Römer 13, 8-13a

Römer 13, 8-13a

Exegetische und homiletische
Entscheidungen

(Text nach
der „Guten Nachricht“ Leben
im Licht)

8) Bleibt keinem etwas schuldig – ausser der Schuld, die ihr nie
abtragen könnt:
der Liebe, die ihr einander erweisen sollt.
Wer den andern liebt, hat den Willen Gottes
erfüllt.

9) Die Gebote “Zerstöre keine Ehe, morde nicht, beraube niemand,
blicke nicht begehrlich auf das, was einem andern gehört“ – diese
Gebote und alle anderen sind in dem einen Satz zusammengefasst: “Liebe
Deinen Mitmenschen wie dich selbst“.

10) Wer seinen Mitmenschen liebt, fügt ihm kein Unrecht zu.
Den andern lieben bedeutet also:
das ganze Gesetz Gottes erfüllen.

11) Macht ernst damit! Ihr wisst doch, was die Stunde geschlagen
hat. Es ist Zeit für euch, aus dem Schlaf aufzuwachen! Denn der
Zeitpunkt ist jetzt näher als damals, als wir zum Glauben kamen.

12) Die Nacht geht zu Ende, bald ist es Tag. Deshalb wollen wir
nicht Dinge tun, die in die Dunkelheit gehören, sondern mit den
Waffen des Lichts kämpfen.13a) Wir wollen so leben, wie es zum
hellen Tag passt.“

Liebe Schwestern und Brüder in Christus,

heute am ersten
Advent atmen viele auf, weil die dunkle Zeit der Trauer und der Erinnerung
an den Tod und die wir verloren haben, für dieses Jahr vorüber
ist. Im Dezember ist Sonne im Hintergrund, mit Weihnachten warten wir auf
etwas Fröhliches
und die Vorbereitungen auf das Fest fördern die Gemeinschaft. Das
erste Adventslicht brennt, weil auch das Schwere, Dunkle, Traurige eines
Novembers erhellt wird durch die Ankunft Gottes auch in unserm Dunkel und
in unserer Traurigkeit, in unserm Leben. Auch dessen finstere und dunkle
Momente sind in Gottes Händen aufgehoben und Advent will uns lehren,
auf das Helle und das Licht in unserm Leben zu achten. Die Rede von der
Ankunft Gottes, will uns daran erinnern, kein Dunkel ist so tief, dass
es nicht durch Gottes Licht hell werden kann, keine Last und Schuld so
gross, dass sie nicht durch Gottes Liebe aufgehoben und verwandelt werden
kann. Gottes Tag endet jede dunkle Nacht. Und gerade, wenn wir uns verlassen
und im einsamsten Dunkel fern von einem liebenden Vater im Himmel glauben,
dann ruft uns ein Wort aus dem Buch der Erfahrung mit Gott, erleuchtet
uns jedes Adventslicht hier in der Kirche, erinnert uns jeder Mitmensch
mit seinem und ihrem Wunsch nach Anerkennung und Liebe: Du bist nicht verlassen,
alle Herren dieser Welt gehen, aber Dein Herr kommt. Auch Deine Nacht geht
zu Ende, auch Deine Lieblosigkeit kann verwandelt werden, weil Gottes Tag
kommt und sie hell macht. So hört, wie der Apostel Paulus von Gottes
Kommen und unseren menschlichen Möglichkeiten spricht – im Angesicht
der Erfahrung, dass, auch wenn uns alle allein gelassen haben, wir Gott
nicht gleichgültig sind. Er braucht uns und er begabt uns zugleich
zur Liebe: Text „Bleibt keinem etwas schuldig- ausser der Schuld, die ihr
nie abtragen könnt, der Liebe, die ihr einander erweisen sollt.“ Mit
diesem einleitenden Wort sagt der Apostel etwas Grundsätzliches über
uns, das uns auch wohl bedrücken kann, und das ebenso zu den Dunkelheiten
unseres Lebens gehören kann, wie Schuld und echte Gesetzesverletzungen
und Beschädigungen anderer Menschen.

Wir sollen etwas tun, was aber zugleich als etwas Unmögliches genannt
wird: Liebe üben, obwohl das Arbeiten ohne Ende und in vielen Fällen
sogar ohne Dank und Echo bedeutet. Hier wird so etwas wie eine Beziehungshaltung
zum Ausdruck gebracht und gefordert: bleib keinem etwas schuldig. Ja das
kennen wir, und das wollen wir ja auch nicht. Wir wollen mit sauberen Konten
abrechnen und nicht im Minus und bei den Schuldnern stehen. Wie sehr wir
darin verhaftet sind, zeigt schon unsere Sprache: wenn etwas Gutes geschehen
ist und jemand etwas geschenkt bekommen hat, dann hört man doch “Ja,
wie kann ich denn das wieder gut machen?“ und oft hilft dann erst die Frage:“ ja,
ist denn etwas Schlimmes geschehen?“ einzusehen, dass wir mal wieder auf
das ewige Rechnen reingefallen sind. Wer den andern liebt, hat den Willen
Gottes erfüllt. Die Haltung ist´s und nicht die Berücksichtigung
von Einzelregeln. Die Achtsamkeit für meinen Mitmenschen macht aus
der Befolgung von Regeln, das, was wir einander wirklich schulden:Liebe.

Genau diesen Gedanken fasst der Apostel in die Worte: die Gebote, die
Einzelgesetze sind in einem zusammengefasst: Liebe Deinen Mitmenschen wie
dich selbst.v9. Und diese berühmte Zusammenfassung der Worte Jesu
durch den Apostel auch hier in seinem Empfehlungsbrief an die Hauptstadtgemeinde
in Rom, sie nennt damit einen Massstab der Sorge um meinen Mitmenschen:
so wie ich für mich sorge und aufpasse, so auch für meinen Mitmenschen.
Und das, das nicht zu tun, ist die Schuld, die ich meinem Mitmenschen und
dem Kind Gottes, das mir begegnet, schuldig bin. Und übrigens gilt
das natürlich auch, wenn ich mich selbst vernachlässige, ich
bin auch mir als Geschöpf Gottes schuldig, dass ich auf mich aufpasse
und achte – schon damit eine mögliche Rettungsinsel für andere
nicht untergeht. Achtung, Sorge und Achtsamkeit bin ich also allen Kindern
Gottes schuldig.

Was dabei passieren kann, wie es dazu kommt, dass wir uns in diesem Sinne
als Schuldner fühlen müssen, hat Dietrich Bonhoeffer einmal mit
einem Beispiel erklärt.(WuE). Stell Dir vor, ein Mensch klopft an
deine Tür, er wird verfolgt, zu Unrecht, wie er Dir glaubhaft versichert.
Du machst auf, denn Du willst ja Liebe üben. Nach einer Stunde klopft
die Gestapo an deiner Tür: hat sich der xx hier versteckt? Was, meinst
du, hat jetzt jener Mensch für eine Wahl? Er will doch das Gesetz
und die Gebote halten! Darf er lügen? Wenn nein, wird er für
den Tod des Flüchtlings verantwortlich. Wir sind schuldig, weil wir
leben, sagt Bonhoeffer. Und jetzt, liebe Schwestern und Brüder in
Christus, wird klar, warum gerade diese Geschichte zu unserm Predigttext
passt, weil sie noch einmal zuspitzt: „wer seinen Mitmenschen liebt, fügt
ihm kein Unrecht zu.“ v.10. In diesem Fall wird einer schuldig, weil er
verantwortlich Liebe übt und die Entscheidungssituation untersucht,
bevor er sich damit abfindet. entweder das Gebot: Du sollst nicht lügen
oder Du sollst nicht töten verletzt zu haben. Wir sind schuldig, zu
lieben.

Nun verstehen wir auch durch diese konkrete Entscheidungssituation
aufmerksam gemacht, warum Paulus daran erinnert: v.11“so ist nun die Liebe
des Gesetzes Erfüllung“ wie Luther übersetzt. Jetzt wird auch
durch die Konkretheit dieses Beispiels klar, warum zur Wachsamkeit und
zur Achtsamkeit aufgerufen wird. v.12:wer Liebe üben will, muss ausgeschlafen
sein und aufmerksam, muss wissen, was die Stunde geschlagen hat und dann
entscheiden. Hier liegt dann auch die Freiheit eines Christenmenschen,
der womöglich falsch entscheidet, dann aber seinem Gott sagen muss,
im Lichte meiner Urteilskraft hat das so und so ausgesehen, habe ich so
und so entscheiden zu müssen geglaubt.

Darum sehen wir nun auch, dass
Liebe üben auch Kämpfen bedeutet: nicht dem Dunkel, auch der
eigenen Bequemlichkeit nachgeben, sondern kämpfen und die Waffen des
Lichts anziehen.

Ein Christ, der es ernst meint mit der Liebe zu seinen
Mitmenschen, ist eigentlich immer in Schwierigkeiten. Darum kann die
Empfehlung nur sein: Nichts tun, was das Licht des hellen Tages scheuen
muss: wir wollen leben, wie es zum hellen Tag passt.v13a. Nichts muss im
Dunkel bleiben, selbst wenn es Schuld ist, die beschwert, selbst wenn wir
bestens Wissens und Gewissens etwas getan haben, was dann in den Augen
der Mitmenschen uns schuldig macht. Wir wissen ja, was die Stunde geschlagen
hat, aufzustehen vom Schlaf, aufzuwachen, weil unsere Rettung aus aller
Verstrickung und Schuld und die Befreiung von aller Last uns näher ist, als wir zum
Glauben kamen, v.11. Es gibt daher, das finde ich doch auch für meine
eigenen Versuche, Christ zu sein, eine grosse Entlastung, es gibt ein Wachstum
auf dem Weg des Glaubens. Haben wir uns auf den Weg der Liebe zu Gott aufgemacht,
so gewinnen wir Freiheit gegenüber uns selbst und unseren Mitmenschen,
wirklich zu leben, auf die Stunde des Handelns zu achten und dann mutig
zu tun, was wir Gott, der uns gewollt und unser Leben bestimmt hat, und
unsern Mitmenschen schuldig sind.

Erich Fried: Es ist, was es ist

Es ist Unsinn, sagt die Vernunft.
Es ist, was es ist, sagt die Liebe

Es ist Glück, sagt die Berechnung,
es ist nichts als Schmerz, sagt
die Angst,
es ist aussichtslos, sagt die Einsicht.

Es ist, was es ist, sagt die Liebe.

Es ist lächerlich, sagt der Stolz,
es ist Leichtsinn, sagt die Vorsicht,

es ist unmöglich, sagt die Erfahrung.

Es ist, was es ist, sagt die
Liebe.

So meine ich, kann Advent werden, so begreifen wir den oft unbegreiflichen
Zusammenhang von Schuld und Liebe, erfassen, dass, wenn ich meinen Mitmenschen
in Liebe begegne und es in meinem Herzen Advent werden lasse, ich zugleich
ein Stück zu mir selbst komme, dass ich achtsam auf jeden Augenblick
werde, der mir zur Rettung zum Heil der Gottesnähe und zum Ort der
Menschenliebe werden kann.

Die Bilder vom hellen Tag Gottes, von seinem
Licht und von seiner Ankunft in unsere dunkle Lebenswirklichkeit bringen
uns Gott näher,
nicht in diesem drohenden NovemberSinn unseres sicheren Todes, sondern
in jenem entlastenden, das von seiner erhellenden und heilenden Ankunft
spricht. Und das können wir nicht genug feiern, nicht nur jedes Jahr
wieder feiern, sondern wir alle erwarten, die wir uns heute in Gottes Licht
geborgen wissen wollen, wieder seinen Advent in unserer Wirklichkeit, sein
helles Kommen in unsere Dunkelheiten, seine Zuversicht, dass die Nacht
nicht bleibt, sondern der Tag des Lichtes, des ewigen auch für uns
anbrechen wird.

Dann wird Advent zu einem Ort der Erfahrung, wohin uns
Weihnachten und alle Adventssonntage verweisen: „heut schleusst er wieder
auf die Tür zum schönen Paradeis,
der Cherub steht nicht mehr dafür, Gott sei Lob her und Preis.“ So
wird denn für einen Christen, den das Licht des Advents erleuchtet,
und der den Tag Gottes nicht fürchtet, weil er weiss, nichts trennt
mich von der Liebe Gottes, so wird denn, wenn die Liebe die einzige geschuldete
Haltung ist, jede Sekunde zur Möglichkeit, dass das Ewige im Jetzt
wirkt, dass Gott auch durch mich seinen Advent in unserer Wirklichkeit
hält. Hier
und heute ist Jerusalem, in das Jesus einziehen will mit seinem Weg zu
lieben, hier schlägt das Herz, das sich für seine besten Möglichkeiten öffnen,
seinen Mitmensch, sich und Gott einlassen will, und die einzige Schuldigkeit
tun kann, Mitmensch, sich und Gott zu lieben und zu achten.

Von der Verantwortung
des Christen, Gottes Liebe zu üben, achtsam zu sein, was die Stunde
geschlagen hat und die lichten Momente meines Lebens zu nutzen, also die
grosse positive Möglichkeit des Lebens wahrzunehmen, so, dass Gottes
Nähe jeden Augenblick meines Lebens qualifiziert, spricht Andreas
Gryphius,1616-1694, folgendermassen: „Mein sind die Jahre nicht, die mir
die Zeit genommen; mein sind die Jahre nicht, die etwa möchten kommen;
der A u g e n b l i c k ist mein, und nehm ich d e n in acht, so ist d
e r mein, der Jahr und Ewigkeit gemacht.“ In Gottes Kommen sind also die
dunklen November- und die hellen Adventszeiten auch meines Lebens eingeschlossen.
Und Gott sei Dank auch dieser, der erste Tag vom Rest meines Lebens, ja
jeder Augenblick, in dem ich mir von ihm sagen lasse: Sorge nicht, sondern
liebe. Amen

Exegetische und homiletische Entscheidungen

Zwischen dem Aufruf des Paulus zu vernünftigem Gottesdienst (Kap12.1ff)
und seinen Mahnungen für gutes Zusammenleben in der Gemeinde (Kap14)
steht unser Abschnitt als Aufruf und Begründung für „die grosse
positive Möglichkeit“ (Barth) der Christen, zur rechten Zeit in Gottes
Licht und Liebe wach zu leben und zu lieben, wie es zum hellen Tag Gottes
passt, den wir als unsere Rettung erwarten. Mit dieser Zusammenfassung
sind zugleich die Wahl als Text zum 1.Advent begründet, wie auch der
innere Zusammenhang mit dem Ewigkeitssonntag durch die Ethik für Christen
als Inhalt, der die Christen auf die Verantwortung für ihr eigenes
Leben hinweist. Dennoch ist diese begrenzt, weil es Gottes Kommen, Gottes
Zeit und Gottes Möglichkeiten sind, die dem in der Dunkelheit kämpfenden
Menschen zur Rettung werden. Erst diese Einsicht macht alle Aktivitäten
sinnvoll, macht Liebe als eine über den Einzelgesetzen stehende Lebenshaltung
möglich. Deshalb gehört exegetisch der 1.Satz von v.13
zur Perikope hinzu.

Homiletisch wird im Bewusstsein evangelischer
Kirchenmitglieder die Zeit des 1.Advents und damit die Einstimmung auf
Gottes Kommen als Kind deutlich als Neuanfang erlebt, was der Beginn des
neuen Kirchenjahres ja auch betont. Aber der inhaltliche innere Zusammenhang
von Ewigkeitssonntag und Advent als Zeit für Umkehr und Busse ist
m.E weniger verankert. Kirchenjahrszeitlich mit gutem Recht könnte
daher eine Predigt die Motive Dunkel- Licht aufnehmen und auf den Trauermonat
November und die Adventszeit beziehen. Ebenso gibt auch das Motivthema:
Liebe hinreichend Gelegenheit, auf das Fest der Liebe ect. ect. einschliesslich
der Gründe für den `Weihnachtsrummel´ hinzuweisen. Aber
das ist mir zu wenig für einen so existentiellen Text.

Ausschlaggebend wird mir darum die Adventszeit als Zeit, zu bedenken,
dass wir alle Gott entgegengehen, der kommen wird – alle Jahre wieder –
aber biografisch doch so, dass mit dem Licht des Gottestages auch unser
irdisches Ende wieder ein Jahr näher gekommen ist. M.a.W. das Motiv
des Trauermonats, mein Ende, und die große positive Möglichkeit
zu leben im Horizont der Ankunft Gottes, das Motiv des Advents, sollen
durch das Thema:“ seid niemandem etwas schuldig, ausser Liebe zu üben „ (v.8)
anschaulich verbunden werden. Ich meine, mit dieser Verbindung von wiederkehrendem
und linearem Zeitverständnis dem Status der Christen gerecht werden
zu können: Wir sind Empfänger von Gottes rettendem Heil und zugleich
Verantwortungsträger für gelebte Liebe zwischen dem 1.Advent
des Kirchenjahres und dem ausstehenden 2.Advent Gottes.

Dr. Joachim Goeze, Pfarrer i.R.
Braunschweig
joachim.goeze@web.de

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