Freue dich, du Tochter…

Home / Kasus / 1. Advent / Freue dich, du Tochter…
Freue dich, du Tochter…

Freue dich, du Tochter Oftersheim! | Predigt am 1. Advent, den 29. November 2020 im Gemeindesaal Oftersheim | verfasst von Sibylle Rolf |

Es ist Advent. Der 6jährige Christoph hat seinen Adventskalender an die Wand in seinem Zimmer gehängt. Jeden Morgen wird er ein Türchen öffnen und den süßen Inhalt genießen. Er kann es kaum abwarten bis zum Heiligen Abend. Dann wird endlich der Lichterbaum im Wohnzimmer stehen und das Kind in der Krippe liegen. Am meisten wartet er auf die Geschenke. Wird sein größter Wunsch erfüllt werden? Seine Mutter Monika wird heute Mittag den Adventskranz auf den Tisch stellen. Die Kerzen werden ihnen Sonntag für Sonntag zeigen, wie lange sie noch warten müssen. Auch Monika wartet auf Weihnachten. Sie sehnt sich nach Frieden. Ihre Schwägerin ist im Sommer mit einer Frau zusammen gezogen. Die Schwiegereltern sind so entsetzt, dass sie den Kontakt verweigern. Werden wir Frieden erleben, oder wird alles nur noch schlimmer? Ins Warten mischt sich eine Spannung.

Christophs Lehrerin wartet auch. Wie in jedem Jahr wartet sie auf Ruhe. In der Adventszeit fühlt sie sich häufig so gehetzt und unruhig, dass sie sich nach Stille sehnt. Auch in diesem Jahr, das doch so ganz anders ist. Aber die Stille kehrt wieder nicht ein. Mit zu vielem ist sie innerlich beschäftigt. Die Sorge um ihre Eltern, die Vorbereitungen auf Weihnachten im Wissen, dass alles vielleicht in diesem Jahr gar nicht stattfindet. Die Bedrohung, sich in der Schule zu infizieren und die ständige Angst, dass ihre Klasse geschlossen wird. Für dieses Jahr hat sie sich vorgenommen, dass sie mit ihren Erstklässlern jeden Morgen eine Kerze anzündet und ein paar Minuten Stille genießt. Einfach schweigen und hören.

Inge und Heinz, Christophs Großeltern, warten darauf, dass Corona endlich vorbei ist und sie ihre Kinder und Enkel treffen können. Beide, der Sohn und die Tochter, arbeiten in medizinischen Berufen und wagen es nicht, die Eltern zu besuchen. Aber die Einsamkeit und der Verzicht auf Umarmungen mit den Liebsten – das alles tut so weh. Und dann noch die Sache mit der Frau und der eigenen Tochter… keine guten Vorzeichen für ein Weihnachten in Frieden und Ruhe…

Es ist Advent. Worauf wartest du? Ich warte auf Ruhe in meinen Gedanken und in meiner Seele – auch wenn in diesem Jahr der Druck der zahllosen Weihnachtsfeiern und Glühweinverabredungen ausfällt. Die erzwungene Ruhe kann ich nicht immer gut aushalten. Ich warte auf die (wie man so sagt) Adventsstimmung, das erbauliche Schauern beim Duft von Vanillekipferln und Zimtsternen – und auch wenn der Adventskranz auf dem Tisch steht, will sich die rechte Stimmung nicht einstellen. Ich warte auf Frieden in einer verzweifelten Welt mit Kriegen und Demonstrationen, lauten Pöbeleien und Aluhelmen. Ich warte auf Unbeschwertheit und Normalität in Wochen, in denen ich auf vieles verzichten muss. Das Warten wird zur Sehnsucht. Ich sehne mich danach, dass alles wieder gut ist. Die Welt, das Leben, meine innere Unruhe. Dass wieder Freude einkehrt. Und innerer Friede.

Es ist Advent. Worauf wartest du?

Hör hin. Lass sie dir sagen, die alten Worte vom Warten und von der Freude. Vor langer Zeit aufgeschrieben vom Propheten Sacharja. Vielleicht treffen sie deine Sehnsucht.

Sacharja 9,9-10

9 Du, Tochter Zion, freue dich sehr, und du, Tochter Jerusalem, jauchze! Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer, arm und reitet auf einem Esel, auf einem Füllen der Eselin.

10 Denn ich will die Wagen vernichten in Ephraim und die Rosse in Jerusalem, und der Kriegsbogen soll zerbrochen werden. Denn er wird Frieden gebieten den Völkern, und seine Herrschaft wird sein von einem Meer bis zum andern und vom Strom bis an die Enden der Erde.

 

Freue dich…! Für den Propheten entsteht die Freude in der Sehnsucht.

In der Sehnsucht nach einem König, der Frieden bringt und Kriegsgeräte zerstört.

Der endlich ein Ende macht mit der Ungerechtigkeit.

Der dafür sorgt, dass wir uns keine Sorgen mehr machen müssen.

Ein Freudenbild für Zion, für Jerusalem.

Tochter Zion, freue dich! Jauchze laut, Jerusalem!

Endlich hast du Frieden und Heilung.

Freude.

Ein schönes Bild.

Aber ein armer König auf einem Esel?

Stell dir mal vor: nicht Panzer und Waffen bringen den Frieden – sondern: ein Esel…?

Wie kann ein Esel Ruhe in meine Unruhe bringen?

Die Sehnsucht des Propheten durchkreuzt meine Erwartung.

Vielleicht muss ich meine Erwartung zurecht rücken.

Auf den richtigen warten.

Nicht auf das Pferd, das Tier der Mächtigen und Herrscher.

Nicht auf den Starken, der sagt, wo es lang geht,

nicht auf den Chef, der durchgreift.

Denn darin liegen kein Frieden, keine Ruhe.

Warte auf den Esel, das Lasttier der Armen!

Das Bild setzt sich fest in meinem Herzen.

Der Esel trägt die schwangere Frau von Nazareth nach Bethlehem.

Er steht daneben, als Hirten und Weise ihre Aufwartung machen

und die Engel vom Frieden auf Erden singen.

Ein neugeborenes Kind und ein Esel.

Nicht gerade den Erwartungen entsprechend.

Hast du deinen König wirklich so erwartet – arm und bedürftig?

Ohne großen Hofstaat? Ohne viel Ansehen und Prunk?

Und dann 30 Jahre später: derselbe Mann reitet auf einem Esel nach Jerusalem.

Der Friedensbringer, der Tod-Überwinder, der Leben-Teiler.

Der verheißene König, in dem sich die Sehnsucht des Propheten für Christen erfüllt.

Tochter Zion, freue dich! Jauchze laut, Jerusalem!

Mit einem Esel fängt alles an.

Und es geht immer weiter, um die ganze Welt.

Das Beste kommt noch.

Du darfst ihn erwarten.

Und so warte ich auf ihn.

Mit Christoph und seiner Lehrerin.

Mit Monika, mit Inge und Heinz.

Dass er kommt!

In die Unruhe meiner Gedanken,

in die Sorgen meiner Konflikte,

in die Vorfreude und in den Überdruss,

in die Dunkelheit der Pandemie und in die Trostlosigkeit der Einsamkeit.

In die Ungeborgenheit.

Er kommt – dir zum Trost und zum Frieden.

Außen und innen.

Denn er teilt es. Das Leben, das Leiden. Die Schwachheit und und die Bedürftigkeit.

Die Einsamkeit – und womöglich sogar die Pandemie.

Freue dich, Oftersheim – jauchze laut, Kurpfalz!

Lass ihn eintreten, vertraue ihm.

Kriegsgeräte werden verwandelt werden

Wortspeere verlieren ihre Schärfe und ihre Spitze.

Es wird Frieden sein. Frieden in den Familien.

Auch wenn nicht alles dem Bilderbuch entspricht.

Es wird Frieden sein in dir. Denn du hast einen an der Seite, der dich kennt.

Wer auf einem Esel reitet, sitzt auch neben dir auf dem Sofa.

Es wird Frieden sein in der Welt. Auch wenn du es noch nicht siehst und spürst.

Aber er kommt. Er ist schon da.

Freue dich, du Tochter Oftersheim! Amen.

Pfrin. Prof. Dr. Sibylle Rolf

ev. Kirchengemeinde Oftersheim

Eichendorffstr. 6

68723 Oftersheim

sibylle.rolf@kbz.ekiba.de

de_DEDeutsch