1. Korinther 2, 1-10

1. Korinther 2, 1-10

Die Rückseite des Weihnachtsbaums | 2. So. nach Epiphanias | 16.01.2022 | Predigt zu 1. Kor 2, 1-10 | verfasst von Verena Salvisberg |

Ich bin nicht mit grossartigen Worten und abgründiger Weisheit dahergekommen.

Ich kam in Schwachheit und mit Furcht und Zittern.

Meine Rede und meine Verkündigung bauten nicht auf kluge Überredungskunst.

Liebe Gemeinde

Mir kommt das wenig überzeugend vor, was Paulus seinen Korintherinnen und Korinthern schreibt. Will er sie etwa so überzeugen? Gewinnen für das Evangelium? Auf diese Weise?

Um Menschen zu begeistern braucht es doch brillante Worte, rhetorische Kompetenz, spannende Predigten.

Ich denke daran, welch ein Aufwand heutzutage betrieben wird mit der Ausbildung und mit der Weiterbildung der Pfarrerinnen und Pfarrer. An den Kompetenzen wird gefeilt und poliert, damit sie ihren Auftrag möglichst gut erfüllen können. Besser wäre natürlich: sehr gut.

Mir kommt das mit diesen Kompetenzen vor wie die Weisheit der Menschen oder die Weisheit der Weltzeit, von der Paulus schreibt. Kompetenz ist die Weisheit der heutigen Zeit.

Ich weiss nichts, sagt Paulus, nur etwas weiss ich: Jesus Christus, und zwar den Gekreuzigten. Auch nicht grad unbedingt eine Erfolgsgeschichte.

Ich komme in Schwachheit. Mit Furcht und Zittern.

Meine Verkündigung baut nicht auf meine Überredungskunst.

Und euer Glaube kommt nicht davon, dass ich meine Sache so gut gemacht habe, sondern gründet in der Kraft Gottes.

Ehrlich gesagt, das provoziert mich. Immer wieder. Ich will meine Sache gut machen. Ich meine, es kommt darauf an. Auf mich. Auf meine Kompetenz.

Obwohl das Fest schon länger vorbei ist, die Sterne, Engel und Krippenfiguren in Kisten verpackt auf dem Estrich verstaut und der Weihnachtsbaum von der Grünabfuhr mitgenommen wurden, möchte ich euch heute von der Rückseite des Weihnachtsbaums predigen. Unser Predigtwort erinnert mich daran, wie ich in der Advents- und Weihnachtszeit eine leise Ahnung davon bekam, was mit der anderen Weisheit, der Weisheit Gottes gemeint sein könnte.

Vielmehr verkündigen wir, wie geschrieben steht, was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat und was in keines Menschen Herz aufgestiegen ist, was Gott denen bereitet hat, die ihn lieben.

Was ich gesehen habe, bleibt mir kostbare Erinnerung, Mahnung und Trost.

Gerade an Weihnachten erwische ich mich bei dem Gedanken, was ich dieses Jahr nur besser, schöner und origineller machen könnte, damit wieder mal richtiger Weihnachtsjubel aufkommt.

Das hat natürlich zu tun mit Inhalten. Mit Geschichten, Botschaften. Aber es hat auch zu tun mit dem Drumherum. Alles muss schön dekoriert sein. Stimmungsvoll und feierlich.

Der Weihnachtsbaum ist zum Beispiel sehr wichtig. Und der muss sein wie immer, wie früher, damit Weihnachten schön wird.

Am Tag vor der Seniorenweihnachtsfeier wird bei uns in der Kirche der Weihnachtsbaum aufgestellt und geschmückt. Und da steht er dann wie alle Jahre: Genauso hoch wie immer, obwohl der Sigrist damit gedroht hat, elektrische Kerzen zu nehmen, wenn er nicht etwas kleiner sei. Prächtig geschmückt mit roten Kugeln, Strohsternen und richtigem Kerzenlicht.

In den Bänken sitzen die Seniorinnen und Senioren. Graue und weisse Haare, Hörgeräte, Stöcke dominieren das Bild. Witwen, Witwer. Menschen, die gewohnt sind, mit Versehrtheit zu leben.

Menschen, die schon oft erlebt haben, dass es fast nie so schön wird, wie man es gerne hätte.

Und vorne der strahlende Baum.

Was suchen diese Menschen hier? Weihnachten wie es war? Weihnachten, wie es noch nie war? Wer könnte diese Erwartung erfüllen? Der geschmückte Baum? Die Pfarrerin, die eine richtige Weihnachtspredigt hält? Ich fühle mich schwach. Der Aufgabe nicht gewachsen.

Während des Liedvortrags des Chors setze ich mich nach vorne. Und blicke gewissermassen hinter die Kulissen: Ich sehe den Weihnachtsbaum von hinten. Und wissen Sie was: Das ist ein ganz anderer Anblick: Die Rückseite des Weihnachtsbaums. Hinten flackert eine einsame Kerze, und das ist nicht etwa der Bequemlichkeit des Sigristen geschuldet, nein, es hat gar keine Äste, an denen etwas befestigt werden könnte. Hinten ist der Baum kahl. Vielleicht hatte er auf dieser Seite zu wenig Raum zum Wachsen. Vielleicht hat der Schnee Äste abgedrückt oder ein Reh hat sie abgefressen.

Hässlich, versehrt, elend, schwach, auf jeden Fall nicht perfekt!

Die Rückseite des Weihnachtsbaums hat mich durch die ganze Weihnachtszeit hindurch begleitet.

In den Adventsgottesdiensten, als die Kirchenbänke leer waren, Am Heiligabend, als die Kirchenbänke voll waren, die Luft geschwängert von Erwartungen, von Sehnsucht nach Weihnachten wie früher.

Immer diese Perspektive: von hinten.

Hässlich, versehrt, elend, schwach, auf jeden Fall nicht perfekt!

Davon ist in den Briefen des Paulus ziemlich oft die Rede. Nicht vom Weihnachtsbaum, aber von dieser Rückseite.

In Korinth gibt es einen regelrechten Wettbewerb darum, wer die eindrücklichsten Erfahrungen macht mit Gott. Es werden grosse Worte gemacht. Es wird darum gestritten, wer der bessere Verkünder sei. Wer überzeugender auftrete.

Paulus muss in diesem Wettbewerb der religiösen Erfahrungen mitmachen, wenn er in Korinth als Apostel, als Lehrer des Glaubens anerkannt werden will. Die Leute befragen ihn gleich bei seinem ersten Auftritt: Was kannst du vorweisen?

Ich bin, schreibt Paulus, nicht mit grossartigen Worten und abgründiger Weisheit dahergekommen, euch das Geheimnis Gottes zu verkündigen. Denn ich hatte beschlossen, bei euch nichts anderes zu wissen ausser das eine: Jesus Christus, und zwar den Gekreuzigten. Auch kam ich in Schwachheit und mit Furcht und Zittern zu euch, und meine Rede und meine Verkündigung baute nicht auf kluge Überredungskunst, sondern auf den Erweis des Geistes und der Kraft, damit euer Glaube nicht in der Weisheit der der Menschen, sondern in der Kraft Gottes gründe.

Damit kann Paulus keinen Staat machen. Es ist nicht das, was die Leute hören wollen. Sie wollen Erfolgsmeldungen. Was Paulus da redet von schwach, nicht grossartig, versehrt, das ist höchstens etwas für die Rückseite. Damals und heute. Niemand erzählt gerne vom Ungenügen, von der Schwäche, von der Versehrtheit des Lebens. Allerhöchstens die Pfarrerin, die muss manchmal einen Blick auf die Rückseite werfen.

Und aus dieser Perspektive, den Weihnachtsbaum von hinten vor Augen, kommt mir ein anders Pauluswort in den Sinn, das ganz gut zum heutigen Bibelwort passt. Gott habe zu ihm, zu Paulus gesagt:

Lass dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig (2 Kor 12,9).

Auch das tönt ziemlich verkehrt in unseren Ohren. Kraft in der Schwachheit. Und doch gibt es Erfahrungen, die genau das bestätigen. Ein Problem in die Rückseite zu drängen, damit vorne alles schön und gut scheint, braucht manchmal unendlich viel Kraft.

Ein Problem jemandem erzählen zu können, Hilflosigkeit, Ohnmacht einzugestehen, dabei vielleicht ermöglichen, dass jemand anderes die Karten auch aufdeckt, erfahren, dass man nicht alleine ist damit, das kann ungeahnte Kräfte wecken.

Kraft in der Schwachheit.

Nichts wissen als Jesus Christus, den Gekreuzigten.

Nicht mit grossartigen Worten oder Weisheit auftrumpfen.

Hässlich, versehrt, elend, schwach, auf jeden Fall nicht perfekt!

Das halten wir in der Regel nicht aus. Dabei können wir es nicht belassen. Das lässt uns aktiv werden. Etwas tun: Helfen, unterstützen, verbinden. Wenn alles nichts hilft: Verdecken.

Uns aber hat Gott dieses Geheimnis durch den Heiligen Geist enthüllt.

Denn der Heilige Geist erforscht alles, selbst die unergründlichen Geheimnisse Gottes.

In meiner Kindheit durften wir am 24. Dezember jeweils mit dem Vater in den Wald, um den Tannenbaum zu schlagen. Da es einfach unser Wald war und nicht eine professionelle Baumschule, hatte es eigentlich nie einen Baum, der genau richtig war. Mal waren die Äste zu dicht, dann wieder klaffte ein Loch. Deshalb machte sich mein Vater ans Werk. Er sägte Äste ab, und setzte sie an anderer Stelle wieder ein, so dass wir zuletzt einen ziemlich perfekten Baum hatten. Wenn er geschmückt in der verdunkelten Wohnstube stand, wer dachte da noch daran, dass er geflickt war?

Jetzt, wo ich die ganze Zeit über die Rückseite des Weihnachtsbaums nachgedacht habe, erscheint mir das eigentlich schade: Dass wir damals vergassen, dass er geflickt war wie wir auch.

Zum Schluss noch eine andere Weihnachtsgeschichte, gelesen habe ich sie im Adventskalender «Der andere Advent»:

Die Lücke im Baum

Weihnachten kann zum Horror werden, wenn ein Kind gestorben ist. Der Schmerz der Lücke meldet sich für die zurückgebliebenen Eltern und Geschwister in diesen stillen Tagen besonders heftig. Weihnachten hat für sie seinen Sinn verloren, jedenfalls wenn sie es als reines «Fest der Freude» erlebt haben. Häufig fliehen die Trauernden, um sich dann im Süden, bei Sonne und Wärme noch elender zu fühlen. Was tun?

Dietrich Bonhoeffers Schwester Sabine berichtet von einem Ritual aus ihrem Elternhaus:

«Weihnachten 1918 ist alles sehr schwer. Unser Bruder Walter fehlt. Er, der zweitälteste Sohn meiner Eltern, ist am 28. April 1918 als achtzehnjähriger Fahnenjunker im Westen gefallen. Eine schreckliche Lücke ist nun da, und sie bleibt offen.

An diesem Weihnachtstag sagt unsere Mutter: «Wir wollen nachher hinübergehen.» Das Hinübergehen heisst, wir gehen alle auf den Friedhof. Mama und Papa sind vorher noch einmal ins Wohnzimmer gegangen und haben einen Tannenzweig vom Baum geschnitten mit einem Licht und Lametta und nehmen diesen Weihnachtszweig für das Grab von Walter mit. Auch in den folgenden Jahren ist es zu Weihnachten bei diesem Friedhofsgang geblieben.»

Weihnachten hat sein perfektes Heilsein verloren, wie die Lücke im Baum es allen deutlich macht. Aber gerade dadurch, dass dies sichtbar sein darf, wird es zum Trost.

Hässlich, versehrt, elend, schwach, auf jeden Fall nicht perfekt!

Uns aber hat es Gott offenbart durch den Geist; der Geist nämlich ergründet alles, auch die Tiefen Gottes.

So kann es kommen, dass ein abgeschnittener Ast oder die hässliche Rückseite des Weihnachtsbaums einer Pfarrerin zur kraftvollen Predigt werden können.

Und Ihnen hoffentlich auch.

Amen

Pfrn. Verena Salvisberg

Roggwil

verenasalvisberg@bluewin.ch

Verena Salvisberg Lantsch, geb. 1965, Pfarrerin seit 1. Dezember 2018 in Roggwil BE, vorher in Laufenburg und Frick.

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