Johannes 12, 23-33

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Johannes 12, 23-33

(Johannes 12, 23-33 – Dänische Perikopenordnung)

Eigentlich ist das Kirchenjahr merkwürdig konstruiert. Kaum ist
das göttliche Kind zur Welt gekommen, angebetet von den Sehern,
kaum hat es sich in einem Leben voll von Wundern offenbart – da wird
es zu einem Geheimnis. Etwas, was in die Erde fallen und sterben muß.
Wie das Weizenkorn. Etwas, was bedroht ist und ausgeliefert, etwas, was
bewahrt wird, indem es untergeht. So wie das Leben mit seinen innersten
Prozessen. Indem es untergeht, beweist es seine Stärke.

Die Ordnung, die damit dem Leben der Menschen gesetzt wird, die mit
diesen Texten leben, ist die Öffnung einer größeren Wirklichkeit
als der, mit der wir uns von selbst begnügen.

In diesen Texten geht es darum, daß wir erst zu uns selbst kommen,
wenn wir die ganze Wirklichkeit aufnehmen, ohne sie einzuschränken
und ohne sich mit einem redigierten selbst geschaffenen Ausschnitt zu
begnügen.

Lieber Klarsicht als Wirklichkeitsflucht. Lieber Nacktheit als Maske.

Damit läutet der Text die Fastenzeit ein, in der die
Christen seit alter Zeit dem Leiden und dem Tod in die Augen sehen. Nicht
um ihn zu verdrängen, sondern um ihm zu wider­stehen.

Aber schon wenn ich den Begriff Wirklichkeit benutze, gibt es Probleme.
Als könnte ich oder jemand anderes wissen, worin die Wirklichkeit
besteht. Das kann niemand – ausgenommen vielleicht das Geheimnis, das
wir Gott nennen.

Für uns, die wir nach vorn leben, ist die Wirklichkeit das, was
wirkt. Was wir merken. Aber was wirkt, beruht sehr darauf, welches Vorzeichen
wir unseren Handlungen voranstellen.

Ich glaube, daß nur sehr wenige Menschen in der Praxis ohne ein
Bild der Wirklichkeit leben. Dabei drohen zwei Fallen oder Abwege: Einmal
daß das Bild der Wirklichkeit zu klein ausfällt. Und dann,
daß wir das Bild von der Wirklichkeit mit der Wirklich­keit
selbst verwechseln. Die Wirklichkeit, die unbekannt ist, bis wir sie
selbst merken. Das Verhängnisvolle aber ist, daß unser Bild
der Wirklichkeit darüber entscheidet, in welcher Gestalt uns die
Wirklichkeit begegnet.

Die Vorgeschichte zum heutigen Text ist die, daß einige Griechen
den Jünger Philippus fragten, ob sie nicht Jesus sehen dürfen.
Und Philippus leitet wie ein königlicher Hofmarschall den Antrag
weiter an Jesus, der dann mit dem heutigen Text vom Weizenkorn antwortet,
das sterben muß.

Die Griechen gingen davon aus, daß die Dinge das sind, was man
sehen kann – und nur das. Wenn sie also Jesus erblickten, ja dann hatten
sie ihn so gesehen, wie er war.

Aber Jesus macht darauf aufmerksam, daß er viel mehr ist als das,
was man sehen und wahrnehmen kann. Wie beim Weizenkorn. Das ist ja viel
mehr als nur ein Weizenkorn. Das ist viel mehr, als man sehen kann, denn
dieses „Mehr“ ist den Augen verborgen.

Im Grabe aber geschieht das Wunder und das Weizenkorn keimt, wächst
und bringt vielfältige Frucht. Dieses „Mehr“ nennt Jesus
Verherrlichung.

Das Wort Verherrlichung selbst hat seinen Ursprung in der Auffassung
von Gott – es ist ein Wort, das die Pracht und Ehre Gottes bezeichnet.
Man könnte vielleicht mit einem modernen Wort sagen, daß die
Herrlichkeit Gottes seine Ausstrahlung ist.

Das Alte Testament ist voll von solchen Ausdrücken. Z.B. wenn es
an vielen Stellen heißt, daß die Erde voll von seiner Herrlichkeit
ist. Damit ist gemeint: Auch wenn Gott vielleicht nicht sichtbar ist,
so wirkt er dennoch in der Welt. Seine Ausstrahlung wirft Glanz über
die Erde.

Stellen wir uns vor, daß die Königin hier in der Kirche am
Gottesdienst teilnimmt. Vielleicht sitzt sie oben, wo die alte Orgel
war, für uns in der Kirche verborgen. Aber allein das Bewußtsein
von ihrer Anwesenheit wirft natürlich einen Glanz auf den Gottes­dienst.
Die Herrlichkeit der Königin steckt an und strahlt in den Raum aus
und umfaßt uns, die wir anwesend sind. Ähnlich ist es auch
mit der Herrlichkeit Gottes. Die Herrlichkeit Gottes wirft einen Glanz über
die Erde.

Im Neuen Testament geschieht etwas Merkwürdiges mit dem Gebrauch
des Wortes ‚Herrlichkeit‘, es enthält nun ein ganz anderes Bild.
Das Bild vom Weizenkorn und vom König wird verschmolzen, so daß die
Herrlichkeit nicht mehr der Herrlichkeit gleicht, sondern der Erniedrigung.

Das Weizenkorn wird verherrlicht in dem Prozeß, der im Säen,
Keimen und Früchtebringen besteht. Das Weizenkorn ist nicht mehr
zu sehen – es vergeht in dem Prozeß, lebt aber in dieser Weise
weiter in einer anderen Gestalt, die also nicht mehr als das ursprüngliche
Weizenkorn zu erkennen ist.

So wird Jesus verherrlicht. Sein Tod gleicht einem Säen und seine
Auferstehung einem Fruchtbringen. Deshalb diese Antwort auf die Frage,
ob sie Jesus sehen dürfen: Es ist sehr wohl möglich, Jesus
zu sehen, aber was hinter der Frage stand war ja dies, ob sie Jesus als
Gottes Sohn sehen dürften. Und das war also nicht möglich,
denn dieser Anblick ist ein Geheimnis, so wie die Liebe in sich selbst
unsichtbar ist. Ein Geheimnis, das nur du und ich offenbaren können,
indem wir es leben. Und die Herrlichkeit der Hingabe ist mehr als irgendetwas
Anderes unsichtbar für das Auge, das nur hinsieht.

Die Herrlichkeit der Hingabe ist ein durchgängiges Motiv in dem
Winterlied des dänischen Dichters Ole Sarvig:

Er ist wie Leben in Frucht und Same,
der tief fallen und
sterben muß,
zu bringen das neue Jahr des Lebens
durch Lärm und Leid des Winters.

Denn Jesus liebte das Leben, und haßte sein leben – als sein eigenes,
das Leben, das er für sich selbst hatte.

Um es am Weizenkorn zu veranschaulichen: Könnte ein solches Weizen
korn sein Leben lieben, so würde das bedeuten, daß es sich
weigerte, sich säen zu lassen. Und wenn es dennoch gelingen sollte,
es in die Erde zu legen, würde es sich weigern zu keimen, weil es
eben nur sein Leben als Weizenkorn lieben würde.

Ein Weizenkorn aber, das das Leben liebt, gibt sein Leben hin, damit
neues und vielfältigeres Leben emporwachsen kann.

Wie Jesus. Hätte Jesus sein Leben geliebt, hätte er sich niemals
seinen Feinden ausgeliefert, sondern hartnäckig für sein Leben
gekämpft. Das hätte sicher bedeutet, daß er seine Rolle
als Sohn Gottes heruntergespielt hätte, denn es waren ja gerade Äußerungen
darüber, die zu seinem Todesurteil führten. Er hätte auch
nicht so viel Zeit darauf verwendet, sich mit Sündern und Verlorenen
abzugeben, denn das war der Anstoß, der den Brand entflammte. Mit
anderen Worten: Hätte Jesus sein Leben geliebt, wäre er nicht
der Christus. Und auch wenn er dennoch hingerichtet worden wäre,
hätte das für uns nichts bedeutet. Denn dann hätte das
Säen seines Leibes kein neues Leben geschaffen.

Aber Jesus liebte das Leben als solches und war bereit, sein
eigenes Leben aufs Spiel zu setzen für dieses viel höhere Prinzip.
Ganz wie ein Weizenkorn das Leben liebt und deshalb bereit ist, sich
selbst hinzugeben, damit das Leben weitergehen kann.

Und eben dies tat er: Er entäußerte seine Kraft in unsre
Welt. Damit wir und die Welt leben können. Daraus entstand neues
Leben, das es vorher nicht gab. Von da an sind wir seine Samen:

Er wächst aus der Herzwurzel des Ich,
er ist dein
Leben, Du bist sein Blut.

Und soll das Leben nicht bei uns aufhören und aussterben, müssen
auch wir es loslassen und fallenlassen – als das Weizenkorn, das es ist.

Wenn die Welt steht – wie wir sie wiedererkennen, fällt es leichter,
sie loszulassen.

Wenn die Welt fällt und wir immer unsicherer werden über unsere
Beziehung zur Wirklichkeit und nicht wiedererkennen können, was
wir für anständig und richtig hielten – weder in der Ausländerpolitik
nicht in der Frage nach Freund und Feind oder in dem Maßstab, nach
dem wir uns richten sollen – dann klammern wir uns an das, was wir haben
und am allerwenigsten hergeben wollen.

Aber dennoch verlangt der Lebensprozeß des Weizenkornes eben dies.
Er verlangt, daß wir uns hingeben an das Unbekannte. Nicht unvernünftig,
nicht unkritisch, aber Hingabe. Wie Körner, die wissen, wo unsere
Wurzeln sind, können wir uns hingeben. Nicht aus eigener Macht,
sondern weil Christus die Kraft in unserer Hingabe ist. Wenn wir fallen,
fallen wir mit ihm.

Das macht den Fall nicht kleiner, aber das gibt Sinn in der Sinnlosigkeit.
Im Fall und im Verlust ist das Leben am deut­lichsten. Es ist merkwürdig
und wirklich.

Die alles verloren haben, wie Ihr,
bei denen will ich
sein,
unsichtbar für alle Welt,
und warten dort auf Sommerwind.

Amen.

Pfarrerin Birte Andersen
Emdrupvej 42
DK-2100 København-Ø
Tel.: ++ 45 – 39 18 30 39
e-mail: bia@km.dk

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