Reflexion über den 3. Artikel des CREDO Geist, der heilig spricht

Home / Aktuelle (de) / Reflexion über den 3. Artikel des CREDO Geist, der heilig spricht
Reflexion über den 3. Artikel des CREDO  Geist, der heilig spricht

 

Der Heilige Geist, der mich heilig spricht
Martin Luther, WA 30 I, 91,13-16: „Ut ergo Christi mors et resurrectio
occulta non maneret, venit spiritus sanctus, praedicat, das heisst, quod
spiritus sanctus te ducat ad dominum, qui te liberat. Quando ergo te
quaero: Quid significat iste articulus? responde: Ego credo, quod spiritus
dei me sanctificet.“

Reflexion über den 3. Artikel
des CREDO
Geist, der heilig spricht
Wolfgang Vögele

 

Pluralistische Gesellschaften sind auf Vielfalt und
Buntheit, auf Freiheit und Mannigfaltigkeit angelegt. Allen Bürgern
steht es frei, ihren je eigenen Gewißheiten und religiösen Überzeugungen
zu folgen. Jeder soll in Übereinstimmung mit seinem Glauben leben,
denken und handeln können. Rechtlich gesehen findet Religionsfreiheit
erst ihre Schranken, wenn religiöse Überzeugungen in Handlungen
und Taten münden, die andere abwerten, einschränken oder
verletzen. Pluralistische Gesellschaften eröffnen also rechtlich
einen weiten Freiheitsraum für religiöse Erfahrungen.

Auf solche Mannigfaltigkeit und Buntheit des Pluralismus haben sich
auch die evangelischen Kirchen eingelassen. Und sie können dafür
theologische Gründe anführen: Christlicher Glaube baut nach
reformatorischer Überzeugung auf einer Glaubensgewißheit
(sola fide) auf, die nicht äußerlich institutionell als
objektive Wahrheit, sondern nur individuell verbürgt sein kann.
Darum tendiert der Protestantismus dazu, die religiösen Erfahrungen
des Individuums höher zu schätzen als die Institutionen,
die solche Gewißheiten sozial und kommunikativ vermitteln. Glaube,
Vertrauen, Gewißheit stehen in protestantischer Sicht höher
als Kirche, Gemeinschaft, Verbindlichkeit. Es wäre allerdings
fatal, beides gegeneinander auszuspielen.

Dem religiösen Pluralismus entspricht das Bild des Marktes oder
der Verkaufsmesse: Eine Vielzahl von kirchlichen oder religiösen
Anbietern buhlt um die Gunst des Publikums, das sich entscheiden und
auswählen muß. Dieses Publikum erweist sich als sehr wählerisch:
Die einen nehmen von jedem Stand etwas mit, andere vertrauen jedes
Mal demselben Verkäufer.

Wie gesagt: Der Protestantismus hat sich auf diese bunte religiöse
Vielfalt des religiösen Pluralismus eingelassen, er bejaht Religionsfreiheit.
Historisch und kulturell hat er beides sogar mit hervorgebracht. Die
aus der Reformation Martin Luthers hervorgegangenen Kirchen und Freikirchen
leben von religiöser Vielfalt. Um der Glaubensgewißheit
und christlichen Freiheit willen haben sie die Trennung und Abspaltung
von der katholischen Kirche in Kauf genommen.

Religionsfreiheit und Pluralismus sichern rechtlich und institutionell
ab, daß in einer Gesellschaft unterschiedliche religiöse Überzeugungen
miteinander koexistieren können. Niemand muß seine religiösen
Wahrheitsansprüche mit Gewalt durchsetzen. Jede Kirche und jede
Religion muß lernen, daß es neben ihr andere Religionen
und Kirchen gibt, die ebensolche, konkurrierende Wahrheitsansprüche
erheben.

Diese Einsicht ist das Ergebnis eines Lernprozesses, in dem die Kirchen
sehr unterschiedliche Erfahrungen gemacht haben. Kirchen und Christen
können auf pluralistische Vielfalt mit Rückzug oder Abschottung
reagieren, aber auch mit der Einladung und dem Angebot zu interreligiösem
Gespräch, zum Dialog, zum gegenseitigen Kennenlernen.

Wo unterschiedliche religiöse Angebote konkurrieren, da stellt
sich des weiteren die Frage: Was ist das eigentlich, das den christlichen
Glauben unverwechselbar macht?

Innerhalb des Fächerkanons der Theologie ist für diese Frage
die Dogmatik zuständig: Sie hat bis in die Gegenwart auf diese
Frage mit der Entwicklung immer komplizierterer Dogmatiken und kirchlicher
Lehren reagiert.

Aber in der letzten Zeit mehren sich die Stimmen, die diesen Weg nicht
mehr für gangbar halten. Dietrich Korsch, der Marburger Systematische
Theologe, hat eine dogmatische Theologie kritisiert, die sich damit
begnügt, „christlich-religiöse Glaubenssätze in
eine sinnvolle Ordnung zu bringen und zugleich ihre innere Logik zu
erfassen und zu rekonstruieren.“ Eine solche Dogmatik hält
Korsch für nicht mehr geeignet, „christliche Identität
zu beschreiben“, auch wenn er ihre Kenntnis für unabdingbar
hält. Statt dessen bemüht er sich um eine Theologie, die
er als Lebensdeutung begreift. Theologie untersucht, wo, warum und
inwiefern christlicher Glauben das Leben prägt und bestimmt. Um
das zu vermitteln, hält Korsch eine Elementarisierung der systematischen
Theologie für notwendig. Seine Dogmatik orientiert sich darum
nicht mehr am klassischen, fünfteiligen, der Heilsgeschichte folgenden
Aufbau, sondern am kleinen Katechismus Martin Luthers. Dekalog, Glaubensbekenntnis
und Vaterunser sind die Grundtexte, mit deren Hilfe Korsch seine Lebensdeutung
des christlichen Glaubens entwickelt. Auf dieser Grundlage liefert
eine evangelische Theologie lutherischer Prägung ihren deutenden
Beitrag im pluralistischen Konzert einer Vielzahl von Theologien, Religionen
und religiösen Überzeugungen. Dem „anything goes“ pluralistischer
religiöser Erfahrung begegnet Korsch mit einer elementarisierenden
Strategie: Er will die eigene Position theologischer Deutung so gestalten,
daß sie erkennbar, durchschaubar, eindeutig, erlernbar wird – und
sich nicht in den komplizierten Unterscheidungen, Einschränkungen,
Verwinkelungen spitzfindiger dogmatischer Sprache verflüchtigt.

Es ist nur konsequent, dabei an Martin Luthers Katechismen anzusetzen,
denn diesem Programm der Elementarisierung fühlte sich auch Luther
selbst verpflichtet, wenn er dafür auch ganz andere Gründe
anführte als die evangelische Theologie der Gegenwart. Dieses
Programm der Elementarisierung steht ganz selbstverständlich hinter
den markanten Sätzen, in denen Luther seine Lehre vom Wirken des
Heiligen Geistes entwickelt.

Diese faßt er so zusammen:

„Ut ergo Christi mors et resurrectio occulta non maneret, venit
spiritus sanctus, praedicat, das heisst, quod spiritus sanctus te ducat
ad dominum, qui te liberat. Quando ergo te quaero: Quid significat
iste articulus? Responde: Ego credo, quod spiritus dei me sanctificet.“

Diese dicht formulierten Sätze legen sich in drei elementare
christliche Grundwahrheiten aus.

1. Die gute Nachricht, das Evangelium soll nicht verborgen bleiben.
Es geht nicht um eine Geheimerkenntnis und nicht um eine Geheimlehre.
Vielmehr zielt das Evangelium auf Öffentlichkeit. Der christliche
Glaube darf und soll sich auf dem religiösen Markt der Öffentlichkeit
nicht verstecken.

2. Der Heilige Geist und Jesus Christus gehören zusammen. Das
ist das wichtigste Merkmal des Heiligen Geistes, daß er zu Jesus
Christus führt. Zur Zeit ist es vielerorts Mode, den Geist
zum Wundertäter herabzustufen. Man will den Geist persönlich,
unmittelbar und direkt erfahren, ohne Umwege. Man provoziert mit allen
Mitteln das Wunder, das Außergewöhnliche, das Staunenswerte,
man will es herbeizwingen, koste es, was es wolle. Man gebraucht den
Geist, um Wunder zu tun. Bei Luther ist davon nicht die Rede. Ihn interessiert
das gar nicht, Geistheilungen ebensowenig wie Wundertaten. Für
ihn gibt es nur ein Wunder: Gott hat die Menschen angenommen in Christi
Tod und Auferstehung. Nur darauf ist das Wirken des Geistes bezogen.
Der Geist ist nicht um der Wunder willen da, auch nicht dazu, um den
Menschen ekstatische und visionäre Erfahrungen zu verschaffen.
Wo die Anbetung und das Inanspruchnehmen des Heiligen Geistes zum Selbstzweck
wird, da bleibt er weg. Denn das und nichts anderes ist die vornehmste
Aufgabe des Heiligen Geistes, die Gemeinde und die Menschen zu Jesus
Christus zu führen.

3. Der Heilige Geist ist dort, wo ein Mensch spürt: Ich
bin befreit, Gott hat mich angenommen. Ich muß mich nicht besonders
anstrengen, ich muß nicht etwas besonderes darstellen, damit
Gott mich liebt. In Jesus Christus hat Gott seine Liebe zu den Menschen
gezeigt, zu jedem einzelnen Menschen. Er nimmt ihn an wie er ist. Er
nimmt ihn an, obwohl er ein Sünder ist, obwohl ihm vieles
mißlingt, obwohl er über seinen selbstsüchtigen Zielen
seine Mitmenschen immer wieder vergißt. Wo Christinnen und Christen
das spüren, wo sie spüren, daß sie in Jesus
Christus Befreite sind, da ist der Heilige Geist wirksam.

Öffentlichkeit, Christusbezug, Befreiung – auf diese drei
Begriffe läßt sich das Wirken des Heiligen Geistes elementarisieren.
Elementarisierung bedeutet Konzentration auf das Wesentliche.

Ich will darum mit einem Beispiel schließen, an dem für
mich dieses Wirken des Geistes elementaren symbolischen Ausdruck fand.

Als ich im Jahr 2000 die Weltausstellung Expo in Hannover auf dem
Messegelände besuchte, konnte man einen Ort entdecken, an dem
Kreuz und Auferstehung Jesu Christi in besonderer Weise sichtbar wurden,
mitten auf dem Messemarkt vielfältiger kultureller, religiöser,
wirtschaftlicher und anderer Angebote. Wer an zentraler Stelle der
Expo-Plaza seinen Weg in den Christus Pavillon der katholischen und
evangelischen Kirche fand, der konnte einen Gebäudekomplex mit
großartiger Architektur, mit eindrucksvollen Bildern und Kabinetten,
mit schlichten Andachten finden. Wer sich den Kreuzgang mit den Fenstern
aus Muscheln, Zahnbürsten und Musikcassetten angeschaut hatte,
der konnte danach in den Gottesdienstraum gehen. Dort stieß er
auf eine Wendeltreppe, die in die Krypta hinabführte. Wer die
Wendeltreppe hinunterstieg, der sah zunächst einmal gar nichts.
Das Licht war gedämpft, keine Scheinwerfer, keine Lichtorgeln,
keine Videoinstallationen, keine Lautsprecher wie in vielen anderen
Pavillons.

Es herrschte Stille. Der Besucher, der auf den Boden trat, hörte
nichts, denn er trat auf Sand, auf den Sand der biblischen Wüste.
Sand dämpft Geräusche. Im gedämpften Licht waren nur
drei Gegenstände zu sehen: eine Christus-Ikone, darunter eine
Rose und gegenüber ein Taufstein. Das war zugleich Konzentration
und Elementarisierung. Und das war die Absicht der Planer: Alles Überflüssige
lenkt nur ab. Konzentration tritt an die Stelle von Überfülle.
Schlichtheit tritt an die Stelle von barocker Prachtentfaltung. In
dieser Krypta war vom überfüllten Ausstellungstreiben der
Expo nicht mehr viel zu spüren.

Öffentlichkeit und Verborgenheit stehen in einem dialektischen
Verhältnis. Die christliche Kirche muß die Öffentlichkeit
und den Markt religiöser Angebote nicht scheuen, aber um ihre
Glaubensgewißheit deutlich zu machen, muß sie gelegentlich
in die Abgeschiedenheit hineinführen. Sie lenkt aus den vielfältigen
Zerstreuungen ab und hinein in die Konzentration und Meditation von
Kreuz und Auferstehung.

„Ut ergo Christi mors et resurrectio occulta non maneret, venit
spiritus sanctus.“ Damit Tod und Auferstehung Christi nicht verborgen
bleiben, hat Gott uns den Heiligen Geist geschickt.

PD Dr. Wolfgang Vögele
Münchehäger Str. 10
31547 Rehburg-Loccum
Fon: 05766 81131, Fax: 05766 81900
Wolfgang.Voegele@evlka.de

• Zurück zur Übersicht

 

de_DEDeutsch