Johannes 17,1-11

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Johannes 17,1-11

Die Macht der Ohnmacht | Rogate | 05.05.2024 | Joh 17,1-11 (dänische Perikopemordnung) | Leise Christensen |

Wir haben vier Evangelisten im Neuen Testament, vier ganz unterschiedliche Schriftsteller. Alle berichten von demselben Ereignis in der Weltgeschichte, nämlich dem Ereignis, dass Gott von seinem Himmel herabstieg, Fleisch annahm und Mensch wurde mit all den Sorgen, Freuden und Problemen, die das nun einmal mit sich bringt. Wir haben Markus. Er ist immer kurzgefasst und erzählt sehr kompakt, etwas im Telegrammstil, vom Leben und Wandel Jesu. Er hat das Wesentliche mit und reflektiert nicht so sehr über das Geschehen, und es geht immer hin und her. Dann ist da Matthäus, der etwas ausführlicher erzählt und sich für die Judenchristen interessiert, wohl weil er selbst einer war. Lukas, ja der hat auch seine eigene Sicht auf die Erzählung von Jesus. Lukas interessiert sich nämlich vor allem für die untersten Schichten der Gesellschaft. Er ist der Fürsprecher der Schwachen, und oft erzählt er vom Verhältnis Jesu zu ihnen. Schließlich ist da Johannes. Ihn lernen wir kennen vor allem in der Zeit zwischen Ostern und Pfingsten. Johannes ist in erster Linie Theologe, und darüber kann man sicher viel Kritisches sagen. Die Texte von Johannes sind schwer zugänglich, er verwendet viele fremdartige Worte für sein Anliegen. Dafür aber verwendet er die Worte oft. Immer wieder wiederholt er seine Lieblingsworte, und stets haben seine Sätze eine eigene Schönheit, auch wenn man die Ohren spitzen oder die Brillen putzen muss. Es verlangt etwas von uns, wenn wir uns in die Gedankenwelt versetzen wollen, in der sich Johannes befindet. Es dauert etwas, die Worte zu schmecken, oft große Worte, die er seinen Zuhörern zumutet. Die Sprache erweitert sich, wenn Johannes zu Worte kommt, sprachliche Verrenkungen werden ausgelotet, und komplizierte Gedanken werden vorgetragen.

So ist es auch im heutigen Evangelium, das aus der (langen!) Rede stammt, die Jesus für seine Jünger hielt, ehe er im Garten Gethsemane gefangengenommen und zum Verhör und zur Kreuzigung geführt wurde. Heute ist da ein Wort, das immer wiederkehrt – sechs Mal, und das ist das Wort Verherrlichung. Verherrlichung?  Ja, das ist ein Wort, das man auf der Zunge zergehen lassen kann. Das ist nicht so ein Wort, das wir im alltäglichen Umgang mit einander verwenden, das ist groß, verheißungsvoll, das ist fremd und vielleicht unverständlich? Was bedeutet es, verherrlicht zu werden, herrlich gemacht zu werden? Ja, man sollte ja unmittelbar glauben, dass da kein Grund war, von Verherrlichung zu reden, wenn man wie Jesus unmittelbar vor der Hinrichtung am Kreuz stand. Alle Evangelien sind im Prisma der Auferstehung zu sehen – sonst wäre nichts Besonderes von Jesus zu berichten. Das gilt besonders vom Johannesevangelium. Johannes begnügt sich nämlich nicht damit, dien Auferstehung selbst als Verherrlichung zu sehen, nein, er sieht auch die schreckliche Kreuzigung als eine Verherrlichung oder Erhöhung. Wenn die Kunst den gekreuzigten Jesus vom Johannesevangelium her abbildet, sieht man denn auch nicht den gebeugten Jesus mit geneigtem Haupt, nein, man sieht den siegreichen König, der mitteilt, dass es vollbracht ist. Man kann in einigen Bildern sogar sehen, dass die Arme, die am Querbalken des Kreuzes festgenagelt sind, geradezu Armen gleichen, die ausgebreitet sind, um den Betrachter zu umarmen, statt einem zu gleichen,  der an festgenagelten Armen leidet. Das Kreuz wird so zum ultimativen Ort des Paradoxes. Erhöhung und Erniedrigung zugleich, Verherrlichung und Demütigung zugleich, Verzweiflung und Hoffnung zugleich, Leben und Tod zugleich. Johannes beschreibt besser als jeder andere die merkwürdige Tatsache, dass die Allmacht und Stärke Gottes in der Ohnmacht und Schwachheit des Kreuzes liegt. Und das tut Johannes mit großen Worten wie z.B. Verherrlichung. Johannes verwendet große Worte, ja prächtige Worte, sie sind ja wie Kathedralen, die man neugierig besuchen kann. Aber gehen sie mich etwas an?

Das ist ja immer die Frage – vor allem bei alten Texten wie der Bibel. Bedeuten diese großen Worte etwas für mich? In einer Welt, wo Worte so flach sein können wie 40-Zoll Flachschirme, kann der Gebrauch großer Worte bei Johannes Anstoß und Frustration erregen. Wozu diese großen Worte? Es ist aber notwendig mit den großen Worten, würde jedenfalls Johannes sagen. Es ist notwendig andere Worte zu kennen und zu gebrauchen als Sofagruppe, iPhone, Toyota und Veranda. Es ist notwendig, sich darum zu bemühen, diese großen Worte zu untersuchen, die Schönheit enthalten und zu Reflexion und Nachdenken anregen. Dass wir überhaupt dazu gelangen, dazu verhilft uns Johannes, indem er große Worte wie Verherrlichung verwendet. Das Wort schafft, was es besagt, pflegen wir zu sagen. So ist es mit dem Wort des Johannes von Erhöhung und Verherrlichung, und so ist es auch um Guten wie im Schlechten mit den Worten, die wir einander sagen. Sie können erhöhen und verherrlichen, und sie können wehtun und demütigen. Zuweilen reden wir von haltbaren Verbrauchsgütern wie Grasmähmaschinen, Waschmaschinen und Autos. Das sind Dinge, die nicht gleich verschwinden. Aber das tun sie ja doch. Nach mehr oder weniger Jahren sind sie außer Betrieb und verschwinden im großen Friedhof haltbarer Verbrauchsgüter. Worte, so meint man, sind dagegen flüchtig und verschwinden in dem Augenblick, wo sie ausgesprochen werden. Aber nichts könnte mehr unwahr sein. Worte haben die Tendenz, sich in uns festzusetzen, sei es, sie sind aus Liebe gesagt, Gleichgültigkeit oder Wut. Sie verschwinden nie, sondern sind aufgehoben im Herzen oder in einem Ort, wo sie jahrelang sitzen und nagen können. In diesem Sinne haben Worte ewiges Leben. Deshalb ist es manchmal wichtig, große Worte zu hören oder zu gebrauchen, die eben im Herzen aufbewahrt werden für den Augenblick, wo eine Krise eintrifft oder wo die Freude ihren Ausdruck finden muss. Dieser Sonntag ist perfekt für eine Wort-Probe, wo die theologischen Ingredienzen in Jesu Worten von Verherrlichung, ewigem Leben, Gebet und Wahrheit behandelt werden, um sie edel im Herzen zu bewahren. Das ist etwas anderes als Worte wie Verbrauchsgüter oder ein Laptop, es sind vielmehr Worte, von denen wir leben können. Wenn Jesus am Kreuz verherrlicht wird und sagt: Es ist vollbracht, so wie Johannes es ausdrückt, so ist das ein Versuch, auch zu sagen: Die Allmacht Gottes, von der wir oft glauben, sie sei etwas Mächtiges, wo Gott mit der Erde und den Menschen macht was er will, sie ist in Wirklichkeit dasselbe wie die demütige Ohnmacht Gottes am Kreuz. Aus unseren zwischenmenschlichen Beziehungen wissen wir, dass es nicht schwer ist, seine Macht mit Macht zu sichern. Wir können in vieler Weise unsere Macht demonstrieren, unsren Willen zu bekommen – Manipulation, einfache Machtanwendung, psychischer Terror usw. – aber das sind selten Methoden, die unserer Seele Ruhe geben, weder für den, der unserer Machtausüber ausgesetzt ist, noch für den, der Macht ausübt (die ja auch so ausgeübt werden kann, dass man immer den anderen in der Umgebung die Schuld gibt, wie Maude in der dänischen Fernsehserie Matador, wenn sie bei Konflikten immer flüchtet und zu Bett geht). Anders schwierig ist es, seine Ohnmacht anzuerkennen und sie sogar nicht als ein Handicap für die Lebensentfaltung zu sehen, sondern als eine Ressource für die Erkenntnis dessen, was wesentlich ist. Vielleicht liegt die Entlastung für ein gestresstes Leben gerade in der Erkenntnis, dass man nicht Macht über alles haben soll, um sich einen Menschen nennen zu können, zudem einen geliebten Menschen. Vielleicht liegt der Sieg auch für das gewöhnliche Menschenleben in der Ohnmacht wie im johanneischen Kreuz? Vielleicht liegt der Segen gleichsam verborgen wie das Korn, das in der Erde liegt, bis es auferstehen und fruchtbare Kerne hervorbringen kann. Lasst uns heute mit den schönen Worten des Johannes von Verherrlichung und ewigem Leben entdecken, dass das Leben anderes ist und mehr, als wir unmittelbar sehen. Lasst uns die großen Worte dazu helfen, das Machtvolle darin zu sehen, dass Gott sich kreuzigen ließ, damit die Liebe Macht auf Erden gewinnt. Amen.

Pastorin Leise Christensen

DK 8200 Aarhus N

Email: lec(at)km.dk

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