Göttinger Predigten im Internet, hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch

Unser Vater

In drei Gottesdiensten ausgelegt in Predigt, Gesang und Musik

Die Idee und ihre Umsetzung
1. Gottesdienst
2. Gottesdienst
3. Gottesdienst


3. Gottesdienst mit Taufe, Pastorin Töpfer

Orgelvorspiel: F. Mendelssohn - Bartholdy, aus der "Vater Unser Sonate", op. 65 Nr. 6: - Choral; Andante sostenuto (bis Takt 71)

EG Psalm 105, 1.4.5; 398; 186

Predigttext:

Denn dein ist das Reich
und die Kraft
und die Herrlichkeit
in Ewigkeit.
AMEN

Liebe Gemeinde!

Wir brauchen Momente in unserem Leben, in denen wir wissen, an was wir festhalten können.
Wir brauchen Momente der Ruhe.
Wir brauchen etwas, an dem wir festhalten können in allen Veränderungen, die unser Leben bestimmen.
Um uns herum verändert sich viel.
Die Lebensbedingungen auf die wir nur sehr bedingt Einfluß haben, hier bei uns und über unsere Grenzen hinweg.
Die Lage in unserem Land, die uns manchmal so hoffnungslos macht. Die zunehmende Gewalt auch bei Jugendlichen. Der Egoismus, der jeden nur auf das Seine blicken läßt.
Bei uns verändert sich viel.

Neue Lebensabschnitte durch Geburt oder Tod stellen uns vor neue Herausforderungen, die bewältigt werden wollen. Der Abschluß von der Schule und die beginnende Ausbildung oder Aussicht auf Arbeitslosigkeit. Wir selbst verändern uns.
Aus Kindern werden Jugendliche, aus Familien Teilfamilien, aus Ehepaaren Witwen oder Witwer. Neue Lebensabschnitte - natürlich oder erzwungen - verändern unser Leben. Und auch ohne äußere Veränderungen, verändern wir uns, wir reifen, gewinnen neue Erfahrungen und müssen mit Enttäuschungen fertig werden.

Manche Veränderungen haben wir uns gewünscht, vielleicht erhofft und ersehnt. Andere haben wir befürchtet oder wir haben gar nicht mit ihnen gerechnet. Über manche Veränderungen freuen wir uns und andere erschrecken uns.

In all diesen Veränderungen haben wir Ruhepunkte und Haltepunkte bitter nötig, nicht als Ablenkung von der Wirklichkeit, nicht als Vertröstung auf später, sondern als Quelle der Kraft für unser Leben hier und heute. Ein solcher Ruhepunkt ist der Abschluß des Unser Vater Gebetes.

Vieles ist angesprochen worden in den letzten zwei Gottesdiensten zum Unser Vater. Die vertrauensvolle Anrede, die Bitten mit dem Hintergrund unserer Erfahrung und nun kommt das Finale. Ein Höhepunkt und ein Ruhepunkt des Gebetes. Etwas an dem wir festhalten können. Unser Herz ist ausgeschüttet.

In den Bitten, die wir an- und ausgesprochen haben, kommt viel von unseren Wünschen zum Ausdruck. Und nun der Abschluß:

Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit.

All unsere Erfahrungen in diesem Leben führen uns hin zu den Bitten, die wir Gott anvertrauen. Und am Ende steht dann trotz allem das Festhalten an Gott, gewissermaßen eine Befestigung in Gott. Ein Ruhepunkt, den wir brauchen, um sicher durchs Leben gehen zu können. Etwas an dem wir uns festhalten können, wie ein Kind, das laufen lernt, eine haltende Hand benötigt.

Natürlich erleben wir andere Reiche außer Gottes Reich, um dessen Kommen wir gebeten haben am Anfang. Wir erleben und erleiden die Reiche, die kommen und gehen oder die sich in sich verändern. Wir tragen in Teilen zu ihrem Gelingen oder Mißlingen bei.

Und auf dem Hintergrund dessen, was Gott uns von seinem Reich versprochen hat, was wir manchmal im Kleinen aufblitzen sehen, sind wir sicher, daß das, was wir tagtäglich erleben, nicht das Reich Gottes ist, sondern wenn es gut ist, dann vielleicht ein kleiner Abglanz davon. Dann, wenn ein gutes Zusammenleben unter uns möglich ist, wenn Freude Raum findet und wenn Tränen nicht ungesehen vergossen werden. Dann, wenn wir Anteil nehmen, was bei uns und bei anderen geschieht und wir bereit sind füreinander zu sorgen. Solche Erfahrungen lassen uns eine Ahnung vom Reich Gottes bekommen und es dennoch nicht vollständig erfassen.

Unser Leben lehrt uns, daß auch solche positiven Erfahrungen nicht immer dauerhaft sind. Und es gibt ja auch die Horror-Erfahrungen. Der Trost, den Gott uns schenkt, ist der, daß all unsere Erlebnisse und Erfahrungen nicht die letzten sein werden. Denn so schrecklich und so schön sie auch sein mögen, sie sind nur vorläufig. Sie werden ein Ende haben. Es gibt einen Ruhepunkt in all dem, das ist tröstlich.

Denn dein ist das Reich....

Und dieser Ruhepunkt soll kein Betäubungsmittel sein, um uns in unserem Leben auf später zu vertrösten. Dieser Ruhepunkt ist unser Antriebspunkt für aktive Beteiligung an der Gestaltung unseres Lebens.

Von ihm her bekommen wir neue Kraft, die uns über Höhen und Tiefen hinweg tragen kann.
Kraft, die nicht zerstören will, sondern die heilen und helfen kann und will.
Kraft, die wir zum Leben brauchen. Kraft, die stärker ist, als wir es in unseren Spitzenleistungen sein können.
Kraft, die anders ist als das tägliche Spiel der Kräfte, in dem es vor allem um Durchsetzungsfähigkeit und sich-behaupten-müssen geht. Kraft - nicht für den Konkurrenzkampf um bessere Noten und Ausbildungs- und Arbeitsplätze; Kraft - nicht um in unserer Ellenbogengesellschaft der Gewinner zu sein. Sondern Kraft für unser Leben,
Lebenskraft von Gott geschenkt für uns selbst und zum teilen mit anderen. Diese Kraft bekommen wir von dem, der selbst die Kraft und die Macht ist. Denn dein ist das Reich und die Kraft ...

Und genauso das Bekenntnis zu Gottes Herrlichkeit, die unsere Herrlichkeiten weit abschlägt. Menschen gemachte Herrlichkeit setzt auf Protz und Prunk. Showeffekte stehen im Vordergrund. Man muß zeigen, was man und frau hat oder vortäuscht zu haben, sei es das Auto, das Haus oder die Rolex.

Gottes Herrlichkeit ist anders. Er geht nicht hinein in unseren irdischen Wettkampf um mehr Herrlichkeit. Ihm gehört die Herrlichkeit. Und damit enthebt er uns den verzweifelten Bemühungen, die wir vielleicht anstellen, um in voller Herrlichkeit dazustehen.

Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit .... In einem erdachten Gespräch mit Gott sagt ein Beter: "Ja, das stimmt. Wenn ich an die Reichen und die Mächtigen denke, die es hier auf Erden gibt, dann bin ich froh, daß sie nicht über alles bestimmen können. Die Macht und die Kraft und die Herrlichkeit ist bei dir – Gott – besser aufgehoben." Das beten zu können, heißt festzuhalten an Gott trotz all der anderen Erfahrungen.

Es ist ein Trost, daß es nicht darum geht, daß ich mich abrackern muß, um all das zu erreichen, sondern Gott ist all das, nicht nur für sich, sondern auch für mich/uns. In all den Veränderungen um uns herum und bei uns selbst, brauchen wir diesen Ruhepunkt, diese Worte, mit denen wir an Gott festhalten. Denn unsere Erfahrungen sind – so schlimm sie auch sein können – geprägt durch Vorläufigkeit. Es ist nicht das letzte, was wir erleben, sondern höchstens das Vorletzte.

Deshalb dies Bekenntnis, deshalb dieser Lobpreis Gottes am Ende – deshalb in Ewigkeit. Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Dieses zu beten und stehen zu lassen ist das Angebot eines Ruhepunktes in unserem Leben mit all seinen Veränderungen.

Das ist gewißlich war.

AMEN

Orgelmeditation: F. Mendelssohn - Bartholdy, aus op. 65 Nr. 6, - Finale

Orgelnachspiel: F. Mendelssohn - Bartholdy, aus op. 65 Nr. 6, - Andante sostenuto (ab Takt 72) Allegro Molto (eventuell) Fuga


Organistin Telma Guise-Püschel, Plesseweg 21, 37120 Bovenden, Tel. 0551 - 8 23 43

Pastorin Anne Töpfer, Steffensweg 65, 37120 Bovenden, Tel. 0551 - 8 32 55


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