Zauberkiste

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Zauberkiste

Konfirmation 2007
Konfirmationspredigt „Zauberkiste“ verfasst von Tobias Geiger


[Für die Predigt wird eine kleine Holzkiste mit Deckel benötigt, wie sie in Baumärkten verkauft wird. In diese Kiste wird ein Spiegel eingepasst, den der örtliche Glaser sicher gerne zuschneidet. Zur Dekoration kann die Kiste noch mit Gold- und Silberfolie beklebt werden.]

Liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden,
ich muss Euch etwas gestehen: Ich weiß nicht mehr, worüber vor 25 Jahren bei meiner Konfirmation gepredigt wurde. Der Pfarrer damals wollte mir bestimmt etwas Gutes mit auf den Lebensweg geben. Und trotzdem: alles weg. Nein, nicht alles. Ich weiß noch genau, dass ich einen dämlichen blauen Samtanzug anziehen musste. Und meine Eltern haben mich gezwungen, das Konfirmationsgeld für den Führerschein zu sparen. Weil mir von meinem Fest damals so wenig im Gedächtnis geblieben ist, mache ich mir als Pfarrer heute besonders viel Gedanken. Wie kann ich den Gottesdienst interessant gestalten? Was für ein Thema soll ich für die Predigt nehmen, damit sich die Jugendlichen später daran erinnern? Und als ihr Konfirmanden so vor meinem geistigen Auge vorbeigezogen seid, da wurde mir klar: Ihr wart eine ganz zauberhafte Gruppe – besonders die Jungs. Und ich habe mir gedacht: Für eine so zauberhafte Gruppe könnte ich ein bisschen zaubern. So bin ich zum Zauberlehrling geworden und habe meine Zauberkiste mitgebracht. Sie glänzt in Silber und Gold und jeder sieht sofort: Da muss etwas Kostbares drin sein. Und genauso ist es: In dieser Zauberkiste befindet sich das Wertvollste, was ein Konfirmand oder eine Konfirmandin besitzen kann. Hier ist ein Schatz drin, der alles andere übertrifft.

Aber kann das wirklich sein? Da sitzen doch 14 ganz verschiedene junge Menschen. Jede und jeder hält etwas anderes für den wertvollsten Besitz. Cassy zum Beispiel reitet gerne – für die müsste in der Kiste ein Sattel drin sein oder wenigstens eine Salami. Daniel und Christian brauchen dringend einen neuen Computer – der PC zuhause ist ein halbes Jahr alt und viel zu langsam. Und Katharina und Jenny wünschen sich einen Brillianten – aber nicht an einem Ring, nein, das wäre uncool, sondern als Bauchnabelpiercing. Und noch vieles müsste in die Zauberkiste hinein: Ein Handy mit MP3-Player, Klamotten und Turnschuhe und eine lebenslange Freikarte für McDonalds.

Und jetzt sage ich Euch was: Das alles könnt ihr vergessen. In meiner Zauberkiste ist viel mehr drin. Nämlich wirklich das Wertvollste, das es für einen jungen Menschen gibt. Was könnte das sein? Jetzt dürfen unsere Konfirmandinnen und Konfirmanden raten – was ist in der Zauberkiste drin?

Komm her, nimm‘ die Zauberkiste mal in die Hand. Aber Vorsicht, Achtung, nicht schütteln, ganz behutsam …
Wer hat Mut und schaut in die Zauberkiste rein? Langsam öffnen – und jetzt hineinschauen – was ist drin?
Du selbst bist in der Zauberkiste. Wer den Deckel hochhebt und hineinschaut, sieht sich selbst in einem Spiegel. Für jeden ist etwa anderes drin – nämlich der Blick auf das eigene Gesicht. Und ich denke, wir sind uns alle einig: Das Wertvollste, was ein Mensch besitzt, ist er selbst. Er selbst mit seinen Fähigkeiten und Begabungen, er selbst mit allen seinen Eigenschaften, die so einzigartig sind wie ein Fingerabdruck. In den vergangenen Monaten habe ich unsere Jugendlichen ein wenig näher kennen gelernt. Und es ist wahr: Jede und jeder ist etwas ganz Besonderes.

Doch vielleicht denken jetzt manche: Am Sonntag in der Kirche klingt das gut: „Jeder Mensch ist wertvoll“. Aber am Montag im Alltag? Legt da jemand Wert auf meine Persönlichkeit? Wäre es da nicht besser, ich würde funktionieren wie ein Rädchen in einer Maschine? Eine spannende Frage: Was ist ein Mensch wert? Wer bin ich wirklich?

Die Naturwissenschaftler antworten: Der Mensch besteht aus 61% Wasser, 16% Eiweiß, 3% Stickstoff und noch ein bisschen Kalzium, Phosphor, Natrium und Eisen. Alles zusammen Chemikalien im Wert von ungefähr 2 €. Mehr soll ein Mensch nicht wert sein?

Als Bürger der Bundesrepublik Deutschland bin ich eine Nummer auf dem Personalausweis. Tobias Geiger, Augenfarbe braun, 1,92 Meter groß, Nummer 698 6377 141 – das bin ich. Was für eine Nummer sind Sie? 007 oder 08/15?

Als Einwohner von Öschelbronn bin ich ein Name auf einem Briefkasten. Und dieser Briefkasten wird täglich voll gestopft mit Werbung aller Art. Alle wollen mein Bestes – nämlich mein Geld. Als Konsument, Kunde und Käufer ist der Mensch das, was er sich leisten kann.

Als Mitarbeiter einer Firma bin ich ein Kostenfaktor. Messerscharf wird gerechnet, was meine Arbeit wert ist. Wer zu teuer erscheint, wird in den Vorruhestand geschickt. Auch viele Jugendliche fühlen sich wertlos. Die begehrten Lehrstellen sind mit hohen Anforderungen verbunden. Aber sagen die Noten im Zeugnis wirklich, was ein Mensch wert ist?

Ich habe den Eindruck, dass es heute für junge Menschen besonders schwer ist, ihren Lebenswert zu entdecken. Auf der einen Seite wissen sie genau, was die Dinge wert sind: Die Markenklamotten mit der richtigen Aufschrift, die Statussymbole wie das teure Handy, das Freizeitvergnügen wie Kinobesuch und Pizzaservice. Noch nie gab es eine Generation, die materiell so reich war wie Ihr. Doch auf der anderen Seite wachsen Angst und Unsicherheit. Nicht nur im Blick auf Schule und Lehrstellen stehen junge Menschen unter Druck. Auch privat werden hohe Wertmaßstäbe angelegt. Wenn ich meinen Konfirmandinnen in der Pause zugehört habe, bin ich manchmal erschrocken. Da hieß es knallhart: „Ich bin zu dick, meine Frisur sieht besch…eiden aus, ich muss was für mein Aussehen tun.“ Was ist mit denen, die mit den Models in der BRAVO nicht mithalten können? Sind die nur ein Muster ohne Wert?

Ich würde für unsere jungen Leute jetzt gerne eine Zauberkiste aufmachen. „Ihr werdet Euren Schulabschluss schaffen, einen tollen Beruf bekommen und immer super und cool drauf sein.“ Gewiss, ich wünsche Euch von Herzen Erfolg und alles Gute – aber versprechen kann ich es nicht. Und auch die Konfirmation ist keine Garantie für Glück und ein zauberhaftes Leben. Und trotzdem ist die Konfirmation nicht wertlos. Ich meine damit nicht die Schecks und die Scheine, die nachher auf Euch warten. Sondern ich meine den Segen Gottes. Das lateinische Wort Konfirmation bedeutet „Bekräftigung, Bestätigung“. Heute bekräftigt Gott seinen Segen, der von Eurer Geburt über Eure Taufe bis heute über Eurem Leben steht. Und der Segen Gottes ist mehr als das Schlusswort im Gottesdienst. Der Segen ist ein Lebenszusammenhang, in den Gott uns hineinstellt.

Ein wichtiges Datum für den Segen Gottes ist die Taufe. Die große Mehrheit der Konfirmanden wurde im Säuglingsalter getauft. Bei der Taufe wird häufig ein Bibelvers ausgesprochen, den wir im Konfirmandenunterricht auswendig gelernt haben. Es ist ein Versprechen Gottes aus dem Propheten Jesaja: „So spricht der HERR, der dich geschaffen hat: Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein!“ (Jesaja 43, 1)

Das sind starke Worte. „Du bist mein“ – egal, was passiert. „Du bist mein“ – auch wenn Du nicht alle Erwartungen erfüllen kannst. „Du bist mein“ – auch wenn Du unzufrieden mit Dir selbst bist. Unser Leben ist wertvoller als wir meinen. Denn Gott sagt: „Ich habe dich erlöst“.

Erlösung – ein altmodisches Wort. Es bedeutet: „losmachen von einer Bindung“. Es gibt viele Dinge, an die wir Menschen uns binden. Man könnte die vielen großen und kleinen Abhängigkeiten von A wie Alkohol bis Z wie Zigaretten aufzählen. Hinter allen Bindungen versteckt sich eine tiefe Sehnsucht. Wir binden unser Leben an etwas an, um es damit wertvoller zu machen. Wir verlassen uns nicht auf unseren eigenen Wert, sondern gehen Bindungen ein. Im Deutschen gibt es ein Sprichwort: „jemand einen Bären aufbinden“. Wie oft lassen wir uns etwas aufbinden, was sich als schwere Last herausstellt. Wie oft binden wir uns an Dinge, die uns unfrei und unglücklich machen. Die Bibel nennt das Sünde. Dieses Wort hören wir nicht gerne. Doch es beschreibt die Wirklichkeit: Durch unsere Bindungen werden wir schuldig – ob wir wollen oder nicht.

Doch nun sagt Gott: „Ich habe dich erlöst“. Dein Leben ist wertvoll. Du kannst ungebunden leben. Denn Du gehörst zu mir. Ich mache Dich frei von allem, was Dich festhält. Jesus Christus bezahlt das Lösegeld. Der Sohn Gottes gibt sein Leben für unsere Erlösung. So viel sind wir für Gott wert. So groß ist seine Liebe zu uns. Und diese Liebe macht uns Mut, zu uns selbst zu stehen. Wir sollen lernen, uns selbst zu lieben. Keine egoistische Liebe, die nur mich selbst im Blick hat. Sondern ein Selbstbewusstsein, das mit den eigenen Stärken und Schwächen umgehen kann. Ein Selbstbewusstsein, das nicht von der Meinungen und Bindungen abhängig ist. Ein Selbstbewusstsein, das weiß: Ich bin von Gott geliebt. Dann brauche ich nicht neidisch nach anderen zu schielen. Dann brauche ich keine Angst haben, zu kurz zu kommen. Sondern ich kann auf Gott vertrauen, der mir verspricht: „Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein!“

Doch das ist kein Automatismus nach dem Motto: „Ich kann machen, was ich will – Gott wird die Sache schon richten“. Sondern Gott ruft unseren Namen – und wir Menschen sollen Gott eine Antwort geben: im Gebet, im Gottesdienst, in der Gemeinschaft der Christen. Und damit sind wir bei der Doppelbedeutung der Konfirmation. Gott bekräftigt seinen Segen, der über unserem Leben steht. Was wir sind und was wir haben verdanken wir nicht uns selbst. Keiner hat sich selbst geschaffen, Gott hat uns ins Leben gerufen. Und er fragt nach unserer Antwort. Konfirmation heißt Bestätigung. Was werden wir Gott sagen? Wir alle sind eingeladen, aus der Freude des Glaubens zu leben. Im Konfirmandenunterricht haben wir etwas von dieser Freude gespürt. Und bei haben wir oft ein Lied miteinander gesungen: „Vergiss es nie, dass du lebst, war keine eigene Idee“. Wenn Ihr in zehn Jahren manches Auswendiggelernte vergessen habt – das soll Euch in Erinnerung bleiben. Euer Leben ist wertvoll, weil Gott Euch erlöst hat. Amen.


Tobias Geiger
Pfarrer in Öschelbronn
Tailfinger Straße 2
71126 Gäufelden
Homepage: www.evkirche-oeschelbronn.de
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