Matthäus 5,13; 6,10

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Matthäus 5,13; 6,10

Göttinger Predigten im
Internet,
hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


3. Sonntag nach Trinitatis
20. Juni 1999
Predigttext:
Die Anfangs- und Schlußworte des 28. Kirchentags: Ihr seid das Salz der
Erde (Matth. 5,13), Dein Reich komme (Matth. 6,10)
Verfasser: Superintendent Rudolf Rengstorf

Predigt im open-air-Gottesdienst zum Altstadtfest am 20.06.1999 in Stade

Text:
Die Anfangs- und Schlußworte des 28. Kirchentags: Ihr seid das Salz der Erde (Matth.
5,13) Dein Reich komme (Matth. 6,10)

Liebe Gemeinde!

Von einem Fest zum andern.
Gestern war ich noch in Stuttgart auf dem Messegelände. In den Hallen fröhlich singende
Menschen in sommerlich bunter Freizeitkleidung. Die meisten von ihnen Jugendliche, die
Weißhaarigen aber nicht abseits, sondern voll dazwischen. Konzentriertes Zuhören,
unterbrochen von Lachen und Beifall. Auf den Plätzen und in den Kirchen der Stadt Musik
und Tanz, Theater und Kabarett und unbefangenes Bekennen zu dem, was sonst aus der
Öffentlichkeit verdrängt wird. Und alles unter dem Motto: „Ihr seid das Salz der
Erde!“ Das große Fest der Kirche: fröhlich – politisch – fromm.

Und heute vormittag bin ich in Stade – auf einem der Schauplätze des
Altstadtfestes. Nach der langen Nacht des Feierns ist es noch ruhig in den Straßen von
Stade. Die letzte Runde unseres Festes ist zwar von den Glocken von St. Cosmae und St.
Wilhadi eingeläutet, doch erst nach dem Gottesdienst werden die Stände wieder öffnen,
die Zapfhähne für den Frühschoppen aufgedreht und die Straßenmusikanten sich hören
lassen. Ein Fest, bei dem die Kirche nicht den Ton angibt, zu dem sie aber ihren Ton
beitragen darf. Und auch hier gilt die Feststellung: „Ihr seid das Salz der
Erde!“

Denn dieser Satz ist nicht für den Kirchentag erfunden worden. Etwa aus dem Gefühl
heraus: Was an der Kirche dran ist, wieviel Schwung, Leben, Phantasie sie zu mobilisieren
vermag – das zeigt sich auf dem Kirchen- und genauso auch auf dem Katholikentag. So
wichtig diese großen bunten Treffen auch sind, so sehr müssen sie sich vor
Selbstüberschätzung hüten. Salz der Erde sein – also das, was dem Leben Würze
verleiht und Geschmack – das können Kirchen- und Katholikentage wohl für die Stadt
leisten, in der sie stattfinden, wie auch für die Zehntausenden von Teilnehmern –
aber doch kaum mehr als eine Woche lang. Denn dann steht wieder anderes auf dem Programm,
und der Geschmack dieser besonderen Tage wird schwächer und von anderem überlagert,
zumal er sich denen, die nicht dabei waren, nur schwer vermitteln läßt.

Nein, die Feststellung „Ihr seid das Salz der Erde“ meint nicht das besondere
Erlebnis großer Kirchenfeste. Es ist von Anfang an auf ganz alltägliche Menschen
gemünzt. In der Bergpredigt steht es. Jesus spricht seine Jüngerinnen und Jünger so an.
Und mit ihnen alle, die sich von ihm etwas sagen lassen und sich nach ihm richten
möchten: Ihr seid das Salz der Erde – ob auf dem Kirchentag in Stuttgart oder beim
Gottesdienst in Stade.

Aber nun stellt sich erst recht die Frage: Was ist an uns schon dran, das es
rechtfertigen könnte, uns mit einem der wichtigsten Lebens-, ja Genußmittel zu
vergleichen! Gemeint ist nicht das Salz, das man heute für ein paar Pfennige kaufen kann.
Gemeint ist das Salz, das so kostbar war, daß in unserer Stadt ein Tor, ein Wall, eine
Straße und eine ganze Vorstadt nach ihm benannt wurde. Weil dort die Händler einzogen
mit dem Stoff, der Abwechslung ins Leben brachte, weil er die Geschmacksnerven weckte. Und
nicht nur das. Salz macht auch haltbar, war das einzige Konservierungsmittel damals. Ihm
war es zu verdanken, daß man sich neben Kraut und Brot auch mal ein Stück Fleisch oder
Fisch gönnen konnte. Also: Christen als Leute, die dafür sorgen, daß uns die Freude am
Leben erhalten bleibt? Sicher eine faszinierende Vorstellung. Doch wenn wir selber in den
Blick kommen, dann weicht die Faszination einer gewissen Ernüchterung. Gewiß haben wir
keinen Grund, uns zu verstecken oder ständig um Entschuldigung dafür zu bitten, daß wir
da sind. Aber ebensowenig können wir behaupten, hier wären die Wonne- und Freudeproppen
unserer Stadt versammelt. Da ist genug, womit wir als Einzelpersonen unsere Mitmenschen
ärgern und auf die Palme bringen. Und was wir als Gemeinden tun, löst auch nicht immer
nur Freude und Begeisterung aus.

 

Das war bei den Jüngerinnen und Jüngern Jesu damals nicht anders. Oft genug standen
sie ihm im Weg

  • mit ihrer eilfertigen Grundsätzlichkeit – denken Sie an die Mütter mit den
    Kindern, die von Jesus wegzutreiben sie drauf und dran waren
  • mit ihrer Borniertheit, die nichts wissen wollte von dem Jesus, der Gott im Leiden und
    in den Tiefen des Lebens zu bezeugen gekommen war
  • mit ihrer Verschlafenheit, die keine Störung wollte und ihrer Feigheit, die das Risiko
    scheute-

alles, was Christen unglaubwürdig macht – alles schon dagewesen von Anfang an.

Nun gibt es Leute, die sagen: Nach außen hin haben wir Christen in der Tat nichts
Besonderes vorzuweisen. Entscheidend ist aber, was sich in ihrem Inneren zeigt, nach der
Melodie: Es glänzet der Christen inwendiges Leben. Doch da muß ich immer an Tünnes und
Scheel denken. Fragt der Tünnes den Scheel: „Was machst du nur für’n
bedröppeltes Gesicht. Was ist denn?“ – „Sieht alles so ziemlich mau aus
bei mir“, sagt Scheel. Darauf Tünnes: „Scheel, dann geh in dich!“ –
„Och“, meint Scheel, „da ist auch nicht viel los!“

Zu solchen Leuten sagt Jesus: Ihr seid das Salz der Erde! Verständlich wird das erst,
wenn wir auf das Bibelwort achten, das über dem Ende des Kirchentages steht: Dein Reich
komme!

Was uns zum Salz der Erde macht, ist nicht, daß wir etwas Besonderes vorzuweisen
hätten und auch nicht, daß wir über eindrucksvolle innere Qualitäten verfügten. Was
uns zum Salz der Erde macht, ist dies, daß wir Gott um das Kommen seines Reiches bitten.
Uns öffnen dafür, daß Gottes Reich auf uns zukommt. Eine Bitte, die quersteht zu dem,
was nach menschlichem Ermessen über die Zukunft gesagt werden kann. Nicht weil da alles
rabenschwarz aussieht und der Untergang programmiert ist. Die Tage in Stuttgart haben
gezeigt, daß wir bei allen Gefahren immer noch gute Chancen haben für die Bewahrung der
Schöpfung und der Menschen. Alles wird davon abhängen, ob wir lern- und anpassungsfähig
genug sind, die technischen Möglichkeiten natur- und menschendienlich zu nutzen und im
Streit der Interessen kompromißfähige Lösungen zu finden. Theoretisch ist das möglich.
Aber ob wir das praktisch hinkriegen, ein „Wir“ zu werden – die Menschheit
ein Subjekt, das seine Verantwortung für die ihm anvertraute Schöpfung zielgerichtet
wahrnimmt – das ist völlig ungewiß.

Gewiß ist freilich, daß der Mensch in der Schöpfungsgeschichte dazu von Gott
beauftragt ist. Auch wenn wir über Stückwerk nie hinauskommen und nicht zurechtkommen
mit den Widersprüchen zwischen dem, was wir an sich wollen, und dem, wozu wir uns
faktisch gezwungen sehen. Wer zum Beispiel will nicht, daß alle Menschen zu ihrem Recht
kommen? Und wer unterstützt durch sein Einkaufsverhalten nicht gleichzeitig ein
Wirtschaftssystem, das faktisch auf der gewissenlosen Ausbeutung der dritten Welt basiert?

„Dein Reich komme“ – diese Bitte blickt hinaus über das, was Menschen
tun müssen und – bestenfalls – nur stückweise hinbekommen. Sie bringt zur
Geltung: Die gute Ordnung für Natur und Gesellschaft hängt nicht daran, daß der Mensch
sie seinem Auftrag gemäß tatsächlich auch zustandebringt. Das würde sie auf den St.
Nimmerleinstag schieben. Die gute heilsame Ordnung, auf die wir angelegt sind, sie kommt
von Gott. Gerade in einer Zeit, die dazu neigt, Gott auf die Seele zu beschränken, ihn
als die Kraft zu verehren, die nur in Versenkung und Meditation zu erfahren ist, kommt mit
der Bitte „Dein Reich komme“ Salz in die Suppe des Lebens: Gott liegt die Welt,
mit der wir mit Leib und Seele, Haut und Haaren verbunden sind, am Herzen.

Eine gute und heile Welt, sie kommt auf uns zu. Und auf sie muß man nicht tatenlos
warten und dabei auf dumme Gedanken kommen wie den, ob das nicht nur eine schöne Illusion
ist. Sie kommt schon darin, daß wir für sie bitten können genauso wie für das
tägliche Brot. Gottes Reich kommt schon damit, daß ganz gewöhnliche Menschen wie wir
nach einer Welt fragen, um eine Welt bitten, in der es nicht nach unserem Kopf und unserem
Belieben geht, sondern um den Namen und den Willen dessen, den wir als Schöpfer, als
Vater und Mutter des Lebens mit allen Menschen gemeinsam haben. Die Bitte um Gottes Reich
vertieft unsere Liebe zum Leben und widersteht der Resignation.

Ihr seid das Salz der Erde, weil ihr hinausblickt über das, was Zukunftsforscher für
diese Erde voraussagen und Wahrsager prophezeien, weil ihr bleibt bei dem, was Gott euch
anvertraut hat, mit der Bitte: Dein Reich komme!

 

Superintendent Rudolf Rengstorf
Ritterstraße 15
21682 Stade
Tel. 04141 / 3311
Fax: 04141 / 45510

 

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