1. Korinther 15, 19-28

1. Korinther 15, 19-28

 


Ostersonntag,
31. März 2002
1. Korinther 15, 19-28, verfaßt von Maria Widl


Wenn wir unsere Hoffnung nur in diesem Leben auf Christus gesetzt haben,
sind wir erbärmlicher daran als alle anderen Menschen. Nun aber ist
Christus von den Toten auferweckt worden als der Erste der Entschlafenen.
Da nämlich durch e i n e n Menschen der Tod gekommen ist, kommt durch
e i n e n Menschen auch die Auferstehung der Toten. Denn wie in Adam alle
sterben, so werden in Christus alle lebendig gemacht werden.
Es gibt aber eine bestimmte Reihenfolge: Erster ist Christus; dann folgen,
wenn Christus kommt, alle, die zu ihm gehören. Danach kommt das Ende,
wenn er jede Macht, Gewalt und Kraft vernichtet hat und seine Herrschaft
Gott, dem Vater, übergibt. Denn er muss herrschen, bis Gott ihm alle
Feinde unter die Füße gelegt hat. Der letzte Feind, der entmachtet
wird, ist der Tod. Sonst hätte er ihm nicht alles zu Füßen
gelegt. Wenn es aber heißt, alles sei unterworfen, ist offenbar
der ausgenommen, der ihm alles unterwirft. Wenn ihm dann alles unterworfen
ist, wird auch er, der Sohn, sich dem unterwerfen, der ihm alles unterworfen
hat, damit Gott herrscht über alles und in allem.

Was wir hier lesen, ist ein schwieriger und ein befremdlicher Text. Warum
lesen wir ihn gerade am Ostersonntag? – wo wir festlich gestimmt sind
und etwas Feierliches und Jubelndes erwarten. Der Text ist schwierig,
weil Paulus sehr kompliziert argumentiert. Er scheint etwas erklären
zu wollen, was der Gemeinde in Korinth alles andere als selbstverständlich
war. Aus dem ersten Satz geht das hervor: Wenn wir nur für dieses
Leben, also für unsere Gemeindegestaltung und unsere alltägliche
Moral, auf Christus bauen würden, wären wir erbärmlicher
dran als alle anderen Menschen. Das scheint teilweise auch unsere heutige
Erfahrung zu sein: besonders glücklich sehen die Christen nicht aus
– konstatieren jedenfalls die anderen. Auch in den kirchlich-institutionellen
Betrieb hat sich eine gewisse Depressivität eingeschlichen. Von einer
allgegenwärtiger Osterstimmung oder einem durchgängigen Auferstehungsbewusstsein
ist wenig zu merken. Die Spaßgesellschaft scheint vielen Menschen
da die bessere Lebensperspektive zu bieten. – Vielleicht hat der Text
doch für heute mehr zu sagen, als es auf den ersten Blick scheint.

Der Text ist nicht nur schwierig, er ist auch befremdlich. Selbst wenn
man anfangs der Argumentation nicht folgen kann, ein Wort sticht ins Auge,
das man heute nicht gern hört: „Unterwerfung“. Mit diesem
Wort ist eine ganze Pallette anderer, ebenso befremdlicher, verbunden:
vernichten, entmachten, herrschen, unter die Füße legen. Offenbar
ist von einem veritablen Machtkampf die Rede. Wie archaisch! Vernünftige
Menschen regeln ihre Probleme im Dialog, sodass letztlich beide Seiten
zu ihrem Recht kommen. Und zu Ostern feiern wir das Licht der strahlenden
Sonne Gottes, die allen leuchtet, und das neue Leben, das nach der Starre
des Winters überall aufbricht. Was wir zu Ostern lieber wegschieben,
sind die täglichen Weltnachrichten: Sharon im Machtkampf gegen Arafat,
Bush im Kampf gegen die von ihm erkannte „Achse des Bösen“,
und die europäischen Staaten, die zu beschwichtigen versuchen. Machtkampf
und Unterwerfung sind offenbar eine auch heute geübte Praxis. Erlösergestalten
und Befreiungsmythen begegnet man ebenso vielerorts. Vielleicht ist Paulus‘
Argumentation doch für heute aktueller, als man auf den ersten Blick
meint.

Paulus spannt in seiner Argumentation einen weiten Bogen von Adam über
Christus bis zum Weltgericht. Christus ist der Erstgeborene der Schöpfung,
ihr Alpha, ihre Ursprungsidee. Am Anfang – von der Grundidee Gottes her,
so der biblische Schöpfungsbericht – war das Paradies und in ihm,
als Krönung von allem Geschaffenen, der freie Mensch als Mann und
Frau. Sie waren geschaffen nach dem Ebenbild und Gleichnis Gottes. Sie
lebten in einem Garten, dort, wo die ordnende Hand des Menschen und die
göttliche Gnade des Wachstums auf wundersamste Weise zusammenwirken.
Sie lebten von den Früchten der Bäume, jener Pflanzen, die in
der Erde wurzeln und in den Himmel wachsen. Sie lebten in der Unmittelbarkeit
Gottes.

Doch dann kam die Schlange und setzte ihnen einen Floh ins Ohr: Sie
könnten wie Gott sein, wenn sie sich über sein Gebot hinwegsetzen.
Und sie taten es und verloren das Paradies. Sie lebten fortan nicht mehr
in dem paradiesischen Zusammenspiel von natürlicher und göttlicher
Lebensenergie, sondern in der Spannung zwischen Gut und Böse. Die
Reibung der Kräfte, die Spiele der Macht, die Elektrizität der
Konflikte waren von nun an ihre Energiequellen. Das Los des Adam teilen
wir noch heute und reiben uns auf in Kämpfen um die Macht und im
Bestreben, aus eigener Kraft Türme bis in den Himmel zu bauen. Wir
machen aus allem eine Wissenschaft und anerkennen nur das von uns Erdachte
und Bewiesene als objektive Realität. Oder wir pflegen unsere seelischen
Gestimmtheiten und individuellen Bewusstseinsfortschritte, um zu gottähnlichen
Übermenschen zu werden. Je mehr wir um uns selbst kreisen, desto
beständiger beißt sich die Schlange in den Schwanz. Wir leben
nach unseren selbstgemachten Vorstellungen, aber sie hinterlassen eine
sonderbare Leere. Also brauchen wir mehr davon, bis wir süchtig werden
– auf Arbeit, Alkohol, Vergnügungen, Selbstdarstellung, Schokolade…
Und in nüchternen Momenten wissen wir: das ist nicht das Leben, zu
dem Gott uns berufen hat.

Doch jeder Teufelskreis hat einen Ausweg. Christen bereiten sich auf
ihn vor, indem sie fasten. Die einen verzichten an den Fasttagen auf Fleisch,
wie die Kirche vorsieht und üben so den Gehorsam gegenüber den
göttlichen Geboten. Die anderen verzichten auf ihre lieb gewonnenen
kleinen Alltagsgenüsse und üben so ihren freien Willen, der
über die Gewohnheiten siegt. Manche schließlich beginnen wieder
von dem zu leben, was uns die Schöpfung so reichlich schenkt: Früchte
und Gemüse, Luft und Wasser, Sonne und Regen, Sturm und Geist, Freude
und Liebe. Sie üben das paradiesische Leben, wie es weit umfassender
und tiefer in den evangelischen Räten grundgelegt ist. All diese
Übungswege können die Teufelskreise durchbrechen; jedoch nur,
wenn sie sich der Kraft von oben, der Gnade öffnen. Allein aus eigener
Kraft führt kein Weg zum Heil; ohne eigenes Zutun auch nicht. Möglich
ist es immer, weil Jesus Christus als Gott Mensch geworden ist. Er hat
gezeigt, dass die Wahrheit und die Liebe alle Fesseln zu sprengen vermögen,
und dass es mitten aus der Welt und aus ihren Teufelskreisen heraus einen
Weg in den Himmel gibt.

Wer sich den Spielregeln Gottes unterwirft, die jene der paradiesischen
Schöpfung sind, ist fähig, Wunder zu wirken. Denn jede Tat,
die nicht der Logik der Selbsterhaltung, sondern der Wahrheit und der
Liebe folgt, ist ein Wunder. Wer Wunder wirkt, kommt allerdings unausweichlich
in Konflikt mit denen, die auf das selbstherrliche Übermenschentum
setzen und auf der Seite der Reichen, der Mächtigen und der Erfolgreichen
stehen. In ihrer Anmaßung und Verzweiflung können sie bis zum
Äußersten gehen. Sie haben Jesus Christus und vielen Märtyrern
nach ihm bis in die heutige Zeit das irdische Leben – das der gefallenen
Schöpfung – genommen. Aber Gott hat Jesus Christus auferweckt, nachdem
er bis in die tiefsten Tiefen der Hölle gestiegen war; dorthin, wo
der menschliche Wille sich in letzter Konsequenz in sich selbst verkrümmt.
Durch Seine Auferstehung wird sichtbar, dass das wahre Leben, so wie Gott
es für uns vorgesehen hat, sich letztlich durchsetzt. Zuerst, so
sagt Paulus, geschieht das bei denen, die zu Christus gehören. Denn
sie haben in den evangelischen Räten, in der Nachfolge in Wahrheit
und Liebe dieses erlöste Leben bereits eingeübt.

Dann kommt das Ende, so Paulus, wenn Christus sich alle Kräfte und
Mächte unterwirft und sie letztlich Gott zu Füßen legt.
Wenn das geschieht, ist die Schöpfung wieder mit Gott vereint und
als letztes daher auch der Tod besiegt; jeder Tod, der vom wahren Leben
trennt. – Jenseitsvertröstung? Keineswegs! Probieren Sie es aus!
Jeder Mensch hat seine selbst gebauten Gefängniszellen, seine wohl
gehüteten Teufelskreise, in denen er sich sicher, aber auch elend
fühlt. Doch der Schlüssel steckt innen. Die Tür ist nur
durch Ihren eigenen Willen zu. Ostern ist jedes Jahr und jeden Sonntag
die Einladung, den Schlüssel umzudrehen, das eigene Leben umzukehren
und in die Sonne der Freiheit zu treten, die für die Kinder Gottes
bestimmt ist. In diesem Sinne: ein gesegnetes Osterfest!

 

Univ.-Doz. Dr.habil. Maria Widl
Färbermühlg. 13/3/21
A-1230 Wien
Tel/Fax: +43/1/ 869 57 09
email: maria.widl@univie.ac.at

 

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