Von den Haltestellen des Himmelreichs

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Von den Haltestellen des Himmelreichs

Predigt zu Matthäus 20,1-16, verfasst von Ralf Reuter |

Wie sind Sie zu Ihrem Beruf, zu Ihrer Tätigkeit, Ihres Engagements gekommen? Abgesehen von der Vorgeschichte beginnt das immer mit einer Bewerbung. Es gibt Zeiten, wo eingestellt wird, wo eine Lehre, ein Studium beginnt, oder auch ein Ehrenamt. Es hängt von den Möglichkeiten ab, wer dabei ist und wer nicht.

Da steht man dann wie an einer Haltestelle. Kommt der Bus, der Zug vorbei und hält an, kann man zusammen mit anderen einsteigen. Andere kommen erst später mit, oder warten länger, irgendwann nimmt der Zug auch sie mit. Wir haben wahrscheinlich alle einmal gewartet, und waren richtig froh, endlich einsteigen zu können. So beginnen Karrieren des Lebens. Kurze und lange.

Im Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg gibt es unterschiedliche Zeiten, in denen Menschen eingestellt werden. Frühmorgens, vormittags, mittags, nachmittags und gegen Abend. Immer kommt eine neue Gruppe dazu. Zuletzt sind alle im Weinberg versammelt und arbeiten. Die einen schon den ganzen Tag, andere nur in der letzten Stunde.

So geht das offenbar auf Erden zu. Nicht nur in der Arbeit, auch in Beziehungen. Einen Menschen zu finden, der einen liebevoll begleitet. Auch das hat etwas von einer Haltestelle, und auch etwas von frühem oder spätem Glück. Und auch etwas von Arbeit, Beziehungsarbeit. Zusammenleben, gar Kinder bekommen, das ist wie in einem Weinberg, manchmal kommt da noch etwas später dazu.

Ist es auch ein Gleichnis für das Leben? Manchmal gelingt es, sehr früh schon in die Spur zu kommen, mitgenommen zu werden. Dahin, wo es spannend ist, wo man sich entwickeln kann und ein Auskommen hat. Doch oft geschieht das erst später. Entweder war man nicht an der richtigen Haltestelle, oder es gab keinen, der einen mitgenommen hat. Hier sind Gott sei Dank auch die Spätzünder dabei, zuletzt haben alle ihren Platz gefunden.

Daher gleicht die Geschichte einem Himmelreich. Es ist eine Erfolgsgeschichte. Letztendlich sind alle bei Gott gelandet. Denn der Hausherr wird wohl Gott sein, der hier Arbeiter anwirbt für seinen Weinberg. Vielleicht spielt das Gleichnis auch in der Kirche. Immer gibt es welche, die schon von Anfang an hier waren, und immer andere, die später dazugekommen sind. Doch alle haben Zugang zu seinem Wort, sind an seinen Tisch geladen.

Ich stelle mir dabei allerdings die Frage nach dem Reich Gottes. Ob wir in einen Zug gestiegen sind, der uns tatsächlich in so etwas wie das Himmelreich gebracht hat. Wo uns im Weinberg unseres Lebens und Arbeitens, unseres Glaubens und Liebens schon das Himmlische leitet. Das kann nicht wirklich sein. Denn hier auf der Arbeitsstelle, im Weinberg, herrscht Neid und Streit. Als Grund wird Gott selber identifiziert, er zahlt als Hausherr abends den Lohn aus und gibt allen das Gleiche.

Ungerechter kann es eigentlich nicht zugehen. Die zuletzt Eingestellten erhalten das Gleiche wie die zuerst Eingestellten, die den ganzen Tag lang im Weinberg des Herrn geschuftet haben. Also sich im Beruf abgerackert, in der Beziehung durchgehalten, ihre Kinder großgezogen, die im Leben erfolgreich, der Kirche von Anfang an dabei gewesen sind. Das ist doch ungerecht!

Gott muss hier Rede und Antwort stehen, sein Verhalten wird stark kritisiert. Zu Recht. Denn das ist und bleibt ungerecht, wie es in dieser Welt zugeht. Er als Hausherr hat seinen Laden nicht wirklich im Griff. Klar, es landen irgendwann alle im Weinberg, doch was bedeutet es an verschenkten Möglichkeiten, an Verzicht und Verlust, so lange darauf gewartet zu haben!

Man könnte sich auch für die zuerst Eingestellten ereifern: Die zuletzt zur Kirche kommen, haben gar keine richtige religiösen Biographie! Die so spät in eine feste Beziehung finden, können unmöglich das Vertrauen einer jahrzehntelangen Ehe erlangen! Wer nur etwas arbeitet, hat vorher auf Kosten anderer gelebt! Und die, die aus einem anderen Land kommen, können doch nicht die gleichen Rechte haben wie wir, die hier seit Generationen leben!

Es ist hier wie in unseren gegenwärtigen Debatten. Je mehr wir nachdenken über die versäumten Chancen, über die ungerechte Bezahlung, desto unübersichtlicher und hitziger wird das. Alle Argumente sind auch zu widerlegen. Gott schlägt sich hier ganz tapfer, aber überzeugt er auch? Er spricht jedenfalls sehr eindringlich zu den Ersten, zu denen, die schon an der frühen Haltestelle standen und eingestiegen sind.

Das sind ja seine Treuen. Er redet sie persönlich mit „mein Freund“ an. In unseren Beispielen also die Arbeitssamen, die Beziehungsstarken, die Kirchenverbundenen. Ihr habt nicht weniger bekommen, als ich euch zugesagt habe. Ihr seid dabei, habt den vollen Lohn. „Nimm, was dein ist, und geh“, ganz direkt spricht er zu ihnen, ja zu uns. Du hast alles von Gott bekommen. Nach meiner Meinung kann das nur heißen: Dein Ankommen im Weinberg des Herrn ist der Eintritt ins Himmelreich.

Und im nächsten Moment hast du das Himmelreich schon wieder verloren. Deine Augen sehen nicht nach vorne, auf das, was Gott dir schenkt, sondern zur Seite, auf diejenigen, die das Gleiche bekommen haben. Du drehst dich sogar um, und siehst zurück auf den Weg, auf die später an der Haltestelle Eingestiegenen, und beginnst zu vergleichen. Denselben Lohn für weniger Einsatz! Das macht dich ganz krank vor Neid.

So bist du mitten im realen Leben angelangt und stehengeblieben. Und mit dir stockt das gemeinsame Arbeiten in den Veränderungsprozessen des Lebens. Als ob es Gott gar nicht gäbe, bin ich versucht zu sagen. Als ob Gott nicht so etwas wie die höchste Instanz des Lebens ist, und wir die Arbeitenden in seinem Weinberg! Geben wir hier nie den Glauben an Gott auf! Halten wir das aus, auch das, was daran sehr fremd erscheint. Dieses Gleichnis erzählt von Gott!

Aber Vorsicht! Das darf nimmermehr die Verhältnisse hier auf Erden rechtfertigen! Ein solches Verhalten eines Unternehmers ist ungerecht, ist pure Willkür. Ganz ohne Leistung und Beurteilung wird das Wirtschaftsleben nicht funktionieren. Und ein Kirchenvorstand, ein Pastor, kann nicht einfach die treue Kerngemeinde übergehen und sich nur um die neu Dazukommenden bemühen.

Und doch hat Gott recht! Bei Gott sind viele Dinge möglich. Vor ihm sind auch Menschen gerecht, die vorher nicht dabei waren, oder auf Abwegen liefen. Jesus erzählt genau dieses Gleichnis den Zöllnern und Sündern. Auf dem Weg in das Himmelreich hat er sogar einen mitgenommen, der neben ihm am Kreuz hing, die wohl letztmögliche Haltestelle zur Ewigkeit. Wir können verstehen, warum später an das Gleichnis der Satz angefügt wurde, dass aus Letzten Erste werden.

Ich bin mir sicher, dies ist auch für das ganz reale Leben auszulegen. Das Leben ist mehr als Arbeit. So wichtig und gut Arbeit von Anfang an ist. Beruf ist mehr als Geld, so dringend es auch eine materielle Absicherung, ein Grundeinkommen, für alle Menschen braucht. Auch späte Liebe ist Liebe, die mehr ist als nur ein gegenseitiges Helfen, so wunderbar lebenslange Treue sein kann.

Das Himmelreich beginnt mitten im menschlichen Leben, auch da, wo es ungerecht, wo es hart, wo es verloren erscheint. Das Himmelreich kommt auch den Letzten zu. Das erkennen wir Christen im Kreuz. Wo der Tod als die schreiende Ungerechtigkeit trotzdem umfangen ist von der Ewigkeit, wo der erfahrenen Gottferne die Auferstehung folgt, wo wir selbst im Tod gehalten bleiben.

Es ist entscheidend, dass du einsteigst auf der Haltestelle seines Himmelreichs. Dass du mit drin bist im Zug zur Ewigkeit. Je eher, desto besser. Also freuen wir uns, dabei zu sein. Nutzen wir unseren Glauben bei allem Unglauben als Hilfe und Halt, als Deutung und Wegweisung. Der Glaube führt zur Ewigkeit, und dieser Weg beginnt hier und heute. Es ist immer auch ein Einsatz für andere, für die ungerechte Welt, für unsere bedrohte Erde. Im Weinberg Gottes gibt es genug Arbeit.

Für unsere Zeit, unsere Mitmenschen, für das Leben auf der Erde bedeutet das immer auch: Sei vorsichtig, von deinem Glück, deinen Privilegien, deiner Hautfarbe, deinem Wohlstand, deiner Bildung, deiner Religion, deines Jahrgangs irgendeine auch noch so kleine Überlegenheit gegenüber anderen abzuleiten. Bleib auf Augenhöhe, wenn auch anderen etwas zukommt von dem Glück des Glaubens und Lebens, des anbrechenden Himmelreichs. Nimm das deine und geh!

Nimm das deine und geh, dies setzen die Letzten um. So werden sie uns zu einem Vorbild. So wichtig die Arbeit am Trauma, so hilfreich die Haltung von Betroffenen auch ist, so entscheidend wird es sein, in eine aktive Zukunft hineinzufinden. Es gibt auch ein Zuviel an Trauer, oder an Wut, wenn es dir und anderen Schaden zufügt. Gott jedenfalls hat auch dich mitgenommen in seinen Weinberg.

Nimm das deine und geh, damit gibt uns Gott wohl auch einen Anstoß zum gemeinsamen Arbeiten in diesem neuen Jahrzehnt. Mit den Ersten und Letzten zusammen in unserem Dorf, in unserer Stadt, hier in Europa und immer auch mit den Ersten und Letzten der Welt, der Erde, der Zeit. Arbeiten an den wichtigen Transformationen der Zukunft. Als Glaubende, im Weinberg Gottes angekommen.

Gott ist gütig, was sein Himmelreich angeht.  Wir sind auf diesem Weg dabei, der noch nicht am Ziel ist, noch nicht vollendet. Doch er hat angefangen. Hier in der Kirche und anderswo. Da, wo wir seinem Himmelreich trauen. So sind und werden wir zu Einladenden, die sich freuen über alle, die dabei ist. Und den anderen, die nichts davon wissen, denen erzählen wir von den Haltestellen des Himmelreichs.

de_DEDeutsch