1. Johannes 4,7-12

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1. Johannes 4,7-12

Liebe, außerordentlich: Was sich da so tut und ereignet | 13.So.n.Trinitatis | 03.09.23 | 1. Joh. 4,7-12 | Markus Kreis |

7 Ihr Lieben, lasst uns einander liebhaben; denn die Liebe ist von Gott, und wer liebt, der ist aus Gott geboren und kennt Gott. 8 Wer nicht liebt, der kennt Gott nicht; denn Gott ist Liebe. 9 Darin ist erschienen die Liebe Gottes unter uns, dass Gott seinen eingeborenen Sohn gesandt hat in die Welt, damit wir durch ihn leben sollen. 10 Darin besteht die Liebe: nicht, dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt hat und gesandt seinen Sohn zur Versöhnung für unsre Sünden. 11 Ihr Lieben, hat uns Gott so geliebt, so sollen wir uns auch untereinander lieben. 12 Niemand hat Gott jemals gesehen. Wenn wir uns untereinander lieben, so bleibt Gott in uns, und seine Liebe ist in uns vollkommen.

Gott und Liebe! Das sind enorme Worte. Denn jeder füllt sie mit Bedeutung, wie er will, macht mit ihnen, was er will. Gott oder Liebe, egal welches Wort, jedes ist mehr auf den Schlagervers gekommen als auf seinen Begriff. Unter Gott wird alles Mögliche verstanden. Jeder baut sich seinen eigenen Gott. Nix genaues weiß man nicht. Mit der Liebe verhält es sich ähnlich. In das Wort packt auch jeder rein, was ihm gerade so einfällt oder gefällt.

Um da mal nur zwei Arten zu nennen: Liebe wird gerne rührselig verstanden und gebraucht, oder auch moralisch. Kommen wir zum ersten. Werber benutzen das Wort gerne mit viel Gefühl, um Verbrauchsgut an den Menschen zu bringen. Konsumkauf, dargestellt als einen Weg, seinen Nächsten Liebe zukommen zu lassen. Wer seine Familie liebt, serviert ihr mit seinem Kauf diese gesunde Nahrung oder dient ihr jenes saubere Fahrzeug an. Und zack, man fühlt sich selbst auch gleich besser, wenn man seinen Lieben so etwas Liebes getan hat.

Liebe wird ebenso gerne moralisch verstanden. Auch in der Kirche. Mit und unter dem Wort wurde und wird hier einiges getan, was die Bedeutung von Liebe groß macht. So groß, dass sie Gottes Liebe verdunkelt. Beispiele dafür, leider auch heutige, kennt man inzwischen viele. Weniger skandalös und trotzdem fragwürdig ist folgende Einstellung zu Liebe: Wer wahrhaft liebt, der speist, der pflegt, der heilt, der spendet, der verausgabt sich total und bleibt dabei stets freundlich und hat immer ein gutes Wort parat, weil er aktiv zuhört. Weniger gute Gefühle und Taten sind ein Fremdwort für ihn.

Liebe, verengt auf ein bestimmtes Wollen und Machen und Ertragen. Wer liebt, egal ob Sender oder Empfänger, der gehorcht bestimmten Regeln und Vorschriften, der redet oder hört nur bestimmtes, der tut und macht etwas bestimmtes, oder leidet und lässt sich bestimmtes gefallen. Es gibt es zum Beispiel auch die, welche nur der Vaterlandsliebe folgen. Dazu gehört, in den Krieg zu ziehen und den eigenen Tod zu erleiden. Oder andere zu töten und dann am Überleben zu leiden. Genug davon.

Was sagt die Bibel zur Liebe? Das hat schon etwas mit dem eben erzählten Verständnis zu tun. Und unterscheidet sich zugleich enorm davon. Gottes Liebe veranlasst die, denen sie zu Gute kommt, zu einer außerordentlichen Mutmaßung. Diese Einstellung erfordert echt viel Mut, denn viele Menschen sehen das ganz anders und in der Welt spricht wenig dafür. Kommen wir zum ersten Denkschritt. Der heißt: Das Leben und Sterben eines Menschen lange vor unserer Zeit hat heute noch maßgeblich Bedeutung. Einerseits ist das etwas, das man zum Beispiel auch von Kaiser Augustus oder Sokrates meinen und sagen könnte. Andererseits könnte man das überhaupt bestreiten, auch für Sokrates, und behaupten: So ein Unsinn, maßgeblich, obwohl schon so lange vergangen und vergessen! Das ist die erste Mutmaßung: Das Leben und Sterben eines Menschen lange vor unserer Zeit hat heute noch maßgeblich Bedeutung.

Der zweite Gedanke lautet: Gottes Liebe wirkt maßgeblich nur in Jesu Leben und Sterben. Dieser zweite Schritt bedeutet: Gottes Liebe hat den Anfang gemacht. Das ist auch außerordentlich. Erleben doch viele Menschen sich in Sachen Liebe als einen Sender, der den Anfang macht. Ich liebe, aber die anderen sind böse. Gerne auch im Konjunktiv gedacht: ich wäre ja lieb, wenn es die anderen sauch wären. Ist Gott im Spiel, dann gilt: Er ist der eine Hauptsender, wir nur Empfänger, nackte Nutznießer. Gottes Liebe beginnt für uns, indem sie lockere einzelne Fasern von Jesu Leben zu einem festen roten Faden verwirkt und verdrillt. Sie spinnt am roten Faden von Jesu Leben nach dessen Tod weiter. Anstatt irgendwann abzureißen, nehmen Menschen diesen roten Faden weiter auf, bis heute. Sie arbeiten ihm Fasern aus ihrem Leben ein. Immer mehr. Nebenfäden bilden sich dabei. Der Faden wird so langsam immer größer, also dicker und länger und lose verwickelter. Irgendwann ist er so groß, dass ein Mensch in seinem Knäuel zum Stehen kommen könnte, sich darin aufhalten und sogar hin und hergehen. Und er würde dabei sehen: Das, was ich für lose einzelne Fasern gehalten habe, das ist ja in Wahrheit ein Faden, sind viele Fäden. Und die Fasern und Fäden, die bilden eine Textur, daraus wirkt sich ein buntes Gewebe, anstatt wildes durcheinander Häufeln. Gut, an manchen Stellen gibt es Löcher oder Risse. Anderswo ist so was schon geflickt mit neuen Stofffetzen. Und so ein Mensch würde seinen Teil beitragen, um d weiter wachsen zu lassen. Dabei würde er merken, dass auch andere sich in dieser Textur aufhalten und sich bewegen und Fasern aus ihrem Leben beisteuern. So entsteht und entwickelt sich in der Kirche ein Textfluss und Textkleid, welche das Werk der Liebe zum Leuchten bringen. Gott gibt seine Liebe über das Erzählen von Jesu Leben und Sterben weiter ins Leben der Menschen.

Liebe in Jesus mächtiger als der Tod! Daraus ergibt sich für Glaubende ein Rückschluss, wieder ordentlich außerhalb des üblichen Denkens: Gott durchwirkt mit seiner Liebe die ganze Welt, das All, den Kosmos. Liebe schafft und wirkt in der Ballung von Sternenstoff, in Fetzen und Wellen von Strahlen, in jedem Lichtbündel, das gerade oder verwirbelt durchs All seiner Wege zieht, in dunklen Ecken und Falten des Raums und der Materie, die Licht umlenken oder sogar verschlucken. Ereignis um Ereignis spielt sich in diesem Kosmos ab. Manche bekannt und verstanden, viele bekannt und unverstanden. Wahrscheinlich viel mehr noch unbekannt und verborgen. In der Liebe leben heißt, all diese Ereignisse leben aus Liebe, leben durch Liebe, leben für Liebe. Geheimnis des Glaubens. Natürlich kommen da einem Zweifel auf. Die Welt ist auch anders zu ersehen. In Kriegen und Krisen beim Klima, Kometen oder Geld – da bringen Mensch und Natur als Täter und Opfer ihre eigene Sprache zu Gehör. Und die scheint eher wenig von Liebe geprägt und von Leben aus Gott durchdrungen. Da spielt eher dieser oder jener andere Horizont eine Rolle: Das Schicksal ist blind! Survival of the fittest! Unglaublich, das mit der Liebe! Sie arbeitet enorm, sie macht und tut und wirkt in der Welt, egal ob sich Gutes oder Schlechtes ereignet oder abzeichnet. Sie arbeitet und wirkt an Menschen, egal ob sie Gutes oder Schlechtes getan haben, egal, ob ihnen Gutes oder Schlechtes zustößt oder widerfährt. Gottes Liebe ist außerhalb unseres Denkens und Wahrnehmens ständig am Schaffen. Macht Schlechtes und Böses gut und Gutes besser.

Gottes Liebe wirkt außerordentlich in und unter Menschen. Und das hat auch etwas mit Gefühlen, Worten und Taten zu tun. Ein Mensch kann ja Opfer seiner Gefühle werden. Das ist ein Sachverhalt, der sich im Zusammenhang mit gefassten Tätern leicht erklärt: Habgier, Mord- und Wollust und so weiter. Man muss kein Straftäter sein, das kann jedem passieren, seinen Gefühlen zu erliegen. Sich in die falsche Person zu verlieben, das reicht und zählt auch dazu. Zu impulsiv sein, oder gerade mal schlecht drauf und mies gelaunt und so Mitmenschen abschrecken. Sehr passioniert einem Beruf oder Hobby nachgehen und dadurch anderes Gutes oder Wichtiges verpassen. Klar, auch dann, wenn jemand mehr oder weniger schwer unter einer Krankheit der Seele leidet. Sehr oft auch so: Die wahren eigenen Gefühle sind einem verborgen, weil sich ein anderes an dessen Stelle vorschafft. Vielleicht weil das einem genehmer sind als das Wahre im Hintergrund. Statt seine Ohnmacht zu spüren, fühlt man sich wütend besser. Statt sein Leben als leer und ausweglos zu empfinden, flüchtet man in allerlei fragliche Hoffnungen.

Gottes Liebe wirkt enorm auf Gefühle von Menschen samt deren Ausdruck in Wort und Tat. Aus Drängen und Erregung erwächst mit Gott mehr und mehr ein kühler Kopf, Nachdenken und Geduld. Und damit auch: dass einer überhaupt sich selbst richtig spürt. Zugang zu dem hat, was in Wahrheit in ihm drin macht und tut. Statt zu einem Gefühl, das sich nur vorschiebt: seine Ohnmacht zu ertragen, ohne sich gleich klein zu fühlen, seiner Verzweiflung ins Angesicht sehen, ohne gleich vergehen zu wollen.

Schauen wir uns mal die Aggression an, geradezu ein Gegenstück zur Liebe. Auch da ist diese Liebe am Wirken. Nehmen wir weiterhin das Hohelied der Liebe von Paulus im ersten Korintherbrief. Statt einen schroff und abweisend zu lassen, macht Gottes Liebe freundlich und zugewandt. Sie verwandelt Widerwillen hier ebenfalls in Geduld, anfängliche Enttäuschung in eine freudig schöne Überraschung.

Kommen wir zu Zorn und Ärger. Gottes Liebe macht diese Aggression einer Person produktiv, sie führt die Gefühle nämlich über in Einfälle, Worte und Taten. Und es lässt doch den Zorn verrauchen, wenn so einer sieht, dass durch seine Ideen, Worte und Taten etwas Gutes noch etwas besser wird, oder? Das trifft natürlich auch zu, wenn ein Einfall samt der passenden Tat etwas Schlechtes weniger schlecht oder sogar gut macht. Als kurzes Beispiel: Im Zorn persönlich vergeben statt auf Rache und Bestrafung zu sinnen, das wirkt Gottes Liebe. So gesehen hat Zorn sogar was Gutes, er steht für ein Gefühl von Energie, Tatkraft und Zielerfolg. Laut Texten der Bibel kann Gott selbst zornig werden und zürnen.

Oder nehmen wir die Wut. Was wirkt Gottes Liebe dabei? Wer wütend ist, der ist aggressiv und spürt zugleich, dass er ohnmächtig ist. Null Aussicht, durch eigenen Einsatz die Zwangslage zu eigenen Gunsten zu ändern. Endet leider oft damit, sich selbst zu verletzen, gerade wenn man andere in und trotz der eigenen Ohnmacht angreift. Gottes Liebe wirkt darauf so ein: Ein Wütender passt sich an, akzeptiert und gehorcht der Realität, wenn die Zwangslage tatsächlich kaum zu ändern ist. Und Widerstand hier über kurz oder lang nur darin endet, sich selbst zu schädigen. Wenn die Lage anders ist, also wenig zwingend, dann macht Gottes Liebe etwas anderes. Sie verwandelt Wut in Zorn und Ärger, die auf Ideen und Taten bringen, die gutes Neues wirken. Fortsetzung erfolgt dann wie zuvor bereits geschildert.

Bleibt noch der Hass. Gottes Liebe wirkt auch auf einen ein, der vernichten oder wenigstens schwer schädigen will. Wenn Liebe hier wenig bringt, bleibt Gott nur übrig, dem Hass und seinen Worten und Taten eine schwere Niederlage zu erteilen. Zugleich wirkt Gottes Liebe mit Skrupeln auf einen ein, der hasst. Die nagen offen oder unerkannt an seinem Gewissen. Hier ist zu bedenken: Hass kann zwar um seiner selbst willen in einem aufleben. Er kann aber auch Folge von einem anderen Gefühl sein, nämlich einer Verzweiflung entspringen. Was geht dann vor sich?

Jemand, der verzweifelt ist, der spürt und weiß genau, dass er Unvermögen und Schuld auf sich geladen hat. Mit wenig Aussicht auf Wiedergutmachung, bei sich oder bei anderen. So was drückt das eigene Leben unrettbar tief nieder. Egal ob ihm das von anderen vorgeworfen wird oder ob ein Mensch nur ganz allein und für sich darum ahnt oder weiß. Aus dieser Lage ohne Aussicht kommt man auf zwei Wegen raus. Zum einen Reue, also sich der Lage stellen, Unvermögen und Schuld auf sich nehmen und Vergebung erbitten und erhoffen. Gottes Liebe arbeitet dabei mit, indem sie Zuversicht und Langmut in der Bedrückung erwirkt.

Der andere Weg geht so: Man verneint die eigene Schuld macht einen Mitmenschen zur wahren Ursache. Gerne sogar das Opfer, das unter Schuld und Unvermögen zu leiden hatte. Und schafft dann diesen aus dem Leben und der Welt. Solcher Hass entspringt dem Versuch, der Verzweiflung zu entrinnen. Man lädt alles, was man an Schuld und Unvermögen selbst zu tragen hat, jemand anders auf. Und nimmt dann, anstatt sich selbst, den als Ersatz und beschädigt ihn schwer, vielleicht bis hin zu dessen Tod. Gott sei Dank wirkt seine Liebe stärker als der Tod. Ähnlich, aber halt anders rum, wirkt Gottes Liebe, wenn ein Mensch unter Angst leidet. Weil das den Text zu lang macht, lasse ich das jetzt aus.

Was heißt es dann, einander lieb zu haben? Wer Gottes Liebe in der Welt und bei sich so wirken gespürt hat, der traut dieser etwas zu, was außerhalb des üblichen Denkens liegt. Liebe, außerordentlich! Da sind Gefühle im Spiel und Taten. Der mutmaßt, dass Gottes Liebe auf Gefühle von Mitmenschen wirkt und sie verändert. Der fühlt und arbeitet deshalb mit Menschen, die Opfer ihrer Gefühle, oder Worte oder Taten geworden sind. Er unterstützt sie und hilft ihnen, sich zum Guten zu ändern. Er vermeidet, sie in alten Gefühlen, Worten und Taten verharren zu lassen. Ganz zu schweigen davon, einen Rückfall in das zu provozieren, was bereits überwunden war. Und so einer ist bereit, mit Vergebung zu antworten, wenn er reuig darum gebeten wird. Liebe, außerordentlich! So zeigt sie sich unter Menschen. Amen.

Markus Kreis OStR

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