Römer 9,14-24

Römer 9,14-24

 


Septuagesimae (3. Sonntag vor
der Passionszeit),
27. Januar 2002
Predigt über Römer 9,14-24, verfaßt von Dorothea Zager

„Was sollen wir nun hierzu sagen? Ist denn Gott ungerecht? Das sei
fern!
Denn er spricht zu Mose: „Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig;
und wessen sich mich erbarme, dessen erbarme ich mich.“
So liegt es nun nicht an jemandes Wollen oder Laufen, sondern an Gottes
Erbarmen.
Denn die Schrift sagt zum Pharao: „Eben dazu habe ich dich erweckt,
damit ich an dir meine Macht erweise und damit mein Name auf der ganzen
Erde verkündigt wer-de.“ So erbarmt er sich nun, wessen er will,
und verstockt, wen er will.
Nun sagst Du zu mir: Warum beschuldigt er uns dann noch? Wer kann seinem
Willen widerstehen?
Ja, lieber Mensch, wer bist Du denn, dass Du mit Gott rechten willst?
Spricht auch ein Werk zu seinem Meister: Warum machst Du mich so?
Hat nicht ein Töpfer Macht über den Ton, aus demselben Klumpen
ein Gefäß zu ehrenvollem und ein anderes zu nicht ehrenvollem
Gebrauch zu machen?
Da Gott seinen Zorn erzeigen und seine Macht kundtun wollte, hat er mit
großer Geduld ertragen die Gefäße des Zorns, die zum
Verderben bestimmt waren,
damit er den Reichtum seiner Herrlichkeit kundtue an den Gefäßen
der Barmherzigkeit, die er zuvor bereitet hatte zur Herrlichkeit.
Dazu hat er uns berufen, nicht allein aus den Juden, sondern auch aus
den Heiden.“
(Römer 9,14-24)

I. Schöpfer und Geschöpf

Liebe Gemeinde,

stellen Sie sich vor, Sie hätten einen großen Klumpen Ton
vor sich liegen und würden damit Figuren formen. So wie wir es früher
mit Knete getan haben, als wir noch Kinder waren. Sie erschaffen eine
Gruppe von Menschen – eine Krippenszene vielleicht. Maria und Josef, das
Kind in der Krippe, Könige, Hirten und Schafe. Die Figuren gelingen
Ihnen unter den Händen. Schöne Gewänder, ausdrucksvolle
Gesichter, prächtige Tiere. Sie stellen sie im Halbkreis um die Krippe
auf und freuen sich daran, wie schön ihr Werk gelungen ist. Und da
geschieht etwas unfassbares: Ein Schaf öffnet den Mund und beschwert
sich bitter bei Ihnen: „Ich wäre aber lieber das Jesuskind geworden.
Es gefällt mir nicht, was Du aus mir gemacht hast.“

Undenkbar, solch eine Vorstellung!, denken Sie. Dass sich die getöpferten
Figuren beim Künstler beschweren. So etwas gibt es doch gar nicht!
Und selbst wenn, die sollen froh sein, dass sie überhaupt gemacht
worden sind und nicht noch als unförmiger Klumpen auf dem Tisch herumliegen.

Mit genau diesem Bild, liebe Gemeinde, wehrt Paulus jeden Zweifler ab,
der sich über Gottes Handeln und Gottes Vorsehung in dieser Welt
beschwert.

Hat nicht ein Töpfer Macht über den Ton, aus demselben Klumpen
ein Gefäß zu ehrenvollem und ein anderes zu nicht ehrenvollem
Gebrauch zu machen?
Ja, lieber Mensch, wer bist Du denn, dass Du mit Gott rechten willst?
Spricht auch ein Werk zu seinem Meister: Warum machst Du mich so?

Wir dürfen also nicht fragen. Und uns nicht beschweren. Gott allein
bestimmt, wozu wir gemacht sind. Sei es zum Guten, oder sei es zum Schlechten.
Das haben wir zu akzeptieren. Punkt.

So liegt es nun nicht an jemandes Wollen oder Laufen, sondern an Gottes
Erbarmen. So erbarmt er sich nun, wessen er will, und verstockt, wen er
will.

Gott macht die einen schlecht und die anderen gut. Dem einen ist er wohlgesonnen,
dem anderen verschließt er das Herz. Und wir verstehen es nicht.

Da wäre meine Predigt im Grunde genommen auch schon an ihr Ende
gelangt. Denn vor soviel Macht und soviel Souveränität kann
man dann eigentlich nur noch schweigen. Und akzeptieren.

Wenn wir tönernen Geschöpfe eben nicht mit einem Geist und
Verstand, und mit einem Herz und Gefühl ausgestattet wären.
Wir haben einen Verstand und wir haben Gefühle, und beide sagen uns:
Das ist ungerecht!

Auf den Tag genau heute vor 57 Jahren wurde das Konzentrationslager Auschwitz
von russischen Soldaten befreit. Einigen hundert ausgemergelter, hungernder
und gequälter Menschen brachte dieser Tag die schon nicht mehr erhoffte
Freiheit. Für 6 Millionen Menschen kam dieser Tag aber zu spät.

So erbarmt er sich nun, wessen er will, und verstockt, wen er will.
Was sollen wir nun hierzu sagen? Ist Gott ungerecht?

Vorgestern brach der Nyiragongo aus – plötzlich und mit unvorstellbarer
Gewalt. Niemand hatte damit gerechnet. Hunderttausende von Menschen wurden
in die Flucht getrieben. In der glühenden Lava kamen Hunderte ums
Leben. Die Großstadt Goma wurde fast komplett zerstört. Und
die Helfer befürchten weitere Ausbrüche und Zerstörungen
durch die extrem flüssige Lava.

So erbarmt er sich nun, wessen er will, und verstockt, wen er will.
Was sollen wir nun hierzu sagen? Ist Gott ungerecht?

Auf der einen Seite ringen Ärzte in stundenlangen Operationen um
das Leben eines einzigen Menschen, auf der anderen Seite verhungert in
jeder Minute, die wir leben, auf dieser Erde ein Mensch. Hunderte von
Ehepaaren scheuen weder Mühen noch Kosten, um Eltern zu werden, auf
der anderen Seite werden allein in Deutschland im Jahr über 100.000
Kinder getötet, ehe sie geboren werden.

So erbarmt er sich nun, wessen er will, und verstockt, wen er will.
Was sollen wir nun hierzu sagen? Ist Gott ungerecht?

Liebe Gemeinde, es ist absolut natürlich und absolut menschlich,
dass wir uns mit einer solchen Antwort nicht zufrieden geben. Es lässt
uns keine Ruhe das alles zu sehen: dieses Leid, dieses Unglück und
diese Ungerechtigkeit, und nicht zu begreifen, warum das alles sein muss.
Wir sind eben mehr als ein Klumpen Ton, aus dem man leblose Figuren geformt
hat. Wir sind Menschen mit Verstand und mit Gefühl und mit Gerechtigkeitsempfinden.
Und deshalb fragen wir. Deshalb zweifeln wir und sehnen uns nach einer
Antwort auf die berühmte Theodizee-Frage – auf die Frage nach dem
Warum des Leides.

II. Gut und Böse

Paulus versucht in den Worten des Römerbriefs, die heute unser Predigttext
sind, diese Frage nach dem Warum zu beantworten.

Er schreibt: Es muss das Böse in der Welt geben, ja mehr
noch: Gott musste das Böse in der Welt nicht nur ertragen, sondern
er musste es sogar selbst erschaffen und zum Leben erwecken, damit auf
der anderen Seite das Gute, das Gerechte und das Herrliche so richtig
zur Entfaltung und zum Leuchten kommt.

Da Gott seinen Zorn erzeigen und seine Macht kundtun wollte, hat er
mit großer Geduld ertragen die Gefäße des Zorns, die
zum Verderben bestimmt waren, damit er den Reichtum seiner Herrlichkeit
kundtue an den Gefäßen der Barmherzigkeit, die er zuvor bereitet
hatte zur Herrlichkeit.

Genau aus diesem Grund hat er zum Beispiel den Pharao von Ägypten
zum Leben erweckt und sein Herz böse gemacht. Damit Mose mit diesem
Pharao ringt und die Freiheit des Volkes Israel, und das Volk Israel aus
seiner Gefangenschaft herausführt und Gottes Herrlichkeit und Macht
erst so richtig für alle Welt sichtbar wird.

Denn die Schrift sagt zum Pharao: „Eben dazu habe ich dich erweckt,
damit ich an dir meine Macht erweise und damit mein Name auf der ganzen
Erde verkündigt werde.“ So erbarmt er sich nun, wessen er will,
und verstockt, wen er will.

So also versucht Paulus zu erklären, warum es das Böse in der
Welt gibt: Gott erschafft das Böse, lässt das Böse zu,
damit das Gute und Herrliche besonders strahlend deutlich wird im Kampf
und im Sieg gegen das Böse.

Aber überzeugt uns das, liebe Gemeinde? Hat der unendlich große,
allmächtige Gott es nötig, hier auf der Welt einen Kampf anzuzetteln
zwischen Gut und Böse, nur damit jeder sieht, wie herrlich, wie gut
und wie barmherzig er ist? Das kann es doch nicht sein!

Paulus selbst spürt, dass sein Argument nicht überzeugt. Er
selbst, der das Diskutieren und Argumentieren von der Pike auf gelernt
hat, muss zugeben, dass er sich im Kreise dreht!

Nun sagst du zu mir: Warum beschuldigt er uns dann noch? Wer kann
seinem Willen widerstehen?
Ja, lieber Mensch, wer bist du denn, dass du mit Gott rechten willst?
Spricht auch ein Werk zu seinem Meister: Warum machst Du mich so?
Hat nicht ein Töpfer Macht über den Ton aus ihm zu machen, was
er will?

Paulus dreht sich im Kreis. Wir sind wieder am Anfang.

Die Prädestinationslehre ist eben keine Antwort auf die Theodizeefrage,
sagen wir Theologen. Auf Deutsch: Es überzeugt keinen Menschen, dass
Gott das Leid extra dafür geschaffen haben soll, damit das Gute besonders
gut zur Geltung kommt.

Wie aber sollen wir mit dieser grausamen Spannung leben zwischen Leid
und Glück, zwischen Katastrophen und Bewahrung, zwischen Krieg und
Frieden? Wie können wir leben mit dieser unbeantworteten Frage nach
dem Warum?

III. Fragen und Antworten

Es gibt einen Weg, liebe Gemeinde, mit dieser Spannung zu leben. Und
kein Geringerer als Paulus selbst gibt uns den entscheidenden Hinweis
– ganz am Schluss unseres Predigttextes:
Uns hat er berufen, nicht allein aus den Juden, sondern auch aus den
Heiden
. – dieses Argument allein, liebe Gemeinde, kann uns weiterhelfen!

Warum es Böses gibt auf Erden, können wir nicht verstehen.
Warum es böse Menschen gibt auf Erden, auch das können wir nicht
begreifen. Warum es Unglück gibt und Katastrophen auf der Erde –
auch darin werden wir Gott nicht verstehen.

Eines aber können wir als Christen wissen: Gott hat uns Christen
dazu ausersehen, das Gute in der Welt zu verkörpern. Nicht, weil
wir von Geburt aus zu einem Volk gehören, das Gott besonders liebt
– so wie die Juden. Auch nicht deshalb, weil wir so tüchtig sind,
und es uns aus eigener Leistung verdient hätten, auf die Seite der
Guten zu gehören. Nur deshalb gehören wir zu den Berufenen,
weil Christus gekommen ist und uns zu Guten gemacht hat. nur aus Liebe.
Und nur aus Gnade.

Es liegt nicht an jemandes Wollen oder Laufen, sondern an Gottes Erbarmen,
dass wir berufen sind!

Wir haben keinen Grund, besonders stolz darauf zu sein. Wir haben keinen
Grund, uns etwas darauf einzubilden. Denn es ist ein unverdientes, großes
Geschenk. Und es ist der Beginn eines ganz besonderes Auftrags an uns.
Berufung heißt „gerufen werden“!

Im Philipperbrief schreibt es Paulus viel eindrücklicher als hier:
Ich rufe Euch dazu auf, dass ihr eurer Berufung gemäß lebt,
mit der ihr berufen seid, in aller Demut und Sanftmut, in Geduld. Ertragt
einer den andern in Liebe, und seid darauf bedacht, zu wahren die Einigkeit
im Geist durch das Band des Friedens: (Phil 2,1-3)

Gott ruft uns, so zu leben, wie es dem Guten entspricht: der Liebe untereinander,
dem Frieden miteinander, der Barmherzigkeit dem anderen gegenüber.
Zu solchen Geschöpfen sind wir berufen. Um noch einmal in dem Bild
des Paulus von den Tongefäßen zu reden: Gefäße sind
wir zu ehrenvollem Gebrauch: Geschöpfe, die dafür da sind, Gutes
zu tun. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

So schwer es uns fällt, liebe Gemeinde: Alles andere müssen
wir dahingestellt lassen. Wir werden die Frage unbeantwortet lassen müssen,
wo Gott gewesen ist, als die Lavaströme des Nyiragongo die Stadt
Goma ausgelöscht hat.

Wir werden die Frage unbeantwortet lassen müssen, warum Gott es
zulässt, dass glaubensverirrte „Gotteskrieger“ durch den
Anschlag auf das World Trade Center tausendfachen Tod und tausendfaches
Leid verursachen.

Wir werden die Frage unbeantwortet lassen müssen, warum Gott es
zugelassen hat, dass 6 Millionen Juden in den Konzentrationslagern der
nationalsozialistischen Gewaltherrschaft den Tod gefunden haben.

All diese Fragen und vieles andere, was uns auch in unserem ganz persönlichen
Leben an ungeklärten Fragen quält und umtreibt, müssen
wir dahingestellt lassen. Wir müssen es ertragen, dass wir es nicht
verstehen. Wir müssen anerkennen, dass wir als Geschöpfe das
Handeln oder das Schweigen unseres Schöpfers nicht begreifen.

Eines aber wissen wir:
Dass wir durch Jesus Christus, durch seine Liebe und durch seinen Tod
dazu berufen sind, auf der Seite Gottes zu stehen. Und dort für das
Gute, für die Liebe und für die Gerechtigkeit einzustehen in
unserer Welt.
Das darf und froh machen.
Es muss uns aber auch unruhig machen.
Es macht uns voller Unruhe und Tatendrang, dahin zu gehen und da zu handeln,
wo unsere Hilfe gebraucht wird.
Es macht uns voller Unruhe und Tatendrang, da das Trostwort zu sprechen,
wo Tränen fließen, da das schützende Wort zu sprechen,
wo andere ungerecht verurteilt werden, da das mahnende Wort zu sagen,
wo wir sehen, das andere auf dem falschen Wege sind.

Menschen, die von Christus berufen worden sind und gerufen worden sind,
werden zu unruhigen, zu tatendurstigen und zu fantasievollen Menschen,
die das Leid, das sie verhindern können, nicht zulassen,
die die Liebe, die sie in sich spüren, in die Tat umsetzen
die die Gerechtigkeit, die sie empfinden, auch durchsetzen,
die dem Guten zum Durchbruch verhelfen, wo immer es ihnen möglich
ist.

So sieht Gottes Gerechtigkeit aus, liebe Gemeinde.
Oft verstehen wir sie nicht. Aber wir wissen, dass Gott uns auf seine
Seite gestellt hat. Und wir wissen, was wir auf der Seite Gottes zu tun
haben.
Dieser Auftrag reicht für ein ganzes Menschenleben.

Amen.

Liturgische Vorschläge:
Vorschlag für die Altarlesung
Mt 20,1-16a (Die Arbeiter im Weinberg)
Liedvorschläge
Eingangslied: 166,1-3
Wochenlied: 342,1+2
Lied nach der Predigt: 372,1+2+6 oder 409,1-8 (NL)
Schlusslied: 318,4+9

Dorothea Zager, Wachenheim
E-Mail: DWZager@t-online.de

 

 

 

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