1. Könige 19,1-8

1. Könige 19,1-8

Zurück ins Leben oder wo ist mein Berg Choreb? | Oculi | 20.03.2022 | 1 Kön 19,1-8 | Berthold W. Haerter |

Liebe Gemeinde

  1. Berichterstattung

„Die (russische) Aufsichtsbehörde Roskomnadzor hat die wenigen verbliebenen unabhängigen Medien in Russland abgemahnt und ihnen verboten, über den Beschuss ukrainischer Städte und tote ukrainische Zivilisten zu schreiben. Die «Spezialoperation» darf auch nicht als «Angriff», «Überfall» oder gar «Krieg» bezeichnet werden. Bei Zuwiderhandlung drohen eine Geldstrafe von bis zu 5 Millionen Rubeln und die Blockierung der Website.“ (NZZ 3.3.2022)

Dies konnte man vor wenigen Tagen in unseren Zeitungen lesen. Wir wissen inzwischen, dass das russische Volk über diesen brutalen Krieg gegen ein freies Land nicht wahrheitsgemäss informiert wird. Alle digitalen ausländischen Informationsquellen versucht man zu verstopfen, und die Inlandpresse darf nur schreiben, was dem Kreml genehm ist.

Was die russischen Menschen denken, wissen wir nicht. Die, welche es wagen zu demonstrieren, werden verhaftet. Am letzten Sonntag fuhren aber auch viele Autos durch Moskau mit wehenden russischen Fahnen. Manche malen sich auch ein Z auf ihre Kleidung, wie unlängst ein junger russischer Turner. Das Z ist auf vielen russischen Panzern in der Ukraine und bedeutet wahrscheinlich soviel wie „Za Popedu – Auf den Sieg“. (Wobei es das Z in kyrillischen Buchstaben so nicht gibt.)

Aus meinen Jugenderfahrungen in der DDR erahne ich, dass auch viel Angst unter den Menschen vorhanden sein wird, Angst vor dem Diktator und seinen Helfershelfern und Helfershelferinnen.

Von einer wahrscheinlich auch selektiven Berichterstattung und ihren Folgen haben wir soeben aus der Bibel gehört. Der eher schwache König Achab berichtet seiner eher starken Ehefrau Isebel vom Geschehen am Berg Karmel. Elija, der Prophet Jahwes hatte alle Propheten Baals, 450 Mann, mit dem Schwert umgebracht. In der biblischen Story, denn eine solche ist es, heisst es sogar, Elija habe die Baals-Propheten „geschlachtet“. (1. Könige 18, 40) Die Frage ist, was alles hat König Achab bei seiner Berichterstattung verschwiegen, was hinzugefügt. Hat Achab von dem Wettkampf berichtet, zu dem Elija die Baals-Priester herausgefordert hatte und den Elija mit Gottes Hilfe gewonnen hat?

Hat Achab davon erzählt, wie das Volk seinen wahren Gott erkannte und Elija half zu morden?

Und wie es dann endlich anfing zu regnen, so, wie es Elija voraus gesagt hatte?

Egal wie, Achab wird mit grosser Wahrscheinlichkeit zu seinen Gunsten berichtet haben, genau so, wie die russischen Diktatoren ihr Volk zurzeit informieren. So, dass das Regime seine wahren Grossmachtgelüste verschleiert und sein Volk unschuldig leiden lässt. Dieses fängt an gegen den Westen wütend zu werden. So wütend wie Königin Isebel, die geradezu explodiert.

Aber der Reihe nach. Um das Ganze besser zu verstehen, haben wir Ihnen am Eingang auf dem Gottesdienstablauf eine Karte aus einem Bibelatlas abgedruckt. Die Geschichte ist in die Regierungszeit Achabs im Nordreich Israel ca. 874/3-853 v. Chr. angesiedelt. Weil Achab und Isebel ihr Volk ziemlich erfolgreich dazu brachten, nicht mehr Gott, sondern anderen Göttern, Baal und Aschera, zu dienen, kündigt der mutige und von Gott getriebene Elija dem Land eine Dürre als Strafe an. Das geschieht in der Hauptstadt des Nordreiches, in Samaria, auf der ersten Karte unter Nummer 1 zu finden. Elija, als Oppositioneller, kommt in Lebensgefahr für seine Aussage. Ihm droht wie vielen Aufbegehrenden in Diktaturen Gefängnis oder Tod. Elija flieht und versteckt sich so am Bach Kerit, Nummer 2, und später im Norden in Zarefat, bei einer Witwe mit Sohn, auf der ersten Karte Nummer 3.

Die zweite Karte zeigt, wie Elija im dritten Jahr zurück nach Samaria eilt, Nummer 4, und Achab mitteilt, dass es zu einem Kräftemessen kommen soll, zwischen ihm und den Baals- und Ascherapropheten auf dem Berg Karmel, Nummer 5. Wessen Opfer welche Götter anerkennen, indem die Götter selbst das Feuer auf dem Altar anzünden, die haben gewonnen. Baal versagt, Gott gewinnt. Daraufhin „eifert“ Elija. Er bringt die Propheten der anderen Religion um. Dann wartet er auf Regen.

Als der Regen kommt, das zeigt die dritte Karte, eilt Elija seinem König Achab im strömenden Regen voraus vom Karmel bis Jesreel (Nummer 7).

  1. Morddrohung

Und hier erreicht Elija die Morddrohung der Königin Isebel, von der wir in der Lesung hörten.

„Die Götter sollen mir antun, was immer sie wollen – morgen um diese Zeit werde ich dich so zurichten, dass du wie einer von ihnen [den Baalspropheten] bist. Und als er [Elija] das sah, machte er sich auf und lief um sein Leben.“

Fast in Echtzeit erleben wir zurzeit, wie Menschen um ihr Leben laufen. Sie fliehen aus den Gebieten, in denen die russischen Soldaten einen brutalen Krieg führen müssen, im Auftrag von wenigen Mächtigen, die sie von Moskau aus sinnlos opfern. Der Krieg in der Ukraine kam, trotz Beobachtung durch die ganze Welt, so plötzlich, wie bei Elija, der sich eben noch als Sieger ansah und nun zu einem um sein Leben rennender Flüchtling wird. Er flieht in den Nachbarstaat Juda, bis in den südlichsten Zipfel, nach Beer-Scheeba. Um die Spuren zu verwischen, lässt er seinen Diener dort zurück, auf der dritten Karte Nummer 8. Und dann eilt er ins Nirgendwo, ins Unbekannte, Fremde, wie jetzt viele Ukrainerinnen und Ukrainer um ihr Leben fliehen und nicht wissen, wohin. Die Flüchtlinge erhalten Hilfe, hoffentlich und hoffentlich nachhaltig. Es ist ihnen zu wünschen, dass sie bald wieder nach Hause dürfen, aber das ist sehr ungewiss.

  1. Zusammenbruch

Elija aber bricht zusammen. Er ist am Ende. Seine Eigenaussage macht uns bewusst, er erkennt selbst, was er gemacht hat: Elija wollte für Gott streiten. Aber wenn man „eifert“ (1. Könige 19, 9) wie Elija von sich selbst sagt, wenn man für etwas leidenschaftlich und mit allem, was man ist, sich einsetzt, selbst wenn es für Gott ist, dann ist man nicht mehr offen für Gottes Einspruch.

Hat Gott befohlen Menschen umzubringen? Auch Elija kannte das Gebot „Du sollst nicht töten“, wie wohl auch Herr Putin, der sich gern als orthodoxer Christ profiliert. Elija hat getötet. Er erkennt, dass er falsch gehandelt hat. Er will sterben, denn er begreift: „Ich bin nicht besser wie meine Vorfahren!“

D.h.: ‚Ich habe alles getan für Dich, Gott, aber ich habe nicht mehr gehört, was Du willst. Ich habe meinen Eifer über Dein Wort gestellt. Ich habe getötet.’ So interpretiere ich diesen Satz: „Ich bin nicht besser als meine Vorfahren.“ Und nun ist keine Kraft mehr in Elija, nur noch Erschöpfung. Da ist Angst, der Wunsch sterben zu können und das es schnell vorüber sei.

Ich habe in einem Tagebuch von jemand gelesen, der plötzlich schwer krank wurde. Durch eine Operation konnte man sein Leben retten. Der Mann musste lernen, neu mit einer grossen Verletzung der Seele und des Körpers zu leben. Als er das bemerkt, und feststellt, dass ihm ein langer neuer Veränderungsprozess bevorsteht, äussert er sich: „Ach Gott, warum hast Du mich nicht sterben lassen. Dann hätte ich jetzt Ruhe und meinen Frieden.“

Ich denke, manchen Geflüchteten werden diese Gedanken in der nächsten Zeit durch den Kopf gehen. Auch manch einer von uns wird an den Tiefpunkten seines Lebens ähnlich gedacht haben, wie es Elija hier betend zu Gott sagt: „Es ist genug Herr, nimm nun mein Leben.“

Die menschliche Logik wäre jetzt zu denken, wenn Elija in der Wüste liegt, völlig erschöpft ohne Wasser und Brot, wird er in den nächsten Tagen sterben.

  1. Lebensnotwendiges

Erinnern Sie sich, was Elijas letzte Handlung war? Er betet. Seine letzten Worte sind an Gott gerichtet. Das erinnert mich an die Aussagen der weissrussisch-schweizerischen Doppelbürgerin Natalia Herrsche, die bei den Demonstrationen in Weissrussland verhaftet und zu 2 1/2 Jahre Haft verurteilt wurde. In einem Interview nach ihrer überraschenden Rückkehr in die Schweiz vor wenigen Wochen sagte sie:

„In den schweren Monaten hat mir auch der Glaube geholfen.“

Frage: Waren Sie schon vor der Inhaftierung religiös?

„Ja, aber ich habe es nicht aktiv gelebt. In der Zelle half es mir dann sehr, christliche Literatur zu lesen und zu beten. Die Bibel hatte ich während der ganzen Zeit bei mir. Ich habe auch immer für meine erwachsenen Kinder in der Schweiz gebetet.“ (NZZ Magazin 26.2.2022)

Elija spricht sein letztes Gebet in der Wüste zwischen Ber-Scheba und dem Süden, irgendwo unter einem Ginsterstrauch. Und Gott, Gott versorgt Elija mit dem Lebensnotwendigen. Nicht direkt. Ein Bote, irgendwer Unbekanntes, entdeckt den Sterbenden und hilft ihm. So wird er zum barmherzigen Samariter, von dem die Konfis letzte Woche erzählten. So wird er zum Lebens – Boten, zum Boten Gottes, zum Engel, der hilft, damit Menschen leben.

Ist das auch unsere Aufgabe in den nächsten Wochen, Monaten oder noch länger, Menschen zu helfen, materiell, körperlich und psychisch, damit sie überleben können? Sind wir von Gott gerufene Unbekannte, Boten, die andere Menschen mit Lebensnotwendigem versorgen sollen? Erinnern Sie sich noch an die Lesung (Markus 1, 13)? Nach Jesu Taufe war auch Jesus in der Wüste bei den wilden Tieren und die Engel dienten ihm. Engel sind von Gott Beauftragte, Helfende im Vorübergehen. Sind wir das jetzt auch?

  1. Gesandt

Elija wird von diesem Boten weitergeschickt: „Steh auf, iss, denn der Weg, der vor dir liegt, ist weit.“ Dieser Satz gilt auch vielen Geflüchteten. Elija tut genau dies, ohne diesen Satz zu hinterfragen. Auf der letzten Karte, unten rechts, sehen Sie, wie Elija, durch die Wüste Richtung Süden, zum Berg Choreb bzw. Sinai geht, Nummer 10. Er eilt und flieht nicht mehr, er geht. Ein friedliches Bild von einem Menschen, der nicht weiss, wozu er eigentlich da ist. Aber Laufen (gehen) hilft seine Gedanken zu sortieren. Das wissen auch wir.

  1. Rettung

Elija geht an den Ort, an dem schon etliche seiner berühmten Vorgänger Gott erlebt haben. Es wird erzählt, dass Mose am Choreb berufen wird, sein Volk aus der Sklaverei aus Ägypten zu retten. Später redet Gott hier zu Mose und seinem Volk. Sie erhalten die 10 Gebote am Berg Choreb, und dann macht Gott hier einen Bund mit seinem Volk, auf dem Weg in ihre neue Heimat Israel. 40 Jahre werden sie dahin wandern, so erzählt die Bibel. 40 Tage wanderte Elija, um Gott auf dem Choreb zu begegnen.

Auf dem Berg Choreb erlebte Elija einen gewaltigen Sturm, aber Gott war nicht im Sturm. Es geschieht ein Erdbeben, aber Gott ist nicht im Erdbeben. Es kam Feuer, aber Gott war nicht im Feuer.

Und dann kommt „das Flüstern eines sanften Windhauches.“ (1. Könige 19, 12) Und eine Stimme, Gottes Stimme, spricht Elija an. Die Stimme, in der er Gott hört, ermuntert Elija wieder ruhig, zuversichtlich und im Wissen, um Gottes Beistand seinen Weg zu gehen. Er bekommt eine neue Lebensaufgabe. Elia wird nach Damaskus geschickt, wie man auf der letzten Karte Nummer 11 sehen kann.

Und wir, heute? Wenn die Geflüchteten oder auch wir selbst voller Angst sind, nicht wissen wohin, vielleicht vor den Herausforderungen fliehen wollen, die an uns gestellt werden und vielleicht sogar denken, das Schönste wäre jetzt, wenn Gott uns sterben liesse, dann …. Reden wir wie Elija, und wie viele nach ihm, dann doch mit Gott! Suchen wir uns unseren Berg Choreb, den Ort, wo wir Gott erwarten! Leeren wir uns, vielleicht beim „Sport“ wie Elija beim Laufen! Werden wir so ruhiger und offener, bereit zum Hören. Gott offenbart sich in der Stille (zum Beispiel) im „Flüstern eines sanften Windhauches.“ Gott hat schon viele seiner Boten geschickt, aus der Stille geredet und geholfen, das Leben wieder neu zu beginnen.

AMEN

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Karte: Copyright Simon Jenkins: Karten zur Bibel, Brunnen-Verlag Giessen 1986, Seite 60.

Bibelzitate nach der Zürcher Bibel.

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Berthold W. Haerter

Oberrieden/Schweiz

Berthold.haerter@bluewin.ch

 

Pfarrer der Ev.-Ref. Landeskirche Zürich seit 1993

Seit 2005 Oberrieden am Zürichsee

Studium in Greifswald/DDR und Zürich

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ganze Karte:

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