Römer 3

Römer 3

Die meisten werden den Typ kennen!

Der nicht Ruhe gibt, bis er das durchgesetzt hat, was er für richtig
hält. Der sein Recht haben will und das, was ihm zusteht, und der
nicht aufgibt, bis er es bekommen hat, auch wenn das viel Zeit kostet
und auch sonst nicht umsonst ist.

Im Neuen Testament werden faktisch fast immer die Frauen als die dargestellt,
die darauf bestehen, ihr Recht zu bekommen und Hilfe – wie hier im Lukasevangelium
eine Witwe, die als direkt schwierig dargestellt wird. Und dann noch
gegenüber einem etwas feigen Richter, der Angst hat, daß
die Frau direkt gewalttätig werden und ihm ins Gesicht schlagen
könnte.

Das ist ja eigentlich ein merkwürdiges Bild, wenn man es auf
das Verhältnis zwischen Mensch und Gott überträgt – und
als Bild darf man es wohl nicht allzusehr dehnen.

Was wir beachten sollen, ist die Ausdauer der Witwe. Wir können
uns vorstellen, daß sie keinen Verteidiger hat, es gibt keine
anderen, die sich ihrer Sache annehmen. Aber das veranlaßt sie
nicht dazu aufzugeben. Sie fährt fort, den Richter zu bedrängen,
bis der sie schließlich anhört.

Soll so eine anmaßende und recht schwierige Frau wirklich unser
Vorbild sein? Offenbar! Jedenfalls wird sie zu einem Gegenbild zu der
Vorstellung, daß Demut einem ordentlichen Christen gut ansteht.
In dem Sinne, daß einige (vielleicht nur in unseren Vorurteilen)
meinen, es sei besonders fromm, alles, was geschieht, als Willen Gottes
zu betrachten, mit dem wir uns – fromm – abzufinden haben.

Wo bleibt da der Protest? Wie können wir es vermeiden, uns gegen
die Ungerechtigkeit zu verhärten, die Menschen ganz offenbar widerfährt?
Ein aktuelles Beispiel: Es gibt Klimatolo­gen, die meinen, daß
der Treibhauseffekt (d.h. unser zu hoher Konsum) und erhöhte Temperaturen
auf der nördlichen Halbkugel der Erde zu den Klimaveränderungen
beiträgt, die nun besonders Asien trifft, also den ärmsten
Teil der Welt – als mehr gewaltiger Regen als früher, der wiederum
bedeutet, daß das Leben für die Hälfte der Erdbevölkerung
noch schwieriger wird.

Ich meine deshalb nicht, daß wir vorschnell die energische Witwe
abschreiben sollten. Zuweilen scheint mir jedenfalls, daß ich
über die Naturkatastrophen und die Not und das Unglück in
der Welt lesen kann, ohne zu sehen, das uns das wirklich angeht. So
wie wir gut in unserem Teil der Welt leben – können wir unemp­findlich
werden für die Ungerechtigkeit, die Menschen in anderen Teilen
der Welt betrifft.

Neulich las ich ein Buch des norwegischen Theologieprofes­sors
Notto R. Thelle. Das Buch hat den Titel: Wie laut kann ein Mensch fragen?
Thelle hat viele Jahre in Japan gelebt und gearbeitet – und das Beispiel,
von dem er erzählt, stammt auch aus dem Osten:

„Sie suchte nach Sinn, suchte nach dem Leben. Durch Stille und
Meditation wollte sie den verborgenen Sinn der Worte erfassen, die Wahrheit
hinter den Formen aufspüren. Eines Tages forderte sie ihren Meister
heraus: Lehre mich den Klang einer Harfe ohne Saiten. Der Meister machte
eine Bewegung in der Luft, so als schlüge er unsichtbare Saiten
an, und sagte: Da – hast du sie gehört? Nein, ich habe nichts gehört,
sagte die Frau. Und der Meister antwortete: Warum fragst du nicht lauter?“
Und Notto Thelle fügt selbst hinzu: Wie laut muß ein Mensch
fragen, um Antwort zu erhalten? Wie intensiv muß man suchen, um
den Weg zu finden?

So wie ich den Text hier – und andere Texte im Neuen Testament – heute
höre, meine ich nicht, daß wir zu laut fra­gen können.

Es ist wichtig, daß wir uns nicht mit der offenkundigen Ungerechtigkeit
in der Welt abfinden.

Es ist wichtig, daß wir uns nicht beugen und schweigen, wenn
es Grund gibt, gegen soziale Ungerechtigkeiten und politi­sche Übergriffe
zu protestieren.

Es ist wichtig, daß wir nicht müde werden und nicht aufhören,
für Frieden und Gerechtigkeit lokal wie global zu beten.

Die Furchtlosigkeit und Hartnäckigkeit der Frau macht unausweichlich
Eindruck, und die Aufforderung, zu beten und nicht müde zu werden,
wird immer eine Aufforderung an uns sein, die prophetischen und gesellschaftskritischen
Kräfte zu sehen, die im Christentum liegen und im Leben Jesu sichtbar
wurden.

Jesus verteidigt in einer Situation eine Prostituierte und rettet
sie vor der Steinigung. Er gibt Frauen und Kindern Platz in einer Gesellschaft,
in der sie keinen Status hatten. Er protestiert gegen eine Kommerzialisierung
der Gottesvereh­rung im Tempel. Er preist die selig, die nach Gerechtigkeit
hungern und dürsten, und verspricht ihnen, daß sie satt werden.
Er läßt sich beeinflussen und ändert seine Einstellung
zu denen, die als Fremde in der jüdischen Gesellschaft lebten.

Aber läßt es sich vermeiden, daß wir müde werden?
Wie können wir immer wieder um Gerechtigkeit beten, wo es zugleich
so aussieht, als nehme die Ungerechtigkeit und Ungleichheit in dr Welt
zu?

Flüchtlinge überall in der Welt warten auf Gerechtigkeit.
Hungrige in der Welt warten auf eine gerechte Verteilung.

„Die mißhandelten Kinder der Welt warten. Menschen haben
über Generationen gehofft und gebetet, daß ihre Kinder oder
wenigstens ihre Enkelkinder ein besseres Leben haben. Viele haben vergeblich
gebetet und nie ihr Recht bekommen. Einige bitten nur darum, daß
der Tod sie befreien möge“ (Thelle).

Jesus konnte auch nicht die ganze Welt retten – er konnte keine gerechte
Welt schaffen. Aber er nahm sich der konkreten Menschen an, denen er
begegnete. Und deren neues Leben leuchtete in der Welt, so daß
andere Mut zu ihrem Leben bekamen. Er zeigte uns einen Weg, den wir
gehen können, und ein Leben, daß wir leben können, damit
wir nicht in Mutlosigkeit und Verzagtheit ver­sinken. Amen.

Pfarrerin Hanne Sander
Prins Valdemarsvej 62
DK-2820 Gentofte
Tel.: 39 65 52 72
e-mail: sa@km.dk

de_DEDeutsch