1. Korinther 15,50-57

1. Korinther 15,50-57

 


Göttinger Predigten im Internet
hg.
von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


Ostermontag
24.4.2000
1. Korinther
15,50-57

Wolfgang Petrak


Liebe Gemeinde,

der Weg in die österliche Kirche führt über den
Friedhof.

Und so bin ich heute morgen nicht wie gewohnt durch die kleine
Pforte gegangen, sondern außen herum, am Wirtschaftsgebäude vorbei,
den Hauptweg unseres Friedhofes entlang. So schön, wie alles grün
geworden ist, wie die Blätter der Buchenhecke sich zu entfalten beginnen
und wie die feuchte, kühle Luft den Frühling riechen, ja schmecken
läßt,- welch eine Kraft, die in der Schöpfung liegt, immer
wieder. Und welch eine Ruhe, die einem hier begegnen kann und die Gedanken
zurückführt. Die Grabstätten: jede von ihnen ein Ort besinnender
Verbindung und sich entäußernder Trauer; an der Friedhofskapelle die
Worte: „Christus hat dem Tod die Macht genommen“. Noch am
Gründonnerstag waren wir hier zusammengekommen, um den Weg des Abschieds
zu gehen und um Worte der Hoffnung zu hören, um zu singen und zu beten.
„Erscheine mir zum Schilde, zum Trost in meinem Tod, und laß mich
seh’n dein Bilde…“Bittende haben wir das gesungen und zugleich in
voller Zuversicht, dass es dann ein Antlitz, sein Antlitz geben möge, das
uns neu bestimmt. Und dazu jenes Lied, das allen hier so vertraut ist: „So
nimm denn meine Hände“ Wenn unsere Hände nichts mehr tun
können, wenn sie loslassen müssen, dass dann eine Hand da sein
möge, die hält (oder wie kann man das sagen?).Immer Wieder trägt
diese Melodie Festes mit sich und lässt Beziehung spüren.

Tragendes drücken auch die Inschriften aus, versehen mit dem
Geburts- und Sterbedaten, daneben oft ein Kreuz: dass das Leben einen Beginn
hat und sein Ende und sein Ziel. Darum auch hier manchmal dazu Worte aus der
Bibel zu lesen oder auch dieses: „ Mühe und Arbeit war sein
Leben…“. Denn es soll ja nichts und niemand verloren sein. Vielmehr
aufbewahrt, in Gedanken, im Geschaffenen und im Gegebenen: das sind
Möglichkeiten der Erinnerung, gegen die Macht des Vergessens Leben zu
bewahren.

Auf einem Kindergrab ein scheinbar verlorenes Spielzeug: Mein
Gott, welche Macht des Todes.

Die Glocken läuten. Einige sehe ich, die auch zur Kirche
gehen. Andere wiederum kommen mir entgegen und gehen ihrerseits zu den
Grabstätten, zum Teil mit Schnittblumen in der Hand, um die mittlerweile
verblühten Osterglocken gegen neue auszutauschen. Man grüßt
sich mit einem verhaltenen „Guten Morgen“. Warum wünschen wir
uns nicht:„Frohe Ostern“?

Ich muß dabei an eine Beerdigung denken, an der ich vor
einigen Jahren teilgenommen hatte. Die lange Ansprache des Priesters konnte ich
nicht richtig verstehen, denn sie war in einer anderen Sprache. Aber zu merken
war zu Beginn auch seine Trauer. Dann aber wurde der Fluss seiner Worte
schneller, lebendiger, fast fröhlich.. Darauf fielen die Frauen mit einem
mehrstimmigen Gesang ein, dazu Trommeln. Nach einem Gebet des Priesters nahm
die Gemeinde Abschied, indem jeder am geöffneten Sarg vorbeiging und noch
einmal hineinsah; fast schien es, als ob einige tanzten. Dem schloss sich der
Segen an. Dann wurde der Sarg auf einen ‚pick-up‘ gebracht, denn das
Grab des Verstorbenen war im entfernt gelegenen Dorf, gleich hinter seiner
Hütte gelegen.

Einige, die nicht so gut zu Fuß waren, setzten sich mit auf
die Ladefläche des Toyotas. Alle anderen folgten dem offenen Wagen, der im
Schritttempo durch den Busch fuhr; sie folgten singend und tanzend .
„Weisst du,“ erklärte mir eine junge Frau, „ wir Afrikaner
glauben nämlich an die Auferstehung“. Diese Kraft des Glaubens. Es
ist nicht das Fremde, das anzieht. Es ist die Wahrheit des Gesagten. Hören
wir nochmals, was Paulus sagt (Verlesen der Verse 53-56).

Wo sind wir, was zieht uns an? Die Frage führt weg vom
Gesagten zu uns hin. Natürlich meiden wir im Alltag eher die Gedanken
über unser Sterben und was dann sein kann, kommen lieber zurück auf
das Leben selbst und seine Attraktivität. Wir wissen um ihre Bedeutung,
versuchen wohl auch, nach Möglichkeit ihr Spiel mitzuspielen, jene
Augen-Blicke und dieses Lächeln, das zurückkommen kann; die Gesten
des Verstehens und die Bedeutung eines guten Gespräches, das sich zu einer
Leichtigkeit des Seins aufschwingt. Gewiß auch das hat seine Bedeutung,
was man anzieht. Es wirkt auf andere und spricht etwas an, man selbst findet
das auch: die Frühlingsfarben lindgrün und rot, wie anziehend, doch,
doch, du kannst es deutlich sehen und ich auch.

Natürlich wissen wir auch, dass es nicht immer so ist. Dass
scheinbar Anziehendes langweilig werden kann, wir lassen das anderen zuweilen
deutlich spüren. Dass Modisches verfällt, -dafür sorgt schon
allein der Markt. Dass wir selbst… es gibt dieses unvermittelte Erschrecken
vor dem Spiegel. Natürlich macht mann/frau sich so seine Gedanken um die
Attraktivität, sucht sich zu stärken und zu pflegen, der Körper
hat es verdient. Weiss aber auch im erschreckenden Erkennen plötzlich um
die eigene Zeit. Umso stärker dann das Bemühen, Bleibendes zu
schaffen und zu erhalten: kennst du das auch an dir?.

Es kommt denn irgendwie zum Ausdruck, dass es wenigstens eine
Erinnerung gibt. Damit man irgendwie sehen kann ( immer ist es diese ungenaue,
unsichere Irgendwie), was das Leben über seine Zeit hin ausgemacht hat.
Erfolge werden gesucht wie Markierungspfähle, und das beständige nach
Identität und Autonomie, dieses sich insgeheime Fragen, ob wir uns das
alles Bewahren können: ist es das, woran wir in Europa glauben und zum
Prinzip erheben, damit sich jegliche Gegenwart zur Zukunft ausdehnt? Werde ich
nach dem Undenkbaren so sein, wie ich bin?

Wer sind wir, wer zieht uns an?. Es geht vom Ort des Seins hin zur
österlichen Bewegung, und wenn wir hören, werden wir
unwillkürlich mitgenommen.. Paulus spricht es aus, sehr deutlich,
realistisch hart und natürlich schroff: fleisch und Blut können das
Reich Gottes nicht ererben. So komme ich nicht hinüber, nicht von mir aus.
Selbst wenn wir alle Möglichkeiten ethischer Vernunft und alle
Anstrengungen der Medizin und Humangenetik und
Kommunikationsmöglichkeiten, ja selbst noch die Wege esoterischer
Träume zusammenbringen könnten, um das Leben in seinem Entwurf zu
verlängern, es bleibt nur jeweils unser Entwurf. Und damit ist mir die
Grenze gesetzt. Das Reich Gottes wird von mir aus nie. Denn es ist nicht das
Reich der Vernunft noch der Garten der Schönheit, nicht das
Zukunftslaboratorium oder der Raum der Zeit. Vielmehr: Sein ist das Reich und
die Kraft und die Herrlichkeit. Deshalb, weil es ihm gehört, können
wir es nicht sehen und beweisen durch allerlei Entsprechungen und Vergleiche
aus unserer Welt. Das Fremde muß uns gesagt werden. Wie Paulus es tut,
indem er aller Gewohnheit zum Trott das Geheimnis eröffnet. Am Ende der
Zeit die Melodie dies vollen Lebens.Nichts wird verlängert, der Ton der
Posaune hat keine Fermate und die Trommel kein repeat. Nichts wird von Ihm
verlängert, aber alles wird neu. Unsere Geschichte wird von Gottes Handeln
eingeholt, unsere Zeit von seiner Ewigkeit. Es ist so, als ob wir uns neu
anziehen; aber im Grund wird er uns anziehen. Nicht weil wir es wollten, um
attraktiv zu sein, sondern weil er uns will, schon jetzt im Leben auf ihn hin.
Und so werden wir in unserer Schuld Gnade finden. Und in unseren Zweifeln
Gewißheit. Und wenn es noch nicht da ist: ganz bestimmt, es wird werden.
Das Vergängliche wird das Unvergängliche anziehen und das Sterbliche
das Unsterbliche.

Woher Paulus das weiss? Von denen, die vor ihm waren und die das
Gehörte sich angezogen und anderen weitergegeben haben. Eigentlich fing es
auf dem österlichen Friedhof an. Die Frauen, die den Toten suchten und die
Worte des Lebendigen hörten. In ihm erkannten sie die Nähe Gottes und
die Fülle des Lebens. So hat das angefangen. Wenn das kein Grund zur
Freude ist. Zum Tanzen. Zum Anziehen. Neues ist geworden.

Amen

P.Wolfgang Petrak
Schlagenweg 8a
37077 Göttingen

Tel.:31838
Fax:0551/31627


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