1. Könige 19,1-8

1. Könige 19,1-8

Elia der Held, Elia das Rätsel | 20.03.22 | Okuli | 1 Kön 19,1-8 | Bernd Giehl |

Manchmal sind Geschichten von Anfang an ein Rätsel. Man liest sie, aber man versteht nur die Hälfte, fühlt sich wie im falschen Film. Andere scheinen glasklar zu sein. So wie diese. Die Königin droht dem Propheten mit dem Tod und der flieht vor der bösen Majestät. Eine Königin hat schließlich Macht und fast jeder fürchtet um sein Leben, besonders wenn er eine solche Drohung erhält. So könnte man jedenfalls denken, wenn man die Vorgeschichte nicht kennt. Aber falls man sie doch kennt, ist die Reaktion des Elia ein einziges Rätsel.

Denn Elia – Elia ist ein Held. Ein Baum im Sturm, ein Fels in der Brandung. Wenn es in der Bibel überhaupt Heldengeschichten gibt, dann ist es die von Elia. Als Gott ihn beruft, sagt er nicht: „Ich bin zu jung“ oder „Ich habe eine schwere Zunge“ oder „Ich kann das nicht; schick einen anderen.“ Aber eigentlich wird das gar nicht erzählt. Die Geschichte tut so, als sei es das Selbstverständlichste von der Welt, Prophet zu sein. Und König und Volk eine Botschaft auszurichten, die ihnen in den Ohren geklungen haben dürfte. Drei Jahre lang werde Gott es nicht regnen lassen, verkündet Elia König und Volk. Drei Jahre lang kein Regen, das bedeutet: furchtbare Hungersnot. Und jeder weiß, was das bedeutet. Eine Kampfansage Gottes an sein ungehorsames Volk.  Der ausbleibende Regen ist die Strafe dafür, dass Israel einen anderen Gott verehrt, einen Gott der Nachbarvölker, den die Frau des amtierenden Königs mitgebracht hat: Baal, den Gott der Fruchtbarkeit.

Ein Gott, der von sich sagt, er sei der einzige Gott Israels, kann das natürlich nicht auf sich sitzen lassen. Also schlägt er Baal mit seinen eigenen Waffen: mit der Fruchtbarkeit des Landes. Für die ja Baal angeblich zuständig ist. Noch ist es nur eine Wette – eine furchtbare, gewiss – aber doch eine Wette. Mal sehen, wer mehr Macht besitzt.

Bemerkenswert, wie wenig die Geschichte erzählt. Sie lässt Elia aus dem Dunkel treten, lässt ihn seinen Auftritt haben und dann bringt sie ihn zu einem Bach, der noch nicht versiegt ist und lässt ihn von Raben ernähren, die Brot oder Fleisch bringen. Und als der Bach kein Wasser mehr führt, gibt ihm Gott ein, zu einer armen Witwe zu gehen. Er trifft sie beim Holzsammeln und bittet sie um einen Becher Wasser und ein Stück Brot. Sie sagt, sie habe noch einen Rest Mehl im Krug, von dem wolle sie sich ein Brot backen für sich und ihren Sohn, danach würden sie verhungern. Elia antwortet ihr, ihr werde das Mehl nicht ausgehen, wenn sie für ihn sorge und so passiert es auch. Elias Glauben ist so groß, dass er ihm sogar die Macht verleiht, den Sohn der Witwe vom Tod aufzuerwecken, als der stirbt. Natürlich kann er das nicht aus eigener Kraft, sondern er muss Gott darum bitten, ihn wieder ins Leben zurückzubringen. Aber schließlich gelingt ihm das auch. Einen anderen von den Toten aufzuerwecken ist noch keinem Menschen vorher geglückt. Das allein reicht, um Elia zu den ganz Großen zu zählen.

Und dann, kurz bevor die drei Jahre um sind, schickt Gott Elia noch einmal mit einem Auftrag zu König Ahab. Es soll eine Entscheidung geben zwischen Baal und Jahwe, zwischen den Priestern des Fruchtbarkeitsgottes und Elia. 450 Baalspriester sowie Elia sollen sich auf dem Berg Karmel versammeln, jeweils einen Altar für ihren Gott bauen, ein Tier schlachten und auf den Altar legen. Dann sollen sie ihren Gott bitten, Feuer vom Himmel zu senden, damit es das Schlachtopfer verbrenne.

So geschieht es. Die Baalspriester und Elia versammeln sich auf dem Karmel, bauen ihre Altäre und legen das Schlachtopfer darauf. Und dann geschieht das, was jeder Leser der Geschichte erwartet. Die Baalspriester bitten vergeblich und Elia verhöhnt sie, indem er fragt, ob Baal schlafen gegangen oder über Land gefahren sei. Und dann, als Elia an der Reihe ist, kommt das Feuer vom Himmel und verbrennt sein Schlachtopfer. Elia und sein Gott haben auf der ganzen Linie gesiegt und Elia lässt auf der Höhe seines Triumphs alle 450 Baalspriester töten.

„Da sandte Isebel einen Boten zu Elia und ließ ihm sagen: Die Götter sollen mir dies und das tun, wenn ich nicht morgen um diese Zeit dir tue, was du diesen getan hast. Da fürchtete er sich, und lief um sein Leben …“ (1. Könige 19,2) Man glaubt, seinen Augen und Ohren nicht mehr trauen zu dürfen. Wie bitte? Elia läuft um sein Leben? Wie habe ich ihn genannt? Fels in der Brandung? Baum im Sturm? Er sollte lieber seine Herolde losschicken und das Volk zu den Waffen rufen. Mit ihnen gemeinsam sollte er nach Samaria ziehen und diese unseligen Königsgestalten aus dem Land jagen.

Oder vielleicht sollte er auch Gott bitten, dass der ihm hilft.

Aber Elia tut nichts von alldem. Er läuft um sein Leben. Der Baum im Sturm wird zum dürren  Ast, den der Wind nach Belieben wirbelt. Wie kann das sein? Ist das wirklich derselbe Elia, der Tote auferweckt und nur mit der Kraft seines Glaubens 450 Baalspriester besiegt?

Die einzige Erklärung, die mir dafür einfällt: Elia hat keine Kraft mehr. Und das kurz nach dem Augenblick seines höchsten Triumphs.

Was diesen vollkommenen Zusammenbruch verursacht, das erzählt die Bibel nicht. Vielleicht ist das ja gerade ihre große Kunst. Man muss sich die Gründe dafür selbst suchen. Ich vermute dass sie im Übereifer des Elia liegen. Er hat das Gute gewollt und dafür die Baalspriester umgebracht. Und jetzt ist er ein Mörder.

Im Grunde kann ich mir nur eine einzige Erklärung vorstellen. Elia hat in den Spiegel gesehen, und in dem Spiegel hat er das Gesicht eines Mörders erblickt. Er hat ein Gesicht gesehen, das ihm so fremd und so abweisend war, wie noch nie in seinem ganzen Leben.

Oder anders gesagt: Er ist sich selbst abhandengekommen.

Weiß nicht, ob Sie das kennen. Weiß nicht, ob man diese Erfahrung jemand anderem wünschen sollte. Es ist wie aus der Welt zu fallen. Hinterher ist man ein anderer. Wenn es denn ein „Hinterher“ gibt. Wenn man nicht auf der Strecke bleibt.

Kenne ich das? Ja, ich kenne das. Dieses Gefühl, dass man sich selbst abhandengekommen ist. Dass man nicht mehr weiß, wer man selbst ist. Dafür muss man keinen Mord begehen. Man kann sich auch auf andere Art selbst fremd werden. Ich glaube, dafür gibt es viele Möglichkeiten. Er lief um sein Leben, heißt es in der Geschichte. Mag sein, dass er sich wirklich vor der Königin fürchtet, die immer noch genügend Mittel hat, um ihn in den Tod zu schicken. Aber mehr noch, so glaube ich jedenfalls, fürchtet er sich vor sich selbst. Er weiß einfach nicht mehr, wie er jetzt weiterleben soll. Ich bin nicht Elia, ich habe niemanden umgebracht, aber auch ich kenne diese Tage, die wie flüssiges Blei sind, und keine Stunde, die dir geschenkt wird. Wo man nicht mehr kann und doch vorwärts muss, weil es ja nicht nur einen selbst gibt, sondern auch die Erwartungen der Anderen. Obwohl dir eigentlich schon jedes Wort, das du sprechen sollst, zu viel ist. Und wenn du diesen Tag endlich zu Ende gebracht hast, werden weitere Tage kommen und jeder wird so sein wie dieser.

„Und setzte sich unter einen Wacholder und bat, dass seine Seele stürbe.“

Und jetzt? Eigentlich müsste ich an dieser Stelle schweigen. Eine lange Zeit. Aber ich werde es nicht tun. Wir würden es nicht aushalten. Wir ertragen die Stille nicht. Schon wenn es länger dauern würde als eine Minute würden wir es nicht mehr ertragen. Oder die Orgel könnte jetzt eine leise Musik spielen. Aber selbst das würde Sie wahrscheinlich irritieren. Es ist eben schwer, die Stille auszuhalten. Besonders dann, wenn es so tief hinuntergegangen ist wie eben.

Und doch: so schnell geht diese Geschichte nicht weiter. Denn da will einer ja wirklich sterben. Da ist einer ja tatsächlich am Ende seiner Kraft angekommen. Der Engel, der ihn anrührt, darf nicht gleich kommen. Noch weiß Elia nichts von ihm. Erst einmal schläft er, und ob er in den Tod hinüber gleitet oder wieder aufsteht, ist noch nicht entschieden. So laut wie diese Geschichte angefangen hat, so leise ist sie nun. In ihrer Art ist sie ein kleines Meisterwerk. Jedes Mal wenn ich mich mit ihr beschäftige, rührt sie mich in einer sehr tiefen Schicht an.

Wahrscheinlich ist es die Tatsache, dass die Geschichte nicht in der Verzweiflung endet, die mich so sehr anrührt. Dass es Rettung gibt. Aber auch diese Rettung geschieht ganz unspektakulär. Ein Engel rührt Elia an. Er bringt ihm einen Krug Wasser und einen Laib Brot. Er bekommt nur das Allernötigste. Aber eben dieses Allernötigste lässt ihn überleben.

Und dann geht Elia zum Horeb. Womit ja nichts anderes gemeint ist als der Sinai, wo Mose zweihundert Jahre zuvor die Gebote empfangen hatte. Geht zum Sinai um dort Gott zu begegnen. Aber das ist eine andere Geschichte. Eine Geschichte, die ihre eigene Würde hat und ihre eigene Dramatik. Und weil sie uns wieder woanders hinführen würde. Für heute möchte ich es genug sein lassen mit dieser Geschichte. Weil ich meine, dass viel mehr nicht geht.

Und das Rätsel von dem ich am Anfang sprach? Nein, nach meinem Gefühl wird es nicht aufgelöst. Es bleibt die Spannung zwischen dem todesmutigen Propheten und dem lebensmüden Elia. Ich habe es mit dem Hinweis auf das Abschlachten der Baalspriester gedeutet. Und doch bleibt da eine Spannung, die ich nicht auflösen kann. Dass einer im guten Glauben handelt, weil er meint, auf der Seite Gottes zu stehen und sich dabei abhandenkommt. Wie gesagt: man kann ihn dafür verurteilen. Das ist leicht. Man kann ihn einen Fundamentalisten oder schlimmeres nennen und den Kopf über ihn schütteln. Aber das ist ziemlich billig, finde ich. Besser ist es, ihm ein Stück weit auf seinem Weg zu folgen. Und dabei die Spannung zu erleben, die nur schwer auszuhalten ist. Und im Grunde bleibt da auch eine Spannung im Gottesbild. Die in der darauf folgenden Geschichte noch einmal zum Ausdruck gebracht wird. Aber darüber möchte ich nun nicht mehr reden. Ich vermute, ich werde es am nächsten Sonntag tun.

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Bernd Giehl

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