Matthäus 27, 33-54

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Matthäus 27, 33-54


Göttinger Predigten im Internet
hg.
von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


Karfreitag,
13. April 2001

Predigt über Matthäus 27, 33-54, verfaßt von Matthias Petersen



begrüßung

so sehr hat gott die welt geliebt
daß er seinen eingeborenen sohn gab
damit alle die an ihn glauben
nicht verloren werden
sondern das ewige leben haben
jh 3,16

leitwort karfreitag
das läßt sich nicht begreifen
das läßt sich nur beschweigen
in stille und gebet
besingen vielleicht

was das bedeutet
das läßt sich nur
vertrauensvoll
aus gottes händen nehmen

herzlich willkommen
zum abendmahlsgottesdienst
am karfreitag

um
miteinander
das wunder der liebe gottes zu bedenken
dazu begrüße ich sie und euch
ganz herzlich
in geschwisterlicher verbundenheit


kyrie eleison

mein gott
warum
warum bloß
gott

so viel gewalt
so viel angst
so viele zerstörte träume
so viel ungelebtes leben
so viele kleine tode

mein gott
warum

gott
erbarme dich über uns


eingangsgebet

aus der tiefe

gott

von ganz unten

aus der tiefe

gott

rufen wir zu dir

unbescheiden

drängend

anmaßend

rufen wir

und bitten

komm zu uns

gott

in unsere dunkelheiten

in unsere fragen

in unsere zweifel

in unser golgota

und überlaß uns nicht

den mächten des todes

maranatha

unser herr

komm

amen


matthäus 27, 31-54

als

an jenem morgen

die sonne aufgeht über jerusalem

als

gleichzeitig

eine atemlose aufgeregte menge

juden und jüdinnen aus der ganzen bekannten welt

sich bereit machen

für peschach

das heilige fest der freiheit

erinnerung an die befreiung

aus sklaverei und entwürdigung

da also

da taumelt schleppt sich

ein erbärmlicher geschundener

ein geprügelter blutender mensch

umringt von johlenden horden

getrieben von einer rohen soldateska

beschwiegen von verzagten freunden

nicht bemitleidet von selbstgerechten frommen

schleppt sich so ein armer

geschundener mensch

durch die gassen jerusalems

auf den blutenden schultern

den querbalken eines kreuzes

drückend rissig unmenschlich schwer

vor allem aber absolut tödlich

und

nicht im entferntesten ähnlich

den silberkreuzen

und künstlerischen kruzifixen

einer frommen schmuck und devotionsindustrie

zu diesem zeitpunkt

die wenigsten wußten das damals ja

lag hinter diesem menschen bereits

ein langer weg der höhen und tiefen

freunde die ihn nicht verstanden

gegner die ihm fallen stellten

sensationshungrige die nur das mirakel suchten

ängstliche die sich jeder veränderung entgegenstemmten

aber dann doch

immer wieder auch

die atemlose erfahrung der liebe gottes

die ahnung einer neue freiheit

die anbrach wie ein strahlender frühlingsmorgen

wunden die heilten

brot das hunger stillte

menschen die neuen lebensmut erfuhren

augen und ohren die sich öffneten

tote und totgeglaubte

die aufstanden

auferstanden gar

aufbruchstimmung

der morgen einer neuen schöpfung

angebrochen mitten unter uns

und das ganze

einzig und allein

aus dem ganz ganz tiefen

abgrundtiefen vertrauen heraus

daß gott diese welt liebt

groß und klein

keiner ist zu schwach

keiner zu unfromm

keiner zu verzweifelt

als daß gott ihn nicht wahrnahm

tief und innig liebte

wie ein guter vater

wie eine zärtliche mutter

ihre kinder

der frische wind der freiheit

durchwehte das land

einer freiheit

die aus dem vertrauen wuchs

und gerade das

war vielen suspekt

die furcht vor der freiheit ist groß

in den seelen der mächtigen

denn auch sie sind ja gefangene

gefangene ihrer gier

ihrer beharrung

ihrer angst vor veränderung

und so folgt

folgerichtig

der leidensweg des befreiers

die einsamkeit im garten gethsemane

die gefangennahme

die flucht der angstgeplagten getreuen

die rechtsbeugung durch einen rückgratlosen richter

verhöhnung folter durch verrohte subalterne

und

dann

die letzten schleppenden schritte zum tod

der befreier gefangen

aber die angeblich freien

allesamt

miteinander

handelnde und gaffende

sind

nicht weniger

gefangen in ihren rollen

unfähig

die eingeübten muster zu durchbrechen

da

kommt einer vom feld

simon von kyrene

ist müde von der arbeit

kommt gerade rechtzeitig

wird dienstverpflichtet

von rohen proleten zum kreuz geschubst

nimm das

los mach schon

wird’s bald

und nimmt das kreuz auf

simon wird gezwungen

ein sehr symbolisches bild

keiner kann abseits stehen

angesichts des leidens

es gibt da keine neutralität

wir belügen uns

wenn wir meinen

wir hätten ja nur

dabeigestanden

und auch

wer befehlsnotstand geltend macht

reicht doch die hand zur folter

alle beteiligten beziehen

auf diese weise

position

eine position der angst

eine position

die nicht mit gott rechnet

eine position

in der vertrauen nicht mehr vorkommt

und in der nun

folgerichtig

die welt so sein muß

als gäbe es gott nicht

mit wein und galle

will man sich entlasten

man ist ja kein unmensch

ich hab mein möglichstes getan

um das schlimmste zu verhindern

wein und galle

man sagt

daß das die schmerzen lindert

aber

was soll man tun

wenn der nicht mitspielt

ist doch wahr

wir haben unser bestes versucht

ist er doch selber schuld

hier ist sie wieder

die stimme der unfreiheit

die angst vor dem eigenen handeln

ich habs ja gar nicht gewollt

hab mein bestes getan

und wenn ich nicht

dann hätte ein anderer

die stimme der sklaverei

ein vielstimmiger chor der angst

wir laut

die melodie der offiziellen

inri

könig der juden

so eine vermessenheit

hat selbst schuld der hochstapler

der schrille diskant der spötter

wenn du gottes sohn bist

dann herunter mit dir

siehst du

das kannst du nicht

du lügner

der schweigende baß der soldaten

und der trommelwirbel der würfel

feierabend

das geht uns nichts mehr an

wohlgemerkt

das ganze findet statt

am tage des beginnenden passah

des festes der befreiung

und auf der bühne

bewegen sich nur gefangene

doch da sind

auch zwei räuber

so heißt es

untergrundkämpfer

partisanen

zwei die pech hatten

und sich erwischen ließen

zwischen denen hängt jesus

der heruntergekommene gott

tiefer kann ein mensch nicht mehr sinken

selbst die verspotten ihn

nein

tiefer kann ein mensch nicht mehr sinken

lukas

der evangelist

erzählt

einer der beiden

habe nicht gespottet

sondern

stattdessen

gebeten

um eine gnade

herr

wenn du in dein reich kommst

gedenke meiner

gott ist so tief unten

daß der mensch in der gosse

nicht mehr hochschauen muß zu ihm

sondern ihn bitten kann

um eine gnade

und

vielleicht gar

sollte das sein

ein gehenkter als vertrauender

ein freier mensch unter lauter gebundenen

sollte das wirklich so sein

der anbruch der freiheit

ausgerechnet auf golgotha

dann der schrei

elohi elohi

l’ma sabachtani

mein gott

mein gott

warum hast du mich verlassen

ja doch

das vertrauen des gehenkten ist groß

warum hast du mich verlassen

das ist der 22 psalm

so betet jeder fromme jude

im augenblick des sterbens

bis heute

das ist

im augenblick der scheinbaren gottesferne

das wahnwitzige vertrauen

daß gott dennoch hört

auf der intensivstation

am offenen grab

in der not der verzweiflung

im scheitern der lebensplanung

doch ja

das wahnwitzige vertrauen

daß gott hört

zumindest hören könnte

das vertrauen

das den unterschied macht

zwischen freiheit und gefangenschaft

der jude jossel rackower

am 28 april 1943 schreibt er

angesichts des todes im warschauer ghetto

ich glaube an den gott israels

auch wenn er alles dazu getan hat

mich an ihn unglauben zu machen

was für ein vertrauen in tiefster not

was für eine freiheit

verstehen wir

endlich

warum jesus leiden mußte

warum die ganze inszenierung

notwendig war

vergessen sie

alles fromme geschwätz

alle formeln

gott hat seinen sohn für uns sterben lassen

vergessen sie das

es versteht doch niemand

denken sie stattdessen an den gefolterten

denken sie an jossel rackower

an das wahnwitzige vertrauen dieser menschen

vertrauen aller erfahrung zum trotz

nur als leidender

und dennoch vertrauender

konnte jesus zum zeichen werden

für alle leidenden

um vertrauen ringenden

nicht mehr weiter wissenden

so schreibt es

in unseren tagen

der dichter rudolf otto wiemer

keines seiner worte glaubte ich ihm

hätte er nicht geschrien

mein gott warum hast du mich verlassen

das ist mein wort

das wort des untersten menschen

und

weil er selber so weit unten war

ein mensch

der warum schreit

und schreit verlassen

darum will ich auch die anderen worte

die von weiter oben

vielleicht ihm glauben

an dieser stelle

so schreibt matthäus

schreit jesus laut auf

wirft sich seinem gott in die arme

und stirbt

es zerbersten die gräber

es zerreißt der vorhang des tempels

es weht alles dahin

was gott und mensch je trennte

so wird neues leben möglich

so brechen die ketten

so ist der zugang zu gott wieder offen

ein für alle mal

niemals wird der mensch mehr zurück gehen müssen

hinter das beispiel des vertrauens

das jesus gab

ein beispiel

das wegweiser bleiben wird für ewig

mutmacher

freiheitsfanal

so daß selbst

der hauptmann

heide

henker

betroffen

die botschaft der befreiung begreift

wahrlich

dieser

ist gottes sohn gewesen

was für eine szene

was für eine botschaft

ein mensch lebt und stirbt

einzig mit dem ziel

seine mitmenschen zu befreien

aus der knechtschaft der angst

durch das grenzenlose vertrauen

in die umfassende liebe

eines gütigen gottes

er lebt und stirbt

damit wir

endlich

begreifen

wovon unser aller leben

getragen wird:

in der welt habt ihr angst

aber seid getrost

ich habe die welt überwunden

amen


schuldbekenntnis und absolution

o gott

so viel trennt uns

gedanken die wir gedacht

worte die wir gesagt

taten die wir getan

oder

vielleicht gerade

nicht gedacht

nicht gesagt

nicht getan haben

so viel trennt uns

o gott

von dir

und unseren mitmenschen

wir haben gelebt

als gäbe es dich nicht

aus der tiefe unseres herzens

gott

aus der finsternis unserer seele

bitten wir

im namen jesu

vater

vergib

amen


absolution

jesus sagt

alles

worum ihr nun

den vater bitten werdet

in meinem namen

das wird er euch geben

darum

im namen und auftrag jesu christi

sage ich

einem jeden von euch

der gott

um vergebung bittet seiner schuld

sei in frieden

dir ist deine schuld vergeben

+ amen


friedensgruß

jesus sagt

frieden lasse ich euch

meinen frieden gebe ich euch

nicht gebe ich wie die welt gibt

euer herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht

gott hat uns seinen frieden geschenkt

laßt auch uns nun einander

bevor wir miteinander zum tisch des herrn gehen

ein zeichen des friedens und der versöhnung geben


dank und fürbitte

guter gott

vater im himmel

wir bringen dir

unseren dank

für die gemeinschaft an deinem tisch

gemeinschaft

über alles trennende hinweg

gemeinschaft

in versöhnter verschiedenheit

und tiefer freundschaft

als deine kinder

als schwestern und brüder

wir danken dir

gott

für die brücke

die du uns baust

die brücke zu dir

die brücke zu uns selbst

die brücke zueinander

die brücke zu deiner ganzen schöpfung

hilf uns

sie mutig zu gehen

voller vertrauen

in deine zärtliche gegenwart

hilf uns

mutig einzutreten

überall da

wo auch nur eines deiner kinder

auch heute noch

zum opfer gemacht wird

damit genug sei

ein für alle mal

was geopfert wurde

durch unseren bruder

deinen sohn

jesus christus

in seinem namen wagen wir es

und beten zu dir

vater unser im himmel

Matthias Petersen, Propst
Kirchenstraße 37
24211 Preetz
petersen.m@t-online.de

 


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