1.Könige 10,1–13

1.Könige 10,1–13

Epiphanias | 6.1.2024 | 1.Kön 10,1–13 | Rainer Oechslen |

Für unsere Predigt lese ich einen Abschnitt aus dem 1. Buch der Könige, Kapitel 10.

Und als die Königin von Saba die Kunde von Salomo vernahm, kam sie, um Salomo mit Rätselfragen zu prüfen. Und sie kam nach Jerusalem mit sehr großem Gefolge, mit Kamelen, die Spezerei trugen und viel Gold und Edelsteine. Und als sie zum König Salomo kam, redete sie mit ihm alles, was sie sich vorgenommen hatte. Und Salomo gab ihr Antwort auf alles, und es war dem König nichts verborgen, was er ihr nicht hätte sagen können.

Da aber die Königin von Saba alle Weisheit Salomos sah und das Haus, das er gebaut hatte, und die Speisen für seinen Tisch und die Sitzordnung seiner Großen und das Aufwarten seiner Diener und ihre Kleider und seine Mundschenken und seine Brandopfer, die er im Hause des HERRN opferte, stockte ihr der Atem, und sie sprach zum König: Es ist wahr, was ich in meinem Lande gehört habe von deinen Taten und von deiner Weisheit. Und ich hab’s nicht glauben wollen, bis ich gekommen bin und es mit eigenen Augen gesehen habe. Und siehe, nicht die Hälfte hat man mir gesagt. Du hast mehr Weisheit und Güter, als die Kunde sagte, die ich vernommen habe. Glücklich sind deine Männer und deine Großen, die allezeit vor dir stehen und deine Weisheit hören. Gelobt sei der HERR, dein Gott, der an dir Wohlgefallen hat, sodass er dich auf den Thron Israels gesetzt hat.

1.Könige 10,1-9a

Liebe Gemeinde,

„Glücklich sind deine Männer …“

Das sagt die Königin von Saba zum König Salomo. So steht es zumindest in Luthers Übersetzung und so steht es auch im hebräischen Text des Alten Testaments.

Vor dieser Predigt aber tat ich etwas, das ich lange nicht mehr getan habe. Ich sah in den „Apparat“ der hebräischen Bibel, also in die Anmerkungen, in denen der Wortlaut anderer Handschriften als der dem Haupttext zugrunde liegenden vermerkt wird. Und siehe da, in sehr guten Handschriften, darunter in dem berühmten Codex, der in St. Petersburg aufbewahrt wird, und der ältesten griechischen Übersetzung des Alten Testaments, steht etwas anderes. Da sagt die Königin aus Saba:

„Selig sind deine Frauen und selig deine Diener, die allezeit deine Weisheit hören …“

Ich kann nicht mit Bestimmtheit sagen, warum die Schreiber – also die Leute, die die Bibel immer wieder von Hand abgeschrieben haben – vor langer Zeit „Männer“ anstatt „Frauen“ geschrieben haben.  Ich vermute allerdings, die Frauen Salomos waren den Schreibern peinlich. Es waren nämlich nach der Überlieferung sehr viele Frauen, darunter viele ausländische. Eine Tochter des Pharaos aus Ägypten gehörte zu Salomos Frauen „und moabitische, ammonitische, edomitische, sidonische und hetitische Frauen“ (1.Könige 11,1). An Salomos Frauengeschichten erinnerten sich die Schreiber in späterer Zeit nicht so gerne.

Nun kommt noch eine Frau, auch sie aus dem Ausland: die Königin von Saba im äußersten Süden von Arabien. Das Land heißt heute Jemen und ist seit Jahren heimgesucht von Krieg und Hungersnot. Zu Salomos Zeit aber war Saba ein reiches Land. Als die Königin Salomos Weisheit gehört und seine Hofhaltung gesehen hat, sagt sie:

„Selig sind deine Frauen und selig sind deine Diener, die allezeit deine Weisheit hören …“

Es ist wie ein Traum, eine Sternstunde in der Geschichte Israels. Der Stern an Israels Himmel heißt Salomo. Unter seiner Regierung erreicht Israel seine größte Ausdehnung. Die Könige der Nachbarländer respektieren Salomo. Sogar Ägypten und Babylon halten Frieden, nicht weil sie Salomo fürchten, sondern weil sie innenpolitische Probleme haben – aber immerhin: Israel hat Frieden. Für die Leute in Israel, die Bauern und Hirten, die kleinen Händler und Tempeldiener ist das alles wie ein Märchen. Es ist die goldene Zeit Israels. Man spürt es bis heute, wenn man die Berichte liest:

„Alle Trinkgefäße des Königs Salomo waren aus Gold, und alle Gefäße im Libanon-Waldhaus – das ist der Sommerpalast – waren auch aus lauterem Gold; denn das Silber achtete man zu den Zeiten Salomos für nichts. Denn der König hatte Tarsisschiffe … Die kamen in drei Jahren einmal und brachten Gold, Silber, Elfenbein, Affen und Pfauen.“ (1.Könige 10,21-22) Ich sehe das Bild vor mir: Salomo sitzt in seinen Gärten, seine Becher sind aus Gold, auf den Bäumen sitzen die Affen und um ihn her schlagen die Pfauen ihr Rad.

Noch heller als Salomos Reichtum aber strahlt seine Weisheit. Es steht geschrieben: „Und Gott gab Salomo sehr große Weisheit und Verstand und einen Geist, so weit, wie Sand am Ufer des Meeres liegt.“ (1.Könige 5,9)

Salomos Weisheit ist es, die die Königin von Saba interessiert. Das Gerücht davon ist über Medina – die Stadt hieß damals noch Jatrib – und Mekka hinaus bis nach Saba gedrungen. Nun kommt sie, „um Salomo mit Rätselfragen zu prüfen“. Wir verstehen: Dieser Besuch ist nicht einfach nur ein Staatsbesuch wie viele andere. Es geht der Königin nicht nur um Handel und Wirtschaft. Sie sucht Weisheit. „Sie hat von einem König gehört, eingeweiht in die Geheimnisse Gottes – ein Mensch, der die Rätsel des Lebens entschlüsseln kann.“ Vielleicht steckt in ihrer seltsamen Unruhe schon „ein Verlangen nach einem unbekannten und doch bereits geliebten Gott“ (Nico ter Linden).

Die Begegnung gelingt. Das Verlangen der Königin, der Hunger ihres Herzens wird gestillt. Sie kann nur stauen und Gott loben: „Gelobt sei der HERR, dein Gott, der an dir Wohlgefallen hat …“ Am Ende der Geschichte steht geschrieben: „Und der König Salomo gab der Königin von Saba alles, was ihr gefiel …“ (1.Könige 10,13) Nach dem Volksglauben heißt das, dass die beiden sich in Liebe vereinigt haben. Es kann uns nicht wirklich interessieren, ob Salomo und die Königin von Saba das Bett miteinander geteilt haben. Es wird uns aber auch nicht stören, dass es neben der Erfüllung der geistigen Sehnsucht auch eine leibliche Erfüllung gibt.

Die Königin von Saba steht für die Völker der Welt und der König Salomo ist das Bild Israels. Was könnte schöner sein, als dass sich Israel und die Völker lieben? Es ist wie ein Traum – bis heute, gerade heute, da wir von dem neuen Krieg um Israel hören.

Es ist wie ein Traum – auch dies, dass aus fernen Landen, aus dem „Morgenland“ Männer gekommen sind um „den neugeborenen König der Juden“ anzubeten (Matthäus 2,2). Und auch ihre Sehnsucht wurde gestillt: „Als sie den Stern sahen, wurden sie hoch erfreut und gingen in das Haus und fanden das Kindlein mit Maria, seiner Mutter, und fielen nieder und beteten es an und taten ihre Schätze auf und schenkten ihm Gold, Weihrauch und Myrrhe.“ (Matthäus 2,11) Es ist wie bei der Königin von Saba. Die Männer bringen Geschenke – königliche Geschenke – und sie werden beschenkt, noch viel mehr beschenkt, beschenkt mit Seligkeit.

Es sind Geschichten aus ferner Zeit, die wir da hören, Geschichten von Königen und Königinnen, von Gold und Edelsteinen, Geschichten von Sehnsucht und Erfüllung und Seligkeit. Vergessen wir dabei nicht: Diese Geschichten wurden und werden später erzählt in einer anderen, einer dürftigeren Zeit.

Manchmal geschieht es, dass ich mich mit meiner Schwester treffe – sie ist auch Pfarrerin – und wir erzählen uns von unseren Erfahrungen, von der kleinen Schar, die zum Gottesdienst kommt, von der Armut unserer Gemeinden, von der Dürftigkeit des kirchlichen Lebens heute. Dann fallen uns vielleicht Gottesdienste unserer Kindheit ein. Es ist nicht alles Gold, was glänzt, heute nicht und früher auch nicht. Und doch scheint es uns, als hätten Pfarrer und Pfarrerinnen es früher leichter gehabt, als wären die Kirchen voller gewesen und ihr Glanz strahlender.

Sind die Geschichten von früher, die Geschichten von der Königin aus Saba und von den Weisen aus dem Morgenland, die Geschichten voll Gold und voll Liebe zu Gott nur ferne Vergangenheit, geeignet bloß dazu, uns an unsere Dürftigkeit heute zu erinnern?

Es ist gut, die Antwort in der Bibel zu suchen. Zweimal kommt der König Salomo im Evangelium nach Matthäus vor.

In der Bergpredigt sagt Jesus: „Schaut die Lilien auf dem Feld an, wie sie wachsen; sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht. Ich sage euch, dass auch Salomo in aller seiner Herrlichkeit nicht gekleidet gewesen ist wie eine von ihnen.“ (Matthäus 6,28-29) Mögen die Zeiten sich geändert haben, diese Schönheit ist uns geblieben, die Schönheit der Blumen im Frühling und Sommer und der Weihnachtssterne und Christrosen im Winter. Von der Rose, die „entsprungen“, aufgeblüht ist „aus einer Wurzel zart“, haben wir auch an diesem Weihnachtsfest wieder gesungen. Es „duftet uns so süß“, dieses „Blümlein“ und es „vertreibt die Finsternis“ (EG 30).

Später sagt Jesus im gleichen Evangelium: „Die Königin von Süden … kam vom Ende der Erde, Salomos Weisheit zu hören. Und siehe, hier ist mehr als Salomo.“ (Matthäus 12,42) Mag unsere Kirche noch so dürftig sein, die Worte Jesu sind bei ihr geblieben und werden bei ihr bleiben, Worte die nicht vergehen werden, wenn einmal Himmel und Erde vergehen, Worte wie diese:

„Selig sind, die da geistlich arm sind, denn ihrer ist das Himmelreich.

Selig sind die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden.“ (Matthäus 5,3-4)

Als ich ein Kind war, da konnte man manchmal noch von Katholiken hören, ihre Kirche sei „die alleinseligmachende“. Die Kirchen sind seitdem kleinlaut geworden – auch die katholische. Von Seligkeit sprechen wir nur noch selten. Und doch bleibt sie unser Ziel in dieser Welt und in der kommenden.

Der König Salomo war reich und weise. Und die Königin von Saba war selig in seiner Gegenwart. Aber Jesus ist noch reicher. Und er macht uns alle selig mit seiner Weisheit.

So lasst uns singen:

Die ihr arm seid und elende,

kommt herbei, füllet frei

eures Glaubens Hände.

Hier sind alle guten Gaben

und das Gold, da ihr sollt

euer Herz mit laben. (EG 36,9)

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle menschliche Vernunft, bewahre euere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn.


Rainer Oechslen

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