Römer 8, 39

Römer 8, 39

(Taufgedächtnisgottesdienst in der deutschsprachigen Christuskirche in Windhoek (Namibia))

Heute am 6. Sonntag nach Trinitatis ist Tauf(gedächtnis)-Gottesdienst. Ein Tag, an dem uns (wieder) deutlich wird: In der Nähe Gottes beginnt sich unser Leben von Grund auf zu ändern, weil Altes abgestreift und Neues aus der Taufe gehoben wird. Die Taufurkunde, die wir dabei erhalten, können wir dabei auch als Pass sehen und potentielle Mitgliedskarte am Reich Gottes.

Möglich wird das, weil sich auf Tauchstation begibt und dort bleibt, was uns das Leben schwer macht, wo wir uns und anderen Menschen im Wege stehen oder Steine in den Weg legen auf ihrem Weg zu Gott. All das soll in der Taufe untergehen, damit wir zu neuen Mensch werden, die Gottes Wort hören und in die Tat umsetzen können. Denn durch die Taufe werden wir befreit, endlich ein Leben beherzt und zuversichtlich anzupacken, das vor Gott bestehen kann.

Aus diesem Grund trug Luther immer einen Zettel bei sich, auf dem stand: „Ich bin getauft“. Dieser Zettel und die damit verbundene Erinnerung an die Taufe gaben ihm die Kraft, aufrichtig und aufrecht zu bleiben bei den Intrigen und Nachstellungen seiner Zeit, nicht den Kopf zu verlieren, wenn ihn die eigene Depression zu übermannen drohte.

Die paar Wassertropfen der Taufhandlung machen dabei kaum den Unterschied. Das wusste Luther und deshalb schrieb er im Kleinen Katechismus: „Wasser tut’s freilich nicht / sondern das Wort Gottes / das mit und bei dem Wasser ist / und der Glaube / der solchem Worte Gottes im Wasser traut.“

Klingt einleuchtend. Aber schon beginnt die Schwierigkeit: O je, Gottes Wort. Es gibt so viel davon. Eine ganze Bibel voll: 66 Schriften, 1189 Kapitel, und wer weiß, wie viele 100.000 Wörter! Da ist es ein schwacher Trost, dass es nur wenige Tage dauern soll, wenn man sie ohne Unterbrechung von vorne bis hinten durchliest! Wer hat denn schon die Zeit dazu?

Aber vielleicht gibt es ja auch andere Zeichen, aus denen man ablesen kann, wie es um Einen steht? Immer wieder haben Menschen versucht, solche Abkürzungen zu finden. Viele haben sich dabei eines 1-2-3 Schemas bedient.

1. Gott ist jemand, der Menschen segnet.
2. Wenn Gott segnet, dann geht es Menschen gut
3. Mir geht es gut, also ist Gott mit mir einverstanden

Die Taufe ist dann eigentlich gar nicht mehr so wichtig. Ich muss mich einfach weiterhin darum kümmern, dass es mir gut bis besser geht. Punkt um, fertig. Die Tage der Bibellese bleiben so erspart. Gott sei Dank?

Bestimmt nicht. Denn was mache ich, wenn es mir dreckig geht? Wenn vielleicht das Bankkonto stimmt, aber niemand etwas mit mir zu tun haben will? Was mache ich, wenn ich zwar tausend Leute kenne, die mir aber durch ihr Verhalten klar machen, dass bei Geld die Freundschaft aufhört? Vielleicht doch den Staub von der Bibel schlagen, nicht nur Psalm 23 zu Gemüte führen, sondern nachbuchstabieren wo trotz Irrungen und Wirrungen das Volk Gottes durch die Jahrhunderte die Meilensteine und Wegkreuze auf dem Weg zu Gott fand?

Sie wissen zu Recht, dass die Antwort nur „Ja“ lauten kann. Und zwar nicht, weil ich als Pastor zu Ihnen heute in der Kirche rede, sondern weil wir die Erfahrung machen, wie oft wir mit unserem Latein, unserem Wissen und Können an Grenzen stoßen, aus denen wir ohne Hilfe von außen nicht mehr herauskommen.

Eine echte Sackgasse, ja sogar Katastrophe war für die Israeliten die Besetzung des Landes durch die Babylonier und die anschließende Deportation. Die meisten waren darauf nicht vorbereitet gewesen. Trotz Sturm und Gewitterzeichen am Horizont hatten ihnen die Regierenden, die Priester und sogar die Propheten doch immer wieder vergewissert, dass alles schon irgendwie im Lot sei. Gott würde niemals sein Volk im Stich lassen und darum in der letzten Minute das Blatt wenden.

Doch die Sicherheit trügte. Nun waren sie verstreut in aller Herren Länder und den meisten ging es gar nicht gut. Was war passiert? Sollten doch die Nestbeschmutzer wie Amos, Micha und wie sie alle hießen Recht behalten, die immerzu auf die sozialen und religiösen Missstände hingewiesen hatten und gegen alle Regierungsstellen mit dem Untergang gedroht hatten?

Es dauerte lange, bis Menschen wie Baruch sich eingestehen konnten: „Bis heute leben wir noch unter fremden Völkern, wir werden verhöhnt und geächtet und müssen büßen für die Vergehen unserer Väter, die dir, dem Herrn, unserem Gott, den Rücken gekehrt haben.“ (Bar 3,8)

Offensichtlich gibt es doch noch andere Gradmesser als momentanes, persönliches Wohlergehen, um zu sehen, wie es mit einem bei Gott steht. Diese bittere Erfahrung mussten auch unsere Vorfahren machen, als sie dachten, sie könnten als europäische Kulturträger mit eiserner Hand durchgreifen und einen in vielerlei Hinsicht brutalen Krieg ausfechten, um anschließend unbehelligt im selbstgemachten Frieden zu leben.

Statt dessen weist uns der heutige Predigtabschnitt aus 5. Mose 7 auf die Gebote Gottes und seinen Bund mit allen Menschen. Aber nicht nur das: er macht deutlich, dass eine rechenschaftspflichtige Beziehung zu Gott besteht, lange bevor wir darüber nachdenken:

6 Denn ihr seid ein Volk, das ausschließlich dem HERRN gehört. Der HERR, euer Gott, hat euch unter allen Völkern der Erde ausgewählt und zu seinem Eigentum gemacht. 7 Das tat er nicht etwa, weil ihr größer seid als die anderen Völker – ihr seid vielmehr das kleinste unter ihnen! 8 Nein, er tat es einzig deshalb, weil er euch liebte und das Versprechen halten wollte, das er euren Vorfahren gegeben hatte. Nur deshalb hat er euch herausgeholt aus dem Land, in dem ihr Sklaven wart; nur deshalb hat er euch mit seiner starken Hand aus der Gewalt des Pharaos befreit. 9 Er wollte euch zeigen, dass er allein der wahre Gott ist und dass er Wort hält. Er steht zu seinem Bund und erweist seine Liebe bis in die tausendste Generation an denen, die ihn lieben und seine Gebote befolgen. 10 Aber alle, die sich ihm widersetzen, bestraft er auf der Stelle und vernichtet sie. Er wird nicht zögern, sondern jeden auf der Stelle vernichten, der ihn missachtet. 11 Darum haltet euch stets an seine Weisung, an die Gebote und Rechtsbestimmungen, die ich euch heute verkünde! 12 Wenn ihr dem HERRN, eurem Gott, treu bleibt und auf seine Gebote hört und sie befolgt, wird auch er treu sein und zu den Zusagen stehen, die er euren Vorfahren gegeben hat.

Wie soll das in der Fremde, in Vereinsamung, Perspektivlosigkeit und Ausgenutztwerden gehört werden? Ich ein ausgewähltes Eigentum Gottes?

Ich kann mir vorstellen, wie einige der Deportierten überrascht die Ohren spitzen, während andere sich spöttisch abwenden, weil sie genug haben von schönen Worten, die sich im entscheidenden Moment doch nur als Märchen erweisen und man sich wiederfindet „unter fremden Völkern“ wo man „verhöhnt und geächtet“ wird.

Als deutschsprachiger Minderheit in Namibia machen wir ja durchaus solche Erfahrungen. Als Nachfahren der Kolonisatoren werden wir unbesehen mit ihnen in einen Topf geworfen. Wissentlich wird dabei übersehen, dass die deutschsprachige Gruppe sich auf das Heftigste gestritten hat, was denn nun vor Gott gilt in Rassen- und Klassenfragen.

Um so schwieriger, weil sich beide Fraktionen im Kirchenraum dabei auf das Wort Gottes beriefen. So berichtet Missionar Schulte 1936 irritiert, dass einige Europäer behaupten: „Ihr Schwarzen habt überhaupt keine Aussicht, selig zu werden. Ihr seid die verfluchten Söhne Hams!“ Er hält dagegen, dass Gott „nicht das Privileg irgendeiner Rasse sei“ und dass Gott „in seinem Sohn alle Völker gleich demütige und erhöhe“. Zwei Jahre zuvor – zeitgleich mit der Barmer Erklärung – hatte Pastor Rust in der „Heimat“ geschrieben: „Weg … in der Beziehung zu Gott, auf dem Gebiet der Religion mit allem Selbstbespiegeln in den Vorzügen der eigenen Rasse!“

Ich nenne die Zwei, weil sie deutlich machen, was geschieht, wenn wir die Erwählung Gottes zu unserem eigen Vorteil brauchen. Statt nüchtern auf uns selbst zu schauen, ehrlich mit unseren Stärken und Fehlern vor Gott zu treten, schwingen wir uns zu Richtern über andere auf. Und das kann anderen Menschen ganz schnell das Leben kosten. Redet V.10 davon, dass Gott den Ungläubigen Vernichtung bringen soll, so gehen die Verse vor unserem Abschnitt weit darüber hinaus und empfehlen, alle Fremden im Land mit Stumpf und Stiel auszurotten, keine Gefangenen zu machen und alle dennoch Überlebenden zu deportieren. Dies wird als Reinigung und Heiligung verstanden im Sinne von Absonderung. Für uns heute in Namibia nach Jahren der Apartheid ist deutlich: die Israeliten waren auch nur Kinder ihrer Zeit und schlossen aus ihrer Ausgewähltheit das Recht, anderen zuzufügen, was sie selber schmerzhaft erfahren hatten. Die Chance auf einen Neuanfang ist so verpasst: bestehende Herrschaftsverhältnisse werden einfach umgedreht. „Nichts Neues unter der Sonne“, könnte man mit dem Verfasser des Predigerbuches aufstöhnen, gerade auch in Namibia…

Und doch geht bei allem menschlichen Beiwerk etwas Faszinierendes von dem Predigttext aus: Was, wenn es wahr wäre, dass sich mein Wert nicht nach meinem Bankkonto, meinen Beziehungen, meinem Erfolg richtet, weil es jemanden gibt, der verläßlich zu mir steht? Was würde sich nicht alles in meinem Leben ändern, wenn ich weiß, dass es jemanden gibt, der mich trägt, auch wenn ich nicht mit den Wölfen heule! Wie viel mehr Entwicklung wäre möglich, wenn Menschen von Gott gestärkt werden, politische Propaganda auch als solche zu benennen!

Und im Privaten? Suchen wir nicht schon lange nach Wegen, wie wir aufrichtig und aufbauend miteinander leben können, ohne immer wieder die gleichen Dinge ins Feld zu führen, um unsere Position in unzähligen und unseligen Schützengraben zu behaupten?

Diese wenigen Beispiele sollen verdeutlichen, um was es bei der Gotteskindschaft geht: um Freiheit, oder mit den Worten von Papst Johannes XXIII: Wer Glauben hat, der verbarrikadiert sich nicht und zittert auch nicht. „Er überstürzt nicht die Ereignisse, er ist nicht pessimistisch eingestellt, er verliert nicht die Nerven. Glaube – das ist die Heiterkeit, die von Gott kommt.“

Um die Gotteskindschaft geht es bei der Taufe. Dort wird versenkt, was das Leben schwer macht, wo wir uns und anderen Menschen im Wege stehen oder Steine in den Weg legen auf ihrem Weg zu Gott. Aus der Taufe gehoben wird dagegen der Mensch, der im sich Zweifel eher an die Seite Gottes ziehen lässt und gerade in heiklen Entscheidungen sich von ihm angezogen fühlt.

All dies nicht aus eigener Kraft, Tugendhaftigkeit oder gar Furcht, sondern im Vertrauen darauf, dass Gott zu seinem Bund steht und seine Liebe erweist. Bis in die tausendste Generation an denen, die ihn lieben und seine Gebote befolgen sagt der Predigttext. Und für die Zweifelnden unter uns fügt Paulus im Römerbrief hinzu (Röm 8,39):Nichts in der ganzen Welt kann uns jemals trennen von der Liebe Gottes, die uns verbürgt ist in Jesus Christus, unserem Herrn. Darauf taufen wir und darauf wurden wir getauft. Amen.

Pfarrer Harald Klöpper
P.O.Box 884 Windhoek
Namibia
kloepper@chrina.org

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