1. Johannes 1,5-2,6

1. Johannes 1,5-2,6

 


Göttinger Predigten im Internet
hg.
von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


3. Sonntag nach
Trinitatis

9.7.2000
1. Johannes 1,5-2,6

Horst Hirschler


Liebe Gemeinde!

I.
Am liebsten reden wir über die Sünden der
Anderen
.
Im Laienrefektorium hier im Kloster ist die Scene von der
Ehebrecherin zu sehen, gemalt von Eduard v.Gebhardt, Johannes 8 steht das, die
Geschichte von jener Frau, die auf frischer Tat beim Ehebruch ertappt wurde.
Komisch eigentlich, daß da nicht noch ein männliches Wesen erwischt
wurde, denn zu frischer Tat gehören ja wohl zwei. Na ja, geht wieder zu
Lasten der Frauen. Jedenfalls sitzt auf dem Gemälde die
Übeltäterin zusammengekauert am Boden. Jesus auf einem Stuhl daneben.

Dahinter die Männer mit ihren Steinen in den Händen, um
sie zu steinigen. Alles Portraits von Loccumern um 1890. Sie hören Jesus
zu, der nur sagt: „Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten
Stein.“ Und dann lassen sie ja alle einer nach dem anderen ihre Steine plumpsen
und verkrümeln sich.

Links davon stehen zwei alte Frauen. Sie tuscheln miteinander. Ich
habe immer gedacht, sie reden über die Sünden der Frau. Aber beim
Nachdenken über diese Predigt kam mir anderes in den Sinn. Ich denke, die
eine sagt zur anderen: Siehst du den Ernst da, und den Wilhelm da drüben,
die müssen Steine werfen, ausgerechnet die. Und die andere sagt, ich
erzähl dir nachher noch mehr von den beiden.

Wie gesagt, am liebsten reden wir über die Sünden der
anderen. Privat und ­ öffentlich. Manche Zeitungen können gar
nicht genug davon bringen. Ein Fehltritt ist viel spannender als ein Wohltritt.
Der Bundeskanzler sagt die Wahrheit, das ist keine Nachricht. Aber wenn er die
Unwahrheit sagt…..dann geht es los.

Von unseren eigenen Sünden reden wir viel weniger
gern.
Jedenfalls, wenn es wirkliche Sünden sind. Bei
Verkehrssünden ist es oft anders. Damit prahlt ja mancher noch. Obwohl,
als einer jüngst erzählte, wieviel Punkte er in Flensburg
gegenwärtig hat, und wir lachten, eine Frau sagte: „Darüber kann ich
gar nicht lachen. Unser Junge ist von einem, der 70 fuhr im Ort, schwer
verletzt worden. Seither sehe ich das ganz anders“. Da bleibt einem das Prahlen
in der Kehle stecken.

Nein, wenn das, was wir falsch gemacht haben unser Image
verdunkelt, dann reden wir gar nicht gern davon, und schon gar nicht, wenn es
uns richtig auf der Seele liegt, was wir an Mist gebaut haben.

Von den eigenen, den wirklichen Sünden schweigen wir
lieber, vergäßen sie gerne, verdrängen sie oft.

II.
Warum aber nur, liebe Gemeinde, warum nur legt der
Evangelist Johannes, dem wir diesen 1.Johannesbrief verdanken, solchen Wert
darauf, daß man nicht sagt, man sei ohne Sünde, sondern daß
man seine Sünde bekennt.

Nun kann man sagen: Ja, das ist eben typisch für die Kirche.
Die hat immer viel von der Sünde geredet.

Sie kennen sicher die schöne Geschichte, bei der ein
Konfirmand sonntags aus der Kirche nach Hause kommt. Der Vater, der sich gerade
im Badezimmer rasiert, fragt: „Na, worüber hat dein Pastor denn heute
geredet?“ Der Sprößling ruft aus dem Wohnzimmer: „Über
Sünde!“ Der Vater nochmal: „Na und, was meint er dazu?“ Der Sohn macht den
Fernseher an und ruft über die Schulter zurück: „Er ist dagegen.“ Das
weiß man. Der Pastor redet von Sünde und ist dagegen.

Freilich ist das doch vielleicht schon ein etwas älterer
Witz. Denn in den letzten 20 Jahren ist in der Kirche nur ungern über
Sünde geredet worden ­ wohl, weil es nicht so gut zum Zeitgeist
paßte.

Warum ist dem Johannes das Zugeben und Aussprechen der eigenen
Sünde so wichtig? Warum schreibt er : „Wenn wir sagen, wir haben keine
Sünde, so betrügen wir uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in uns.
Wenn wir sagen, wir haben nicht gesündigt, so machen wir Christus zum
Lügner, und sein Wort ist nicht in uns. Wenn wir aber unsere Sünden
bekennen, so ist er treu und gerecht, daß er uns die Sünden vergibt
und reinigt uns von aller Unreinheit. Das Blut Jesu, seines Sohnes, macht uns
rein von aller Sünde.“

Wir betrügen uns über uns selbst, wenn wir die
Sünde verschweigen, und wir machen Christus zum Lügner, der um
unserer Sünde willen gestorben ist. Wenn man diesen ersten Johannesbrief
genau liest, merkt man, der Johannes schreibt seinen Brief gegen Leute mit
einem falschen Menschenbild.

Da gibt es offenbar Leute in den Gemeinden, die behaupten, wer
wirklich Christ ist, sei kein Sünder. Sie haben wohl das Empfinden gehabt,
durch den Glauben so verwandelt und in einer neuen Existenzweise zu sein,
daß sie gottähnlich und sündlos sind. Johannes hält das
für Unsinn.

Es kann einem auch der moderne Gedanke kommen, ob diese Leute
vielleicht innerlich so instabil waren, daß sie sich als Sünder
nicht ertragen konnten? Müssen sie sich vielleicht gegenseitig unentwegt
bestätigen, es sei alles richtig, was sie sind und tun? Gott liebt dich,
wie du bist?

Nun wissen wir nicht genau, wie die Leute, gegen die Johannes sich
wendet, gedacht haben. Wir können das ja nur aus den Sätzen in diesem
Brief zu erschließen versuchen. Wir können uns allerdings selbst an
die Stelle dieser Leute setzen. Als hätte der Johannes das uns
geschrieben.

Wir aber haben heute eine große Unsicherheit in der
christlichen Gemeinde, was eigentlich Gottes Gebot sagt, und was als Sünde
zu gelten hat. Was bedeutet es, wenn sich in unserer Gesellschaft die Normen
ändern?

Als die niedersächsische Verfassung verändert wurde,
haben wir hier in Loccum eine Akademietagung mit Landtagsabgeordneten gehabt.
Als wir über das Thema nachdachten, sagte der damalige
Landtagspräsident: Können wir nicht einmal über die 10 Gebote
reden? Das wurde eine sehr gute Tagung.

Und es ist nötig, daß wir in der Gemeinde sehr konkret
darüber nachdenken, was sagt uns Gottes Gebot heute.

Aber an unserem Predigttext ist doch seltsam, daß der
Evangelist gar nicht schreibt: Reißt euch zusammen, befolgt die Gebote,
macht es in Zukunft besser. Er schreibt etwas von der Bruderliebe ­ die
Schwestern scheinen mit gemeint zu sein. Aber immer hängen Bruderliebe und
Gottesliebe eng zusammen.

Er appelliert nicht, wie wir es bei der Frage der Sünde
eigentlich denken müßten, an den guten Willen. Er schreibt nicht,
kehrt um, werdet bessere Menschen, verabredet euch, bestimmte schädliche
Taten nicht mehr zu machen. Johannes zielt in eine andere Richtung. Er
schreibt: „Wenn jemand sündigt, so haben wir einen Fürsprecher bei
dem Vater, Jesus Christus. Er ist die Versöhnung für unsere
Sünden, nicht allein aber für unsere Sünden, sondern auch
für die Sünden der ganzen Welt.“

Man merkt schon, das ist eigentlich kein moralischer Zeigefinger,
der hier erhoben wird. Es geht um Grundlegenderes, Johannes geht es um die
Bedeutung Christi. Es geht ihm um die Versöhnung des Menschen mit Gott und
um eine neue Beheimatung des Menschen in einer gottfernen Welt.

Gott ist Licht, schreibt er. Wenn wir sagen, daß wir
Christen sind, also Gemeinschaft mit Christus haben, aber in Wirklichkeit im
Finstern wandeln, dann sind wir in unserem Wesen verlogen. Dann sind wir in
einer tiefen Weise selbst das Problem.

Johannes sieht zwischen Gott, der das Licht ist und uns Menschen
einen tiefen Gegensatz, einen tiefen Graben, einen Sund, die Sünde (da
kommt das Wort her). Und das wichtigste ist, daß wir begreifen, welche
Bedeutung Christus darin hat.

Das ist etwas, was wir immer wieder neu lernen müssen: Wenn
die Bibel von Sünde redet, dann ist zuerst an unsere Gottes- und
Christusbeziehung gedacht und danach erst an Gottes Gebot. Nicht, daß die
Gebote als klare Grenzpfähle nicht wichtig wären. Sie sind ungeheuer
wichtig und zeigen uns, wo wir schuldig sind. Aber Sünde meint zuerst den
viel grundlegenderen Schaden, daß unsere Gottesbeziehung nicht in Ordnung
ist.

Vielleicht muß ich das noch viel persönlicher sagen.
Sünde meint, daß ich nicht wirklich beten kann, weil ich weiß,
Gott muß, so wie ich bin, gegen mich sein. Sünde meint vielleicht
noch mehr, daß ich Gott verloren habe, weil ich ihn längst durch
andere Götter ersetzt habe. Weil ich mich auf ganz Anderes verlasse.
Luther sagt, das woran du dein Herz hängst und worauf du dich
verläßt, das ist eigentlich dein Gott:

Man kann sich selbst testen, wo ich überall „Hauptsache“
sage. Hauptsache man ist gesund. Hauptsache man hat Arbeit. Hauptsache man hat
was auf dem Konto, hat Schaffenskraft, hat gute Freunde usw. Das ist
natürlich alles Unsinn. Was tun wir wenn diese Hauptsachen nicht mehr da
sind? Ich brauche ja doch einen Vertrauensgrund, der gerade dann hält,
wenn ich krank, arbeitslos, ohne Mittel und Freunde da stehe.

Sünde heißt, ich habe kein Gottvertrauen. Da ist immer
wieder ein tiefer Graben zwischen mir und Gott, ein Graben, den ich nicht von
mir aus überwinden können. Und Johannes sagt: Du mußt zu Jesus
kommen, mit all deiner Gottesferne. Oder besser noch du mußt ihn zu dir
in deine Gottesferne kommen lassen.

III.
Wir haben eben als Evangelienlesung die
wunderschöne Geschichte vom Oberzöllner Zachäus (Lukas 19)
gehört. Ein Mensch, über den wir nicht viel wissen, in den wir uns
aber gut hineindenken können. Zachäus muß sich wohl als von
Gott gemieden vorgekommen sein. Mancher leidet darunter, daß er klein ist
und hadert mit seinem Gott, daß er ihm solches zumutet. Dieser
Oberzöllner ist klein, skrupellos und reich. Hauptsache du hast genug
Geld. Das hat er. Und so einer, ausgerechnet so einer will Jesus gerne sehen.
Es ist schon erstaunlich. Er verliert allen Stolz, alle Angst vor dem
Gespött der Leute, er steigt auf einen Baum um Jesus zu sehen, nur zu
sehen.

Wir wissen nicht, was in den Zachäus gefahren ist. Vielleicht
war es der Heilige Geist. Jedenfalls verliert er alle Angst um sich, um sein
Image. Wie wird er sonst, grimmig und gewichtig durch Jericho gegangen sein,
unnahbar und gefährlich. Sein eigener Gott, sein eigener Halt. Sich
verlassend auf die macht der Soldaten. Und doch unendlich einsam und verloren.

Jetzt sitzt er auf seinem Baum. Um Jesus zu sehen. Indem er sich
so entblättert, so nackt und dem Spott ausgesetzt vor den anderen steht,
ist er in einer unmöglichen Situation, eigentlich ganz angewiesen auf die
Hilfe Gottes. Und der hilft, in der Gestalt Jesu ­ es ist unglaublich
­ Jesus bleibt stehen. Komm schnell herunter, sagt er, ich muß heute
bei dir einkehren. Heute ist diesem Hause Heil widerfahren.

Und Zachäus wird durch diese ihm in Jesus begegnende
Gottesnähe verwandelt. Er will Teile seines Reichtums den Armen geben. Er
will das unrechtmäßig Erworbene angemessen zurückgeben. Ich
weiß gar nicht, ob er dafür genug Geld hat. Aber das muß er
selbst sehen. Jedenfalls die Gottesnähe, für die Jesus steht,
verwandelt sein Innenleben, gibt ihm Würde und inneren Halt. Zachäus
weiß mit einem Schlage, woher er nun seine Würde, seinen inneren
Halt, seine Beheimatung bekommt. Nicht in erträumter Größe,
nicht in seiner Gefährlichkeit und nicht in seinem Geld, nicht in seiner
umtriebigen Verwaltungskompetenz liegt der innere Halt.

Dieser Jesus ist für ihn die Versöhnung mit Gott und
dadurch mit seinem Schicksal. Er ist ausgesöhnt mit seinem Schicksal. Er
hat keine Angst mehr um sich selbst.

Diese Zachäusgeschichte konnte natürlich in der
Christenheit nur erzählt werden, weil dieser Jesus da unter dem Baum
für die, die diese Geschichte hören, gleichzeitig der Gekreuzigte und
Auferstandene ist. Weil er uns die Angst um unser Leben genommen hat. Weil Gott
uns in ihm vorgeführt hat, daß auch der, der sich so gottverlassen
vorkommt, daß er nur noch schreien kann, „mein Gott, mein Gott, warum
hast du mich verlassen“- im österlichen Licht gerade nicht verlassen ist.
Wir müssen keine letzte Angst mehr um uns haben.

Sünde hängt mit Sund zusammen. Mit dem tiefen Graben,
der uns von unserem Glück, von Gott, von der inneren Beheimatung auf Erden
trennt. Dieser Sund produziert in uns eine tiefe Angst. Und die Früchte
dieser Grundsünde, dieser Angst sind unsere angstbesetzten egozentrischen
Gedanken und Taten.

Achten Sie nur, liebe Gemeinde, einmal darauf, welche Rolle allein
die Angst, zu kurz zu kommen, in unserem Verhalten spielt. Fast alles, was wir
an Bösem tun, ist Frucht der Angst um uns selbst. Deshalb helfen die
moralischen Appelle so wenig.

Deshalb sagt Johannes: Geht mit eurem bißchen Glauben, mit
den Erfahrungen der Gottverlassenheit, mit euren aus der Lebensangst heraus
mißratenen Lebenswegen zu Jesus Christus, dem Gekreuzigten im
österlichen Licht.

Laßt es euch im Abendmahl ganz persönlich, geradezu
eßbar, zusprechen: „Das Sterben Jesu macht uns rein von aller
Sünde.“ Er sagt in mit und unter Brot und Wein: Du ich bin bei Dir,
laß dich nicht verrückt machen, du kommst echt nicht zu kurz.

Christus ist unser Halt in aller Haltlosigkeit. Und daraus wird
Neues wachsen. Und dann sind die Gebote, nicht hinter dem Rücken des
Nächsten zu stänkern, die Ehe, die eigene und die des Nächsten
nicht zu beschädigen, das Eigentum des anderen zu achten, sein Leben zu
bewahren usw. dann sind sie keine altbackenen Moralvorstellungen, sondern
Wegweiser christlicher Freiheit. Wie Luther es im Kleinen Katechismus
aufgezeigt hat. Es lohnt sich mal wieder drin zu lesen.

IV.
In diesen Tagen sind wir voller Freude über die
Wirkung unseres Christuspavillons auf der EXPO. Er steht, wie sich das für
eine christliche Kirche gehört, in der Mitte der EXPO am Markt, an der
Plaza, wie der Hauptplatz heißt. Und die Leute kommen herein, schauen und
staunen. Zu jeder vollen Stunde ist eine 10-Minuten- Andacht, deutsch/englisch.
Und immer sind viele Leute da. Junge und alte. Und sie genießen das: Den
Raum, die Stille, das Wort Gottes, das Vaterunser, den Segen.

Vorne hinter dem Altar ist Christus am Kreuz. Eine fast zwei Meter
hohe Skulptur aus der 1. Hälfte des 12. Jahrhunderts . Aus der Zeit, als
Volkenroda und Loccum gegründet wurden. Die Christus-Darstellung wurde
1921 in der Krypta der St.Georgs-Kirche in Köln unter Schutt aufgefunden.
Es ist ein Torso. Die Hände, die Füße sind zerstört. Ein
sehr eindrückliches, nach innen gerichtetes, stilles Gesicht. Das Gesicht
des Christus im österlichen Licht. Der gottverlassene Christus, der uns in
unserer Gottverlassenheit die Nähe Gottes wirksam werden läßt.

Manchen fällt bei dieser Figur als erstes ein: Christus hat
keine Hände als unsere Hände. Christus hat keine Füße als
unsere Füße. Das paßt ein wenig zu dem letzten Satz unseres
Predigttextes. „Wer sagt, daß er in Christus bleibt (also daß er
Christ ist), der soll auch leben wie Christus gelebt hat.“ Also, wir sind
diejenigen, die Jesus nachfolgen und seine helfenden Taten tun sollen.

Aber bevor wir solche Gedanken haben, die an unser Tun
appellieren, ist es viel, viel wichtiger und grundlegender sich auf die
Gottesaussage dieser Christusfigur einzulassen.

Da wird dieser Mensch Gottes gezeigt, dieser Jesus von Nazareth,
der nun wirklich nichts mehr für sich und andere tun kann. Nur noch durch
das Gesicht ist er der stille Hinweis darauf, daß wir, auch wenn uns die
Hände gebunden sind, auch wenn wir das Empfinden haben, aus unseren
Verflechtungen nicht mehr herauszukommen, die Zusage haben, Gott hält
dich. Auch dann. Hab keine Angst um Dich. Du kommst nicht zu kurz. Du kommst in
alle Ewigkeit nicht zu kurz. Du mußt nicht warten, daß die
Erfüllung deines Lebens erst noch kommt, und du dies und das erst
unbedingt noch haben mußt. Nein, Gott ist jetzt dir nahe. Dein
Lebensglück, deine Beheimatung hier im Vorläufigen, die geschieht
jetzt. Christus gibt dir die innere Angstfreiheit, und das gibt dir die Kraft
und den Mut und die Umsicht zum Tun des Menschenmöglichen an deinem Ort.
Du kannst voller Gottvertrauen zu ihm beten.

Ja, es ist wahr, Gott trägt dich mit deinem durchwachsenen
und problematischen Leben, aus dem du gar nicht einfach aussteigen kannst. Er
trägt dich sogar mit deinen trüben Kompromissen. Er tut das nicht,
indem er das alles rechtfertigt, unter der Hand für richtig erklärt.
Das bleibt so problematisch, wie es ist. Und muß, wo es nur geht,
verändert, verbessert werden. Aber Gott rechtfertigt dich. Er sagt
dir in Christus seine Nähe zu. Er trägt dich. Er gibt dir die innere
Freiheit zum Tun des Besseren gibt – und eine tiefe innere Freude.

Melanchthon muß an Luther 1521 auf die Wartburg geschrieben
haben, daß er nicht mehr wüßte, was er tun solle, denn in
allen Kompromissen stecke doch Sünde drin. Luther antwortet ihm am 1.
August 1521: „Wenn Du ein Prediger der Gnade bist, predige die Gnade nicht zum
Schein, sondern als Wirklichkeit, wenn sie wirklich Gnade ist. Wahre, nicht
scheinbare Sünde tue ich. Gott macht doch nicht scheinbare Sünder
heil. Also sei Sünder und sündige unerschrocken(pecca fortiter), aber
noch unerschrockener glaube und freue dich in Christus (fide et gaude in
Christo), der ein Sieger ist über Sünde, Tod und Welt. Es muß
ja gesündigt werden, solange wir hier sind. Dieses Leben ist keine
(friedliche) Wohnung der Gerechtigkeit, sondern wir erwarten ­ sagt Petrus
­ einen neuen Himmel und eine neue Erde, in denen Gerechtigkeit
wohnt.“

Man merkt, das ist keine harmlose Sache, das ist ein Kampf, bei
dem es immer darum geht, ob ich wirklich auf den Gott vertraue, der in Christus
erschienen ist. Wenn ich das tue, wirkt sich das auch aus in meinem Alltag. Und
ich bleibe, Gott sei Dank, nicht der, der ich immer schon war.

Nein wir sind auf dem Wege, immer neu. Aber wir sind in Seiner
guten Begleitung.

Amen.

Bischof Horst Hirschler, Loccum
E-Mail:
Horst.Hirschler@01019freenet.de

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