das ist die Aneignung des Ostergeschehens. Bachs Kantate 158 „Der Friede sei mit Dir“ ist für den 3. Osterfeiertag geschrieben. Wenn man tatsächlich 3 Tage begeht, dann ist der erste Ostertag der Tag der Botschaft, der zweite ist der Tag des Nachvollziehens und der dritte der Tag des weiteren Aneignens. Was bleibt von Ostern?, könnte man auch sagen, Antwort: Der Friede, der Dein Haus vor dem Verderben bewahrt, der Friede, der Dich umgibt mit der Lebenskraft des Lammes, der Friede, der höher ist als unsere Vernunft und den „der Glaub dem Tod für“ hält.-

Die Frage des neuzeitlichen Menschen an die Bibel, auch an Luther und die Bach-Zeit aber wird sein: Wozu braucht der Friede Gottes, der Sieg des Lebens solche massiven leiblichen Vorstellungen, die Vorstellungen des getöteten Lammes und des Blutes an der Tür? Es ist wohl einfach deswegen so, weil die Angst und das Verderben nicht nur unseren Geist betrifft. Die Angst und der Tod greift nach unserem leib. Das Verderben naht sich der Tür unseres Fühlens, Hoffens und Empfindens. Und auch umgekehrt: Die Leidenschaft, das Ich-Gefühl, das Sein in der Welt, die Lebendigkeit liegt uns im Blut und nicht nur im Gedanken. Könnte ich mir meine Liebsten als reinen Geist vorstellen? Gewiss nicht. Und wenn ich Sehnsucht nach jemand habe, wenn ich mit jemand gerne wieder einmal beisammen sein möchte, dann doch mit ihm als ganzem, als seine Nähe mit seiner ganzen Ausstrahlung. Der Blick ins Angesicht, die Stimme, die Sprache der Bewegungen, ja der Geruch des Anderen – dass ich ihn riechen kann, das ist die Anwesenheit des vertrauten Menschen.

Unsere Angst und unser Verderben fährt nicht nur in den Geist, sondern in unsere Glieder; und der erfüllte Augenblick, Lebendigkeit und Glück – das alles geht ins Blut. Weil das so ist, darum legt das Neue Testament auf die leibliche Auferstehung des Herrn so großen Wert. Es geht dabei also nicht um besonders wunderhafte Züge, „je unwahrscheinlicher, desto göttlicher.“ Es geht darum, dass der Herr dort ist, wo wir wirklich leben, wo unser Herz schlägt, wo unser Blut in Wallung gerät oder wo es in den Adern gefriert.

Im Neuen Testament finden wir eine Geschichte, die man geradezu als österlichen Kommentar zum Passah verstehen kann. Wenn dort das Blut des Lammes davor bewahrt, dass das Verderben durch die Tür kommt, so kommt hier das Leben, der Friede des Herrn durch die verschlossene Tür. Ich lese eine der geheimnisvollen Ostergeschichten am Schluss des Johannesevangeliums, Joh. 20, 19 – 23:

– Text –

Man kann sagen: Dieselbe Sache wird zweimal beschrieben aus negativer und aus positiver Perspektive, als der wirksame Schutz und als die Dynamik des Lebens.

Der Friede sei mit Dir, dass das Leben Gottes an Deiner Tür das Verderben fernhalte; der Friede sei mit Dir, dass das Leben Gottes durch Deine Tür eintrete. Auch dieses Leben ist nicht ohne Blutspuren. Das ist das Merkwürdige, das Eigentümliche und die Stärke der Auferstehungsgeschichten bei Johannes. Jesus zeigt seine verletzten Hände und seine Stichwunde an der Seite. Er ist kein Geist, sondern Leben, Lebendigkeit wie wir, mit den Spuren des Scheiterns und der Demütigung und des Schmerzes, mit stärkeren Spuren, als sie – Gott sei Dank – die meisten von uns tragen müssen.

Johannes, der späteste Evangelist, der die Osterbotschaft schon zwei Generationen lang kennt, beschreibt die Anwesenheit des österlichen Friedens aus gutem Grund in so massiven, leiblichen Kategorien. Denn je weiter man von den historischen Osterereignissen weg ist, desto stärker erweist sich unser natürliches Werden und Vergehen als Einwand. Nach Ostern wurde weiter geboren und geliebt, gelitten und gestorben und die Osterbotschaft ist eine Tradition aus vergangen Zeiten geworden. Und vielleicht sind zwei Generationen – vom Jahr 30 bis zum Jahre 90 – und 66 Generationen – vom Jahre 30 bis zum Jahre 2006 – nur noch ein gradueller Unterschied. Gott ist Geist und Ostern dazu eine schöne illustrierende Tradition – Nein! – sagt der Evangelist Johannes, nein, so bitte nicht, das wäre vorauseilende Selbstverundeutlichung auf dem freien Geistesmarkt. Wenn der Auferstandene nicht Fleisch ist, nicht Dasein und Schmerz und Angesicht, wenn er uns nicht ins Blut geht und in unser Herz und in unsere Leidenschaft, wie kann er dann unser Friede sein? Denn der Friede, so wie ihn die Bibel beschreibt, ist mehr als Konfliktfreiheit und innere Ausgeglichenheit. Friede ist, wenn das Leben schmerzt, wenn die Augen ihren Glanz zurückbekommen, wenn die eigenen Grenzen nicht ungerechte Benachteiligung sind, sondern Vorgeschmack der Fülle; Friede ist, wenn wir uns einander nähern mit Leidenschaft, und wenn wir diese dennoch zügeln durch Humor. Nicht Gleichmut, sondern Lebenslust – das ist der Friede. Schon im priesterlichen Segen, den wir am Schluss jedes Gottesdienstes haben, finden wir diese Elemente: Den Schutz vor dem Verderben, das Behüten auf dem Weg; die Schau Gottes, sein Angesicht im Glanze und Leuchten des Lebens; und schließlich die Fülle, den Frieden.

Ähnlich ist es auch hier bei der Begegnung Jesu mit den Seinen. Es ist kein langer Rückblick, keine ausführliche Schau der Wunden und kein langes Bleiben bei den eigenen Enttäuschungen und Verletzungen; und es ist auch keine ausgedehnte Freudenfeier. Es folgt ziemlich schnell die Entlassung. Bei uns im Gottesdienst heißt das „Sendung und Segen“. Hier ist nur die Reihenfolge vertauscht. Der Auferstandene spricht den Frieden ein zweites Mal zu: „Da sprach Jesus abermals zu ihnen: Friede sei mit Euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch!“

Der erste Friedenswunsch galt den Jüngern selbst, der zweite ihrem Auftrag, den Frieden, das Leben in Fülle den anderen nahe zu bringen. Auch hier beschreibt Johannes das Ganze noch einmal leiblich: Jesus bläst seine Jünger an. ER lässt sie seinen Atem spüren. ER kommt ihnen nahe, in Intimdistanz. Der Geist, das Pneuma, ist Wind, Hauch, Luft, Bewegung, lebendiger Atem. Der Atem eines Menschen ist ja ebenfalls nichts bloß Gedankliches – Atem hat leibliche Substanz – er enthält Wasser.

In einer römischen Kirchenordnung, der Traditio Apostolica aus dem 3./4. Jahrhundert, ist dies als Tauferinnerung für das tägliche private Gebet empfohlen: „Wenn du dich mit deinem feuchten Atem bezeichnest, indem du mit der Hand den Hauch aufnimmst, ist dein Leib geheiligt bis zu den Füßen“ (TA 41).

In der Taufe überträgt sich der Atem Jesu auf die Getauften. Sie können die Auferstehung Jesu weitergeben: „Welchen ihr die Sünden erlasst, denen sind sie erlassen.“ Die Jünger Jesu treten an seine Stelle. Nicht ohne ihn – denn sie stehen ja in seinem Lebensatem – aber mit ihm und durch ihn und in ihm – aber dennoch leiblich, buchstäblich, so wie wir es sehen – treten die Jünger an Jesu Stelle und sollen sagen, was eigentlich nicht zu glauben ist und was schon Jesus als Gotteslästerung ausgelegt wurde: Dir ist vergeben.

Fast überflüssig hinzuzufügen: Nicht an bestimmte Jünger, nicht an besondere Apostel wird diese Vollmacht Jesu übertragen. Der Atem des Herrn belebt die Jünger, die Gemeinde, die Häuser und Türen und vertreibt das Verderben und die Kälte, und er gibt Kraft und bringt das getrennte zusammen, dass Friede sei.

Amen.


(EG 133, 1 – 3 + 7 + 8)


Prof. Dr. Michael Meyer-Blanck, Universität Bonn
e-mail: meyer-blanck@uni-bonn.de

de_DEDeutsch