1. Korinther 2,1-10

1. Korinther 2,1-10

Ein offenkundiges Geheimnis ist unser Auftrag geworden | 2. Sonntag nach Epiphanias | 16.01.2022 | 1. Korinther 2,1-10 | Manfred Mielke |

Liebe Gemeinde,

möchten Sie dabei sein, wenn ein Geheimnis gelüftet wird? Auch ein kleines, wie z.B. eins in einer Streichholzschachtel? Denn das ist mein Beispiel heute: eine Streichholzschachtel mit miniaturisiertem Inhalt. Zwei Menschen aus Keramik, ein kleines Lama, wenige Schafwollhaare und eine Kiste, auf der ein Baby liegt. Die Schublade bildet hochgestellt die Kulisse des kleinen Stalles, so entsteht „Weihnachten in einer Streichholzschachtel“, hergestellt in Lateinamerika (1). Die Schulkinder der 3. Klasse zeigten beim Auspacken eine große Entdeckerfreude – mit einem Hauch von Offenbarung. Während ich noch meine Feinmotorik ausprobierte, rief ein Mädchen: „Die nehme ich mit in unsere Ferienwohnung!“

Nun ist schon Mitte Januar und wir haben unsere Weihnachtsdekorationen wieder in diverse Schachteln verfrachtet. Dabei fragten wir uns: Was hat uns das Weihnachtsfest diesmal gebracht, so überfrachtet mit Vorsichtsmaßnahmen? Ich denke, wir haben beides empfunden. Die kommerzielle Idylle ist noch mehr geschrumpft, doch Ziel und Sinn der Weihnacht sind – gerade aufgrund ihrer Fremdheit – eher wichtiger geworden. Beim nächsten Mal werden wir sie noch wertschätzender vor uns aufbauen und uns hineinbegeben.

Eine Kulisse kann sehr stark schrumpfen, aber das Sinnziel kann umso kräftiger in den Vordergrund treten. Mit diesem Gedanken öffnen wir einen Briefumschlag des Paulus. In ihm finden wir zwar keine Zubehörteile für eine Weihnachtskrippe, dafür aber Zubehörteile für unseren Oster-Glauben. Paulus will die Botschaft von Jesus Christus mit uns entdecken und schreibt:

Auch ich, liebe Korinther, als ich zu euch kam, kam ich nicht mit hohen Worten und hoher Weisheit, euch das Geheimnis Gottes zu verkündigen. Denn ich hielt es für richtig, unter euch nichts zu wissen als allein Jesus Christus, den Gekreuzigten. Und ich war bei euch in Schwachheit und in Furcht und mit großem Zittern; und mein Wort und meine Predigt geschahen nicht mit überredenden Worten menschlicher Weisheit, sondern in Erweisung des Geistes und der Kraft, damit euer Glaube nicht stehe auf Menschenweisheit, sondern auf Gottes Kraft. Wovon wir aber reden, das ist dennoch Weisheit bei den Vollkommenen; nicht eine Weisheit dieser Welt, auch nicht der Herrscher dieser Welt, die vergehen. Sondern wir reden von der Weisheit Gottes, die im Geheimnis verborgen ist, die Gott vorherbestimmt hat vor aller Zeit zu unserer Herrlichkeit, die keiner von den Herrschern dieser Welt erkannt hat; denn wenn sie die erkannt hätten, so hätten sie den Herrn der Herrlichkeit nicht gekreuzigt. Sondern es ist gekommen, wie geschrieben steht (Jesaja 64,3): »Was kein Auge gesehen hat und kein Ohr gehört hat und in keines Menschen Herz gekommen ist, was Gott bereitet hat denen, die ihn lieben.«  Uns aber hat es Gott offenbart durch seinen Geist; denn der Geist erforscht alle Dinge, auch die Tiefen der Gottheit. (1. Kor 2,1-10)

Paulus durchsucht einen Karton voller Glaubensthemen. Er sucht, was bisher “kein Auge gesehen hat und in keines Menschen Herz gekommen ist, was Gott bereitet hat denen, die ihn lieben“. Das ist das Sinnziel seiner Suche, zu finden, was Gott bereits für Ostern vorgefertigt hatte. Da es aber als Geheimnis verborgen ist, lädt er uns ein zur gemeinsamen Suche, zur Detailliebe und zum Hineingehen in die Szenen hinein. Danach auch, dass wir uns den Ängsten entgegenstellen, die alles pandemisch beherrschen.

Paulus hatte wenige Jahre zuvor die Gemeinde in Korinth gegründet. Mit Feuereifer wächst sie, auch die Einflussnahme einiger charismatischer Führer, wie z.B. Apollos und Kephas. Zu jedem gehört eine Partei und eine Parole, die die anderen herabwürdigt. Paulus schreibt also in eine junge und dennoch zerklüftete Situation hinein, die er kräftig durchlüften will. Da er selbst auch als Parolenführer gilt, reagiert er so gereizt. Einiges überzeichnet er, doch im Grunde traut er dem Oster-Evangelium zu, die dortigen Streitigkeiten zu befrieden. Sollen wir aber in seinen Streit mit eintauchen? Wie soll es uns gelingen, daraus mit mehr eigener Glaubensklarheit aufzutauchen?

Zur Positionierung in einem Streit hörte ich im Fernsehen die Frage eines Comedians (2) an eine Aktivistin, was sie als guten Rat fürs kommende Jahr empfiehlt. Und sie sagte: „Choose your battles! Entscheide ich, welche Kämpfe du annimmst und von welchen du dich abwendest; und dann fokussiere dich.“

Ich halte diesen Vorschlag für hilfreich, zumal Paulus in dem damaligen Streit persönlich verwickelt war. Dennoch kann es auch gut sein, dass wir seine Fehde abwarten („all Fehd hat nun ein Ende“), bis wir den Zuwachs an eigener Gewissheit erkennen. Bis dahin können wir anknüpfen an Geheimnisse, die unter uns für jedermann offen verfügbar sind.

Die Bibel auf unserem Abendmahlstisch ist frei zugänglich und offen aufgeschlagen, jeder darf darin blättern und lesen. In unserem Archiv bewahren wir sogar eine Prunkbibel mit Metallschließen auf. Die schützen das historische Buch, aber sie halten nicht die Inhalte der Bibel unter Verschluss. Die aufgeschlagene Bibel ist ein Symbol der Reformation. Es sagt: Jeder ist mündig, Bibelstellen zu kombinieren, zu hinterfragen, sie neu in sein Leben hineinzubuchstabieren.  – Eine Partei in Korinth beanspruchte aber für sich „hohe Worte und hohe Weisheit“. Paulus sagt dagegen: Hoheit und Weisheit ruhen in Gott allein, der hat sie aber in jeden hineingelegt, ob bildungsfern oder bildungsnah. – Mir fiel mal auf, dass ich unsere Altarbibel oft auf derselben Seite aufgeschlagen vorfand. Unsere Küsterin erklärte mir, dass sie es ist, die jede Woche dieselbe Seite wieder aufschlägt, wo steht: „Der Herr ist mein Licht und mein Heil; vor wem sollte ich mich fürchten? Der Herr ist meines Lebens Kraft; vor wem sollte mir grauen?“ Und sie fügte hinzu: „Genau so sollst Du predigen!“ – Sie verstand die Bibel praktisch, viele Verse hatte sie als direkt anwendbare Geheimnisse erfahren. Auch bei mir entfaltet dieser Vers eine ermutigende Wirkung.

Ein weiteres offenes Geheimnis ist die Kunst des Betens. Von Gott brauchst Du nicht mehr zu wissen, als dass Du ihn mit „Abba“, also „Vater“, anrufen darfst. „Abba, ich glaube, hilf meinem Unglauben. Vater unser, gib gerechtes Brot. Jesus, mein Kind ist krank. Du Sohn Davids, bringe neuen Frieden. Gott, vollende deine Schöpfung und nimm mich mit.“ Beten funktioniert mit allen Anreden Gottes, Beten ist kein geheimes Ritual. Das Abba-rufen ist eine Befreiung und Personalisierung des Gebetes, das Jesus von Kindheit an bis zu seinem Kreuzestod ausgeübt hat. „Vater, vergib ihnen!“ – Einige Parteigänger in Korinth verachteten vermutlich das Gebet als naive Versenkung. Sie wollten viel mehr spektakuläre Visionen für ihr inneres Auge und für die Leuchtkraft ihrer Herzen. Doch Paulus bleibt dabei, dass schlichte Sprache und waches Hören uns die Tiefen der Gottheit erschließen. Unser Beten mag unbeholfen und wortkarg sein, es kann hinter Gottes Segen zurückbleiben, aber es ist keine Geheimdisziplin. Wir sind ja nur für die eine Hälfte des Zwiegesprächs zuständig, mit Gott, von dem wir alle überzeugt sind: „Sein Wort sind wahr, sein Werk sind klar, sein heilger Mund hat Kraft und Grund, all Feind zu überwinden.“ (3)

Weitere Gegenstände, die auf ein offenes Geheimnis verweisen, sind die Jesus-am-Kreuz-Krufixe in vielen Kirchen. Aus moderner Sicht ist deren Darstellung zwiespältig. Der Verlust an Leben und Würde kann doch keine einladende Ikone sein! Und auch wenn wir sofort das Bild des leeren Grabes dazugesellen, ist die Golgatha-Kulisse vom Karfreitag am Osterdienstag schon wieder abgebaut. Doch gerade weil Jesu Ostersieg im Widerspruch steht zu seinem Sterben am Kreuz, ist das Kraftfeld zwischen beiden stärker als jede simple Lösung. – Paulus schreibt deswegen an die zerklüftete Gemeinde in Korinth: „Ich kam zu euch, das Geheimnis Gottes zu verkünden. Es steckt im Jesus, der nach seinem Tod auferstand.“ Jesus Christus verknüpft die Fülle und Vielfalt Gottes mit der Konflikt- und Friedensfähigkeit des Menschen. Dieses Geheimnis konnte Gott nicht für sich behalten, und was offenbar ist, ist nicht mehr mysteriös.

Interessant ist, wie Paulus dann den Kräfteverschleiß der korinthischen Konflikte in Beziehung setzt zu den äußeren Herrschaftsmächten. Die haben – so meint er – die Demokratisierung des Gebets, die Klarheit der Bibel und den Ostersieg der Auferstehung nicht wirklich erfasst. „Denn wenn sie die erkannt hätten, so hätten sie Jesus, den Herrn der Herrlichkeit, nicht gekreuzigt.“

Paulus wählte damals diesen Streit für sich und wir könnten ihn wie eine Kulisse bei ihm belassen. Andererseits stehen wir auch vor der Sinn- und Zielfrage, wie wir mit den vorherrschenden Bedrohungen umgehen sollen. Wir haben in den letzten Jahrzehnten durchaus die Streitfragen zwischen katholisch und evangelisch glätten können, aber der Verlust an Glaubwürdigkeit trifft uns Großkirchen gleichermaßen. Unsere Konflikte sind also nicht eins zu eins gleichzusetzen mit denen des Paulus und der Korinther. Denn die großen Aufgaben, vor denen wir stehen, teilen wir ja mit unseren Zeitgenossen, wie z.B. die globalen Fragen der Gesundheit, der Ernährung oder der Friedensarbeit. Um dazu einen Beitrag zu leisten, ist es gut, wenn wir nicht zerstritten sind, sondern an unseren verborgenen und offenkundigen Überzeugungen und Beziehungen festhalten. Zum Beispiel in der gemeinsamen Orientierung an biblischen Leitbildern und einer offenherzigen Gebetspraxis. Dazu werden wir von Gott im Kleinen wie im Großen versorgt und ermutigt. Denn er ist geduldig und von großer Güte. Seine Wahrheiten werden uns frei machen.

Amen.


1) Streichholzkrippe aus Peru, zB. bei „El Puente“

2) Team Abdelkarim

3) EG 346,1; insgesamt habe ich die 1Kor-Kommentare benutzt von W. Schrage (EKK) und Walter Klaiber (BdNT)

Vorschläge Lieder:

Du höchstes Licht (EG 441)

Christus, das Licht (EG 410)

Kommt Gott als Mensch in Dorf und Stadt (Fontäne)

Komm, Gott, mit deiner Gnade (Wortlaute 108)

Vorschläge Gebete:

Ggf als Tagesgebet:

Du bist der Gott der erneuerten Verheißungen. Wir entdecken, dass du uns neue, unerwartete Wege eröffnest. Wir danken dir, denn du übertriffst alle unsere Erwartungen. Wir danken dir für deine Weisheit, die höher ist als unsere Vernunft. Wir danken dir, denn deine schöpferischen Wege eröffnen neue Möglichkeiten. Wenn wir vergeblich nach einem Weg suchen, begegnen wir dennoch immer dir, und du führst uns auf einen besseren Weg. Wir bitten dich durch Jesus Christus, unseren Herrn, und in der Gemeinschaft des Heiligen Geistes, dass du uns immer zu dir zurückführst. Amen.

Ggf als Fürbitten:

Gott, unser Herr, erleuchte unseren Weg durch das Licht Christi, der uns vorangeht und uns führt. Er sei der Leitstern, der uns anzieht, so dass die Kirchen der Ökumene in ihm zur Einheit finden.

Hilf uns, Jesus Christus nicht in den Palästen der Mächtigen, sondern in der einfachen Krippe zu suchen und ihm in seiner Sanftmut nachzueifern.

Hilf uns, eins zu sein in unserem Einsatz für dein Reich der Liebe, der Gerechtigkeit und des Friedens und so allen, die in der Dunkelheit der Verzweiflung und Enttäuschung leben, das Licht der Hoffnung zu geben. Amen.

Vergib uns, wenn unser Einsatz nachlässt und wir deinen Willen nur zögerlich tun, die Kirchen zur Einheit in dir führen.

Lehre uns, dem Heiligen Geist zu folgen, auch wenn der Weg uns fremd scheint, damit wir zur Einheit in Jesus Christus, dem Licht der Welt, gelangen.

Christus, Du Hoffnung der Welt. Gib uns die Bereitschaft und die Mittel, uns für eine Transformation dieser Welt einzusetzen und einander Gaben zu bringen, die die Gemeinschaft unter uns wachsen lassen. Amen

(zitiert aus den Materialien der ACK zur Gebetswoche für die Einheit der Christen 2022, dazu die Angaben: Der Rat der Kirchen im Mittleren Osten mit Sitz in Beirut, Libanon hat die gemeinsame Arbeitsgruppe für die Gebetswoche für die Einheit der Christen einberufen. Der ÖRK und der Vatikan haben diese Materialien jetzt in mehreren Sprachen veröffentlicht.)

Manfred Mielke, Pfarrer der EKiR im Ruhestand, geb 1953, verheiratet, 2 Söhne. Sozialisation im Ruhrgebiet und in Freikirchen. Studium in Wuppertal und Bonn (auch Soziologie). Mitarbeit bei Christival und Kirchentagen. Partnerschaftsprojekte in Ungarn (1988- 2011) und Ruanda (2001-2019). Musiker und Arrangeur.

de_DEDeutsch