1. Korinther 12, 12-14.26.27

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1. Korinther 12, 12-14.26.27

 

Göttinger

Predigten im Internet

hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost


21. Sonntag nach Trinitatis,
20. Oktober 2002
Predigt über 1. Korinther 12, 12-14.26.27, verfaßt von Karsten
Matthis

Liebe Gemeinde,

Wenn der Apostel Paulus von Ephesus aus nach Westen über die Ägäis
hinübersah und im Geiste sich mitten in der Hafenstadt Korinth befand,
dann war er voller Sorge um die dortige christliche Gemeinde. So lebhaft
wie es in der großen Hafenstadt Korinth zuging, so bunt und vielfältig
ging es auch in der Gemeinde zu. Paulus hatte um 50 nach Christi die korinthische
Gemeinde begründet und musste erfahren, wie zerstritten die Korinther
untereinander waren.

In der Gemeinde brodelte es, verschiedene Gruppen traten gegeneinander
auf und beriefen sich auf die Autoritäten der noch jungen Christenheit,
auf Paulus, auf Petrus oder auf – uns heute nicht näher bekannten
– Apollos. Die Glieder der christlichen Gemeinde lebten mehr schlecht
als recht zusammen, unterschiedliche Mentalitäten und Nationalitäten
prägten das Bild der Gemeinde. Verschiedene Berufe wie Freie, also
Kaufleute und Händler, oder gesellschaftliche Außenseiter wie
Sklaven trafen sich in der Gemeinde zu Korinth.

In den Gemeindeversammlungen muss es munter zugegangen sein, heftig wurde
nach guter hellenistischer Sitte diskutiert und gestritten. Aus den Korinther
Briefen erfahren wir, dass lebhaft um das rechte Abendmahl und um die
Auferstehung Jesu Christi debattiert wurde. Bisweilen waren die Korinther
rechthaberisch und engstirnig, so standen sich die einzelnen Gruppen unversöhnlich
gegenüber.

Einige Gemeindeglieder wollten aus dem Evangelium eine neue bessere Weisheit
ableiten, die wäre aber kaum von dem unterscheidbar gewesen, was
damals im Griechenland ohnehin üblicherweise gelehrt wurde. Andere
verachteten alles, was körperlich war und flüchteten sich in
eine Scheinwelt. Wiederum andere Glieder meinten, wenn man nur an das
Evangelium glaube, dann könne jeder tun, was ihm gerade beliebe.

Wenn der Apostel Paulus in Gedanken bei seiner Gemeinde zu Korinth weilte,
dann stellte er sich den zerrissenen Haufen ganz bildlich vor. Er sah
wie ein Fuß einsam durch die Hafenstadt ging, eine Hand, ein Auge,
eine Nase, die alle samt glaubten, sie seien für sich allein der
Leib Christi. Einen Zusammenhang zwischen ihnen und den anderen Gliedern
kam den Korinthern nicht in den Sinn. Mit dem Bild eines Körpers
und seiner Organe versuchte Paulus, jener Gemeinde zu verdeutlichen, dass
sie im Begriff waren auseinander zu fallen. Mit meinen Worten versuche
ich, die Gedanken des Paulus zu erfassen :

„Liebe Korinther, Kirche ist keine Ansammlung von Individualisten
und Eigenbrödlern, sondern Christen sollen die Gemeinschaft suchen
und pflegen, sich zum Leib Christi zählen. Beruft euch allein auf
den, der sich für uns kreuzigen ließ und auf dessen Namen wir
getauft wurden: Jesus Christus allein. – Ihr Leute in Korinth, ihr seid
der Leib des lebendigen Christus. Ihr seid, jeder an seinem Ort und in
seiner Weise, ein Glied der Gemeinde. Nicht alle eure Lebensformen müssen
einheitlich sein. Nicht alle Äußerungen des Glaubens. Nicht
die Formen eurer Arbeit. Nicht alle Meinungen und Auffassungen über
den Dienst in der Kirche stromlinienförmig sein, aber passt auf,
dass ihr den Leib Christi nicht zerreißt. Bei euren Streitereien
und Spitzfindigkeiten vergesst ihr das Gemeinsame und Verbindende, bedenkt
vielmehr: Einen andern Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist,
welcher ist Jesus Christus (1. Kor. 3,11).“

Die Einheit, jenes Sein im Leib Christi, verstand Paulus nicht als Uniformität,
sondern vielmehr in dem Geist begründet, der alles durchdringt. Wie
Gott die Welt in seiner großen Vielgestaltigkeit und Unendlichkeit
geschaffen hat, die Menschen, die Tiere und Pflanzen, so vielfältig
ist auch seine Kirche. Als Christus die Gemeinde ins Leben rief, wollte
er eine Gemeinschaft von unendlich vielen unterschiedlichen Menschen.
Menschen, die sich zum Glauben bekennen, die sich miteinander freuen können,
die gemeinsam leiden, die füreinander sorgen, die miteinander wirken
und arbeiten. Gerde weil Kirche so verschieden ist, wird sie zur lebendigen
Kirche des umherziehenden Gottesvolkes.

Und noch einmal lasse ich mit meinen Worten den Apostel sprechen: „Liebe
Korinther, jeder Christ und jeder unter euch hat bereits seinen Anteil
am Geist Gottes. Jeder hat eine Begabung, die er einbringen kann. Diese
vielen Gaben des Geistes Gottes seien sie auch noch so unscheinbar, bilden
die Kirche Jesu Christi. So vielfältig wie die Natur, so vielfältig
sind auch die Menschen mit ihren Gaben in der Kirche. Die Glieder sind
verschieden, dennoch gehören sie zusammen und bilden den Leib Christi.“

Liebe Gemeinde, ein einleuchtendes Bild zeichnete der Apostel von der
Gemeinde im Geiste Jesu Christi. Wie ein Leib mit seinen Organen, seinen
Körperteilen, so soll eine christliche Gemeinde zusammenleben. In
einer natürlichen Weise – wie bspw. Gehirn und Hand miteinander arbeiten
– sollen Christen mit einander leben und Rücksicht aufeinander nehmen.
Ganz gleichgültig welche Nationalität oder Berufsstand , wie
ein harmonisches Ganzes vergleichbar dem menschlichen Leib, fügt
sich die christliche Gemeinde zusammen. Freud und Leid werden geteilt.
Wenn ein Glied leidet, so leiden alle Glieder. Niemand kann für sich
allein existieren, nur in der Gemeinschaft lässt sich der Leib Christi
erfahren.

Liebe Gemeinde, dieses ideale Bild der Harmonie steht häufig genug
im krassen Widerspruch zu unseren eigenen Erfahrungen und Begegnungen.
Ich greife nur ein aktuelles Beispiel heraus: Wie schlecht es um den Zusammenhalt
im Ökumenischen Rat der Kirchen zur Zeit bestellt ist, dies ist nachzulesen
in einem Aufsatz der hannoverschen Landesbischöfin, Margot Käßmann,
im jüngsten Magazin Zeitzeichen (3.Jg./10-02). Die Bischöfin
Käßmann berichtet in ihrem Artikel: „Der Ökumenische
Rat am Scheideweg“ über die tiefen theologischen Gräben,
die sich in jüngster Zeit aufgetan haben. Der ökumenische Geist
brenne nur noch auf Sparflamme, nur mühsam sei die Verbindung zwischen
den Kirchen der Reformation und den Orthodoxen Kirchen aufrecht zu erhalten.

Streit und Uneinheitlichkeit gehören, salopp gesagt, fast schon
zum guten Ton. Zumindest ist es kirchengeschichtlich betrachtet der Normalfall.
In der großen Familie der christlichen Kirchen ging es nie harmonisch
zu. Auch auf der Basis der kleinsten Einheit der Kirche, den Gemeinden
vor Ort, wird immer wieder um den richtigen Weg gestritten, aber auch
Eitelkeiten befriedigt, Grüppchenbildung betrieben und elitäres
Gehabe an den Tag gelegt. Wie es „bei Kirchens“ zugeht, wissen
wir selbst nur zu genau. Es „menschelt“ so häufig, dass
wir lieber den Mantel des Schweigens darüber breiten möchten.

Dass es in der Evangelische Kirche nicht viel besser zugeht als im übrigen
Teil der Gesellschaft, davon sind viele überzeugt, die ein distanziertes
Verhältnis zur Kirche pflegen. „Da weiß die linke nicht,
was die rechte Hand tut.“ wird behauptet. Da herrscht ein rechtes
Durcheinander, meinen Randständige. Offensichtlich wird Vielfalt
nicht als Chance und Indiz für Lebendigkeit der Kirche gesehen, sondern
skeptisch beurteilt.

Und auch innerkirchlich gibt es vielerlei Misstrauen: Fürchtet der
eine Christ die Beliebigkeit und so der andere die Enge. Die Einen fürchten
in ihrer Freiheit des Glaubens beschnitten zu werden. Andere fürchten
die Pluralität, die den Boden des Glaubens erschüttere. So kann
eine Atmosphäre in Angst und Rechthaberei entstehen, die niemand
als einladend oder gar als überzeugend empfindet. Statt Einheit bietet
sich auf den ersten Blick ein Bild der Zerrissenheit.

Die Situation von Korinth war offenbar gar so viel anders als unsere
heutige, und dennoch spricht der Apostel von dem Leib Christi. Er sieht
die Vielfalt der Gaben als Geschenk Gottes an die Gemeinden. Diese Vielfalt
bedeutet jedoch für Paulus nicht Beliebigkeit, denn der Leib Christi
darf nicht geteilt werden. Die Grundlage „Christus allein“ darf
nicht in der geschenkten Vielfalt der Gaben und Talente verloren gehen.

Liebe Gemeinde, wie ist diese Einheit im Glauben – die Einheit einer
christlichen Gemeinde gemeint? Ist eine organisatorische Einheit, basierend
auf Selbstverpflichtungen oder auf rechtlichen Grundlagen? Die Einheit,
die der Apostel Paulus aufzeigte, bedeutet – noch einmal gesagt – nicht
Uniformität. Wer die totale Einheitlichkeit einfordert, der erstickt
die Lebendigkeit der Kirche. Der beschneidet die unterschiedlichen Gaben
in der Gemeinde. Niemand kann jedoch auf die Gaben der anderen Christen
in einer christlichen Gemeinschaft verzichten.

Die Einheit der Gemeinde ist für Paulus in Christus vorgegeben.
Paulus nimmt die geschenkten Gaben der einzelnen Glieder dankbar an und
möchte sie in der Gemeinde zum Leib Christi zusammenführen.
Der Leib Christi vereint die Christen: In der Feier des Gottesdienstes,
in der Bibellesung, im Gebet und vor allem im Abendmahl und in der Taufe.
Jene Sakramente geben Anteil am Tod und Leiden, aber auch an der Auferstehung
Jesu Christi.

Zu dieser geistlichen Gemeinschaft werden Menschen gerufen. Nicht aus
sich selbst heraus ist christliche Gemeinde damit „die Gemeinschaft
der Heiligen“, sondern allein durch Jesus Christus. Und hier liegt
der tiefere Sinn der antiken Bildrede vom Leib Christi. Durch seinen Leib
soll in dieser Welt das weiter geschehen, was damals in Galiläa seinen
Anfang nahm. Die christlichen Kirchen und Gemeinschaften sollen seine
Liebe bezeugen, von seiner Aufstehung und dem damit angebrochenen Reich
Gottes predigen.

Dies ist der bleibende gemeinsame Auftrag! Gemeinsam sollen alle Kirchen
und Gemeinden mit ihren Gliedern dem Reich Gottes entgegengehen, gemeinsam
Unterschiede aushalten und Verantwortung für den Nächsten und
die Welt tragen.

Amen

Literatur:
Margot Käßmann: Ökumene am Scheideweg, (in)zeitzeichen,
3. Jg. Oktober 02, S. 8 -10
Jörg Zink: Die Einheit und Vielfalt der Kirche, 1. Kor. 12, 1-31
a (in) Dienst am Wort, Bd. 44, Predigten über die Kirche, hrsg. von
Meinold Krauss, Göttingen 1983

Karsten Matthis, Dipl. Theol., Wachtberg bei Bonn
karsten.matthis@t-online.de

 

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