Die Welt leidet…

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Die Welt leidet…

Die Welt leidet in diesen Tagen | Predigt über den Psalm des Tages (Ps 22, 2-9.12.16.19-20) | Pfarrerin Wibke Klomp |

Karfreitag 2020, liebe Gemeinde, ist ein Karfreitag ganz eigener Art. Wir können nicht in der uns vertrauten Art in unsere Kirchen kommen und gemeinsam Gottesdienst feiern – und doch begehen wir zusammen den Karfreitag. Anders, aber vielleicht sogar bewusster als sonst, weil wir uns zu Hause jetzt einen ruhigen Platz gesucht haben. So geben wir dem Kreuzesgeschehen auf eigene Weise Raum in unseren Häusern und Wohnungen. Mir gefällt dieser Gedanke, denn so zieht Jesus hinaus aus unseren Kirchen und hinein in unser Leben. Begegnet uns dort, wo wir leben und viele, gerade in diesen Tagen ungewohnt viele Stunden verbringen – für manche eine ungewohnte und schmerzvolle Erfahrung.

Die Welt leidet in diesen Tagen:

Sie leidet gemeinsam wie noch nie, denn wir können durch das Internet jederzeit die Zahl der Erkrankten in jedem Land dieser Erde nachverfolgen. Wir können die Zahlen nachverfolgen bis in unseren Landkreis, unsere Stadt, ja, unser Dorf. Wir sehen wie sie steigen. Wir lesen die Zahlen der Erkrankten, die der Gesundeten und mit großem Schmerz die stündlich größer werdende Zahl der Verstorbenen. Ob sie nun mit oder an Covid19 verstorben sind, mag für eine Statistik relevant sein, für die Angehörigen und Freunde, die um einen geliebten Menschen trauern, wohl kaum. Diese Trauer und der Schmerz spannen sich um unseren Erdball – von China über Italien, Frankreich, Spanien, Deutschland bis in die USA. Und mit Sorge sehen wir auf die Regionen dieser Welt, deren Gesundheitssysteme der Pandemie weniger entgegensetzen können als unseres.

Die Welt leidet in diesen Tagen!

Vielleicht ist dieses gemeinsame Leiden eine Chance für ein Umdenken von uns allen: Wir sind eine Weltgemeinschaft, wir leben zusammen auf der Erde, die Gott, der Schöpfer uns geschenkt hat. Ein weit über neunzigjähriger Mann aus meiner Gemeinde meinte am Telefon: „Noch nie habe ich so etwas erlebt. Nicht einmal im Krieg. Und glauben Sie mir, das war eine harte Zeit“ Ich glaube, er hat recht. Keiner hat sich je vorstellen können, was wir dieser Tage erleben: Geschlossene Geschäfte und Restaurants, leere Straßen bei schönstem Frühlingswetter, geschlossene Schulen und Kindergärten. Das rot-weiße Absperrband auf Spielplätzen, wo unsere Kinder sonst fröhlich spielen. Oder auch die Osterfeiertage ohne Gottesdienste in den Kirchen, die wie wir Christinnen und Christen sonst seit Jahrhunderten in diesen Tagen begehen.

Aber all dies ist notwendig, um das Leiden der Welt zu lindern. Und ich glaube, es ist notwendig, dass wir innehalten und ins Nachdenken kommen: Wie oft haben wir aus der sicher geglaubten Distanz auf das Leiden anderer Menschen geschaut, vielleicht auch mitgelitten. Aber immer in dem Gefühl, dass uns dies in Europa, uns hier in Deutschland nicht würde passieren können. Mit welcher Härte wurden Preise auf Kosten anderer immer niedriger gedrückt, damit wir möglichst viel und günstig konsumieren können. Wie sind wir mit unserer eigenen Landwirtschaft umgegangen, wie mit den Menschen in den Berufen, die sich jetzt als „systemrelevant“ herausstellen?

Karfreitag 2020 – ein Tag zum Innehalten, mehr wahrscheinlich, als jeder Karfreitag, an den wir uns erinnern. Jesus leidet am Kreuz stellvertretend für die Schöpfung. Er leidet für und mit uns. In dem Passionsbericht nach Matthäus wird der Gottessohn mit den Worten: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ zitiert. (Mt 27,46) Dieser Vers ist der Beginn des 22. Psalms. Worte, die zur traditionellen Liturgie des Karfreitags gehören und in diesen Zeiten auf einmal ganz neu zu mir sprechen:

2 Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?

Ich schreie, aber meine Hilfe ist ferne.

3 Mein Gott, des Tages rufe ich, doch antwortest du nicht,

 

und des Nachts, doch finde ich keine Ruhe.

4 Aber du bist heilig,

der du thronst über den Lobgesängen Israels.

5 Unsere Väter hofften auf dich;

und da sie hofften, halfst du ihnen heraus.

6 Zu dir schrien sie und wurden errettet,

sie hofften auf dich und wurden nicht zuschanden.

7 Ich aber bin ein Wurm und kein Mensch,

ein Spott der Leute und verachtet vom Volk.

8 Alle, die mich sehen, verspotten mich,

sperren das Maul auf und schütteln den Kopf:

9 »Er klage es dem Herrn, der helfe ihm heraus

und rette ihn, hat er Gefallen an ihm.«

12 Sei nicht ferne von mir, denn Angst ist nahe;

denn es ist hier kein Helfer.

16 Meine Kräfte sind vertrocknet wie eine Scherbe,

und meine Zunge klebt mir am Gaumen,

und du legst mich in des Todes Staub.

19 Sie teilen meine Kleider unter sich

und werfen das Los um mein Gewand.

20 Aber du, Herr, sei nicht ferne;

meine Stärke, eile, mir zu helfen!

 

Starke, berührende Worte, die mich gerade in diesen Zeiten sehr bewegen. Jesus wird gewiss nicht nur den Eingangsvers gekannt haben, den er in seinem Leiden zitiert hat, sondern auch die Verse, die darauf folgen. Jesus fasst sein Leiden, seine Angst, seine Not in Worte der Tradition. Ein Hilfeschrei, an seinen Vater gerichtet. Ein Schrei, den ich aufnehmen möchte, weil sich die Worte des 22. Psalms mitten in meine, in unsere Lebenswirklichkeit fügen: Es ist ein Schrei, den ich auch in mir spüre, wenn ich in den vergangenen Tagen Bilder aus der ganzen Welt sehe: Die überfüllten Krankenhäuser in New York, die Bilder der Särge in Italien, Madrid, eine pulsierende Stadt – leer gefegt. Die schönsten Strände der Welt- leer. Die Grabeskirche in Jerusalem, die Via Dolorosa –die Straße des Kreuzwegs Jesu leer – die Welt, sie leidet gemeinsam in diesen Tagen. Und auf einmal spricht mich an, was ich als Kind einer Zeit des Friedens und des Wohlstands so oft überlesen habe: „Unsere Väter hofften auf dich; und da sie hofften, halfst du ihnen heraus.“ Unsere Vorfahren, unsere Mütter und Väter haben für ihr Leben Hoffnung aus dem Glauben geschöpft. Sie haben im Glauben Kraft und Zuversicht gefunden, um Leid, Not und Krisenzeiten zu durchstehen. Wie mein Gemeindeglied den 2. Weltkrieg oder Paul Gerhardt die Zeit des 40jährigen Krieges. Sie haben ihr Leiden vor Gott gebracht, geklagt, gerungen und gekämpft. Sie haben sich wie der Psalmbeter in seiner Angst an Gott um Hilfe gewandt. „Aber du, Herr, sei nicht ferne; meine Stärke, eile mir zu helfen!“ Der leidende Jesus am Kreuz ruft nicht ohne Grund die Eingangsworte des Psalms 22 am Kreuz. Auch er, denke ich, erwartet die Hilfe seines Vaters. Und er erfährt diese, auch wenn dies in diesem Moment am Kreuz, auch wenn dies im Moment seines Todes, erst einmal ganz anders scheint. Ja, Gott geht mit seinem Sohn durch dieses Leiden und es zerreißt ihn, den Vater, dabei, so wie es den Vorhang im Tempel im Augenblick des Todes seines Sohnes zerreißt. (Mt 27, 51) Gott geht mit seinen Sohn in den Tod, um ihn danach aus diesem wieder herauszuführen und auferstehen zu lassen. Nein, Gott, der Vater war in diesem Leiden, in diesem Tod nicht fern, sondern ganz und gar da. Die Erde bebte, die Felsen zerrissen, schreibt Matthäus.

Und so ist Gott auch jetzt für seine Schöpfung da. Er leidet mit uns, mit jedem Einzelnen, mit den Familien, den Freunden – mit uns allen. Er leidet mit seiner Welt in diesen Tagen. Und er ist für uns da. Reicht uns seine Hand, nimmt uns in den Arm – wo wir einander nicht in den Arm nehmen können und dürfen, uns nicht im gemeinsamen Gottesdienst die Hand bei der Feier des Abendmahls zum Friedensgruß reichen können. Er ist da. Karfreitag und auch Ostern feiern wir in unseren Häusern und Wohnungen. Und wir spüren es: Ja, Gott umgibt uns hier und jetzt mit seiner Liebe und Barmherzigkeit, die er uns auf so besondere Weise in Jesus gezeigt hat, den er für uns durch den Tod zur Auferstehung geführt hat. Nehmen wie diese Liebe an. Und geben und leben wir sie weiter mitten hinein in unsere leidende Welt.

Amen

Pfarrerin Wibke Klomp

Walldorf

klomp@eki-walldorf.de

Wibke Klomp, Jg. 1975 ist Pfarrerin in einer Dienstgruppe in Walldorf/Baden. Walldorf ist der Firmensitz der SAP. In den letzten Jahrzehnten hat die Stadt dadurch einen enormen Wandel von einem Bauernort mit Spargel- und Tabbakanbau hin zu einem führenden Standort der IT-Branche erlebt.

Liedvorschläge nach der Predigt:

EG 381: Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen

EG 382: Ich steh vor dir mit leeren Händen, Herr

EG 171: Bewahre uns Gott

EG 369, 1+5-7 Wer nur den lieben Gott lässt walten

Fürbittgebet                 Gnädiger Gott!

Es sind bewegte Zeiten und deine Schöpfung leidet.

Die Ängste und Sorgen sind an diesem Karfreitag weltweit groß.

Lass uns aufeinander Acht geben und füreinander einstehen.

Hilf uns, Gott, ruhig und besonnen zu bleiben.

Kyrie

Wir bitten dich für uns als Gesellschaft,

dass wir diese Wochen als Chance zum Nach- und Umdenken nutzen.

Wie gehen wir mit unserer Schöpfung um?

Ist maximaler Gewinn, ist die Globalisierung,

um möglichst günstig an alles zu kommen,

wirklich der richtige Weg?

Lass uns demütig auf das schauen, was war.

Schenke uns Einsicht und deine Gnade.

Kyrie

Wir bitten dich für die Menschen in den Senioreneinrichtungen

und Krankenhäusern, dass sie spüren, dass wir ihnen verbunden sind,

auch wenn wir sie nicht besuchen können.

Wir bitten dich für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter

In den Arztpraxen, den Ambulanzen und Krankenhäusern

um deine Kraft, Ruhe und Durchhaltevermögen.

Kyrie                           

                                    Wir bitten dich für die Expertinnen und Experten im

Gesundheitswesen um Weisheit,

für unsere Entscheidungsträger in der Politik um Besonnenheit,

ja, für unsere Gesellschaft einen Blick aufeinander,

damit wir miteinander durch diese Zeit kommen.

Kyrie

Treuer Gott!

Wir bringen vor dich unsere Trauer um die Menschen,

die von uns gegangen sind.

Wir bitten dich um Trost in diesen schweren Tagen.

Lass uns spüren, dass  das Leid uns auf der ganzen Erde verbindet

und um das Miteinander ringen.

Kyrie

                                    Lebendiger Gott!

Du bist der Ursprung unserer Wege.

Du bist in deinem Sohn uns gekommen.

Er hat die Liebe gelebt und Hoffnung aufgezeigt.

Er hat gezeigt, dass wir miteinander mehr erreichen als allein.

Wir bitten dich, dass wir als Gemeinde unser Glauben weiter leben

und aus ihm Hoffnung und Zuversicht in unsere Gesellschaft ausstrahlen.

Kyrie

 Den ganzen Gottesdienst gibt es hier auch noch als Video zu sehen:
www.eki-waldorf.de/viedeo-angebote

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