1. Kön 17, 1-16

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1. Kön 17, 1-16

„Es war einmal … und weil sie nicht gestorben sind …“| 18. Juli 2021 | 7. Sonntag nach Trinitatis | Predigt über 1. Kön 17, 1-16 | 

gehalten in der Reformierten Kirche in Schöftland um 9.30 Uhr mit zwei Taufen

 

Gnade sei mit euch, von dem der da ist, der da war und der kommt. Amen.

 

Liebe Gemeinde

 

Es war einmal …

Es war einmal ein weiser und gottesfürchtiger Mann in einem fernen Land. Eines Tages, er sah eine grosse Dürre kommen, wurde er weit fortgeschickt, nach Osten, und er musste sich an einem kleinen Bach verstecken. Als er an das bezeichnete Flüsschen kam, sah er sogleich, dass er das Wasser trinken konnte und als er darüber nachdachte, wo er wohl etwas zu essen fände, da kamen Raben geflogen. Sie brachten Fleisch und Brot am Morgen und am Abend. Aber, o weh, der Bach trocknete aus, denn es regnete auch in jener Gegend nicht. Tagein tagaus schien die Sonne. Wieder musste der fromme Mann aus der Gegend fort, weiterziehen.

 

Erzählt jemand diese Geschichte aus einem grossen, dicken Buch und dazu noch abends, wenn einem schon fast die Augen zufallen, dann glaubt man, ein altes Märchen zu hören, dass schon lange niemand mehr hervorgeholt hat. Denn alles, was sich in Märchen zuträgt, ist schon sehr lange her und sehr weit weg. Gute Menschen geraten in Märchen in Schwierigkeiten und Ausnahmesituationen. Aber Tiere können oft helfen, manchmal können sie sogar sprechen. Vor allem aber geht es am Ende trotz allen Hindernissen gut aus, sonst wären es keine guten Gutenachtgeschichten. Märchen erzählen wir nicht aus Spass. Die meisten sind sehr ernst, handeln von Not und Gefahr. Es geht um Leben und Tod. Märchen geben wir weiter, damit schon Kinder lernen, dass es zuletzt besser herauskommt als erwartet, dass es aber mehr als einen, dass es meistens drei Versuche braucht, ehe etwas gelingt, dass drei Wunder nötig sind, um eine Herausforderung im Leben zu bestehen.

 

Weil Märchen viel mehr Wahrheit enthalten als so Manches, was wir sonst irgendwo hören oder lesen, gibt es auch in der Bibel Geschichten mit märchenhaften Zügen, die wieder und wieder erzählt werden zum Trost, gegen die Hoffnungslosigkeit, um durchzuhalten in schweren Zeiten. Dieser Trost hat unterdessen viele Jahrhunderte gewirkt. Deshalb wird auch immer noch davon erzählt, obwohl es schon so lange her ist, dass wir beginnen müssen mit „Es war einmal …“.

 

Für diesen Taufsonntag habe ich drei märchenhafte Geschichten ausgesucht, die wirklich wahr sind.  – Den Anfang der ersten habe ich eben schon erzählt. Aber ich lese jetzt die ganze Geschichte aus dem 1. Buch der Könige, Kapitel 17, 1-16 nach der Übersetzung von Martin Luther:

 

1 Und es sprach Elia, der Tischbiter, aus Tischbe in Gilead zu Ahab: So wahr der Herr, der Gott Israels, lebt, vor dem ich stehe:
Es soll diese Jahre weder Tau noch Regen kommen, ich sage es denn.

2 Da kam das Wort des Herrn zu ihm: 3 Geh weg von hier und wende dich nach Osten und verbirg dich am Bach Krit, der zum Jordan fließt. 4 Und du sollst aus dem Bach trinken, und ich habe den Raben geboten, dass sie dich dort versorgen sollen. 5 Er aber ging hin und tat nach dem Wort des Herrn und setzte sich nieder am Bach Krit, der zum Jordan fließt. 6 Und die Raben brachten ihm Brot und Fleisch des Morgens und des Abends, und er trank aus dem Bach. 7 Und es geschah nach einiger Zeit, dass der Bach vertrocknete; denn es war kein Regen im Lande. 8 Da kam das Wort des Herrn zu ihm: 9 Mach dich auf und geh nach Sarepta, das zu Sidon gehört, und bleibe dort; denn ich habe dort einer Witwe geboten, dass sie dich versorge.

10 Und er machte sich auf und ging nach Sarepta. Und als er an das Tor der Stadt kam, siehe, da war eine Witwe, die las Holz auf. Und er rief ihr zu und sprach: Hole mir ein wenig Wasser im Gefäß, dass ich trinke! 11 Und als sie hinging zu holen, rief er ihr nach und sprach: Bringe mir auch einen Bissen Brot mit! 12 Sie sprach: So wahr der Herr, dein Gott, lebt: Ich habe nichts Gebackenes, nur eine Handvoll Mehl im Topf und ein wenig Öl im Krug. Und siehe, ich habe ein Scheit Holz oder zwei aufgelesen und gehe heim und will’s mir und meinem Sohn zubereiten, dass wir essen – und sterben.

13 Elia sprach zu ihr: Fürchte dich nicht! Geh hin und mach’s, wie du gesagt hast. Doch mache zuerst mir etwas Gebackenes davon und bringe mir’s heraus; dir aber und deinem Sohn sollst du danach auch etwas backen. 

14 Denn so spricht der Herr, der Gott Israels: Das Mehl im Topf soll nicht verzehrt werden, und dem Ölkrug soll nichts mangeln bis auf den Tag, an dem der Herr regnen lassen wird auf Erden. 15 Sie ging hin und tat, wie Elia gesagt hatte. Und er aß und sie auch und ihr Sohn Tag um Tag. 16 Das Mehl im Topf wurde nicht verzehrt, und dem Ölkrug mangelte nichts nach dem Wort des Herrn, das er geredet hatte durch Elia.

 

Liebe Gemeinde

Märchenhaft ist das!

Und göttlich zugleich.

 

Märchenhaft ist es, wie Elia vor dem Tod bewahrt wird, wie Gott selbst Elias Fluchthelfer wird, ihn fortbringt, versteckt, versorgen lässt durch Raben und nachher wieder weiterschickt und rettet.

Märchenhaft ist auch das grosse Herz der Witwe, die nicht nur an ihren Sohn und an sich denkt, sondern auch noch für einen Fremden da ist. Die Witwe hat so gut wie nichts, aber davon hat sie die Kraft, etwas herzugeben.

 

Die Welt ist voller Märchen, die die grosse und überwältigende Wahrheit erzählen, dass es keinen Hunger geben müsste, dass es überreichlich von allem gäbe, für alle mehr als genug und sogar so viel, dass fast kein Durchkommen ist. Kennt Ihr das Märchen vom süssen Brei? Die Brüder Grimm haben es sich erzählen lassen, aufgeschrieben und mitgeteilt.

 

Der süsse Brei[1]

«Es war einmal ein armes, frommes Mädchen, das lebte mit seiner Mutter allein, und sie hatten nichts mehr zu essen. Da ging das Kind hinaus in den Wald, und es begegnete ihm da eine alte Frau, die wusste seinen Jammer schon und schenkte ihm ein Töpfchen, zu dem sollt es sagen: „Töpfchen, koche,“ so kochte es guten, süssen Hirsebrei, und wenn es sagte: „Töpfchen, steh,“ so hörte es wieder auf zu kochen.

Das Mädchen brachte den Topf seiner Mutter heim, und nun waren sie ihrer Armut und ihres Hungers ledig und assen süssen Brei, sooft sie wollten.

Auf eine Zeit war das Mädchen ausgegangen, da sprach die Mutter: „Töpfchen, koche,“ da kocht es, und sie isst sich satt; nun will sie, dass das Töpfchen wieder aufhören soll, aber sie weiss das Wort nicht. Also kocht es fort, und der Brei steigt über den Rand hinaus und kocht immerzu, die Küche und das ganze Haus voll und das zweite Haus und dann die Strasse, als wollt’s die ganze Welt satt machen, und ist die grösste Not, und kein Mensch weiss sich da zu helfen. Endlich, wie nur noch ein einziges Haus übrig ist, da kommt das Kind heim und spricht nur: „Töpfchen, steh,“ da steht es und hört auf zu kochen, und wer wieder in die Stadt wollte, der musste sich durchessen.»

 

Und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie noch heute.

Und weil sie – die Märchen – nicht gestorben sind, leben sie noch heute.

So bedrohlich viel zu essen zu haben, ist märchenhaft.

Gerade genug zu essen für alle zu haben, ist mit Gottes Hilfe möglich.

 

Denn noch während man lauscht, geht einem im Herzen auf, dass es kein Märchen bleiben soll, sondern dass es auch Menschen möglich ist, mit dafür zu sorgen, dass Witwen und Waisen wie jene in Sarepta und politisch verfolgte Flüchtlinge wie Elia einer war, nicht verhungern und verdursten müssen.

Auch für Menschen ist es möglich, sich gegenseitig die Mehltöpfe und Ölkrüge immer wieder aufzufüllen.

Dieses Wunder könnte richtig alltäglich sein, kaum der Rede wert, wenn wir nur schon unseren Überfluss teilten – die Witwe ist einen wunderbaren Schritt weiter. Sie teilt sogar das vorläufig Letzte, was sie hat.

 

Auf der anderen Seite verlangt Elia auch nicht Vollpension mit Dreigangmenü am Abend für die nächsten Jahre von dieser offensichtlich armen Frau, sondern nur im Moment «ein wenig Wasser im Gefäß, dass ich trinke … (und) auch einen Bissen Brot». Der Prophet lebt bescheiden. Er hört auf Gottes Ruf und achtet den Rahmen des Erwartbaren.

 

Aber Gottes Möglichkeiten reichen viel weiter als nur einmal satt zu essen zu haben.

Gott weist den Weg, er bringt die richtigen Menschen im passenden Moment zusammen, er gibt, dass Öl und Mehl nicht mehr ausgehen. Die drei, die Witwe, ihr Sohn und der Prophet, leben weiterhin in kargen Verhältnissen und halten Mass. Sie wissen, dass es nur eine Handvoll Mehl im Topf und ein wenig Öl im Krug und ein Scheit Holz oder zwei braucht zum Leben. Dazu aber haben sie reichlich Gottvertrauen, jeden Tag für sich zu nehmen, nicht ihre ganze Zukunft schon mit Sorgen zu überziehen. Sie werden fähig, sich auf Gottes Geleit zu verlassen, dass für alles gesorgt sein wird, wenn es so weit ist. Es gehört zur grossen Gnade Gottes, dass sie auch vorher nicht wissen müssen, was noch auf sie zukommt, dass der Sohn schwer erkranken wird, dass Elia wieder weiter und fort muss.

 

Und weil sie damals nach Gottes Willen nicht gestorben sind, nicht zugrunde gegangen sind in der dürren Zeit, weil sie nicht verhungert, nicht verdurstet sind, erzählt man sich unter den Jüdinnen und Juden von Elia auch Jahrhunderte später noch ähnlich märchenhafte Geschichten.

Diese Märchen haben keine Jahreszahl und nennen auch keinen genauen Ort auf der Landkarte, aber sie tragen die grossen Wahrheiten weiter,

  • die überlebenswichtig sind,
  • die die Hoffnung hüten und Geduld üben,
  • die die vorauslaufende Liebe Gottes anschaulich und begreiflich machen.
  • Dass man sich auf Gott verlassen kann, dass es für den heutigen Tag genug ist,
  • dass man darauf vertrauen kann, dass Gott für den morgigen Tag sorgen wird.
  • Dass Gier und Masslosigkeit auch die besten Möglichkeiten im Leben verderben,
  • dass Reichtum richtig fatal wird, wenn man vergisst, dass man als reicher und als armer Mensch anderen helfen und beistehen kann,
  • dass es nur für die reichen Leute ein wenig schwieriger ist.

 

In einer jüdischen Geschichte wird davon ganz wahrhaftig erzählt. Sie handelt davon, dass nicht aufhört, was einmal angefangen hat – genau wie sich der Mehltopf und der Ölkrug der Witwe immer wieder füllen. Hört also eine dritte und letzte Geschichte für heute:

 

«Eines Tages kam der Prophet Elias, als Bettler verkleidet, in ein kleines Shtetl im großen russischen Reich. Dort lebten zwei Brüder, ein armer und ein reicher. Bei dem Reichen rollte der Rubel, beim Armen nicht mal eine kleine Kopeke. Der arme Bruder war gut und freundlich, der reiche aber hart und geizig, und dachte nicht daran, seinem Bruder zu helfen.

Der Prophet im Bettelgewand ging zuerst zu dem reichen Bruder, der gerade vor seinem Hoftor stand, und grüßte ihn höflich. „Sholem alejchem, einen guten Tag! Werter Herr, seid so gut und gebt mir ein bisschen Geld, nur eine Kopeke, dass ich mir etwas zu essen kaufen kann!“

Der Reiche schrie wütend: „Gar nichts kriegst du von mir! Verschwinde, du Schnorrer, oder ich hetze meinen Hund auf dich!“  Doch der Hund, der knurrend und zähnefletschend herbeigelaufen kam, wich zurück vor dem Bettler und legte sich ganz sanft auf den Boden, sehr zum Ärger seines Herrn.

Der Bettler ging weiter, und bald kam er zur Hütte des armen Bruders, klopfte an und bat: „Seid so gut und gebt mir nur eine Kopeke, ich hab’ Hunger!“ – „Du siehst doch selbst, wie arm ich bin! Ich kann dir kein Geld geben, aber was ich habe, will ich mit dir teilen.“ Er lud den Bettler ein, sich zu setzen, und sie teilten sich das Wenige, was im Haus war: ein Stück Brot, ein halber Hering, heruntergespült mit etwas kaltem Tee, der noch von gestern übrig war. Sie aßen und redeten miteinander, und dann stand der Bettler auf und schickte sich an, weiterzuziehen. Doch vorher bedankte er sich herzlich bei seinem Gastgeber und sagte: „Was Ihr anfangt zu tun, soll kein Ende nehmen!“ Ein seltsamer Wunsch – dass man mit dem, was man beginnt, nicht aufhören soll?!

Der arme Mann dachte sich nicht viel dabei. Er sah nur, dass auf dem Bänkchen sein Talles, sein Gebetsschal, liegen geblieben war, und er legte ihn zusammen. Er traute seinen Augen nicht: Auf einmal lag da noch ein Talles, aber ein viel schönerer Schal als sein eigener, von ganz feinem Stoff. Also faltete er den auch zusammen. Doch da lag noch ein dritter und ein vierter, und die Schals nahmen kein Ende. Da erst begriff er, was der Bettler gemeint hatte, und dass das kein einfacher Bettler gewesen war, sondern der Prophet Elias! Schließlich war seine ganze Stube voll mit Gebetsschals; er machte einen Laden auf und verkaufte sie, und seine Not hatte ein Ende.

Natürlich verbreitete sich die Nachricht davon wie ein Lauffeuer und gelangte auch zu den Ohren des reichen Bruders. Der dachte sich sein Teil und hätte sich den Bart ausreißen können, dass er zu dem vermeintlichen Bettler so grob gewesen war. Er hoffte inständig, dass dieser sich noch einmal sehen ließe, und ihm auch so einen Segensspruch geben würde.

Er dachte sich: „Ich werde bestimmt nicht bloß Tuch um Tuch zusammenlegen wie mein Bruder, der Nichtsnutz, der Schnorrer! Ich werde goldene Rubel zählen!“ Und für alle Fälle stellte er eine ganze Stube mit leeren Truhen voll, in die er die Haufen Gold hineinfüllen wollte. Auf den Tisch legte er eine Goldmünze, damit er etwas hätte, womit er anfangen könnte zu zählen.

Und tatsächlich! Kurz darauf sah er den Bettler von ferne, lief ihm entgegen und rief: „Scholem alejchem, teurer Freund – kommt herein und seid mein Gast!“ Und er bat den Bettler unter vielen Verbeugungen in sein Esszimmer. Es gab zu essen und zu trinken von allem, was gut und teuer ist: eine köstliche Hühnerbrühe, gefilten Fisch, ganze gebratene Hühner und zum Nachtisch einen süßen Kugel-Auflauf, dazu die besten Weine – es war so fein wie bei Rothschilds!

Als sie mit dem Mahl fertig waren, stand der Bettler auf und sagte zu seinem Gastgeber: „Ich danke Euch! Möge das, was Ihr beginnt, kein Ende nehmen!“

So ein Schlammassel! dachte sich der reiche Mann und schob den Bettler rasch hinaus, denn er konnte es nicht erwarten, mit dem Zählen der Goldmünzen zu beginnen. Er stürzte in die Stube mit den leeren Truhen und griff schon zu der Münze, mit der er anfangen wollte, doch dann besann er sich, dass er ja die ganze Nacht hindurch zählen würde, und es daher nach all dem Wein, den er getrunken hatte, besser wäre, sich vorher zu erleichtern. Also ging er auf den Hof in eine dunkle Ecke … Nun, was soll ich euch sagen – der Wunsch des Propheten Elias ging in Erfüllung!

Und so steht er noch und pischt bis zum heutigen Tag!»[2]

 

Liebe Gemeinde

Nein, zuletzt musste auch dieser reiche Mann einmal sterben; er steht nicht mehr da im Hof in einer dunklen Ecke …

Aber die Verheissungen Gottes sind nicht gestorben. Sie gelten zuerst den Armen, die zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel haben: Das Mehl im Topf soll nicht verzehrt werden, und dem Ölkrug soll nichts mangeln …

So überlegen wir genau, was wir anfangen – und alles, was gut ist, möge um Gottes Willen kein Ende nehmen.

 

Der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, der stärke und bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, Amen.

 

Dörte Gebhard, Pfarrerin

Mail: doerte.gebhard@web.de

[1] Quelle: https://www.grimmstories.com/de/grimm_maerchen/der_susse_brei, abgerufen am 1. 7. 2021. Frei nacherzählt von einem Gemeindeglied.

[2] Nacherzählt nach Moira Thiele, Der Wunsch des Propheten Elia auf www.hagalil.com, abgerufen am 1. 7. 2021. Auch diese Geschichte wird – gekürzt und frei – von einem Gemeindeglied vorgetragen.

 

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